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StGB II: Zufahren auf einen anderen und bedingter Tötungsvorsatz im Straßenverkehr, oder: Eigengefährdung

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Die zweite Entscheidung stammt aus dem verkehrsrechtlichen Bereich.

Der 4. Strafsenat des BGH setzt sich im BGH, Beschl. v. 06.08.2019 – 2 StR 255/19 – in einem Sicherungsverfahren noch einmal u.a. mit dem Vorliegen des bedingten Tötungsvorsatzes im Verkehrsstrafrecht auseinander. Das LG hat den Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht. Als Anlasstaten waren u.a. neben einem vorsätzlichen gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr (§ 315b Abs. 1 Nr. 3 StGB) und einer Nötigung (§ 240 StGB) auch einen versuchter Totschlag in vier tateinheitlichen Fällen (§§ 212, 22, 23 Abs. 1, § 52 StGB) herangezogen worden. Der BGH hat das anderes gesehen:

„a) Nach den Feststellungen litt der Beschuldigte an einer schweren, mit wahnhaften Symptomen einhergehenden Erkrankung in der Form paranoiden Erlebens. Infolgedessen fühlte er sich von anderen Verkehrsteilnehmern erheblich beeinträchtigt und angegangen. Insbesondere ging er davon aus, dass die Straßen mit Fahrzeugen des Volkswagenkonzerns „verstopft“ würden, wenn er sein Anwesen mit seinem Pkw verlasse. Die aufgrund seiner Erkrankung angesammelte Anspannung entlud sich in den Taten.

Am 13. Juni 2018 befuhr der Beschuldigte mit seinem Pkw eine Verbindungstrasse zwischen zwei Ortschaften. Als ihm in einer Entfernung von 200 bis 400 Metern der Geschädigte L. mit seinem Pkw VW-Touran, in dem sich auch dessen Ehefrau und zwei Kinder befanden, mit einer Geschwindigkeit von ca. 70 km/h entgegenkam, zog der Beschuldigte mit seinem Pkw auf dessen Fahrspur und fuhr frontal auf ihn zu. L. bremste daraufhin sein Fahrzeug ab und lenkte es auf die Gegenfahrbahn. Der Beschuldigte wechselte nun auf seine Richtungsfahrbahn zurück, sodass beide Fahrzeuge wiederum frontal aufeinander zufuhren. Nachdem der Geschädigte wieder auf seine eigentliche Fahrspur zurückgewechselt war, lenkte der Beschuldigte seinen Pkw erneut auf die Gegenfahrbahn und fuhr mit ca. 70 km/h bewusst auf L. und seine Mitfahrer zu. Dieser deutete nun einen weiteren Spurwechsel nach links an, fuhr dann aber nach rechts, sodass ein Großteil seines Fahrzeuges auf das unbefestigte Bankett geriet. Nur dadurch gelang es ihm, einen Frontalzusammenstoß mit dem Fahrzeug des Beschuldigten zu verhindern. Die Entfernung zwischen beiden Fahrzeugen betrug zu diesem Zeitpunkt nur noch 20 bis 30 Meter.

Die Strafkammer meint, der Beschuldigte habe in Bezug auf alle vier Personen in dem entgegenkommenden Fahrzeug mit bedingtem Tötungsvorsatz gehandelt, weil ein Zusammenstoß nur durch das Ausweichmanöver des Geschädigten verhindert worden sei und keine Situation vorgelegen habe, in der er auf ein Ausbleiben tödlicher Verletzungen vertrauen durfte.

b) Diese Erwägungen rechtfertigen die Annahme eines bedingten Tötungsvorsatzes nicht.

