Schlagwort-Archive: Kostenerstattung

Einstellung des Bußgeldverfahrens, oder: Erstattung der Gutachterkosten ja, aber nicht in der Höhe

Bild von Kevin Schneider auf Pixabay

Und als zweite Entscheidung dann mal wieder eine zur Frage der Erstattung der Kosten für ein Privatgutachten, heute aus dem Bußgeldverfahren.

Dem Betroffenen ist eine Geschwindigkeitsüberschreitung vorgeworfen worden. Der Betroffene hat ein „Privatgutachten“ über die vorgenommene Messung eingeholt und dem AG übersandt. Das hat daraufhin das Verfahren eingestellt.

Im Rahmen der Kostenfestsetzung sind dann auch die Kosten für das Gutachten 5.251,73 EUR zuzüglich USt geltend gemacht worden.Die hat das AG nicht festgesetzt. Dagegen dann die sofortige Beschwerde, die (nur) teilweise Erfolg hatte. Das LG Stuttgart sagt im LG Stuttgart, Beschl. v. 28.12.2020 – 20 Qs 21/20: Grundsätzlich zu erstattet, aber nicht in der angemeldeten Höhe:

„Es besteht ein Anspruch auf Erstattung der Gutachterkosten als notwendige Auslagen im Sinne des § 464a StPO jedenfalls dem Grunde nach. Die Höhe der Vergütung bemisst sich jedoch nach den JVEG-Sätzen und beträgt vorliegend 85,- Euro pro Stunde (entsprechend Honorargruppe 5 des § 9 Abs. 1 JVEG, Sachgebiet 38 Verkehrsregelungs- und —überwachungstechnik).

Zwar entspricht es nahezu einhelliger Meinung, dass private Ermittlungen im Regelfall nicht als „notwendig“ i.S.v. § 464 Abs. 2 StPO anzusehen sind, da Privatgutachten aufgrund der grundsätzlichen Verpflichtung der Ermittlungsbehörden zur umfassenden Sachaufklärung — auf die die Verteidigung durch die Stellung von Beweisanträgen und —anregungen Einfluss nehmen kann —aus ex-ante-Sicht zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung nicht erforderlich sind. Dies gilt auch für Bußgeldverfahren, da auch dieses als Amtsermittlungsverfahren schon auf der Ebene der Ermittlungen auf alle dem Betroffenen günstigen Umstände zu erstrecken ist und es somit zumutbar ist, auch ex-ante notwendig erscheinende Ermittlungen erst dann selbst zu veranlassen, wenn das in der Hauptsache zuständige Gericht diese abgelehnt hat.

Im vorliegenden Fall beruhte die Verfahrenseinstellung allerdings final auf dem Privatgutachten des Betroffenen, weshalb die Kosten der sich tatsächlich zugunsten des Betroffenen entscheidungserheblich ausgewirkten privaten Ermittlungsmaßnahme ausnahmsweise dem Grunde nach als notwendige Auslagen einzuordnen sind.

Die Erstattungsfähigkeit privater Sachverständigenkosten beruht hier auf dem Gedanken, dass das Gericht die privat veranlasste Beweiserhebung durch einen Sachverständigen auf entsprechenden Vortrag oder Antrag des Betroffenen selbst hätte veranlassen müssen. Maßgeblich hierfür ist letztlich sowohl der Umstand, dass der private Gutachtenauftrag für das konkrete Verfahren zielführend ist, als auch dass die dadurch veranlassten Kosten nicht höher als die bei gerichtlicher Beauftragung angefallenen wären (vgl. LG Dresden, Beschluss vom 07.10.2009 — 5 Qs 73/09).

Daraus folgt aus Sicht der Kammer, dass die Höhe der erstattungsfähigen Kosten auf Grundlage des JVEG zu bestimmen ist, da die Kosten nur in Höhe der JVEG-Sätze als notwendig angesehen werden durften. Es ist nicht einzusehen, wieso der durch den Beschwerdeführer beauftragte Sachverständige über die Abrechnung nach § 464a StPO eine höhere Vergütung erlangen sollte, als er aus der Staatskasse für die gleiche Leistung verlangen kann (so etwa auch LG Wuppertal, B. v. 13.04.2015 — 23 Qs 43/15).

