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Das BVerfG und die Krawatte des Verteidigers

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Manchmal werfen Beschlüsse Fragen auf, obwohl sie die doch eigentlich beantworten sollen. So geht es mir mit dem BVerfG, Beschl. v. 13.03.2012 – 1 BvR 210/12, der offenbar in einem „Krawattenstreit“ mit einem Verteidiger ergangen ist. Aus dem nur knapp mitgeteilten Sachverhalt folgt: Der Beschwerdeführer ist Rechtsanwalt und trat in einer Hauptverhandlung vor der Strafkammer als Verteidiger auf. Er trug Robe und weißes Hemd, jedoch keine Krawatte. Nach Aufforderung des Vorsitzenden Richters, eine Krawatte anzulegen, und darauf erfolgter zweifacher Weigerung des Beschwerdeführers wies ihn der Vorsitzende als Verteidiger zurück. Die gegen die Zurückweisung zum OLG erhobene Beschwerde blieb erfolglos. Zur Begründung führte das OLG im Beschluss aus, der Beschwerdeführer sei zu Recht nach § 176 GVG zurückgewiesen worden, weil er seine Pflicht verletzt habe, vor Gericht Amtstracht zu tragen. Gewohnheitsrechtlich gehöre in Bayern zur Amtstracht eine „weiße Halsbinde“. Daran habe die Regelung der Berufstracht in § 20 der BerufsO nichts ändern können. Der Beschwerdeführer habe eine von dieser berufsrechtlichen Bestimmung unabhängige verfahrensrechtliche Pflicht zum Tragen des Langbinders verletzt, die nach breitem Konsens und Übung der Organe der Rechtspflege noch gelte. Der Verstoß des Beschwerdeführers sei schwerwiegend und rechtfertige die Zurückweisung als Verteidiger.

Dagegen die Verfassungsbeschwerde, die das BVerfG nicht zur Entscheidung angenommen hat. Die Sache habe keine  grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung und:

Hiernach kommt der behaupteten Grundrechtsverletzung kein besonderes Gewicht zu. Dem Oberlandesgericht war erkennbar daran gelegen, eine am Maßstab der Grundrechte und der einschlägigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. BVerfGE 28, 21) sachlich begründete Entscheidung mit geringer Eingriffsintensität zu treffen. Die vom Oberlandesgericht bestätigte Zurückweisung als Verteidiger stellte das im Hinblick auf das Gewicht des Eingriffs am wenigsten schwerwiegende Mittel dar (vgl. BVerfG 28, 21 <35>). Der Beschwerdeführer kann ähnliche Maßnahmen künftig abwenden, indem er eine Krawatte anlegt. Dies stellt für ihn – auch mit Blick auf die Interessen seines Mandanten an einem zügigen Prozessverlauf – keine unzumutbare Belastung dar (vgl. BVerfGE 34, 138 <139>). Die angegriffene sitzungspolizeiliche Maßnahme mag im Hinblick auf die möglicherweise erschöpfende Regelung des § 59b Abs. 2 Nr. 6 BRAO rechtlich bedenklich und als Reaktion auf das Verhalten des Beschwerdeführers überzogen erscheinen, betrifft ihn aber weder nach ihrem Gegenstand noch wegen der aus ihr folgenden Belastung in existentieller Weise. Die Berufsausübungsfreiheit des Beschwerdeführers wurde außerhalb des Hauptverhandlungstermins, in dem die Zurückweisung erfolgte, nicht beschränkt. Ausweislich des der Verfassungsbeschwerde beigefügten Sitzungsprotokolls ist seine Ladung zu einem neuen Hauptverhandlungstermin angeordnet worden. Ein über das Erscheinen zu dem neu anberaumten Termin hinausgehender Nachteil ist nicht ersichtlich.“

Also: Wenn ich den Beschluss richtig verstehe, geht das BVerfG wohl davon aus, dass – in Bayern, nur in Bayern (?) – die Krawatte zur Amtstracht gehört. Das gibt § 20 BerufsO m.E. aber nicht her und ist auch umstritten. Auch die Zurückweisung nach § 176 GVG scheint für das BVerfG in Ordnung zu gehen, allerdings: Wieso dann der Hinweis auf § 59b Abs. 2 Nr. 6 BRAO

Kleider machen Leute – gilt das auch für Verteidiger? – Münchner Krawattenstreit

„Kleider machen Leute“ heißt die Novelle von Gottfried Keller. Sie beschreibt den Werdegang des Schneiders, der zum Grafen wird. Übertragen kann man den Titel auch auf den offenbar neu entbrannten Krawattenstreit im Gerichtssaal, über den der Münchner Merkur, aber auch in verschiedenen Blogs schon berichtet worden ist (vgl. hier von der Krawattenfront, hier das Lawblog und hier).

Als ich den Zeitungsbericht gelesen habe, habe ich nur gedacht: Hatten wir doch alles schon – hatten wir in der Tat schon, den Streit um die Tragen der Robe und aber auch den Streit um das Tragen der Krawatte. So gibt es den Braunschweiger und den Kassler Robenstreit, auch das OLG München hat sich zum Tragen der Robe schon geäußert. Bei der Krawatte ist es m.E. schwieriger, denn § 20 BerufsO nennt die Krawatte nicht, sondern spricht von „als Berufstracht die Robe“.

Einige Gerichte, so das LG Mannheim und das VG Berlin zählen aber dennoch zur Amtstracht auch die Krawatte. Und nun offenbar auch das LG München mit der Folge, dass wir sicherlich dann bald eine bahnbrechende Entscheidung 🙂 des OLG München zu der wichtigen Frage erhalten werden, ob die Krawatte nun zur Amtstracht des Rechtsanwalts gehört oder nicht. Als Autor freut mich das natürlich, kann ich doch dann dem entsprechenden Stichwort in meinem „Handbuch für die Strafrechtliche Hauptverhandlung“ eine neue Entscheidung einfügen :-).

Im Übrigen fragt man sich, was es eigentlich bringen soll, wenn sich Richter und Rechtsanwalt/Verteidiger in dieser Frage streiten.  Schnell fällt einem da der Satz ein: „Wenn es denn der Rechtsfindung dient“. Oder wie es der Kollege von der „Krawattenfront“ so schön formuliert hat: „Unter uns gesagt: ich will mich hier jetzt nicht (von mir eingesetzt) entscheiden müssen, ob in diesen Fällen jetzt der Richter oder der Anwalt kindischer ist.“ In der Sache bringt es m.E. in der Tat nichts. Weder für den angeklagten Mandanten noch für das Gericht. Der Rechtsanwalt ist bzw. wird ja im Übrigen nun auch nicht Verteidiger, weil er eine Krawatte trägt.

Und schließlich: Ob das Gericht ihn zurückweisen und die Hauptverhandlung aussetzen kann, auch da habe ich erhebliche Zweifel. Die h.M. sagt wohl zutreffend nein, so lange nicht eine Störung der Hauptverhandlung durch das Nichttragen der Krawatte vorliegt (§ 176 GVG). Man darf gespannt sein, wie das OLG München die Fragen, mit denen es sicherlich befasst werden wird, lösen wird.

Nachtrag 22.08.2011 – 11.30: Ein freundlicher Leser weist mich gerade darauf hin, dass die o.a. Kurzinhaltsangabe nicht ganz richtig ist. Sorry. Hier dann zur Inhaltsangabe (hoffentlich habe ich jetzt im Internet) das Richtige geunden.