aa) In rechtlicher Hinsicht ist ein bedingter Tötungsvorsatz gegeben, wenn der Täter den Tod als mögliche, nicht ganz fernliegende Folge seines Handelns erkennt – Wissenselement – und dies billigt oder sich um des erstrebten Zieles willen zumindest mit dem Eintritt des Todes abfindet, mag ihm der Erfolgseintritt auch gleichgültig oder an sich unerwünscht sein – Willenselement. Beide Elemente sind umfassend zu prüfen und durch tatsächliche Feststellungen zu belegen. Dabei ist es regelmäßig erforderlich, dass sich der Tatrichter auch mit der Persönlichkeit des Täters auseinandersetzt und dessen psychische Verfassung bei der Tatbegehung, seine Motivation und die für das Tatgeschehen bedeutsamen Umstände mit in Betracht zieht (vgl. BGH, Urteil vom 1. März 2018 – 4 StR 158/17, NStZ 2018, 460, 461 f. mwN). Bei riskanten Verhaltensweisen im Straßenverkehr, die nicht von vornherein auf die Verletzung einer anderen Person oder die Herbeiführung eines Unfalls angelegt sind, ist zudem zu beachten, dass eine vom Täter als solche erkannte Eigengefährdung dafür sprechen kann, dass er auf einen guten Ausgang vertraut hat (vgl. BGH, Urteil vom 1. März 2018 – 4 StR 399/17, NJW 2018, 1621 Rn. 21 mwN). Soweit der Täter aufgrund seines Zustands Umstände verkennt, die jeder geistig Gesunde richtig erkannt hätte, wird die Annahme eines (natürlichen) Vorsatzes mit Rücksicht auf den Schutzzweck des § 63 StGB davon nicht berührt (vgl. BGH, Beschluss vom 18. Juni 2014 – 5 StR 189/14 mwN).

bb) Diesen Anforderungen werden die Urteilsgründe nicht gerecht. Die Strafkammer hat die Elemente des bedingten Tötungsvorsatzes nicht im Einzelnen geprüft. Eine Auseinandersetzung mit der Persönlichkeit des Beschuldigten und den konkreten Tatumständen hat sie ebenfalls nicht vorgenommen. Schließlich hätte auch der Gesichtspunkt der Eigengefährdung erkennbar Berücksichtigung finden müssen. Soweit das Landgericht in der rechtlichen Würdigung ausgeführt hat, dass es dem Beschuldigten „gerade auf einen Zusammenstoß angekommen sei“ (UA 18), fehlt dafür jeder Beleg. Auch steht diese Wendung nicht im Einklang mit der an anderer Stelle (UA 5) getroffenen Feststellung, wonach der Beschuldigte ein Rammen des Pkw des Geschädigten „zumindest billigend in Kauf“ genommen habe.

2. Soweit die Strafkammer im Fall III.2.d) neben einer Nötigung gemäß § 240 StGB auch von einer tateinheitlich begangenen vollendeten Gefährdung des Straßenverkehrs gemäß § 315b Abs. 1 Nr. 3 StGB ausgegangen ist, wird dies von den Urteilsgründen nicht getragen.

a) Nach den Feststellungen wechselte der Beschuldigte mit seinem Pkw im Verlauf seiner Fahrt ein weiteres Mal auf die Gegenfahrbahn und fuhr nunmehr frontal auf den Geschädigten S. zu, der ihm mit seinem Pkw VW-Passat entgegenkam. Dabei nahm er zumindest billigend in Kauf, dass er das Fahrzeug des Geschädigten rammen und diesen dabei in die Gefahr des Todes oder einer erheblichen Verletzung bringen würde. Um einen Zusammenstoß zu vermeiden, vollzog der Geschädigte S. eine Vollbremsung bis zum Stillstand. Der Beschuldigte wechselte daraufhin wieder auf seine Fahrspur zurück und fuhr weiter.

b) Hieraus ergibt sich nicht, dass es infolge des Verhaltens des Beschuldigten zu einer konkreten Gefahr für Leib oder Leben eines anderen Menschen oder für fremde Sachen von bedeutendem Wert kam.

