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Aufweichung beim Handyverbot, wirklich?, oder: Neue „Verteidigungsansätze“?

© Urheber: Ideenkoch - Fotolia.com

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In ein paar anderen Blogs ist ja schon der OLG Stuttgart, Beschl. v. 25.04.2016 – 4 Ss 212/16 – zur „Aufweichung“ des Handyverbots am Steuer (§ 23 Abs. 1a StVO) gelaufen. Ich war ein paar Tage unterwegs und kann ihn daher erst heute bringen.

In dem Verfahren ging es um eine Verurteilung eines Betroffenen wegen eines Verstoßes gegen § 23 Abs.1a StVO. Nach den Feststellungen des AG hielt der Betroffene bei einer Fahrt mit einem Kfz sein Mobiltelefon in der rechten Hand, während er über die Freisprechanlage telefonierte. Nach dem Start des Motors hatte sein Mobiltelefon über Bluetooth mit der Freisprecheinrichtung eine Verbindung hergestellt, so dass das nach der unwiderlegten Einlassung des Betroffenen bereits vor Fahrtantritt begonnene Telefonat über diese Anlage fortgeführt worden war. Nach der Verbindung mit der Freisprechanlage hatte der Betroffene vergessen, das Gerät abzulegen.

Das OLG hat hierin keinen Verstoß gegen § 23 Abs. 1a StVO (mehr) gesehen und den Betroffenen frei gesprochen. Der Leitsatz der Entscheidung:

„Ein Kraftfahrzeugführer, der während der Fahrt ein mit einer Freisprechanlage verbundenes Mobiltelefon in der Hand hält und über die Freisprechanlage telefoniert, verstößt nicht gegen das Verbot der Benutzung von Mobiltelefonen gemäß § 23 Abs. 1a Satz 1 StVO, solange er keine weiteren Funktionen des in der Hand gehaltenen Geräts nutzt.“

Das OLG kommt zu dieser (überraschenden) Entscheidung durch den Hinweis auf den Wortlaut des § 23 Abs. 1a Satz 1 StVO. Den habe das AG überdehnt.

„Danach darf ein Fahrzeugführer ein Mobil- oder Autotelefon nicht benutzen, wenn hierfür das Mobiltelefon oder der Hörer des Autotelefons aufgenommen oder gehalten werden muss. Die Regelung des § 23 Abs. 1a StVO wurde durch die Verordnung zur Neufassung der Straßenverkehrs-Ordnung (StVO) vom 6. März 2013 (BGBl. I 2013, S. 367) neu gefasst. Nach § 23 Abs. 1a Satz 1 StVO in der bis zum 31. März 2013 geltenden Fassung war dem Fahrzeugführer die Benutzung eines Mobil- oder Autotelefons untersagt, wenn er hierfür das Mobiltelefon oder den Hörer des Autotelefons aufnimmt oder hält. Die – amtlich nicht begründete (BR-Drucks. 428/12) und wohl der sprachlichen Gleichbehandlung von Frauen und Männern in Rechtsvorschriften dienende (vgl. § 42 Abs. 5 Satz 2 der Gemeinsamen Geschäftsordnung der Bundesministerien) – Fassungsänderung bewirkte, dass der Kreis der tauglichen Tatobjekte durch die Formulierung „gehalten werden muss“ enger gezogen wird. Das Verbot erfasst nicht mehr die Benutzung jeglicher Mobilfunkgeräte, die der Fahrer hält, sondern bezieht sich nur auf Geräte, die zur Benutzung gehalten werden müssen.

Bis zu dieser Fassungsänderung war obergerichtlich hinreichend geklärt, dass unter „Benutzung“ im Sinne der genannten Vorschrift jegliche Nutzung der möglichen Funktionen eines Mobiltelefons zu verstehen ist, bei der das Gerät in der Hand gehalten wird (OLG Hamm, Beschlüsse vom 25. November 2002 – 2 Ss OWi 1005/02, NJW 2003, 912 f.; vom 1. Dezember 2012 – 5 RBs 4/12, juris Rn. 8; OLG Bamberg, Beschluss vom 27. April 2007 – 3 Ss OWi 452/2007, 3 Ss OWi 452/07, juris Rn. 8 f.; Burhoff, Handbuch für das straßenverkehrsrechtliche OWi-Verfahren, 3. Auflage, Rn. 1983, Heß in Burmann/Heß/Hühnermann, Straßenverkehrsrecht, 24. Auflage, § 23 Rn. 2a). An dieser am damaligen Wortlaut orientierten Auslegung der Norm kann infolge der sprachlichen Neufassung, nach der sich das Verbot nur noch auf Geräte bezieht, die zur Benutzung in der Hand gehalten werden müssen, nicht mehr in vollem Umfang festgehalten werden. Der Benutzung einer Freisprecheinrichtung wohnt gerade inne, dass beide Hände für die eigentliche Fahraufgabe zur Verfügung stehen (BR-Drucks. 599/00, S. 18). Die Verwendung eines Mobiltelefons über Bluetooth ist also keine „Benutzung“ im Sinne von § 23 Abs. 1a Satz 1 StVO, wenn der Fahrzeugführer dazu den Telefonhörer nicht aufnehmen oder halten muss (Burhoff, aaO, Rn. 1977).“

