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StGB I: Handy gefunden/geklaut?, oder: Klassiker Abgrenzung Diebstahl/Fundunterschlagung

Bild von Iván Tamás auf Pixabay

Heute dann mal wieder ein Tag des materiellen Rechts, also StGB.

Und ich eröffne mit dem BGH, Beschl. v. 14.04.2020 – 5 StR 10/20 -, der einen Klassiker zum Gegenstand hat, nämlich die Abgrenzung von Diebstahl (§ 242 StGB) und Fundunterschlagung (§ 246 StGB). Das LG hatte den Angeklagten wegen Diebstahls zu einer Freiheitsstrafe von fünf Monaten verurteilt. Die Revision des Angeklagten führt zur Änderung des Schuldspruchs auf Unterschlagung, zu mehr aber nicht:

„1. Nach den Feststellungen des Landgerichts begegneten der Angeklagte und der freigesprochene Mitangeklagte H. am 1. März 2019 kurz nach Mitternacht auf der Straße dem Geschädigten. Nachdem dieser den Angeklagten gefragt hatte, ob er – der Angeklagte – ihm Drogen verkaufe, kam es aus nicht näher bekanntem Anlass zu einem Gerangel, bei dem niemand verletzt wurde. Im Zuge der Auseinandersetzung entschied sich der Geschädigte zu fliehen, dabei „verlor“ er „von ihm selbst zunächst unbemerkt“ sein Mobiltelefon im Wert von etwa 20 Euro. Dem Geschädigten war bei der Flucht klar, dass er Hab und Gut am Ereignisort zurückgelassen hatte und beschloss schon zu diesem Zeitpunkt, später zurückzukehren und die Sachen wieder an sich zu nehmen. Der Angeklagte und sein Begleiter setzten zunächst ihren Weg fort. Als sie auf ihrem Rückweg am Ort des Geschehens vorbeikamen, „fand“ der Angeklagte das Mobiltelefon des Geschädigten und entschloss sich, dieses an sich zu nehmen, um es für sich zu behalten.

2. Das Landgericht hat das Tatgeschehen als Diebstahl bewertet. Es liege nicht lediglich eine Unterschlagung nach § 246 Abs. 1 StGB vor, da der Gewahrsam des Geschädigten nur gelockert gewesen sei. Denn dieser habe gewusst, dass er das Mobiltelefon am Tatort zurückgelassen hatte, und von vornherein beabsichtigt zurückzukehren und es wieder an sich zu nehmen.

3. Dieser Schuldspruch hält rechtlicher Überprüfung nicht stand. Der Angeklagte hat bei der Ansichnahme des Mobiltelefons keinen für die Erfüllung des Diebstahltatbestandes vorausgesetzten fremden, auch keinen gelockerten Gewahrsam gebrochen.

Gewahrsam ist die von einem Herrschaftswillen getragene tatsächliche Sachherrschaft. Ein einmal begründeter Gewahrsam besteht fort, solange der Gewahrsamsinhaber noch Einwirkungsmöglichkeiten auf die Sache hat. Entscheidend für die Frage des Wechsels der tatsächlichen Sachherrschaft ist, dass der Täter die Herrschaft über die Sache derart erlangt, dass er sie ohne Behinderung durch den alten Gewahrsamsinhaber ausüben kann (BGHSt 16, 271, 273; BGH, Urteil vom 6. März 2019 – 5 StR 593/18, NStZ 2019, 613, 614)

und dieser über die Sache nicht mehr verfügen kann, ohne seinerseits die Verfügungsgewalt des Täters zu brechen. Ob die tatsächliche Sachvorherrschaft vorliegt bzw. wer sie innehat, bemisst sich nach den Umständen des Einzelfalls und den Anschauungen des täglichen Lebens (BGH, Beschluss vom 9. Januar 2019 – 2 StR 288/18, juris Rn. 5; Beschluss vom 21. März 2019 – 3 StR 333/18, NStZ 2019, 726, 727).

Gemessen daran hatte der Geschädigte hier zum Zeitpunkt der Mitnahme des Mobiltelefons durch den Angeklagten keinen Gewahrsam. Dieser war nicht am Ort des Geschehens und so tatsächlich nicht in der Lage, auf das im öffentlichen Raum liegende Mobiltelefon einzuwirken. Vielmehr konnte der Angeklagte ungehindert das Mobiltelefon an sich nehmen.

Zwar kann der Gewahrsam in gelockerter Form fortbestehen, etwa dann, wenn der Gewahrsamsinhaber durch eine Täuschung veranlasst scheinbar kurzfristig einen Gegenstand an den Täter übergibt (vgl. BGH, Urteil vom 12. Oktober 2016 – 1 StR 402/16, BGHR StGB § 242 Abs. 1, Wegnahme 16; BGH, Beschluss vom 24. April 2018 – 5 StR 606/17, juris; BGH, Beschluss vom 13. November 2019 – 3 StR 342/19, juris) oder eine räumliche Entfernung vorliegt, wenn beispielsweise ein Landwirt Geräte auf dem Feld zurücklässt (BGHSt 16, 271, 273; vgl. auch Schönke/Schröder/Bosch, StGB, 30. Aufl., § 242 Rn. 26; SSW-Kudlich, StGB, 4. Aufl., § 242 Rn. 19). Anderes gilt jedoch, wenn der Gegenstand – wie hier – in einem öffentlichen, mithin für jede Person zugänglichen Bereich liegt und der ortsabwesende Geschädigte nicht in der Lage ist, auf die Sache einzuwirken und so die Sachherrschaft gemäß seinem Willen auszuüben.