aa) Ein vollendeter gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr erfordert, dass durch eine der in den Nrn. 1-3 des § 315b Abs. 1 StGB genannten Tathandlungen eine Beeinträchtigung der Sicherheit des Straßenverkehrs herbeigeführt worden ist, die sich zu einer konkreten Gefährdung von Leib oder Leben eines anderen Menschen oder einer fremden Sache von bedeutendem Wert verdichtet hat. Dabei muss die Tathandlung über die ihr innewohnende latente Gefährlichkeit hinaus zu einer kritischen Situation geführt haben, in der – was nach allgemeiner Lebenserfahrung auf Grund einer objektiven nachträglichen Prognose zu beurteilen ist – die Sicherheit einer bestimmten Person oder Sache im Sinne eines „Beinaheunfalls“ so stark beeinträchtigt war, dass es nur noch vom Zufall abhing, ob das Rechtsgut verletzt wurde oder nicht (vgl. BGH, Beschluss vom 5. Dezember 2018 – 4 StR 505/18, NJW 2019, 615, 616 mwN).

bb) Die Feststellungen verhalten sich nicht dazu, welcher Abstand zwischen dem Fahrzeug des Geschädigten und dem Fahrzeug des Beschuldigten bestand, als dieser wieder auf seine Fahrspur wechselte. Auch der Beweiswürdigung lässt sich dazu nichts Weiterführendes entnehmen. Soweit der Geschädigte angegeben hat, dass der Beschuldigte ihm „kurz vor dem Zusammenstoß“ ausgewichen sei, reicht dies ohne nähere tatrichterliche Würdigung (vgl. dazu BGH, Urteil vom 30. März 1995 – 4 StR 725/94, NJW 1995, 3131 f.) für den Beleg eines „Beinaheunfalls“ nicht aus.“

Aber:

„2. Die aufgezeigten Rechtsfehler bei der rechtlichen Bewertung von zwei der vier Anlasstaten stellen die Gefährlichkeitsprognose gleichwohl nicht in Frage, sodass die Unterbringungsanordnung bestehen bleiben kann…..“

Gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr, oder: Immer/mal wieder: „Beinaheunfall“

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Diese Woche eröffne ich mit zwei verkehrsrechtlichen Entscheidungen des BGH. Den Opener mache ich mit dem BGH, Beschl. v. 20.03.2019 – 4 StR 517/18, der die „Lieblingsvorschrift“ (?) des 4. Strafsenats zum Gegenstand hat, nämlich § 315b StGB.

Die insoweit erforderlichen (hohen) Anforderungen an die tatsächlichen Feststellungen „betet“ der 4. Strafsenat mal wie vor. Davon gibt es eine Vielzhal von Entscheidungen, die dann aber offenbar doch wohl niemand so richtig liest.

Zur Sache: Das LG hatte hat den Angeklagten unter Freisprechung im Übrigen wegen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr in Tateinheit mit versuchter gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe verurteilt. Dem BGH reichen – wie gesagt – die tatsächlichen Feststellungen nicht:

„I.

Nach den Feststellungen entschloss sich der Angeklagte am 2. Oktober 2016 bei einer Fahrt durch die K. straße in E. dazu, mit dem von ihm geführten Pkw auf eine Menschengruppe zuzufahren, die sich zum Teil auf der Straße und zum Teil auf dem neben der Straße verlaufenden Fußgängerweg befand. Dieser war durch Betonpoller zur Straße hin abgegrenzt. Dabei erkannte er, dass der Zeuge M. mit dem Rücken zu ihm vor den Pollern auf der Straße stand, und beabsichtigte, diesen mit seinem Fahrzeug nicht unerheblich zu verletzen. M. wurde entweder durch Rufe von anwesenden Personen oder durch das Motorengeräusch des auf ihn zufahrenden Fahrzeugs aufmerksam und sprang, unmittelbar bevor es zu einer Kollision kam, hinter die Poller, wobei er eine neben ihm befindliche Mülltonne gleichzeitig schützend vor sich warf. Das von dem Angeklagten gelenkte Fahrzeug verfehlte ihn infolge seines Sprungs und streifte den ersten Poller mit einer Kollisionsgeschwindigkeit von mindestens 20 km/h und höchstens 33 km/h. Außerdem erfasste es frontal die Abfalltonne, deren Deckel dadurch abbrach und bei der ein Rad verkratzt wurde. Wäre M. nicht hinter die Poller gesprungen, wäre er von dem Fahrzeug des Angeklagten erfasst und wie von diesem beabsichtigt nicht unerheblich verletzt worden.

