In der zweiten Entscheidung dem KG, Beschl. v. 11.07.2022 – 3 Ws 176/22 – 121 AR 134/22 – geht es um die Voraussetzungen eines Auskunftsverweigerungsrechts wegen einer früheren Aussage.
Ergangen ist die Entscheidung in einem Haftbeschwerdeverfahren. Dem Angeklagten wird vorgeworfen, gemeinschaftlich mit einem gesondert verfolgten und bereits abgeurteilten D. ein Vergehen der gefährlichen Körperverletzung zum Nachteil des C. begangen zu haben. Wegen dieses Vorwurfs ist Haftbefehl ergangen. Gegen den hat der Angeklagte Haftbeschwerde eingelegt. Das KG äußert sich im Rahmen seiner Ausführungen zum dringenden Tatverdacht zum Auskunftsverweigerungsrecht (§ 55 StPO) und Zeugnisverweigerungsrecht (§ 52 StPO) einer Zeugin:
„1. Der Angeklagte ist der vorgeworfenen Tat dringend verdächtig.
Nach dem gegenwärtigen Verfahrensstand ist noch davon auszugehen, dass der Angeklagte durch seine frühere Lebensgefährtin X. belastet wird. Die Zeugin hatte zunächst von einem (angeblich bestehenden) Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch gemacht, den Angeklagten aber schwer belastet, nachdem sie von diesem mit dem Tode bedroht worden war. Die hierbei geäußerten Bekundungen waren detailreich und nach vorläufiger Würdigung überzeugend und glaubhaft. Wegen des Inhalts der Zeugenaussage und ihrer Bewertung wird auf den dem Beschwerdeführer bekannten Senatsbeschluss vom 2. Mai 2022 (3 Ws 101/22) verwiesen.
Die Erklärung, die Rechtsanwalt B. unter dem 31. Mai 2022 als Bevollmächtigter der Zeugin abgegeben hat, ändert an dieser Bewertung nichts.
a) Unbehelflich ist zunächst die Ankündigung, die Zeugin werde vom Auskunftsverweigerungsrecht des § 55 StPO Gebrauch machen, weil der Rechtsanwalt „nicht ausschließen“ könne, „dass Frau X. in ihrer polizeilichen Vernehmung am 15. März 2022 nicht die Wahrheit mitgeteilt hat“.
Diese vagen Ausführungen sind ungeeignet, dem Senat die Überzeugung zu verschaffen, die Zeugin dürfe die Auskunft nach § 55 Abs. 1 StPO verweigern. Denn bloße, nicht durch konkrete Umstände belegte Vermutungen oder die rein denktheoretische Möglichkeit, eine frühere Aussage könne falsch gewesen sein, begründen keinen prozessual ausreichenden Anfangsverdacht für eine strafbare Handlung und folglich auch kein Auskunftsverweigerungsrecht nach § 55 StPO (vgl. BGH NStZ 1999, 415; OLG Hamm NStZ-RR 2015, 49; OLG Köln, Beschluss vom 4. März 2013 – 3 Ws 120/13 -, Beschluss 2013, 8021; OLG Koblenz, StV 1986, 474). Anderenfalls hätte es jeder Zeuge, der einen anderen zunächst be- oder entlastet hat, in der Hand, allein mit dem bloßen Einwand, die ursprüngliche Aussage könnte falsch gewesen sein, jede weitere Auskunft zu verweigern (vgl. Bader in Karlsruher Kommentar, StPO 8. Aufl., § 55 Rn. 9 [unter Hinweis auf BGH NStZ 1999, 415]). Die Aussage vom 15. März 2022, auf welche sich der Rechtsanwalt ausdrücklich bezieht, hat auch nur eine Stoßrichtung, sie belastet den Beschwerdeführer. Keineswegs macht der Rechtsanwalt geltend, die Zeugin habe sich angesichts sich widersprechender Aussagen notwendigerweise strafbar gemacht, weshalb sie nun gar nicht anders agieren könne, als sich zu belasten.
Prägnant und anschaulich formuliert die Staatsanwaltschaft in ihrer Stellungnahme auch, dass sich „die Angaben der Zeugin X. derart in das Ergebnis der Ermittlungen“ einfügen, „dass derzeit keine Anhaltspunkte dafür bestehen, dass der Zeugin ein Auskunftsverweigerungsrecht gemäß § 55 StPO zusteht“. Dem folgt der Senat.
b) Auch die Ankündigung des (Interessen-) Vertreters der Zeugin, diese werde ein „Zeugnisverweigerungsrecht nach § 52 StPO“ geltend machen, ist nicht geeignet, die bisherige Bewertung der Beweislage nachhaltig zu erschüttern. Die Ankündigung wird mit folgenden beiden Sätzen begründet:
„Darüber hinaus hat sie sich mit Herrn A. ausgesprochen. Man möchte nach der Haftentlassung nun doch wieder heiraten.“
aa) Die Formulierung, „man möchte nach der Haftentlassung nun doch wieder heiraten“, ist gänzlich unverbindlich und erfüllt die Voraussetzungen eines nach § 52 Abs. 1 Nr. 1 StPO bestehenden (und nach § 56 StPO auf Verlangen glaubhaft zu machenden) Verlöbnisses nicht.
aaa) Die Wahl des unpersönlichen Indefinitpronomens „man“ lässt bereits offen, ob es sich um einen Wunsch der Zeugin oder des Angeklagten handelt oder ob es um einen übereinstimmenden Wunsch geht.
bbb) Aber selbst wenn letzteres feststünde, wäre kein Verlöbnis dargelegt. Denn bei einem Verlöbnis handelt es sich um ein (nicht notwendig öffentliches) gegenseitiges und von beiden Seiten ernst gemeintes Eheversprechen (vgl. BGH NJW 1972, 1334). Die vom Rechtsanwalt gewählte Formulierung legt unter keinem Gesichtspunkt nahe, dass es hier um mehr als ein unverbindliches Anliegen geht. Die Unverbindlichkeit wird sprachlich noch dadurch gesteigert, dass ausgeführt wird, die Protagonisten wollten „nun doch wieder heiraten“, als ob der Verwender selbst nicht an die Richtigkeit der Bekundung glaubte, nachdem sich die Beteiligten mehrfach umentschieden hätten. Dass sich zwei Menschen ein ernsthaftes gegenseitiges Eheversprechen gegeben haben, ist der Formulierung jedenfalls nicht zu entnehmen.
ccc) Nicht befassen muss sich der Senat somit zum gegenwärtigen Zeitpunkt damit, ob es sich bei dem – behaupteten – Eheversprechen um eine wirksame und damit strafprozessual zu beachtende Vereinbarung handelt. Zweifel daran könnten sich dadurch ergeben, dass die Zeugin bekundet hat, der Angeklagte habe sie für den Fall einer belastenden Aussage mit dem Tode bedroht. In diesem Zusammenhang könnte auch zu prüfen sein, ob ein polizeilicher Vermerk vom 10. Juni 2022 Bedeutung erlangt. In diesem heißt es, eine Person, der Geheimhaltung zugesichert worden sei, habe angegeben, der Beschwerdeführer beabsichtige, die Zeugin X. zu töten. Dies könnte Zweifel daran begründen, dass die Zeugin ihren Wunsch zu heiraten freiwillig geäußert hat. Gleichzeitig entstünden Zweifel an der Ernstlichkeit des (möglicherweise) vom Angeklagten geäußerten Heiratswunsches.“