Die Kammer verkennt hierbei den privatrechtlichen Charakter der zugrundeliegenden Honorarvereinbarung nicht, erachtet es allerdings als zumutbar, die Kosten für das Sachverständigengutachten lediglich in der Höhe zu erstatten, die der Staatskasse ohnehin bei Einholung des Gutachtens durch das Gericht entstanden wären. Es sind keine Umstände erkennbar, die es ausnahmsweise erforderlich erscheinen lassen, einen Gutachter unter Vereinbarung eines höheren Stundenlohns zu beauftragen, da insbesondere kein Zeitdruck aufgrund eines etwa zu befürchtenden Beweismittelverlust bestand. Der Beschwerdeführer war somit nicht aufgrund einer drohenden Verschlechterung seiner Prozesslage gezwungen, den Sachverständigen für eine höhere Vergütung selbst zu beauftragen; die Einholung eines Gutachtens hätte zunächst förmlich beim Gericht beantragt werden können.

Die Höhe des Honorars bestimmt sich vorliegend nach Honorargruppe 5 des § 9 Abs. 1 JVEG, dadie Nachprüfung einer Geschwindigkeitsbestimmung mit einem Lasermessgerät durch Geschwindigkeitsmessgeräte, derer sich die Polizei zur präventiven und repressiven Kontrolle des Verkehrsraumes bedient, seit der Änderung des JVEG durch Art. 7 des Kostenrechtsmodernisierungsgesetzes vom 23.07.2013 (KostRModG, BGBl. I S. 2586) dem Sachgebiet 38 zugeordnet wird (vgl. etwa KG, Beschluss vom 10.09.2015 —1 Ws 47 + 67/15).

Erstattung II: Privates Unfallrekonstruktionsgutachten, oder: „Warum hast du keinen Beweisantrag gestellt?“

© weyo – Fotolia.com

Bei der zweiten „Erstattungsentscheidung“ handelt es sich um den LG Potsdam, Beschl. v. 05.06.2020 – 24 Qs 28/20. Er hat die Frage der Erstattung der Kosten privater eigener Ermittlungen des Beschuldigten zum Gegenstand.

Der ehemalige Angeklagte war auf der Grundlage eines unfallanalytischen Sachverständigengutachtens eines Sachverständigen Dr.-Ing. S. wegen einer fahrlässigen Tötung im Straßenverkehr angeklagt. Das AG hat den ehemaligen Angeklagten dann wegen fahrlässiger Tötung zu einer Geldstrafe verurteilt. Gegen das Urteil legten die Nebenkläger fristgerecht Berufung ein. In der Berufungsbegründung führten sie aus, der Angeklagte habe es entgegen dem AG-Urteil durch grob rücksichtsloses Fahrverhalten billigend in Kauf genommen, andere Verkehrsteilnehmer an Körper, Gesundheit und Leben zu schädigen. Jedenfalls aber habe er zumindest grob fahrlässig gehandelt.

Der Vorsitzende der Berufungskammer wies die Nebenkläger auf die mangelnden Erfolgsaussichten der Berufung hin und regte die Rücknahme an. Nachdem die Nebenkläger mitgeteilt hatten, dass die Berufung durchgeführt werden solle, beraumte das Berufungsgericht Hauptverhandlungstermin am 09.05.2019 an. Mit Schriftsatz vom 06.05.2019 überreichte der Verteidiger ein vom Angeklagten eingeholtes Unfallrekonstruktionsgutachten des Unfallsachverständigen Dr. W., welches zu dem Ergebnis kam, dass die Kollisionsgeschwindigkeit im Gutachten des Sachverständigen S. falsch eingegrenzt worden sei und dass der Unfall für den Beschwerdeführer ein unabwendbares Ereignis dargestellt haben könne. Die Nebenkläger nahmen die Berufung daraufhin mit Schriftsatz vom 08.05.2019 zurück. Ihnen wurden auch die dem Angeklagten im Berufungsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen auferlegt.

Der ehemalige Angeklagte hat mit seinem Festsetzungsantrag auch die Kosten des Gutachtens des Sachverständigen Dr. W. in Höhe von 3.637,59 EUR sowie der Kosten von dessen Ladung gemäß § 220 StPO in Höhe von 17,75 EUR begehrt hatte. Die hat das AG nicht festgesetzt. Das dagegen eingelegte Rechtsmittel des ehemaligen Angeklagten hatte keinen Erfolg. Das LG meint, die Kosten seien nicht „erforderlich“ gewesen:

„1. Die Kosten privater eigener Ermittlungen des Beschuldigten sind — ausgenommen im Privatklageverfahren — in der Regel nach ständiger Rechtsprechung der Kammer grundsätzlich nicht erstattungsfähig (LG Potsdam, Beschluss vom 2. November 2012 , Az.: 24 Qs 109/11; Beschluss vom 14. Januar 2013, Az.: 24 Qs 190/12; so auch Meyer-Goßner, StPO, 62. Auflage, § 464a Rn. 16 m.w.N.). Es handelt sich nicht um notwendige Auslagen im Sinne von § 464a Abs. 2 StPO. Dem Beschuldigten bzw. Angeklagten bleibt es nämlich unbenommen, im Ermittlungsverfahren und im gerichtlichen Verfahren Beweisanträge zu stellen und damit die prozessualen Möglichkeiten auszuschöpfen (vgl. OLG Hamburg in MDR 1975, 74; NStZ 1983, 284; OLG Schleswig, Sch1HA 86, 114 (E/L)). Das hat der Beschwerdeführer vorliegend nicht getan. Er hat vielmehr von sich aus ein schriftliches Gutachten des Privatsachverständigen Dr. W. in Auftrag gegeben und vorgelegt, ohne dass es Anlass gab anzunehmen, dass eine Zurückweisung der nebenklägerischen Berufung mittels der Ausschöpfung seiner prozessualen Rechte im Strafverfahren nicht zu erreichen gewesen wäre. Nur in einem solchen, hier nicht vorliegenden Fall, wenn sich nämlich etwa aufgrund bis dahin unzureichend geführter oder mangelhafter Ermittlungen die Notwendigkeit zur Einholung eines Gutachtens aufdrängt und einem entsprechenden Beweisantrag der Verteidigung nicht nachgekommen wird, kann ein Privatgutachten ausnahmsweise erstattungsfähig sein. Angesichts des außerordentlich ausführlichen und klaren Hinweises des Vorsitzenden der Berufungskammer vom 01.08.2018 durfte der Beschwerdeführer dagegen nicht nur davon ausgehen, dass das Berufungsgericht notwendigen Beweisanträgen nachkommen würde, sondern war sich darüber hinausgehend sogar bewusst, dass es — wenn auch nach vorläufiger Würdigung — der von den Nebenklägern gewünschten rechtlichen Bewertung des erstinstanzlich festgestellten Geschehens nicht näherzutreten gedachte. Auch wenn es menschlich verständlich sein mag, dass der Beschwerdeführer die in der Berufung gegen ihn erhobenen weitergehenden Schuldvorwürfe zum Anlass genommen hat, das zuvor von ihm — jedenfalls nach außen — akzeptierte Gutachten des Sachverständigen S. nunmehr mit einem Gegengutachten anzugreifen, so war es angesichts dieser prozessualen Sachlage für die Verteidigung gegen die Berufung nicht notwendig.

Eine andere Bewertung ergibt sich auch nicht aus dem Umstand, dass vorliegend allein die Nebenkläger die Berufung eingelegt und sodann zurückgenommen haben. § 473 Abs. 1 S. 3 StPO legt ihnen ausdrücklich (nur) die dadurch erwachsenen notwendigen Auslagen des Angeklagten auf. Für eine Billigkeitsentscheidung ist angesichts des eindeutigen Wortlautes der Vorschrift kein Raum.“

Dazu: Ich habe erhebliche Zweifel, ob die Entscheidung zutreffend ist. Denn immerhin hat das von dem ehemaligen Angeklagten eingeholte Gutachten dazu geführt, dass die Nebenkläger ihre Berufung sofort nach Vorlage des Sachverständigengutachtens zurückgenommen haben. Den Erfolg hatte der „außerordentlich ausführliche und klare Hinweis des Vorsitzenden“ hingegen aber nicht. Man hätte sich daher schon eine Auseinandersetzung mit diesem Umstand und auch mit vorliegender aktuellerer Rechtsprechung als sie vom LG angeführt wird, gewünscht (vgl. dazu die Zusammenstellung bei Burhoff, Handbuch für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren, 8. Aufl., 2019, Rn 4554 f.). So kann man jedenfalls die Richtigkeit der Entscheidung nicht abschließend beurteilen. Unzutreffend ist es m.E. aber jedenfalls, wenn das LG ausführt, dass nur nach einem nicht erfolgreichen Beweisantrag ein Privatgutachten eingeholt werden dürfe. Das lässt sich der vorliegenden (ober)gerichtlichen Rechtsprechung nicht entnehmen. Sie ist zwar eng, aber so eng, wie das LG Potsdam meint, nun doch nicht. Zumindest nicht in den aktuelleren Fällen. Aber die hat das LG ja nicht geprüft. Es zitiert nur die alte Rechtsprechung, die so auch bei Meyer-Goßner/Schmitt zitiert ist. Ein Schlem, wer Böses dabei denkt?