Das Landgericht hat die Tat als gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr gemäß § 315b Abs. 1 Nr. 3, Abs. 3 i.V.m. § 315 Abs. 3 Nr. 1a StGB in Tateinheit mit versuchter gefährlicher Körperverletzung gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2, §§ 22, 23 StGB bewertet und dabei den Taterfolg im Sinne des § 315b Abs. 1 StGB in der Gefährdung der körperlichen Integrität des Zeugen M. gesehen.

II.

Diese Feststellungen belegen die für die Annahme einer vollendeten Tat nach § 315b Abs. 1 Nr. 3 StGB vorausgesetzte Herbeiführung einer konkreten Gefahr für Leib oder Leben eines anderen Menschen oder eine fremde Sache von bedeutendem Wert nicht.

1. Ein vollendeter gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr erfordert, dass die Tathandlung über die ihr innewohnende latente Gefährlichkeit hinaus in eine kritische Situation geführt hat, in der – was nach allgemeiner Lebenserfahrung auf Grund einer objektiv nachträglichen Prognose zu beurteilen ist – die Sicherheit einer bestimmten Person oder Sache so stark beeinträchtigt war, dass es im Sinne eines „Beinahe-Unfalls“ nur noch vom Zufall abhing, ob das Rechtsgut verletzt wurde oder nicht (vgl. BGH, Beschluss vom 5. November 2013 ? 4 StR 454/13, NZV 2014, 184, 185; Beschluss vom 22. November 2011 – 4 StR 522/11, NStZ-RR 2012, 123, 124; Beschluss vom 3. November 2009 – 4 StR 373/09, Rn. 5 f.; sowie Beschluss vom 27. April 2017 – 4 StR 61/17, Rn. 6; und Urteil vom 30. März 1995 – 4 StR 725/94, NJW 1995, 3131 ff., jeweils zu § 315c StGB).

2. Nach den dazu entwickelten Maßstäben genügen die Feststellungen des Landgerichts nicht den Anforderungen zur Darlegung einer konkreten Gefahr für die körperliche Integrität des Zeugen M. . Zwar hat die Strafkammer Feststellungen zu der gefahrenen Geschwindigkeit getroffen; den Urteilsgründen lässt sich aber nicht entnehmen, wie weit sich das Fahrzeug des Angeklagten dem Zeugen angenähert hatte, als dieser hinter den Poller sprang. Dass sich M. und das Fahrzeug des Angeklagten in räumlicher Nähe zueinander befanden und der Zeuge ohne sein Wegspringen erfasst worden wäre, genügt – insbesondere mit Blick auf die niedrige gefahrene Geschwindigkeit – insoweit nicht. Die vergleichsweise komplexe Abwehrreaktion des Zeugen, der noch eine Mülltonne schützend vor sich werfen konnte, spricht eher gegen das Vorliegen eines Beinahe-Unfalls. Verhielte es sich so, fehlte es insoweit an einer bereits eingetretenen konkreten Gefahr im Sinne des § 315b Abs. 1 StGB, und es käme deshalb nur eine Strafbarkeit wegen versuchten gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr nach Absatz 2 der Vorschrift in Betracht.

3. Eine konkrete Gefahr für fremde Sachen von bedeutendem Wert hat das Landgericht nicht angenommen. Feststellungen zum Wert der beschädigten Abfalltonne und des Pollers sowie der Höhe des (drohenden) Schadens fehlen (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 31. Januar 2017 – 4 StR 597/16, NStZ-RR 2017, 123, 124 Rn. 11 mwN).“

Da ist/war er wieder. Der Begriff des „Beinaheunfalls“.

