© semnov – Fotolia.com
Bei der dritten Entscheidung, die ich heute vorstelle, handelt es sich um das LG Detmold, Urt. v. 17.05.2017 – 22 Ns 35/17, das mit der Kollege Dr. Pott aus Detmold übersandt hat. Es geht in der Entscheidung nicht unmittelbar um „Strafvollzug“. Das Verfahren, in dem das Urteil des LG ergangen ist, hat aber seinen Ausgang im Strafvollzug genommen. In der sache geht es um die Unverwertbarkeit einer Aussage im Strafverfahren, die ein JVA-Insasse im Rahmen eines Disziplinarverfahrens ohne Belehrung über sein Auskunftsverweigerungsrecht gemacht hat.
Festgestellt worden ist vom LG in etwa folgender Sachverhalt: Der spätere Angeklagte ist Insasse in einer JVA. Bei einer Kontrolle wird ein Handy gefunden. Es besteht der Verdacht, dass dieses Handy durch einen Strafvollzugsbeamten in die JVA geschmuggelt und an den Angeklagten gegen Zahlung eines Geldbetrages übergeben worden ist. Gegen den Angeklagten wird ein Disziplinarverfahren eingeleitet. Im Rahmen dieses Disziplinarverfahrens wird er zweimal von einer Strafvollzugsbeamtin vernommen, aber zu keinem Zeitpunkt über sein Auskunftsverweigerungsrecht belehrt. Der Angeklagte gibt auf mehrfache Nachfrage bei der zweiten Vernehmung dann an, welcher Vollzugsbeamte ihm das Handy in die JVA geschmuggelt habe. Daraufhin wird ein Straf- und Disziplinarverfahren gegen Strafvollzugsbeamten eingeleitet. Da man dem bestreitenden Strafvollzugsbeamten glaubt, wird das Verfahren gegen diesen eingestellt. Gegen den Angeklagten wrid ein Verfahren wegen falscher Verdächtigung eingeleitet und Anklage erhoben. Der Angeklagte macht in dem Strafverfahren selbst keine Angaben zur Sache. Der Verwertung der Zeugenaussage der Strafvollzugsbeamtin, die den Angeklagten in dem Disziplinarverfahren vernommen hatte, wird vom Verteidiger widersprochen. Das LG spricht den Angeklagten A daraufhin frei, nachdem das AG Detmold den Angeklagten noch zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt hatte.
Das LG führt zur Verwertbarkeit der Angaben des Angeklagten bei seiner Anhörung aus:
aa) Wie die Zeugin pp. selbst einräumte, wurde der Angeklagte im Rahmen der disziplinarischen Befragung nicht über sein Auskunftsverweigerungsrecht belehrt. Dies führt dazu, dass seine Angaben über die Herkunft des Mobiltelefons, die in den Vermerken vom 14.03. und 15.03.2016 niedergelegt sind, nicht verwertbar sind. Sie unterliegen aufgrund eines Verstoßes gegen die Belehrungspflicht nach § 136 Abs. 1 StPO einem umfassenden Verwertungsverbot.
Im Einzelnen:
Das Verfahren bei Disziplinarverstößen innerhalb einer Justizvollzugsanstalt ist in § 106 StVollzG geregelt. Eine dem § 136 StPO entsprechende Belehrung im Rahmen einer disziplinarischen Anhörung eines Strafgefangenen ist darin zwar nicht ausdrücklich vorgesehen. Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung ist ein belehrender Hinweis des Gefangenen zu seinem Aussageverweigerungsrecht jedoch dann geboten, wenn dieser Vorwurf zugleich ein mit Strafe bedrohtes Verhalten betrifft (BGH, Urteil vom 09.04.1997 — 3 StR 2/97). Dies folgt daraus, dass der Betroffene aufgrund des Freiheitsentzuges in seiner Rechtsstellung allgemein schon einschneidend beschränkt ist und er sich im Disziplinarverfahren der Gefahr einer Ahndung mit strafähnlichem Charakter gegenüber sieht.