Erstattung I: Rund 440.000 EUR „Sachverständigenkosten“, oder: „Das dicke Ende kommt am Schluss“.

© prakasitlalao – Fotolia.com

Heute stelle ich dann am „RVG-Tag“ zwei Entscheidungen zu Erstattungsfragen vor. In beiden Entscheidungen geht es um die Erstattung von Sachverständigenkosten.

Ich beginne mit dem OLG Frankfurt am Main, Beschl. 26.05.2020 – 2 Ws 89-91/19. Gestritten wird um die im Verfahren durch die Tätigkeit von IT-Sachverständigen angefallenen Kosten. Der Verurteilte ist vom Landgericht wegen Beihilfe zum Betrug zu einer Bewährungsstrafe von acht Monaten verurteilt worden, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Zugleich sind ihm und den sechs Mitverurteilten die Kosten des Verfahrens auferlegt worden. Das Verfahren gegen einen achten ursprünglich Mitangeklagten ist nach Anklageerhebung abgetrennt und separat verhandelt worden. Auch dieser ist auf seine Kosten rechtskräftig verurteilt worden.

Bei dem der Verurteilung zugrundeliegende (Ermittlungs)Verfahren handelte es sich um ein umfangreiches und komplexes Wirtschaftsstrafverfahren mit zahlreichen Mitbeschuldigten und verschiedenen Tatkomplexen. Im Rahmen von Durchsuchungsmaßnahmen wurden außergewöhnlich große Datenmengen gesichert. Mit Schreiben vom 03.06.2008 beauftragte die Staatsanwaltschaft das Unternehmen IT pp. e.K. als Sachverständigen. Die anfängliche Beauftragung erstreckte sich insbesondere auf die Lokalisierung von Datenbeständen, die Sicherung von verfahrensrelevanten Daten im Rahmen von Durchsuchungsmaßnahmen sowie die Durchsuchung von existenten, nur noch zum Teil erkennbaren oder bereits gelöschten Datenbeständen nach vorgegebenen Suchkriterien. Im weiteren Verlauf des Ermittlungsverfahrens beauftragte die Staatsanwaltschaft das Unternehmen – nunmehr unter Si. GmbH firmierend – zudem mit Schreiben vom 20.05.2011, ein forensisches IT-Sachverständigengutachten zu der verfahrensgegenständlichen Internetseite www. pp. com sowie weiteren Internetseiten sowie den jeweils verlinkten nationalen Startseiten (de/.ch) zu erstatten, insbesondere zur Gestaltung der Seiten sowie den Allgemeinen Geschäftsbedingungen und zu Art und Umfang eines eventuellen Kostenhinweises. Entsprechende Berichte wurden fertiggestellt und der Staatsanwaltschaft übersandt. Insgesamt sind in dem Ermittlungsverfahren dafür Kosten in Höhe von 441.120,56 EUR angefallen.

Mit ihrer Kostenrechnung hat die Staatsanwaltschaft den Verurteilten u.a. zur Zahlung eines Achtels der für die Tätigkeit des Sachverständigen anfallenden Kosten, somit eines Betrages in Höhe von 55.191,85 EUR aufgefordert. Auf die Erinnerung des Verurteilten hat das LG diese Kostenrechnung insoweit niedergeschlagen (vgl. hier den LG Frankfurt a. M., Beschl. v. 10.07.2019 – 5/29 Kls-7580 JS 245179/06 (16/14)), als dem Verurteilten pp. gegenüber Kosten für die Sachverständigenvergütung der IT pp. e.K. und der Si. GmbH angesetzt wurden. Bei den erbrachten Leistungen der genannten Unternehmen handele es sich nicht um Sachverständigenleistungen im Sinne des JVEG. Zwar seien die Tätigkeiten zeitaufwändig gewesen, hätten jedoch kein vertieftes EDV-Fachwissen erfordert. Gegen diesen Beschluss wendet sich nunmehr die Bezirksrevision mit der Beschwerde.