4. Der Angeklagte hat sich vielmehr wegen einer (Fund-)Unterschlagung nach § 246 Abs. 1 StGB strafbar gemacht.

Der Senat hat den Schuldspruch des angefochtenen Urteils entsprechend geändert; § 265 StPO steht dem nicht entgegen. Angesichts der vom Landgericht aufgeführten Strafzumessungserwägungen schließt der Senat aus, dass es bei zutreffender rechtlicher Bewertung eine noch mildere Strafe verhängt hätte.“

Wie gesagt: Klassiker, so dass mich die LG-Entscheidung schon ein wenig erstaunt.

Fundunterschlagung durch Pförtner der Polizei, oder: Fristlose Kündigung wirksam

entnommen openclipart.org

Und als zweite Entscheidung dann heute mal ein wenig Arbeitsrecht, und zwar das LAG Düsseldorf, Urt. v. 28.06.2019 – 6 Sa 994/18, von dem jetzt der Volltext vorliegt.

Entschieden hat das LAG über die Wirksamkeit der Kündigung eines seit dem 19.01.1987 bei dem Land NRW Beschäftigten. Zuletzt war er auf der Pförtnerstelle einer Polizeidienstelle eingesetzt. Ihm wurde am 22.12.2017 während seines Dienstes von einer ihm nicht bekannten Frau mitgeteilt, dass diese einen 100-Euro-Schein gefunden habe.

Ob der beschäftigte den Geldschein angenommen hat, ist zwischen dem Beschäftigten und dem Land NRW streitig. Jedenfalls ist weder in den Asservatenschränken noch im Vorgangsbearbeitungssystem der Eingang vermerkt. Die Finderin hatte sich am „Einlieferungstag“ mit einer E-Mail an die Poststelle des beklagten Landes. Sie teilte darin mit, dass sie einen 100-Euro-Schein gefunden und diesen an der Pforte der Polizeidienststelle abgegeben habe. Sie habe keine Angaben zum Fundort und zu ihren Personalien machen müssen. Da ihr dieses Verfahren seltsam vorkam, wollte sie wissen, was denn nun mit dem Geld passiert.

Gegen den Kläger ist daraufhin ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren wegen Unterschlagung eingeleitet worden, in dem er sich zur Sache nicht geäußert hat. Bei einer Wahllichtbildvorlage, zu der auch ein Bild des Klägers gehörte, sah die Finderin eine Ähnlichkeit zu der Person, der sie den 100-Euro-Schein gegeben habe. Das Land NRW hat den Beschäftigten zum Verdacht der Unterschlagung angehört. Der hat die Entgegennahme des Geldscheins bestritten.

Das Land hat das Arbeitsverhältnis fristlos gekündigt. Das ArbG hatte dann die Kündigungsschutzklage abgewiesen, die Berufung dagegen hatte beim LAG keinen Erfolg. Das geht nach Beweisaufnahme davon aus, dass der dringende Tatverdacht besteht, dass die Finderin den Geldschein bei dem Kläger abgegeben und der ihn unterschlagen hat. Das stelle einen „wichtigen Grund“ für eine außerordentliche Kündigung dar:

„bbb) Der Verdacht der Unterschlagung einer dem Kläger anvertrauten Fundsache ist geeignet, das Vertrauen des beklagten Landes in dessen Redlichkeit dauerhaft zu zerstören.

Zwar stand die Fundsache nicht im Eigentum des beklagten Landes. Es hat aber die Aufgabe, derartige Fundsachen entgegen zu nehmen und solange sicher zu verwahren, bis sich entweder der Eigentümer meldet oder die Aufbewahrungsfrist abgelaufen ist mit der Folge, dass die Sache dem Finder übergeben werden kann. Die Unterschlagung einer solchen Fundsache durch einen Arbeitnehmer des beklagten Landes ist daher nicht nur als Straftat zu werten, sondern zugleich eine erhebliche Pflichtverletzung gegenüber dem beklagten Land, welches hierdurch an der Erfüllung seiner gesetzlichen Aufgabe gehindert wird.“

Vortäuschen eine Straftat, oder: Wer gibt schon gerne zu, dass er sein Handy in einem Striplokal verloren hat

