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Heute dann mal wieder drei StPO-Entscheidungen, aber nicht vom BGH, sondern von den sog. Instanzgerichten.
Und als erstes stelle ich den LG Hanau, Beschl. v. 12.10.2020 – 5 KLs 1136 Js 14486/17 – vor. Es geht um die Frage der rechtzeitigen Begründung einer Revision. Die Staatsanwaltschaft hatte Verwerfung beantragt, das LG hat den Antrag aber abgelehnt:
„Die Revision des Angeklagten war nicht als unzulässig nach § 346 Abs. 1 StPO zu verwerfen, weil sie nicht verspätet oder formwidrig eingelegt worden ist.
Die Revisionen beachtet die nach § 345 Abs. 2 StPO vorgeschriebene Form und ist innerhalb der Frist des § 345 Abs. 1 S. 1 StPO binnen eines Monats nach Zustellung des vollständig abgefassten Urteils bei dem Verteidiger pp. bei dem Landgericht Hanau angebracht worden. Als Zeitpunkt der Zustellung bei dem Verteidiger war das von dem Rechtsanwalt pp. mit dem 27.07.2020 bescheinigte Datum des von ihm erklärten Empfangsbekenntnisses zugrunde zu legen. Die Revisionsbegründungsschriften jeweils des Rechtsanwaltes pp. und des weiteren Rechtsanwaltes pp. aus Frankfurt am Main gingen beide als Telefax – binnen eines Monats – am 27.8.2020 bei dem Landgericht Hanau ein.
Trotz einer äußerst ungewöhnlichen Postlaufzeit an den Rechtsanwalt pp. von drei Wochen seit der Ausführung der Zustellungsverfügung durch die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle und einem zwischenzeitlich bei jenem eingegangenen und unter dem 10.8.2020 von ihm zurückgesandten Paket mit den vollständigen Akten vermag die Kammer nicht mit der notwendigen Gewissheit festzustellen, dass der Eingang der Urteilsausfertigung bei dem Rechtsanwalt pp. wahrheitswidrig bescheinigt worden und ein früherer Zugang der Ausfertigung anzunehmen ist. Zwar weisen der ebenfalls postalische Zugang des Pakets mit den Akten und die Laufzeiten sämtlicher späteren, jeweils mit Zustellungsurkunde versandten Schriftstücke (maximal fünf Tage) darauf hin, dass – auch unter Berücksichtigung zunehmend längerer Postlaufzeiten bei den Anbietern von Postdienstleistungen — die Laufzeit einer Briefsendung von drei Wochen sehr ungewöhnlich ist, zumal den Rechtsanwalt pp. auch im bisherigen Verfahren vor der Urteilsverkündung sämtliche Sendungen stets zeitnah erreichten. Gleichwohl lassen sich Unzuverlässigkeiten des beauftragten Postzustelldienstes in engen Einzelfällen nicht vollständig ausschließen. Letztlich sind bei dem als Organ der Rechtspflege unter erhöhter Wahrheitspflicht stehenden Rechtsanwalt hohe Anforderungen an die Annahme eines von ihm unzutreffend datierten Bekenntnisses des Empfangs zu stellen.
Die in den zur Akteneinsicht an den Rechtsanwalt pp. übersandten enthaltene Urschrift des Urteils kann die förmliche Zustellung nicht bewirken, weil es sich dabei nicht um eine für den Empfänger hergestellte Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift handelt.
Auf den Zeitpunkt des tatsächlichen Zugangs der in der Akte enthaltenen Urschrift kann aber auch aus dem Gesichtspunkt einer auch bei einer Notfrist eingreifenden – Heilung von Zustellungsmängeln nach § 189 ZPO nicht abgestellt werden. Denn nach dem soeben Gesagten ist die zur Zustellung bestimmte Ausfertigung mit der Übersendung der Akte gerade nicht dem Rechtsanwalt pp. zugegangen, sondern lediglich die Urschrift des Urteils war darin enthalten. Es handelt sich dabei nicht um das von § 189 ZPO vorausgesetzte Dokument. Auch die weiteren Voraussetzungen der Bestimmung liegen nicht vor. Es fehlt nämlich daran, dass – wie es das Gesetz vorsieht – die formgerechte Zustellung des Dokumentes nicht nachgewiesen werden kann oder das Dokument unter Verletzung zwingender Zustellungsvorschriften zugegangen ist. Beides liegt nicht vor. Selbst ein unleserliches, ohne Datum oder mit einem unrichtigen Datum versehenes Empfangsbekenntnis berührt die Wirksamkeit der Zustellung nicht (Zöller/Stöber, ZPO, § 174 Rn. 14 m.w.N.). Die gesondert zugestellte Ausfertigung mit Zustellungswillen des Vorsitzenden ist dem Rechtsanwalt pp. aber in der gesetzlich vorgesehenen Form der Zustellung an einen Rechtsanwalt zugegangen. Zuletzt fehlt es auch an der Mitwirkungsbereitschaft des Rechtsanwaltes zur Zustellung bereits bei Erhalt der Akteneinsicht. Denn es bedarf insofern zwingend der Äußerung des Willens des Adressaten, die Sendung als zugestellt in Empfang zu nehmen (Zöller-Stöber, § 174 ZPO, Rn. 6). Allein die Veranlassung der Rücksendung der Akten lässt nicht auf einen Willen schließen, als Rechtsanwalt den Inhalt eines bestimmten Dokumentes aus den Akten zur Kenntnis zu nehmen oder dieses als tatsächlich zugegangen gelten zu lassen. Denn regelmäßig wird bei einer Akteneinsicht zweckmäßigerweise nach Durchführung des Kopierens zeitnah die Rücksendung an das Gericht veranlasst. Erst dann wird oft von dem Inhalt der Kopien Kenntnis genommen.
Dass dem Verteidiger pp. oder dem weiteren Verteidiger in sonstiger Weise bereits vor dem 27.07.2020 die Ausfertigung des Urteils zuging und er diese mit dem Willen, die Sendung als zugestellt gegen sich geltend zu lassen, in Empfang genommen hat, lässt sich nicht nachweisen.“
Also: Die Kammer „glaubt“ dem Verteidiger. Warum auch nicht?
Und wir glauben der Kammer, obwohl: Sie ist ein wenig durcheinander gekommen in den Eingangssätzen des Beschlusses. Es geht nicht um die Einlegung der Revision, sondern um deren Begründung 🙂 , das ändert aber nichts daran, dass der Beschluss richtig ist.