Die hatte beim OLG Erfolg:

1. Die durch die Beauftragung der IT pp. e.K. und der Si.GmbH entstandenen Kosten sind dem Verurteilten als Kosten des Verfahrens (anteilig) in Rechnung zu stellen.

a) Nach der in dem rechtskräftigen Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 19. August 2016 getroffenen Kostengrundentscheidung hat der Verurteilte die Kosten des Verfahrens zu tragen. Kosten des Verfahrens sind gemäß § 464a Abs. 1 S. 1 StPO die Gebühren und Auslagen der Staatskasse. Hierzu gehören auch die durch die Vor-bereitung der öffentlichen Klage entstandenen Kosten (§ 464a Abs. 1 S. 2 StPO). Das sind alle Auslagen, die zur Aufklärung der Tatbeteiligung des Angeklagten, auch durch Ermittlungen in einer sich nicht bestätigenden Verdachtsrichtung, aufgewendet worden sind. Hierzu zählen die gemäß § 3 Abs. 2 GKG in Verbindung mit Nr. 9005, 9015 KV-GKG in voller Höhe zu erhebenden Kosten für die nach dem JVEG zu zahlenden Beträge und somit auch die von der Staatskasse an einen Sachverständigen nach dem JVEG zu zahlende Vergütung für ein zur Vorbereitung der öffentlichen Klage eingeholtes Sachverständigengutachten (OLG Koblenz, NStZ-RR 2010, 359; Schleswig-Holsteinisches OLG, NStZ-RR 2017, 127; KG NStZ-RR 2009, 190; Meyer-Goßner/Schmitt, 62. Auflage, § 464a StPO Rdnr. 2.).

Als Sachverständiger wird ein Dritter beauftragt, wenn er auf einem bestimmten Wissensgebiet eine besondere Sachkunde hat. Die Tätigkeit des Sachverständigen ist unter anderem dadurch bestimmt, den Ermittlungsbehörden Tatsachenstoff zu unterbreiten, der nur aufgrund besonderer Sachkunde gewonnen werden kann; er vermittelt den Ermittlungsbehörden gleichzeitig ggf. das „wissenschaftliche Rüstzeug“, das die sachgerechte Auswertung dieses Tatsachenstoffes ermöglicht (vgl. Krause, in: Löwe/Rosenberg, StPO, 25. Auflage, Vor § 72 StPO, Rn. 2). Entscheidend für die Durchführung eines beauftragten Dritten als Sachverständiger ist somit, dass es zur Durchführung des Auftrags auf seine besondere Sachkunde ankommt.

So liegt der Fall hier betreffend die Heranziehung der IT pp. e.K. und der Si. GmbH. Bei den dem Sachverständigen in Auftrag gegebenen und von ihm erbrachten Leistungen betreffend die Lokalisierung von Serverstandorten, die Sicherung von Dateien im Rahmen von Durchsuchungsmaßnahmen, die Sichtbarmachung, Analyse und Strukturierung der im vorliegenden Verfahren riesigen Datenbeständen und deren automatisierte Auswertung gemäß vorgegebenen Kriterien handelt es sich nicht lediglich um technische Unterstützungsleistungen. Vielmehr nahm der Sachverständige entsprechend der ihm sowohl schriftlich erteilten als auch im Rahmen von Besprechungen zwischen Staatsanwaltschaft, Ermittlungsbehörden und EDV-Sachverständigen näher spezifizierten Aufträge unter Einsatz spezieller forensischer Software (vgl. Sonderberichte AG Bill vom 05. August 2014, BI 3664 ff d. A., sowie vom 09. September 2014, BI. 3673 ff. d. A.) und unter Anwendung seiner besonderen Fachkenntnisse auf dem Gebiet der IT-Forensik eine umfangreiche Identifizierung, Sicherung, Analyse und Aufarbeitung des immensen und ohne besondere Sachkunde nicht handhabbaren Datenvolumens im Hinblick auf den Verdacht des Betruges vor. Dabei ging es im Verlauf des Ermittlungsverfahrens nicht um einfache Datenerhebung, sondern insbesondere darum, Durchsuchungen durch Lokalisierung von Serverstandorten vorzubereiten, während der Durchsuchungen Maßnahmen der Verschleierung entgegenzuwirken und die beschlagnahmten Datenträger trotz der riesigen Datenmenge und der Datenvielfalt im Hinblick auf ihre strafrechtlich relevante Bedeutung einer Auswertung zu unterziehen. Dabei war insbesondere herauszuarbeiten und beweisverwertbar festzustellen, auf welche Weise in einem bestimmten Zeitraum durch die jeweilige Version der verfahrensgegenständlichen Webseite – unter den damaligen technischen Gegebenheiten — auf das Vorstellungsbild der Getäuschten eingewirkt wurde. Zudem waren die Geschädigten – inklusive des jeweiligen Produkts, der Anmeldedaten und des Mahn- und Zahlungsstatus – mittels Extraktionen aus verschiedensten Dokumenten zu individualisieren, um Feststellungen zum Schaden zu ermöglichen. Dass vom Auftragsumfang auch Internetrecherchen umfasst waren, die dann, wenn sie ausschließlich übertragen worden wären, möglicherweise als bloße Hilfstätigkeiten angesehen werden könnten, ändert nichts am Schwerpunkt der in Auftrag gegebenen und erbrachten Leistungen in der sachverständigen Tatsachengewinnung, sodass es sich bei der gebotenen Gesamtbetrachtung bei den Leistungen der IT pp. e.K. und der Si. GmbH um Sachverständigentätigkeiten handelte.