Nun, ich habe so meine Bedenken, ob das richtig ist. Auch der Kollege Dr. Deutscher, der die Entscheidung für unseren VRR aufbereitet hat, hat sie, wenn er ausführt:

„Angesichts dessen ist das Wortlautargument des OLG nur auf den ersten Blick überzeugend. Denn mit der Änderung von „hält“ zu „gehalten werden muss“ durch die Neufassung der StVO zum 1.4.2013 hat der Verordnungsgeber erkennbar keine sachliche Änderung beabsichtigt. Die Neufassung diente in erster Linie der Korrektur der sog. Schilderwaldnovelle (Stichwort: Zitiergebot, BR-Drucks. 428/12, S. 108 ff.; näher dazu Deutscher VRR 2013, 129). Die besagte Änderung des § 23 Abs. 1a StVO ist an keiner Stelle der Begründung dokumentiert (einschlägig wäre BR-Drucks. 428/12, S. 130). Entgegen den Ausführungen des OLG widerspricht dessen Ansicht auch dem Zweck der Vorschrift, dass beide Hände für die Bewältigung der Fahraufgabe frei bleiben sollen, um eine Ablenkung vom Verkehrsgeschehen zu verhindern. Denn genau das ist in der vorliegenden Konstellation nicht der Fall. Da zudem der ohnehin weit ausgelegte Begriff der Benutzung des Mobiltelefons aufgrund des Bezugs zu einem Kommunikationsvorgang (näher Burhoff, Handbuch für das straßenverkehrsrechtliche OWi-Verfahren, 4. Aufl. 2012, Rn. 3045 ff. m.Nw.) hier erfüllt ist, spricht einiges dafür, ungeachtet der Neufassung hier einen Verstoß anzunehmen. Die Nutzung einer Freisprechanlage während der Fahrt ohne Aufnehmen oder Halten des Telefons bliebe hiernach erlaubt (OLG Bamberg NJW 2008, 599 = VRR 2008, 35 [Burhoff])., mit Aufnehmen oder Halten verboten. Die Ansicht des OLG würde demgegenüber Schutzbehauptungen ermöglichen.“

Ich denke mal, dass die Frage nach diesem Beschluss die OLG-Rechtsprechung beschäftigen wird. Und wahrscheinlich wird das Problem dann (irgendwann) vom BGH aufgrund einer Vorlage (“ 121 Abs. 2 GVG) entschieden werden (müssen).

Ist die Auffassung des OLG richtig bzw. machen die anderen OLG das mit, wird die Geschichte des § 23 Abs. 1a StVO neu geschrieben werden müssen. Dann tun sich neue Probleme und/oder (ungeahnte) Verteidigungsansätze auf, denn man müsste dann ja immer (auch) fragen: „Musste“ das Handy, das in der Hand gehalten wurde, auch tatsächlich in der Hand gehalten werden?.

Nachtrag: Bitte nicht irritiert sein, dass das OWi-Handbuch beim Kollegen Dr Deutscher in der 4. Auflage zitiert wird, beim OLG aber in der 3. Auflage. Richtig ist das Zitat bei Deutscher. Das OLG hat es offenbar noch nicht geschafft, sich die aktuelle 4. Auflage anzuschaffen. 🙂

(K)Ein umfassendes Handyverbot in der Hauptverhandlung?