Dies war auch vorliegend der Fall. Wie die Zeugin pp. selbst einräumte, bestand spätestens zum Zeitpunkt der zweiten Vernehmung am 15.06.2016 gegen den Angeklagten nicht nur der Verdacht einer Ordnungswidrigkeit nach § 115 OWiG durch Entgegennahme des Mobiltelefons (dazu Rogall in Karlsruher Kommentar zum OWiG, 4. Aufl. 2014, § 115 Rn. 7 ff.). Vielmehr stand auch der Vorwurf einer Bestechung nach § 334 Abs. 1 StGB im Raum, nachdem der Angeklagte angegeben hatte, dem Justizvollzugsbeamten für das Mobiltelefon 150,00 € bezahlt zu haben, obwohl das Mobiltelefon möglicherweise einen deutlich geringeren Wert hatte. Spätestens zu diesem Zeitpunkt handelte es sich nicht mehr um eine informatorische Vorabbefragung des Angeklagten, sondern um eine Vernehmung im Rahmen des disziplinarischen Verfahrens. Dass auch die vernehmende Beamtin, die Zeugin pp. dies entsprechend einstufte, zeigt sich bereits daran, dass beide Vermerke über die Befragungen mit „Vernehmungsnotiz“ überschrieben sind. Dem entsprechend hätte der Angeklagte, der höchstrichterlichen Rechtsprechung folgend, spätestens vor der zweiten Vernehmung über sein Schweigerecht belehrt werden müssen.
Der Verstoß gegen die Belehrungspflicht begründet — nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs — im Falle des rechtzeitigen Widerspruchs grundsätzlich ein Verwertungsverbot (BGHSt 38, 214 m.w.N.). Dies gilt nur dann nicht, wenn feststeht, dass der Beschuldigte sein Recht zu schweigen auch ohne Belehrung gekannt hat (Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 59. Auflage 2016, § 136 Rn. 20 m.w.N.). Das ist vorliegend zur Überzeugung der Kammer jedoch nicht festzustellen. Der Angeklagte ist zwar insoweit erfahren, als gegen ihn ausweislich des Registerauszugs bereits mehrere Strafverfahren geführt wurden und er auch bereits mehrere Jahre in Haft saß. Alleine diese ist jedoch nicht ausreichend, um eine sichere Kenntnis von seinen Rechten anzunehmen. Bei der Vernehmung durch die Zeugin pp. handelte es sich gerade nicht um den „klassischen“ Fall einer polizeilichen Vernehmung, wie ihn § 136 StPO vorsieht. Aufgrund der unmittelbar drohenden Disziplinarmaßnahme und seiner Inhaftierung befand sich der Angeklagte vielmehr in einer besonderen Drucksituation. Selbst die Zeugin pp. als erfahrene Justizvollzugsbeamtin dachte in dieser Situation nicht an das Schweigerecht des Angeklagten, sodass ihm diese Kenntnis nicht ohne weiteres unterstellt werden kann.
Der Verteidiger hat der Verwertung der Aussage der Zeugin pp. als Vernehmungsbeamtin des Angeklagten in beiden Instanzen rechtzeitig widersprochen, sodass auch die formalen Voraussetzungen des Verwertungsverbots erfüllt sind.
Das in der Folge eingreifende Verwertungsverbot ist umfassend und bezieht sich auf sämtliche Angaben des Angeklagten im Rahmen der Vernehmung durch die Zeugin pp. Es betrifft insbesondere auch seine Angaben bezüglich der Täterschaft des Zeugen pp.. Eine Aufspaltung des Verwertungsverbots dahingehend, dass sich das Verwertungsverbot nur auf Angaben zu bereits in der Vergangenheit begangenen Straftaten und nicht auf Angaben bezieht, durch die der Vernommene neue Straftaten begeht, ist nicht möglich. Das Verwertungsverbot ist insoweit spiegelbildlich zu dem Schweigerecht, welches dem Angeklagten zusteht und über welches er zu belehren ist. Auch dieses Schweigerecht ist umfassend und bezieht sich nicht auf einzelne Beweisfragen. Hätte der Angeklagte von seinem Schweigerecht Gebrauch gemacht, hätte er den Zeugen pp. auch nicht belastet, sodass ein innerer Zusammenhang zwischen dem Schweigerecht und der etwaigen falschen Verdächtigung besteht. Dies gilt umso mehr, als sich der Angeklagte aufgrund der Vernehmungssituation in der Justizvollzugsanstalt und der drohenden disziplinarrechtlichen Maßnahmen — wie bereits dargestellt — in einer besonderen Drucksituation befand.“
Sehr schön begründet vom LG. Ich frage mich, auf welcher Grundlage das AG zu einem anderen Ergebnis gekommen ist. Die BGH-Entscheidung ist immerhin von 1997.