Fahrrad als Hindernis auf der Straße, oder: So geht das mit den Urteilsgründen bei § 315b StGB

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Bei der zweiten Entscheidung, die ich vorstelle, handelt es sich um den BGH, Beschl. v. 05.12.2018 – 4 StR 505/18. Problematik: Feststellungen bei § 315b StGB – also gefährlicher Eingriff im Straßenverkehr. Das ist mal wieder so eine Entscheidung, in der der BGH dem LG, das „die Enden nicht zusammen bekommen hatte, erklären muss, worauf es bei § 315b StGB ankommt und was das Tatgericht alles feststellen muss:

„1. Der Schuldspruch wegen vorsätzlichen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr gemäß § 315b Abs. 1 Nr. 2 StGB kann nicht bestehen bleiben, weil die Feststellungen weder eine konkrete Gefahr für Leib oder Leben eines anderen Menschen, noch für fremde Sachen von bedeutendem Wert belegen. Auch der erforderliche Gefährdungsvorsatz ist nicht rechtsfehlerfrei festgestellt.

a) Ein vollendeter gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr erfordert, dass durch eine der in den Nummern 1 bis 3 des 315b Abs. 1 StGB genannten Tathandlungen eine Beeinträchtigung der Sicherheit des Straßenverkehrs herbeigeführt worden ist, die sich zu einer konkreten Gefährdung von Leib oder Leben eines anderen Menschen oder einer fremden Sache von bedeutendem Wert verdichtet hat. Dabei muss die Tathandlung über die ihr innewohnende latente Gefährlichkeit hinaus zu einer kritischen Situation geführt haben, in der – was nach allgemeiner Lebenserfahrung auf Grund einer objektiven nachträglichen Prognose zu beurteilen ist – die Sicherheit einer bestimmten Person oder Sache im Sinne eines „Beinaheunfalls“ so stark beeinträchtigt war, dass es nur noch vom Zufall abhing, ob das Rechtsgut verletzt wurde oder nicht (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 24. Oktober 2017 – 4 StR 334/17, Rn. 4; Beschluss vom 4. September 1995 – 4 StR 471/95, NZV 1996, 37; Beschluss vom 15. Februar 1963 – 4 StR 404/62, BGHSt 18, 271, 272 f.). Die Gefährdung einer fremden Sache von bedeutendem Wert ist dabei nicht schon dann gegeben, wenn eine werthaltige Sache in einer solchen Weise gefährdet worden ist. Vielmehr ist auch erforderlich, dass ein bedeutender Schaden gedroht hat (vgl. BGH, Beschluss vom 12. April 2011 – 4 StR 22/11, Rn. 5; Beschluss vom 29. April 2008 – 4 StR 617/07, NStZ-RR 2008, 289 mwN). Dessen Höhe ist nach der am Marktwert zu messenden Wertminderung zu berechnen (vgl. BGH, Beschluss vom 28. September 2010 – 4 StR 245/10, NStZ 2011, 215; Beschluss vom 29. April 2008 – 4 StR 617/07, NStZ-RR 2008, 289 mwN).

Die Urteilsgründe belegen nicht, dass Leib oder Leben der Geschädigten I. und E. in einer diesen Vorgaben entsprechenden Weise konkret gefährdet waren. Die Feststellung, dass die Geschädigte I. eine Vollbremsung einleiten musste und es zu einem Anstoß an das als Hindernis ausgelegte Fahrrad kam, reicht dafür nicht aus. Angaben zu der tatsächlich gefahrenen Geschwindigkeit enthält das Urteil nicht. Ob die konkrete Gefahr einer Fehlreaktion der Zeugin I. und eines dadurch bedingten Abkommens von der Fahrbahn bestand, lässt sich den Urteilsgründen ebenfalls nicht entnehmen. Für die Annahme eines drohenden bedeutenden Sachschadens fehlt es an den erforderlichen Angaben zu dem zu erwartenden Schadensbild, das mit dem entstandenen Schaden nicht identisch sein muss, und dessen Bewertung. Die bloße Angabe des Fahrzeugwertes ist dafür nicht ausreichend.

b) In subjektiver Hinsicht setzt 315b Abs. 1 StGB bei einem sog. Außeneingriff lediglich voraus, dass die Herbeiführung der konkreten Gefahr für Leib oder Leben eines anderen oder fremde Sachen von bedeutendem Wert vom Vorsatz des Täters umfasst war (vgl. BGH, Urteil vom 20. Februar 2003 – 4 StR 228/02, BGHSt 48, 233, 237; Urteil vom 31. August 1995 – 4 StR 283/95, BGHSt 41, 231, 239). Dabei ist ein bedingter Vorsatz ausreichend, sodass bereits vorsätzlich handelt, wer die Umstände kennt, die zu der bestimmten Gefährdung geführt haben und den Eintritt der daraus folgenden (konkreten) Gefahrenlage zumindest billigend in Kauf nimmt (vgl. BGH, Urteil vom 15. Dezember 1967 – 4 StR 441/67, BGHSt 22, 67, 74; Ernemann in SSW-StGB, 4. Aufl., § 315b Rn. 18).