Schon wieder Handy habe ich gedacht, als ich über Jurion auf den OLG Stuttgart, Beschl. v. 29.06.2011 – 4 Ws 136/11 – mit einem von einer Vorsitzenden einer Strafkammer für die Hauptverhandlung ausgesprochenen Handyverbot egstoßen bin, dnn aber schnell festgestellt, dass eben eine andere Frage als offenbar beim LG München eine Rolle spielt. Zu dem Beschluss des OLG Stuttgart hat ja bereits der Beck-Blog unter dem Titel: Aus der NJW: Kein Handy für den Verteidiger im Sitzungssaal gebloggt. M.E. ist die Überschrift dieses Beitrags so nicht richtig bzw. geht zu weit. Denn schon der Leitsatz 3 des Beschlusses des OLG  – hier der kostenlose Volltext – enthält m.E. eine Einschränkung:

„3. Der Vorsitzende kann eine sitzungspolizeiliche Maßnahme auch dann treffen, wenn durch sie sichergestellt werden soll, die materielle Wahrheit zu finden. Deshalb kann er den Verteidigern untersagen, ihre Mobiltelefone in den Sitzungssaal mitzunehmen, wenn andernfalls die Gefahr bestünde, dass die in Untersuchungshaft befindlichen Angeklagten auf diese unbemerkt zugreifen und sie zu unüberwachter Telekommunikation nutzen.“

Liest man den Beschlusstext, stellt man m.E. fest, dass es nicht um das grund-/einschränkungslose Verbieten des Beischführens eines Handys in der Hauptverhandlung geht, was m.E. auch so ohne weiteres wegen der vom OLG Stuutgart selbst angeführten Entscheidung des BVerfG v. 05.1.206 nicht zulässig wäre. Es heißt dort:

„….Zu Recht geht die Vorsitzende davon aus, dass die so verstandene Ordnung in der Sitzung hier tatsächlich gefährdet ist. Die Annahme einer Gefahr gründet sich dabei nicht etwa unzulässigerweise auf ein allgemeines Misstrauen gegenüber den Verteidigern (vgl. hierzu BVerfG [Nichtannahmebeschluss] vom 5. Januar 2006 – 2 BvR 2/06, zitiert nach juris). Vielmehr beruht sie auf einem sachlichen Grund: Die von der Staatsanwaltschaft Stuttgart am 17. Mai 2011 zur Akte gereichten TKÜ-Protokolle belegen, dass der Mitangeklagte am 14. März 2011 das Mobiltelefon von Rechtsanwalt, des Verteidigers des Mitangeklagten während Sitzungspausen mehrfach benutzte und es im Rahmen eines Telefonats auch dem Mitangeklagten kurzfristig überließ…

Es gab also für die Vorsitzende aus ihrer Sicht einen konkreten Grund für das „Handyverbot“. Ob dann das eingeräumte Ermessen (so das OLG) richtig ausgeübt ist, wie das OLG meint, steht auf einem anderen Blatt.  Mir leuchtet nicht ein, warum den Verteidigern die Mitnahme der Handys in den Gerichtssaal verboten wird, bei den Nebenklagevertretern und der Staatsanwaltschaft es hingegen bei der ursprünglichen Verfügung bleibt, dass diese zwar ihre Handys mitnehmen dürfen, diese aber auszuschalten sind, vgl. hier:

In Vorbereitung der Hauptverhandlung beschloss die Vorsitzende mit sitzungspolizeilicher Verfügung vom 15. Februar 2010 unter Ziffer III. 4 u.a., dass die Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft, die Verteidiger der Angeklagten und die Nebenklägervertreter ihre Mobiltelefone zwar in den Sitzungssaal mitnehmen dürften, dass diese aber auszuschalten seien.“

Reicht das nicht auch für Verteidiger weiterhin, es sei denn, man geht (doch) davon aus, dass die Verteidiger dem Angeklagten das Handy, mit dem das der neuen Verfügung zugrunde liegende Gespräch geführt worden ist, zur Verfügung gestellt oder stellt die Verteidiger inzidenter doch unter einen „Generalverdacht“. Unüberwate Gespräche kann man auch durch ausgeschaltete Handys verhindern – kennen die Angeklagten, die auf das Handy zugreifen wollen (wie eigentlich, wenn der Verteidigere bei sich trägt?) das Kennwort, um es benutzen zu können? Und: Kann der Angeklagte ggf. auf die anderen Handy nicht ebenfalls zugreifen?

Und völlig offen ist de Frage: Was ist eigentlich mit den Handys der Gerichtsmitglieder? 🙂

Wochenspiegel für die 29. KW., oder wir blicken mal wieder über den Tellerrand…

Wir berichten über:

  1. einen Beitrag zur „Strafverteidigerin“ Katja Günther,
  2. einen Beschluss des OLG Stuttgart, betreffend ein Einhandmesser.
  3. Arte hinter Gittern“,
  4. einen „Pobeisser„,
  5. die Diskussion, ob Strafverteidiger das Recht zur Lüge haben, vgl. u.a. auch hier und hier,
  6. eine (geplante [?]) Kennzeichnungspflicht für Fahrräder,
  7. Sprichwörter im Strafverfahren,
  8. 14.727,65 €: Telefonieren ohne Nachzudenken,
  9. einen OB auf dem Fahrrad mit Handy am Ohr,
  10. Und dann war da noch: Das Urteil in Reimform.

