Für mich als Münsteraner ist das OLG Celle, Urt. v. 12. 2. 2014 – 14 U 113/13 – von Bedeutung, Daher mal außer der Reihe in der Woche Zivilrecht. Warum? Nun, es geht in dem Urteil um eine Frage, die für Fahrradfahrer von erheblicher Bedeutung ist, und davon haben wir in Münster ja eine Menge. Im Streit war die noch immer nicht geklärte Frage: Trifft den Fahrradfahrer, der keinen Fahrradhelm getragen hat, bei einem Unfall ein Mitverschulden hinsichtlich erlittener Verletzungen? Die Frage ist ja im vorigen Jahr im Sommer vom OLG Schleswig im OLG Schleswig, Urt. v. 05.06.2013 – 7 U 11/12 – bejaht worden (vgl. dazu: “Helmpflicht durch die Hintertür”? – das OLG Schleswig und der Fahrradhelm…). Das OLG Celle sieht es jetzt für den „normalen Radfahrer“ anders:
„d) Nicht zu folgen vermag der Senat auch der Auffassung des Erstgerichts, den Kläger treffe an der Entstehung der unfallbedingt eingetretenen Verletzungen wegen Nichttragens eines Fahrradhelms ein Mitverschulden im Sinne von § 254 BGB, durch das sich seine Ersatzforderung mindere.
aa) Diesem vom Landgericht nur im Rahmen des Schmerzensgeldanspruchs berücksichtigten Mitverschuldensgesichtspunkt, der – wenn er zu bejahen wäre – bei allen Schadenspositionen, bei denen sich das Unterlassen des Tragens eines Helms ausgewirkt hätte, zu berücksichtigen wäre, steht entgegen, dass jedenfalls die noch immer vorherrschende Auffassung in der Rechtsprechung (OLG Hamm, NZV 2001, 86 sowie NZV 2002, 129; OLG Stuttgart, VRS 1997, 15; OLG Nürnberg, DAR 1991, 173; OLG Karlsruhe, NZV 1991, 25; OLG Saarbrücken, NZV 2008, 202, 203) eine Obliegenheit zum Tragen eines Schutzhelms durch einen Fahrradfahrer im Straßenverkehr jedenfalls dann nicht annimmt, wenn dieser weder zu schnell, noch den herrschenden Straßenbedingungen unangepasst gefahren ist, sich lediglich auf einer Trainingsfahrt befunden hat und dabei völlig unauffällig gefahren ist, ohne besondere Risiken einzugehen.
Unter dieser Maßgabe ist ein Radfahrer aus Eigenschutzgesichtspunkten daher nur gehalten, einen Schutzhelm zu tragen, wenn er sich als sportlich ambitionierter Fahrer auch außerhalb von Rennsportveranstaltungen besonderen Risiken aussetzt oder infolge seiner persönlichen Disposition – etwa aufgrund von Unerfahrenheit im Umgang mit dem Rad oder den Gefahren des Straßenverkehrs – ein gesteigertes Gefährdungspotential besteht (Saarländische OLG, Urteil vom 9. Oktober 2007 – 4 U 80/07; OLG Düsseldorf, Urteil vom 12. Februar 2007, NJW 2007, 3075 ff.).
Hieran vermag nach Auffassung des Senats auch die Entscheidung des Oberlandesgerichts Schleswig vom 5. Juni 2013 (Az. 7 U 11/12) nichts zu ändern. Zutreffend ist zwar, dass – wie dort ausgeführt – Radfahrer heutzutage auch im täglichen Straßenverkehr vielfältigen Gefahren ausgesetzt sind. Der vorliegende Fall belegt jedoch geradezu exemplarisch, dass entsprechend schwerwiegende Verletzungen auch unabhängig von der Dichte des Straßenverkehrs auf vergleichsweise ruhigen Seitenstraßen eintreten können, sodass mithin die Zunahme der Verkehrsdichte allein nicht als Argument für einen Sorgfaltspflichtverstoß gegen sich selbst für den Fall des Unterlassens des Tragens eines Schutzhelms herangezogen werden kann.
Richtig ist auch, worauf das Oberlandesgericht Schleswig ebenfalls abstellt, dass die von der bisherigen Rechtsprechung, insbesondere des Oberlandesgerichts Düsseldorf ( a. a. O.), vorgenommene Differenzierung zwischen verschiedenen Arten von Radfahrern – nämlich denjenigen das Fahrrad lediglich als Fortbewegungsmittel nutzenden einerseits sowie den sportlich ambitionierten Fahrern andererseits – durchaus Abgrenzungsschwierigkeiten bereiten kann, zumal aufgrund der technischen Entwicklung auch mit solchen Fahrrädern, bei denen es sich nicht um Rennräder handelt, hohe Geschwindigkeiten erzielt werden können. Gleichwohl vermag jedoch eine solche Differenzierung, die auf eine Einzelfallbetrachtung hinausläuft, den tatsächlichen Verhältnissen im Straßenverkehr am besten gerecht zu werden.
Dabei mag, wie das Oberlandesgericht Schleswig ausführt, zwar das Tragen von Sturzhelmen bei Fahrradfahrern heutzutage bereits mehr verbreitet sein als noch vor einigen Jahren. Eine solche allgemeine Verkehrsauffassung hat der 50. Deutsche Verkehrsgerichtstag allerdings noch 2012 nicht festzustellen vermocht (Scholten, Aktuelles und Bekanntes zum Mitverschulden im Straßenverkehr, DAR Extra 2013, 748, 749 unter Verweis auf Verhandlungen des 50. Verkehrsgerichtstages, AK II, Hamburg 2012). Nach den regelmäßigen Erhebungen der Bundesanstalt für Straßenwesen (BAST) waren im Jahr 2011 lediglich 11 % und im Jahr 2012 13 % der Fahrradfahrer innerorts mit Helm unterwegs (Scholten, a. a. O., unter Verweis auf BAST, Forschung kompakt, Nr. 06/13: Gurte, Kindersitze, Helme und Schutzkleidung – 2012). Mithin zeigt sich gerade im täglichen Straßenbild, dass die weit überwiegende Zahl von Fahrradfahrern – und dies dürften insbesondere die weniger dem sportlich ambitionierten Personenkreis, als mehr dem der „Alltagsfahrer“, die das Fahrrad als schlichtes Fortbewegungsmittel benutzen, zuzurechnenden sein – eben keinen Helm benutzen. Diesen Personen grundsätzlich im Fall einer Kopfverletzung ein Mitverschulden ausschließlich infolge des Nichttragens eines Helms anzulasten, ohne dass sie durch ihre Fahrweise zu dem Unfall Anlass gegeben hätten, erscheint dem Senat unangemessen. Hierauf würde allerdings die vom Oberlandesgericht Schleswig vertretene Auffassung hinauslaufen, obwohl auch weiterhin keine gesetzlich geregelte und bußgeldbewehrte Verpflichtung für Fahrradfahrer, selbst für Nutzer bestimmter Arten von E-Bikes, die nicht der Bestimmung des § 21 a Abs. 2 S. 1 StVO unterfallen, zur Nutzung eines Sturzhelms besteht.„
Das OLG Celle hat die Revision zugelassen. Vielleicht bekommen wir in der Frage ja dann jetzt bald eine Entscheidung des BGH. Die Helmhersteller wird es vielleicht freuen 🙂 .