Die Urteilsgründe verhalten sich nicht dazu, welches Vorstellungsbild der Angeklagte hatte, als er das Fahrrad auf die Straße legte. Die Feststellung, dass es ihm darum ging, Kraftfahrer zum Anhalten zu veranlassen, um deren Fahrzeug an sich zu bringen, deutet – für sich genommen – nicht auf einen Gefährdungsvorsatz hin.“

§ 315b StGB ist schwer, aber so schwer ja nun allmählich auch nicht mehr, nachdem der BGH die Anforderungen an die Urteilsgründe immer wieder dargestellt hat.

Verkehrsrecht III: Durchtrennen der Bremsschläuche, oder: Zwar „Beinaheunfall“, aber keine Unterbringung

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Und zum Abschluss des heutigen Tages dann noch eine BGH-Entscheidung, und zwar der BGH, Beschl. v. 06.11.2018 – 4 StR 195/18, der zumindest auch mit Verkehrsrecht zu tun hat. Zumindest hat der Beschluss einen „verkehrsrechtlichen Einschlag“. Es geht nämlich vornehmlich nicht um die verkehrsrechtliche Problematik betreffend § 315b StGB, sondern in erster Linie um die Frage der Unterbringung des Angeklagten nach § 63 StGB.

Das LG hatte u.a. folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:

„2. Zur Anlasstat hat das Landgericht das Folgende festgestellt:

Am Abend des 20. November 2015 fühlte sich der Angeklagte einsam und verlassen. In seinem psychotischen Erleben machte er dafür die Geschädigten verantwortlich. Von „imperativen Stimmen überwältigt“ glaubte er, „ein Zeichen setzen“ zu müssen. Um dies zu erreichen, durchtrennte er in der Nacht vom 20. auf den 21. November 2015 an dem auf der Straße abgestellten Pkw des Lebensgefährten seiner Mutter mit einem mitgebrachten Seitenschneider auf beiden Seiten die Bremsschläuche. Dabei war ihm die naheliegende Gefahr bewusst, dass es bei der nächsten Benutzung des Pkw im Straßenverkehr zu einem Verkehrsunfall kommen könnte, falls es nicht gelänge, das Fahrzeug rechtzeitig zum Stehen zu bringen. Dem Angeklagten war auch klar, dass die Geschädigten hierbei verletzt werden könnten. Dies nahm er „zumindest billigend in Kauf“. Zu einer Steuerung seines Verhaltens war er in diesem Moment krankheitsbedingt nicht in der Lage.

Am Abend des 21. November 2015 traten die Mutter des Angeklagten und deren Lebensgefährte eine Fahrt mit dem Pkw an. Der Geschädigte startete das Fahrzeug und fuhr in eine „leicht abschüssige Straße“ ein. Als er vor der Einmündung zu einer zu diesem Zeitpunkt viel befahrenen bevorrechtigten Hauptstraße bremsen wollte, stellte er fest, dass die Bremsen nicht reagierten. In dieser „konkret bedrohlichen Situation“ zog er die Handbremse an und konnte so das sich bei dieser „Notbremsung“ quer zur Fahrbahn stellende Fahrzeug kurz vor der Hauptstraße anhalten. Dadurch wurde ein Unfall mit dem dortigen fließenden Verkehr gerade noch vermieden.“

Das LG hat den Angeklagten vom Vorwurf des versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlichem Eingriff in den Straßenverkehr freigesprochen – und zwar wegen des Vorliegens der Voraussetzungen des § 20 StGB -, seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus aber abgelehnt. Dagegen die Revision der StA/des GBA, die keinen Erfolg hatte. Dazu der BGH:

„Die gegen das gesamte Urteil gerichtete Revision der Staatsanwaltschaft hat keinen Erfolg. Sowohl der Freispruch als auch die Ablehnung einer Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB halten revisionsrechtlicher Überprüfung stand.

