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BGH II: Unterbrechungsfrist überschritten, oder: Wenn nicht richtig gezählt wird

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Die zweite Entscheidung des Tages kommt mit dem BGH, Beschl. v. 24.09.2019 – 2 StR 194/19 – vom 2. Strafsenat des BGH.

Das LG Rostock hatte den Angeklagten u.a. wegen Herbeiführens einer Sprengstoffexplosion, Diebstahls und Raubers  verurteilt. Mit seiner Revision hat der Angeklagte u.a. gerügt, die Hauptverhandlung sei entgegen § 229 Abs. 1 StPO für die Dauer von mehr als drei Wochen unterbrochen gewesen. Er hatte Erfolg:

1. Der Rüge liegt folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde:

Die Hauptverhandlung hat am 20. August 2018 begonnen und ist am 4., 14., 17. und 20. September, am 4. und 16. Oktober, am 5. und 14. November sowie am 11. Dezember 2018 fortgesetzt worden. Zwei Fortsetzungstermine, die ursprünglich für den 18. und 29. Oktober 2018 bestimmt waren, sind u. a. wegen Erkrankung der beisitzenden Richterin aufgehoben worden.

2. Die zulässig erhobene Rüge, die Hauptverhandlung sei zwischen dem 14. November und dem 11. Dezember 2018 – mithin länger als drei Wochen – unterbrochen gewesen, hat Erfolg. Nach dem 9. Hauptverhandlungstag am 14. November 2018 hätte die Hauptverhandlung spätestens am 6. Dezember und nicht – wie geschehen – am 11. Dezember 2018 fortgesetzt werden müssen.

Besondere Umstände, die ein Beruhen des Urteils auf diesem Verfahrensverstoß ausnahmsweise ausschließen können (vgl. BGH, Urteil vom 5. Februar 1970 – 4 StR 272/68, BGHSt 23, 224, 225), sind nicht ersichtlich.“

Kurz und zackig der BGH, dem offenbar auch nichts zur Rettung eingefallen ist. Mir ist unerklärlich, wie man vom 14.11.2018 auf den 11.12.2018 als Fortsetzungstermin kommt. Da hat offenbar jemand übersehen, dass zwei Termine aufgehoben waren? Aber man braucht doch nur 10 Finger, um zu zählen, wie viele Hauptverhandlungstermine man schon hatte.

Nur drei Wochen darf unterbrochen werden, oder: Sachverhandlung?

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Heute dann dreimal Verfahrensrecht vom BGH, und zwar zunächst als Opener der BGH, Beschl. v. 16.11.2017 – 3 StR 262/17. Behandelt wird ein Dauerbrenner. Es geht nämlich um § 229 StPO und die damit zusammenhängenden Fragen der Höchstfrist der Unterbrechung bzw., ob durch einen Hauptverhandlungstermin die Unterbrechungsfrist von grds. maximal 10 Tagen drei Wochen rechtzeitig durch eine Sachverhandlung unterbrochen worden ist. Ist das nicht der Fall, geht es zurück auf Null und die Hauptverhandlung beginnt von vorne.

In der Entscheidung geht es um folgenden prozessualen Sachverhalt:

„Der 5. Tag der Hauptverhandlung fand am 19. Dezember 2016 statt. Nach der Vernehmung von Zeugen und anderem wurde sie unterbrochen und bestimmt, dass sie am 4. Januar 2017 fortgesetzt werden solle. An diesem Tag erhielten zunächst die Verteidiger Abschriften des Prozesskostenhilfeantrags der Zeugin Ka. . Außerdem wurde festgestellt, dass die nicht erschienene Zeugin A. ordnungsgemäß zu dem Termin geladen worden war. Sodann wurde die Hauptverhandlung für 40 Minuten unterbrochen. Anschließend wurden der Vertreterin der Staatsanwaltschaft ebenfalls eine Abschrift des Prozesskostenhilfeantrags der Zeugin Ka. übergeben sowie ein Vermerk der Geschäftsstelle vom gleichen Tag bezüglich der Zeugin A. verlesen. Danach hatte die Polizeistation L. in der Zwischenzeit telefonisch mitgeteilt, dass die Zeugin zu Hause angetroffen werden konnte. Sie habe sich dahin geäußert, ihre fünf Kinder seien alle in der Kinderkrippe und müssten um 12.00 Uhr abgeholt werden. Dies habe sie in einem Anruf beim Landgericht kundgetan. Ein solcher Anruf sei allerdings auf der Geschäftsstelle der Strafkammer nicht entgegengenommen worden. Nachdem die Verteidiger erklärt hatten, zu dem Prozesskostenhilfeantrag keine Stellung zu nehmen, und für den Fall der Bewilligung ebenfalls die Gewährung von Prozesskostenhilfe und die Beiordnung für das Adhäsionsverfahren beantragt hatten, wurde die Hauptverhandlung erneut unterbrochen und bestimmt, dass sie am 17. Januar 2017 fortgesetzt werden solle. Zu diesem Termin solle die Zeugin A. polizeilich vorgeführt werden. Am 17. Januar 2017 wurde die Hauptverhandlung fortgesetzt und dabei u.a. die Zeugin A. vernommen, die Beweisaufnahme geschlossen sowie das angefochtene Urteil verkündet.“

