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Bewährung I: Erörterungen der Wirkungen der U-Haft, oder: Anforderungen an die Kriminalprognose

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Am Monatsende kommen dann heute hier drei Postings zur Bewährung.

Als erste Entscheidung kommt der BGH, Beschl. v. 16.07.2024 – 2 StR 263/24. Das LG hat den Angeklagten wegen versuchter Nötigung „in Tatmehrheit mit gefährlicher Körperverletzung“ zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und acht Monaten verurteilt und von einem weiteren Vorwurf freigesprochen. Dagegen die Revision des Angeklagten, mit der er hinsichtlich der Frage der Bewährung Erfolg hatte:

„Rechtlich zu beanstanden ist aber, unbeschadet des hierbei bestehenden Beurteilungsspielraums des Tatgerichts (vgl. BGH, Urteil vom 10. Februar 2022 – 1 StR 437/21, StV 2022, 642, 643 Rn. 5 mwN), die Versagung der Strafaussetzung zur Bewährung.

1. Die Strafkammer hat eine positive „Sozialprognose“ im Sinne des § 56 Abs. 1 StGB verneint. Sie hat zu Ungunsten des Angeklagten ausgeführt, er sei zwar in Deutschland bisher strafrechtlich nicht in Erscheinung getreten, sei aber nach der Außervollzugsetzung des Haftbefehls im Juni 2022 den ihm erteilten Weisungen – bei denen es sich um solche nach § 116 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 und 2 StPO handelte – nicht nachgekommen. Auch für die Annahme des Fehlens besonderer Umstände im Sinne des § 56 Abs. 2 StGB falle entscheidend zu Lasten des Angeklagten ins Gewicht, dass keine positive „Sozialprognose“ bestehe.

2. Diese Begründung leidet an einem rechtlich erheblichen Erörterungsmangel. Obschon das Landgericht den Angeklagten im Rahmen der Strafzumessung als haftempfindlich behandelt hat, hat es sich nicht mit möglichen spezialpräventiven Wirkungen der Untersuchungshaft befasst, die nach der erneuten Festnahme des Angeklagten zum Zeitpunkt des Urteils bereits seit über sieben Monaten andauerte (vgl. BGH, Urteil vom 10. Februar 2022 – 1 StR 437/21, StV 2022, 642, 644 Rn. 15; Beschlüsse vom 29. Mai 1990 – 5 StR 174/90 Rn. 7; vom 23. März 1995 – 4 StR 118/95, StV 1995, 414, 415, und vom 11. Januar 2022 – 6 StR 493/21, Rn. 3; Schäfer/Sander/van Gemmeren, Praxis der Strafzumessung, 6. Aufl., Rn. 215).

3. Der Senat sieht Veranlassung zu dem Hinweis, dass es für die Kriminalprognose gemäß § 56 Abs. 1 und 2 StGB allein darauf ankommt, ob ohne Vollstreckung der verhängten Freiheitsstrafe zu erwarten ist, dass der Täter sich in Zukunft nicht mehr strafbar machen wird. Allgemeines Wohlverhalten wird hierfür nicht verlangt. Das Erfordernis einer „ein gesetzmäßiges und geordnetes Leben“ umfassenden günstigen Sozialprognose hat das Erste Gesetz zur Reform des Strafrechts vom 25. Juni 1969 (BGBl. I, S. 645, 647) bereits mit Wirkung zum 1. Januar 1970 aufgegeben (BGH, Urteile vom 4. November 2021 – 6 StR 12/20, wistra 2022, 167, 172 Rn. 119, und vom 10. Februar 2022 – 1 StR 437/21, StV 2022, 642, 643 Rn. 8 mwN; MüKo-StGB/Groß/Kett-Straub, 4. Aufl., § 56 Rn. 16).

Damit ist es nicht ohne weiteres zu vereinbaren, die Verneinung einer positiven Prognose entscheidend auf den bloßen Ungehorsam des Angeklagten gegen die ihm im Rahmen der Haftverschonung erteilten Anweisungen zu stützen, ohne die Bedeutung seiner Verstöße gegen Melde- und Aufenthaltspflichten für die Erwartung künftiger straffreier Führung zu bewerten.“

StGB II: Günstige „Kriminalprognose“ verneint, oder: Aber U-Haft und eigene Verletzungen übersehen

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Und dann im zweiten Posting des Tages der BGH zur Bewährung, und zwar im BGH, Beschl. v. 11.01.2022 – 6 StR 493/21:

„Die Erwägungen, mit denen das Landgericht das Vorliegen der Voraussetzungen des § 56 StGB verneint hat, halten rechtlicher Überprüfung nicht stand.

Die Strafkammer hat eine positive „Sozialprognose“ (richtig: Kriminalprognose, vgl. BGH, Urteil vom 4. November 2021 – 6 StR 12/20, Rn. 119) im Sinne des § 56 Abs. 1 StGB verneint und dabei zu Ungunsten des Angeklagten ausgeführt, dass er in Deutschland keinen festen Wohnsitz, keine Familie und keine Arbeitsstelle habe; ein geeigneter sozialer Empfangsraum, der ihn von Straftaten abhalten könnte, sei nicht vorhanden, zumal er ausreisepflichtig sei. Diese Begründung leidet an einem rechtlich erheblichen Erörterungsmangel. Denn das Landgericht hat sich nicht mit möglichen spezial-präventiven Wirkungen der im Zeitpunkt des Urteils bereits knapp neun Monate andauernden Untersuchungshaft auf den in Deutschland nicht vorbestraften und im weiteren Geschehen selbst erheblich verletzten Angeklagten befasst.“

M.E. schon ein nicht unerheblicher Fehler, wenn man bei der Prognoseentscheidung offenbar neun Monate U-Haft und eigene erhebliche Verletzungen „übersieht“.