Was fällt bei diesem Rückblick auf: Mal nichts über Kachelmann – eine, wenn ich nichts übersehen habe „kachelmannlose Woche“, wann hat es den in der letzten Zeit schon gegeben.

Das Handyverbot wird nicht kippen

Der Schadenfixblog stellt gestern die Frage: Handy am Steuer – das wird teuer..? Oder kippt das Handyverbot bald? und berichtet u.a. über die Entscheidung des AG Gummersbach v. 08.07.2009 – 85 OWi 196/09 über die wir hier auch schon berichtet hatten. M.E. liegt die Antwort auf die Frage auf der Hand. Das Handyverbot wird m.E. nicht kippen.

Das BVerfG hat vor einiger Zeit bereits schon mal eine Verfassungsbeschwerde gegen eine Verurteilung wegen Verstoßes gegen § 23 Abs. 1a StVO entschieden und kein Wort zur Verfassungsmäßigkeit der Vorschrift gesagt.
Zudem hat sich auch das OLG Stuttgart im Beschl. v. 16.08.2008 – 1 Ss 187/08 mit der Frage auseinandergesetzt (vgl. NJW 2008, 3369 = DAR 2008, 654 = VA 2008, 208 = VRR 2008, 471 = NZV 2009, 95) und ausgeführt, dass die Ungleichbehandlung von erlaubten und unerlaubten Tätigkeiten eine hinzunehmende gesetzgeberische Entscheidung ist.

Im Übrigen habe ich bei dem Beschluss des AG Gummersbach eher den Eindruck, dass sich das BVerfG nicht ganz ernst genommen fühlen und das Handyverbot nicht kippen wird. Eine Missbrauchsgebühr gegen Richtervorlagen gibt es aber nicht :-).

OLG Köln: Handyverbot gilt nicht für Festnetz-Mobilteil

Das OLG Köln teilt in einer PM mit:

„Der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Köln hat entschieden, dass die Benutzung eines Festnetz-Mobilteils während der Fahrt nicht unter das sog. Handyverbot fällt. Eine anderslautende Entscheidung der Vorinstanz, die ein Bußgeld von 40,- € verhängt hatte, wurde aufgehoben; der Betroffene wurde freigesprochen (Beschluss vom 22.10.2009, Az. 82 Ss-OWi 93/09).

Ein Bonner Autofahrer war etwa 3 km von seinem Haus entfernt, als in seiner Tasche das Mobilteil seines Festnetz-Telefons piepte. Er nahm es heraus, schaute es an und hielt es an sein Ohr. Normalerweise ist ab 200m Entfernung vom Haus keine Kommunikation mit der Basisstation mehr möglich. Das Bonner Amtsgericht hielt auch das Mobilteil einer Festnetzanlage für ein Mobiltelefon im Sinne von § 23 Abs. 1 a StVO.

Dieser Auslegung hat sich der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Köln nicht angeschlossen. Schnurlostelefone bzw. deren „Mobilteile“ bzw. „Handgeräte“ könnten nach dem allgemeinen Sprachverständnis nicht als Mobiltelefone im Sinne des sog. Handyverbots angesehen werden. Für den Einsatz während der Teilnahme am öffentlichen Straßenverkehr seien sie aufgrund ihres geringen räumlichen Einsatzbereichs praktisch auch gar nicht geeignet. Der Verordnungsgeber habe bei Schaffung der Verbotsvorschrift nur die an die gemeinhin als „Handy“ bezeichneten Geräte für den Mobilfunkverkehr gedacht und deren Gebrauch während des Fahrens beschränken wollen. Der Senat sah auch keinen Anlass, den Anwendungsbereich des Handyverbots zu erweitern: Eine Ablenkung des Fahrers durch Gespräche mit dem Schnurlostelefon könne nicht als ernsthafte Gefahr angesehen werden, weil sie wegen der allseits bekannten Sinnlosigkeit des Vorgangs schon kurz nach Fahrtantritt in der Praxis nicht in nennenswertem Umfang vorkomme. Der Vorgang sei so ungewöhnlich, dass kein Regelungsbedarf bestehe.“