1. Das Landgericht hat in Übereinstimmung mit dem angehörten Sachverständigen rechtsfehlerfrei angenommen, dass der Angeklagte bei der Begehung der ihm zur Last gelegten Tat aufgrund einer krankhaften seelischen Störung schuldunfähig gewesen ist und deshalb freizusprechen war. Einwände hiergegen hat die Staatsanwaltschaft nicht erhoben.

2. Entgegen der Auffassung der Revision ist die Strafkammer auch ohne Rechtsfehler davon ausgegangen, dass die Voraussetzungen für eine Unterbringung des Angeklagten nach § 63 StGB nicht vorliegen. Zwar hat der Angeklagte mit dem Durchtrennen der Bremsschläuche und dem dadurch verursachten „Beinahe-Unfall“ (vgl. BGH, Beschluss vom 26. Juli 2011 – 4 StR 340/11, BGHR StGB § 315b Abs. 1 Gefährdung 6; Beschluss vom 4. September 1995 – 4 StR 471/95, NJW 1996, 329 f.) im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20 StGB) einen gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr gemäß § 315b Abs. 1 Nr. 1 StGB und damit eine rechtswidrige Tat im Sinne des § 63 Satz 1 StGB begangen, deren Strafbarkeit – anders als die von der Strafkammer zugleich angenommenen versuchten Körperverletzungen (§ 223 Abs. 2 StGB), bei denen es schon an den Verfolgungsvoraussetzungen des § 230 Abs. 1 Satz 1 StGB fehlt – allein an der festgestellten Schuldunfähigkeit scheitert (vgl. BGH, Urteil vom 28. Oktober 1982 – 4 StR 472/82, BGHSt 31, 132, 133 f.), doch kann ihm eine seine Unterbringung rechtfertigende Gefährlichkeitsprognose nicht gestellt werden.

a) Eine Unterbringung nach § 63 Satz 1 StGB kommt nur dann in Betracht, wenn eine Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, dass von ihm infolge seines Zustands erhebliche rechtswidrige Taten zu erwarten sind, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Dabei muss es sich um Taten handeln, die zumindest dem Bereich der mittleren Kriminalität zuzuordnen sind (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juli 2018 – 3 StR 174/18, Rn. 12 mwN). Zudem ist eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades erforderlich (vgl. BGH, Beschluss vom 30. Mai 2018 – 1 StR 36/18, Rn. 25; Urteil vom 21. Februar 2017 – 1 StR 618/16, BGHR StGB § 63 Beweiswürdigung 2; Beschluss vom 16. Januar 2013 – 4 StR 520/12, NStZ-RR 2013, 141, 142 mwN). Die zu stellende Prognose ist auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Täters, seines Vorlebens und der von ihm begangenen Anlasstat zu entwickeln (vgl. BGH, Beschluss vom 26. September 2012 – 4 StR 348/12, NStZ 2013, 424 mwN). Dabei sind neben der konkreten Krankheits- und Kriminalitätsentwicklung auch die auf die Person des Täters und seine konkrete Lebenssituation bezogenen Risikofaktoren, die eine individuelle krankheitsbedingte Disposition zur Begehung von Straftaten jenseits der Anlasstaten belegen können, einzustellen (vgl. BGH, Beschluss vom 21. Dezember 2016 – 1 StR 594/16, NStZ-RR 2017, 76, 77; Beschluss vom 7. Juni 2016 – 4 StR 79/16, NStZ-RR 2016, 306 f. mwN).

b) Diesen Anforderungen werden die Urteilsgründe gerecht…..“

 

Gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr, oder: Qualifiziert, wenn zur Verdeckung einer Straftat?