Die Revision ist der Ansicht, am 04.01.2017 sei nicht zur Sache verhandelt worden, weil das Verfahren nicht ausreichend gefördert worden sei. Deshalb sei dieser Termin bei der Berechnung der Unterbrechungsfristen des § 229 StPO nicht zu berücksichtigen. Folglich sei die Hauptverhandlung länger als drei Wochen unterbrochen gewesen und habe von neuem begonnen werden müssen.

Der BGH hat das anders gesehen: Er geht von einer Sachverhandlung aus, da auch in der

„Befassung lediglich mit Verfahrensfragen eine Förderung des Verfahrens in der Sache liegen [kann], wenn deren Ziel die Klärung ist, durch welche Untersuchungshandlungen der Aufklärung des Sachverhalts Fortgang gegeben werden kann (vgl. BGH, Beschluss vom 30. Juni 2015 – 3 StR 202/15, BGHR StPO § 229 Abs. 1 Sachverhandlung 16 mwN).“ Dies gilt insbesondere dann, wenn die für den Fortsetzungstermin in Aussicht genommene sonstige Förderung des Verfahrens infolge unvorhersehbarer Ereignisse nicht stattfinden kann. Denn es sind regelmäßig Situationen vorstellbar, in denen eine Hauptverhandlung aufgrund solcher Geschehnisse nur in wesentlich geringerem Umfang als geplant, möglicherweise sogar nur durch eine Entscheidung über die Unterbrechung des Verfahrens nach § 228 StPO gefördert werden kann. Dies ist zum Beispiel dann der Fall, wenn der Angeklagte ohne vorherige Ankündigung nicht zum Termin erscheint oder unmittelbar nach Terminsbeginn plötzlich feststellt, dass er aufgrund einer Erkrankung der weiteren Verhandlung nicht weiter folgen kann, wenn für einen Hauptverhandlungstermin nur ein Zeuge geladen wurde und dieser überraschend ausbleibt oder wenn die Verfahrensbeteiligten aufgrund etwa von der Staatsanwaltschaft kurzfristig überlassener Unterlagen, wie etwa Sachverständigengutachten oder Ermittlungsberichte, nicht in der Lage sind, sich auf die weitere Beweisaufnahme vorzubereiten. Würde in diesen – für das Gericht jeweils unvorhersehbaren – Fallgestaltungen die Entscheidung über die Unterbrechung einer Hauptverhandlung nicht zur Fristwahrung ausreichen, hätte dies zur Folge, dass mit der Verhandlung neu begonnen werden müsste (§ 229 Abs. 4 Satz 1 StPO). Dies stünde aber weder mit der Verfahrensökonomie noch mit dem Anspruch des Angeklagten auf einen zügigen Abschluss des Verfahrens in Einklang (vgl. BGH, Beschluss vom 5. November 2008 – 1 StR 583/08, BGHR StPO § 229 Abs. 1 Sachverhandlung 10; noch offen gelassen in BGH, Beschluss vom 30. Juni 2015 – 3 StR 202/15, aaO).
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bb) Nach diesen Maßstäben wurde hier im Zusammenhang mit den Geschehnissen betreffend die Zeugin A. in genügender Weise zur Sache verhandelt. Die Strafkammer ließ ermitteln, weshalb die für das Gericht unvorhersehbar nicht erschienene Zeugin A. der Hauptverhandlung ferngeblieben war und führte das Ergebnis dieser Ermittlungen in die Hauptverhandlung ein. Sodann bestimmte sie einen Fortsetzungstermin, zu dem die Zeugin vorgeführt werden sollte. Damit wurde unter Berücksichtigung der Situation, die durch das unerwartete Ausbleiben der Zeugin entstanden war, die Sache ausreichend auf den abschließenden Urteilsspruch hin gefördert. Mehr war in der konkreten Lage – zumal vor dem Hintergrund der ersichtlich kurz vor dem Abschluss stehenden Beweisaufnahme – nicht erforderlich; das Landgericht war insbesondere nicht gehalten, die Beweisaufnahme etwa mit einem weiteren, ursprünglich für diesen Termin nicht vorgesehenen Inhalt fortzusetzen, der mit Blick auf das später zu fällende Urteil von möglicherweise zu vernachlässigender Bedeutung war, nur um auf diese Weise und damit unter Umständen rein formal die vermeintlichen Anforderungen des § 229 Abs. 1, 4 Satz 1 StPO zu erfüllen.“

So ganz kann einem diese Rechtsprechung nicht gefallen. Es ist immer so eine Sache mit dem „kommt darauf an“.