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In die 40. KW. und den Monat Oktober – ich bin immer übrigens immer noch in Indien – starte ich mit dem schon etwas älteren OLG Bamberg, Beschl. v.29.03.2018 – 2 OLG 120 Ss 119/17. Er behandelt das Vortäuschen einer Straftat (§ 145d StGB). Das LG hatte dazu folgende Feststellungen getroffen:

a) Nach den Feststellungen des LG erstattete der Angekl. am 17.12.2015 auf der Dienststelle der Polizeiinspektion V. gegenüber Polizeihauptkommissar T. wider besseres Wissen dahingehend Anzeige, dass ihm sein Smartphone ‚HTC One M8‘ im Wert von ca. 600 € am 05.12.2015 gegen 5.00 Uhr in der Straßenbahn auf dem Weg von der Haltestelle O-Straße zur Haltestelle K-Weg in V. gestohlen worden sei. Tatsächlich war das Smartphone nicht wie von ihm angegeben entwendet worden, sondern er hatte dieses bereits am 13.11.2015 im Raucherbereich der Räumlichkeiten eines Stripclubs in der Q-Straße in V. verloren. Noch am selben Tag hatte es dort die deswegen bereits rechtskräftig verurteilte A. aufgefunden, unberechtigt an sich genommen und in der Folgezeit benutzt. Da der Angekl. selbst in der Hauptverhandlung angegeben hatte, eine Ortung seines Handys vorgenommen und daraufhin in dem Club in der Q-Straße, der letzten angezeigten Örtlichkeit, nachgefragt zu haben, ging das LG davon aus, dass der Angekl. wusste, dass seine am 17.12.2015 bei der Polizei getätigten Angaben über Zeit, Ort und Umstände des Abhandenkommens des Handys unzutreffend waren.

Dieses Verhalten des Angeklagten erfüllt nahc Auffassung des OLG Bamberg nicht den Straftatbestand des Vortäuschens einer Straftat nach § 145d Abs. 1 Nr. 1 StGB. Dazu die Leitsätze des OLG – mal wieder etwas „bombastisch“ 🙂 :

1. Für eine Strafbarkeit wegen Vortäuschens einer Straftat genügt es, wenn eine tatsächlich begangene Tat durch die Anzeige ein im Kern anderes Gepräge erhält, was aufgrund einer am geschützten Rechtsgut und dem Unrechtsgehalt orientierten Gesamtbetrachtung der Umstände des Einzelfalls zu beurteilen ist. Zu diesen zählt insbesondere auch, ob aufgrund der vorgetäuschten Tat gegenüber dem wahren Sachverhalt ein nicht unwesentlicher unnützer Ermittlungsaufwand betrieben worden ist (u.a. Anschl. an BGH, Urt. v. 15.04.2015 – 1 StR 337/14 = NStZ 2015, 514 = StraFo 2015, 299 = NZWiSt 2015, 427 = MMR 2015, 800 = StV 2016, 158).

2. Die Falschanzeige eines vermeintlichen Diebstahls anstelle einer tatsächlich erfolgten Fundunterschlagung erfüllt auch dann nicht notwendig die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 145d Abs. 1 Nr. 1 StGB, wenn der von dem Berechtigten bemerkte Verlust des fraglichen Gegenstandes zeitlich deutlich vor dem angeblichen Diebstahl und auch an einem anderen als dem angegebenen Ort erfolgt ist, aber weder aus den Urteilsfeststellungen noch sonst ersichtlich ist, dass die Ermittlungsbehörden wegen der vorgetäuschten Sachdarstellung zu unnötigen und aufwändigen (Mehr-)Ermittlungen veranlasst wurden.

3. Erfolgen im Rahmen der Falschanzeige nicht nur falsche Angaben zur angezeigten Tat, sondern auch zu den persönlichen Verhältnissen und begründen diese gegen den Anzeigeerstatter den Verdacht des Missbrauchs von Berufsbezeichnungen (§ 132a Abs. 1 Nr. 2 StGB), so gebietet es die tatrichterliche Kognitionspflicht, die lediglich wegen Vortäuschens einer Straftat (§ 145d StGB) erhobene und zugelassene Anklage ohne Rücksicht auf die in Anklage und Eröffnungsbeschluss zugrunde gelegte rechtliche Bewertung zu erschöpfen, d.h. die den Untersuchungsgegenstand bildende angeklagte Tat im prozessualen Sinne restlos nach allen tatsächlichen und denkbaren rechtlichen Gesichtspunkten, mithin auch im Hinblick auf eine Strafbarkeit wegen Missbrauchs von Berufsbezeichnungen aufzuklären und gegebenenfalls abzuurteilen (st.Rspr.; u.a. Anschl. an BGH, Urt. v. 16.11.2017 – 3 StR 83/17 = NStZ-RR 2018, 75; 08.11.2016 – 1 StR 492/15 = NStZ-RR 2017, 352 und 12.07.2016 – 1 StR 595/15 = StV 2017, 87 = wistra 2017, 66 = NStZ 2017, 167). Denn zur Tat im prozessualen Sinne (§ 264 I StPO) gehört das gesamte Verhalten des Täters, soweit es nach der Lebensauffassung einen einheitlichen geschichtlichen Vorgang darstellt; darauf, dass bestimmte Umstände in der Anklageschrift keine ausdrückliche Erwähnung gefunden haben, kommt es deshalb nicht an.
145d I Nr. 1 StGB nicht.“