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Und als zweite verkehrsrechtliche Entscheidung dann der BGH, Beschl. v. 19.07.2018 – 4 StR 121/18 – betreffend die „Lieblingsvorschrift“ des 4. Strafsenats des BGH, nämlich 3 315b StGB , also gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr. Der BGh hat dazu aufgrund einer Revision der Staatsanwaltschaft Stellung nehmen müssen.

Ausgangspunkt waren folgende Feststellungen:

„Nach den Feststellungen des Landgerichts lud der Angeklagte am 11. November 2015 in einer Filiale der Firma K. drei Fernsehgeräte und einen Blu-Ray-Player in den Einkaufswagen und passierte, ohne zu bezahlen, den Kassenbereich. Als er auf dem öffentlich zugänglichen Kundenparkplatz die Elektronikgeräte in seinen Pkw lud, forderte ihn die stellvertretende Filialleiterin auf, den Kassenbon vorzulegen. Der Angeklagte entgegnete aggressiv, einen Kassenbon gebe es nicht und sie solle verschwinden. Dann schob er den leeren Einkaufswagen in Richtung der Filialleiterin, um die hintere Fahrzeugtür schließen zu können. Er setzte sich ans Steuer und fuhr mit hoher Beschleunigung und quietschenden Reifen in Richtung der einzigen Ausfahrt des Parkplatzes. Nachdem er mit etwa 30 bis 40 km/h eine Längskurve passiert hatte, beschleunigte er weiter stark. In diesem Moment kam ein K. -Mitarbeiter angelaufen und stellte sich in die Mitte der Ausfahrt. Der Angeklagte bemerkte ihn aus einer Entfernung von etwa fünfzehn Metern, beschleunigte jedoch weiter und fuhr mit einer Geschwindigkeit von mindestens 50 km/h direkt auf den Mitarbeiter zu. Dabei ging es ihm nicht darum, die Tatbeute in Sicherheit zu bringen, sondern allein darum zu fliehen, um sich der strafrechtlichen Verantwortlichkeit zu entziehen. Ein Anfahren des Mannes mit der Folge der Zufügung auch lebensgefährlicher Verletzungen nahm der Angeklagte, dem selbst ein Ausweichen nicht möglich gewesen wäre, in Kauf. Der K. -Mitarbeiter sprang im letzten Moment zur Seite.

Das LG hat u.a. wegen eines gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr gem. § 315b Abs. 1 Nr. 3 StGB verurteilt. Eine Verurteilung nach § 315b Abs. 3 StGB in Verbindung mit § 315 Abs. 3 Nr. 1 StGB hat es abgelehnt, weil der Angeklagte nicht in der Absicht gehandelt habe, eine andere Straftat – die versuchte gefährliche Körperverletzung – zu ermöglichen.

Das passt der StA und dem GBA nicht. Der BGH schließt sich dem an:

„b) Zu Recht beanstandet die Beschwerdeführerin hingegen, dass das Landgericht nicht geprüft hat, ob der Angeklagte den gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr zur Verdeckung einer Straftat gemäß § 315b Abs. 3 in Verbindung mit § 315 Abs. 3 Nr. 1b StGB beging. Zu diesem Qualifikationstatbestand verhält sich das Urteil nicht, obwohl dazu Veranlassung bestanden hätte. Als der Angeklagte auf den Mitarbeiter der Firma K. in der Ausfahrt zufuhr, ging es ihm nach den Feststellungen „allein darum zu fliehen, um sich der strafrechtlichen Verantwortung zu entziehen“ (UA 11). Er handelte allein in dem Bestreben, „sich durch rasche Flucht einer Identifizierung als Dieb und der sofortigen oder späteren Ergreifung zu entziehen“ (UA 34). Vor diesem Hintergrund hätte es der Erörterung bedurft, ob der Angeklagte im Zeitpunkt der Tathandlung nach seiner Vorstellung davon ausging, seine Täterschaft hinsichtlich des vorangegangenen Diebstahls sei noch nicht in einem die Strafverfolgung sicherstellenden Umfang aufgedeckt (vgl. BGH, Beschluss vom 19. Dezember 2017 – 4 StR 483/17, NStZ-RR 2018, 88, 89).“