Unterbrechung der Hauptverhandlung, oder: Wann/Wie muss es weitergehen?

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Und als dritte Entscheidung weise ich heute dann auf das BGH, Urt. v. 16.11.2107 – 3 StR 262/17 – hin. Inhalt ist der Dauerbrenner: Höchstfrist der Unterbrechung (§ 229 StPO), mit dem häufig ein Erfolg in der Revision zu erzielen ist. Hier mal nicht.

Der Angeklagte  hatte eine Verletzung der § 229 Abs. 1 und 4 StPO gerügt, und zwar auf der Grundlage folgenden Verfahrensgeschehens:

„Der 5. Tag der Hauptverhandlung fand am 19. Dezember 2016 statt. Nach der Vernehmung von Zeugen und anderem wurde sie unterbrochen und bestimmt, dass sie am 4. Januar 2017 fortgesetzt werden solle. An diesem Tag erhielten zunächst die Verteidiger Abschriften des Prozesskostenhilfeantrags der Zeugin Ka.  . Außerdem wurde festgestellt, dass die nicht erschienene Zeugin A. ordnungsgemäß zu dem Termin geladen worden war. Sodann wurde die Hauptverhandlung für 40 Minuten unterbrochen. Anschließend wurden der Vertreterin der Staatsanwaltschaft ebenfalls eine Abschrift des Prozesskostenhilfeantrags der Zeugin Ka.  übergeben sowie ein Vermerk der Geschäftsstelle vom gleichen Tag bezüglich der Zeugin A.  verlesen. Danach hatte die Polizeistation L.  in der Zwischenzeit telefonisch mitgeteilt, dass die Zeugin zu Hause angetroffen werden konnte. Sie habe sich dahin geäußert, ihre fünf Kinder seien alle in der Kinderkrippe und müssten um 12.00 Uhr abgeholt werden. Dies habe sie in einem Anruf beim Landgericht kundgetan. Ein solcher Anruf sei allerdings auf der Geschäftsstelle der Strafkammer nicht entgegengenommen worden. Nachdem die Verteidiger erklärt hatten, zu dem Prozesskostenhilfeantrag keine Stellung zu nehmen, und für den Fall der Bewilligung ebenfalls die Gewährung von Prozesskostenhilfe und die Beiordnung für das Adhäsionsverfahren beantragt hatten, wurde die Hauptverhandlung erneut unterbrochen und bestimmt, dass sie am 17. Januar 2017 fortgesetzt werden solle. Zu diesem Termin solle die Zeugin A. polizeilich vorgeführt werden. Am 17. Januar 2017 wurde die Hauptverhandlung fortgesetzt und dabei u.a. die Zeugin A. vernommen, die Beweisaufnahme geschlossen sowie das angefochtene Urteil verkündet.

Der BGH meint: Kine Verletzung der Vorschriften über die Höchstdauer der Unterbrechung der Hauptverhandlung gemäß 229 Abs. 1, 4 Satz 1 StPO. Am 04.01.2017 sei im Sinne dieser Vorschriften zur Sache verhandelt worden. Denn auch in der Befassung lediglich mit Verfahrensfragen kann eine Förderung des Verfahrens in der Sache liegen, wenn deren Ziel die Klärung ist, durch welche Untersuchungshandlungen der Aufklärung des Sachverhalts Fortgang gegeben werden kann:

„bb) Nach diesen Maßstäben wurde hier im Zusammenhang mit den Geschehnissen betreffend die Zeugin A. in genügender Weise zur Sache verhandelt. Die Strafkammer ließ ermitteln, weshalb die für das Gericht unvorhersehbar nicht erschienene Zeugin A. der Hauptverhandlung ferngeblieben war und führte das Ergebnis dieser Ermittlungen in die Hauptverhandlung ein. Sodann bestimmte sie einen Fortsetzungstermin, zu dem die Zeugin vorgeführt werden sollte. Damit wurde unter Berücksichtigung der Situation, die durch das unerwartete Ausbleiben der Zeugin entstanden war, die Sache ausreichend auf den abschließenden Urteilsspruch hin gefördert. Mehr war in der konkreten Lage – zumal vor dem Hintergrund der ersichtlich kurz vor dem Abschluss stehenden Beweisaufnahme – nicht erforderlich; das Landgericht war insbesondere nicht gehalten, die Beweisaufnahme etwa mit einem weiteren, ursprünglich für diesen Termin nicht vorgesehenen Inhalt fortzusetzen, der mit Blick auf das später zu fällende Urteil von möglicherweise zu vernachlässigender Bedeutung war, nur um auf diese Weise und damit unter Umständen rein formal die vermeintlichen Anforderungen des 229 Abs. 1, 4 Satz 1 StPO zu erfüllen.“