b) Sofern die Beauftragung des Sachverständigen nicht allein für das hiesige Verfahren erfolgte, sondern zugleich für die unter den Aktenzeichen 7580 Js /07 und 7580 Js /07 geführten Verfahren der Staatsanwaltschaft Frankfurt am Main, die beide mittlerweile gemäß MESTA-Auskunft endgültig eingestellt wurden, steht das dem Kostenansatz im hiesigen Verfahren nicht entgegen. Entscheidend ist, dass die Sachverständigenkosten kausal durch das Tatgeschehen, das zur strafrechtlichen Überprüfung anstand, verursacht wurden. Unbeachtlich ist insofern, dass die Ermittlungen sich auch auf mittlerweile eingestellte Verfahrenskomplexe bezogen haben.“

Dazu kurz Folgendes:

1.Wenn man die Entscheidung liest, fallen einem im Hinblick auf die verursachten Kosten von rund 440.000 EUR für eine Bewährungsstrafe von acht Monaten sofort zwei Sprüche ein: Entweder: „Das dicke Ende kommt zum Schluss“ oder „Es röhrt der Elefant und er gebiert eine Maus“. Beide passen, denn den Verurteilten wird die Auferlegung der Kosten mehr treffen als die achtmonatige Bewährungsstrafe. Und beides steht m.E. nicht in einem angemessenen Verhältnis. Man fragt sich, warum sich eine Staatsanwaltschaft eigentlich nicht mal im Laufe des Verfahrens Gedanken darum macht, welche Strafe zu erwarten ist und ob der von ihr betriebene Aufwand dazu in einem angemessenen Verhältnis steht. Wahrscheinlich nicht, da man ja den Strafanspruch des Staates unbedingt ohne Rücksicht auf Kosten durchsetzen muss.

2. In der Sache habe ich erheblich Zweifel, ob die in Ansatz gebrachten Kosten tatsächlich sämtlich für „Sachverständigentätigkeiten“ angefallen sind, wie es die Entscheidung behauptet. Das LG hat das anders gesehen, womit sich das OLG aber nicht weiter im Einzelnen befasst. Es spricht aber einiges dafür, dass von den beiden Firmen (nur/zumindest auch) Hilfstätigkeiten erbracht worden sind, für die der Verurteilte dann nicht haftet (vgl. OLG Schleswig, a.a.O.). Ob und wie auf das Vorstellungsbild potentieller Geschädigter eingewirkt worden ist, ist nämlich m.E. sicherlich keine Frage, die ein Sachverständiger beurteilen muss/soll. Das zu beurteilen, gehört vielmehr originären Aufgaben der Staatsanwaltschaft. Auch Internetrecherche erfordert kein besonderes Sachverständigenwissen.

Und der letzte Satz der Entscheidung:

„Die vorliegend vorgenommene Verteilung der Gutachterkosten nach acht Kopfteilen begünstigt den Verurteilten, da er nach dem Grundsatz des § 466 StPO – gesamtschuldnerisch mit den übrigen Verurteilten – für die Sachverständigenkosten im vollen Umfang hätte aufkommen müssen.“

klingt für mich zynisch. Warum schreibt das OLG nicht einfach: sei bloß still. Du kannst froh sein, dass du nicht die Kosten insgesamt tragen musst.

Nikolaustag I: Kostenerstattung im Bußgeldverfahren, oder: Passfoto ist einzuholen

Heute Nikolaustag. Daher zunächst mal allen Lesern einen schönen Nikolaustag.

Und es Freitag und damit ist Gebührentag – Friday for money. Das bedeutet, dass es heute natürlich auch heute Gebührenentscheidungen gibt. Und zur Feier des Tages dann mal positive. War gar nicht so einfach, welche zu finden, aber ich hatte Glück.

Hier ist dann die erste, der LG Krefeld, Beschl. v. 29.10.2019 – 30 Qs 35/19, ergangen im Bußgeldverfahren. Entscheiden musste das LG mal wieder über die Kostenerstattung in einem Bußgeldverfahren, in dem der Betroffene frei gesprochen worden war. Das AG hatte § 109 Abs. 2 OWiG angewendet. Das LG sieht das anders:

„Wird der Betroffene im Bußgeldverfahren freigesprochen, so kann zwar gemäß § 109a Abs. 2 OWiG in Abweichung von § 46 Abs. 1 OWiG, 467 Abs. 1 Satz 1 StPO davon abgesehen werden, seine notwendigen Auslagen der Staatskasse aufzuerlegen. Das gilt jedoch nur, soweit ihm Auslagen entstanden sind, die er durch ein rechtzeitiges Vorbringen entlastender Umstände hätte vermeiden können. § 109a Abs. 2 OWiG greift dann nicht ein, wenn ein Umstand in Rede steht, dessen nicht rechtzeitiges Vorbringen für den Ausgang des Verfahrens nicht wesentlich, nicht adäquat kausal bzw. nicht (alleine) aus der Sphäre des Betroffenen stammt oder der Verwaltungsbehörde, der Staatsanwaltschaft oder dem Gericht im Rahmen der üblichen Ermittlungs- und Aufklärungstätigkeit nicht zugänglich ist und seine Offenbarung daher gerade dem Betroffenen obliegt (Haus/Krumm/Quarch, Gesamtes Verkehrsrecht, OWiG § 109a Rn. 6; Krenberger/Krumm, 5. Aufl. 2018, OWiG § 109a Rn. 14; Sandherr, NZV 2009, 327, 330; vgl. auch BVerfG NZV 2014, 95, 96, Rn. 26, jeweils m.w.N. auch zur untergerichtlichen Rspr.). Anders als es in einem Fall denkbar wäre, in dem sich etwa bereits aufgrund der zum Betroffenen gespeicherten Daten und dem Beweisfoto auffällige Widersprüche ergeben – was hier nicht der Fall ist -, sind zwar weitergehende Ermittlungsmaßnahmen der Verwaltungsbehörde wie z.B. ein Aufsuchen des Betroffenen, Nachbarschaftsbefragungen o.Ä. hier nicht geboten. Die obligatorische Einholung des Passfotos durch die Verwaltungsbehörde hält die Kammer jedoch im Rahmen der üblichen Ermittlungs- und Aufklärungstätigkeit für zumutbar. Kommt die Verwaltungsbehörde dem nach und ergeben sich weiterhin keine Auffälligkeiten, die gegen die Fahrereigenschaft des Betroffenen sprechen, hat der Betroffene ihn insoweit entlastende, der Verwaltungsbehörde jedoch selbst nicht zugängliche oder erkennbare Umstände rechtzeitig i.S.d. § 109a Abs. 2 OWiG vorzubringen. Unterbleibt jedoch die Einholung eines Vergleichsfotos von Seiten der Verwaltungsbehörde und lässt sich nicht feststellen, dass auch ein hypothetisch erfolgter Abgleich mit dem Radarfoto nicht zu Zweifeln an der Fahrereigenschaft des Betroffenen geführt hätte, so geht dies nicht zu Lasten des Betroffenen mit der Kostenfolge des § 109a Abs. 2 OWiG. Letzteres ist hier der Fall. Weder wurde ein Vergleichsfoto zu der Person des Betroffenen eingeholt noch lässt sich ausschließen, dass nicht bereits ein Abgleich des Passfotos mit dem Radarfoto Zweifel an der Fahrereigenschaft des Betroffenen begründet hätte, zumal auch das Amtsgericht die Fahrereigenschaft des Betroffenen ausweislich der Urteilsgründe anhand einer Inaugenscheinnahme in der Hauptverhandlung nicht hat feststellen können.“

Richtig. 🙂

Und weil heute Nikolaustag ist, gibt es kein „Gebührenbild“, sondern einen Nikolaus.

Kostenerstattung nach Freispruch, oder: Wenn der Privatgutachter in der Hauptverhandlung war

© Corgarashu – Fotolia.com

Als zweite gebührenrechtliche Entscheidung stelle ich heute dann den LG Hannover, Beschl. v. 15.03.2019 – 46 Qs 19/19 – vor, der sich zur Erstattungsfähigkeit der durch die Teilnahme eines (Privat)Sachverständigen an der Hauptverhandlung entstandenen Kosten äußert.

Ergangen ist der Beschluss in einem Verfahren, in dem es um die Vermeidbarkeit eines Verkehrsunfalls ging. Der Angeklagte hat zu der Frage ein „Privatgutachten“ eingeholt, der Gutachter hatte auch an der Hauptverhandlung teilgenommen. Nach Freispruch des Angeklagten wollte die Staatskasse die dadurch entstandenen Kosten nicht ersetzt. Das LG hat sie aber festgesetzt:

„2. Die geltend gemachten Aufwendungen für den vom freigesprochenen Angeklagten privat beauftragten Sachverständigen G. sind in voller Höhe festzusetzen.

Entgegen der Ansicht der Landeskasse gilt dies auch für die Kosten für die Teilnahme des Sachverständigen am Hauptverhandlungstermin. Auch sie waren aus Sicht des Angeklagten erforderlich. Denn ob ein von dem Angeklagten eingeholtes privates Sachverständigengutachten erforderlich war und dessen Kosten im Fall des Freispruchs von der Staatskasse zu tragen sind, beurteilt sich aus einer Betrachtung „ex ante“ aus der Sicht des Angeklagten zum Zeitpunkt des Gutachtenauftrags, und zwar unabhängig davon, ob sich das Gutachten tatsächlich auf den Prozess ausgewirkt hat (OLG Celle, Beschluss vom 05. Januar 2005 – 2 Ss 318/04 -, juris). Zutreffend weist der Verteidiger mit dem Beschwerdevorbringen darauf hin, dass der Angeklagte vor der Hauptverhandlung nicht wissen konnte, zu welchem Ergebnis der als „Obergutachter“ beauftragte Sachverständige M. gelangen würde, und dass er auf dessen Ausführungen aber noch innerhalb der Hauptverhandlung hätte reagieren müssen. Denn das schriftliche Gutachten enthielt keine Ausführungen zur entscheidenden Frage der Vermeidbarkeit des Unfallgeschehens und der Sachverständige wurde dementsprechend vom Gericht unter dem 19. September 2018 gebeten, sich auf diese Frage zusätzlich vorzubereiten und dazu im Termin mündlich Ausführungen zu machen. Aus Sicht des Angeklagten war es deshalb – gerade aufgrund der widersprüchlichen Einschätzungen der beiden anderen beteiligten Sachverständigen – erforderlich, auch im Termin die Hilfe des privat beauftragten Sachverständigen in Anspruch nehmen zu können.

Entgegen der Auffassung der Landeskasse ist für die Tätigkeit des privat beauftragten Sachverständigen ein Stundensatz von bis zu 170 Euro anzusetzen. Der Angeklagte kann insoweit nicht auf die Honorarsätze des JVEG verwiesen werden. Denn diese spiegeln nicht die tatsächlichen Preise für privat beauftragte Gutachten wider. Bei der Bestimmung der gesetzlichen Honorarsätze wurde vielmehr mit Rücksicht auf die öffentlichen Haushalte ein Abschlag auf die ermittelten Marktpreise vorgenommen, der damit begründet wurde, dass die Justiz als öffentlicher Auftraggeber ein solventer Schuldner sei und auf dem Markt als „Großauftraggeber“ auftrete (BT-Drs. 17/11471, S. 145). Auszugehen ist deshalb von den Stundensätzen, die für den freigesprochenen Angeklagten am Markt verfügbar waren. Soweit sich die Landeskasse auf eine gegenläufige Rechtsansicht des Landgerichts Wuppertal bezieht, verweist der Verteidiger zutreffend darauf, dass es bei der Bestimmung der notwendigen Auslagen nicht um eine mögliche Besserstellung des privat beauftragten Sachverständigen geht, sondern auf die Notwendigkeit der Auslagen aus Sicht des Freigesprochenen ankommt. Diese Notwendigkeit lässt sich nur anhand der für ihn zugänglichen Marktpreise bestimmen.

Nach diesen Maßstäben sind die vom freigesprochenen Angeklagten an den Sachverständigen G. gezahlten Stundensätze von 160 Euro im Jahr 2017 und 170 Euro im Jahr 2018 in voller Höhe erstattungsfähig. Denn diese entsprechen den ortsüblichen Marktpreisen. Die Kamer hat sich hierzu – nach einer ergebnislosen Anfrage an die Industrie- und Handelskammer Hannover – durch eigene Nachfragen die Überzeugung verschafft, dass die Kosten für privat beauftragte unfallanalytische Gutachten in Hannover bei mehreren Sachverständigen in der Größenordnung von 160 Euro oder darüber liegen. Günstigere Stundensätze sind der Kammer nicht bekannt.“