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OWi III: Fehlerhafte Zustellung führt zum Verjährungseintritt, oder: Erneut falsche Auslagenentscheidung

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Und dann noch eine – schon etwas ältere – Entscheidung, ebenfalls zur Verjährung, und zwar das AG Karlsruhe, Urt. v. 25.08.2023 – 6 OWi 260 Js 8092/23. Das AG hat in dem Urteil das Verfahren nach § 206a StPO eingestellt.

„Dem Verfahren liegt ein Rotlichtverstoß am 11.09.2022 um 132 Uhr in Karlsruhe auf der B 10 auf Höhe der Keßlerstraße in Richtung Kriegsstraße mit dem Pkw mit amtlichem Kennzeichen
zugrunde.Am 04.10.2022 übersandte die Bußgeldbehörde ein Informationsschreiben an die Betroffene unter der Anschrift Rue pp 28, Frankreich (As. 31). Nachdem dieses Informationsschreiben nicht als unzustellbar zurückgekommen und auch keine Antwort darauf eingegangen war, erließ die Bußgeldbehörde am 17.10.2022 einen Bußgeldbescheid gegen die Betroffene (As. 43), den sie an dieselbe Anschrift übersandte. Der Bußgeldbescheid kam weder als unzustellbar zurück, noch ging bis heute eine Zustellungsurkunde ein.

Mit Schreiben vom 27.10.2022 bestellte sich der Verteidiger der Betroffenen, legte gegen einen möglicherweise bereits erlassenen Bußgeldbescheid Einspruch ein und beantragte Akteneinsicht (As. 53). Eine Verteidigervollmacht war dem Schreiben nicht beigefügt und ist bis heute nicht zur Akte gelangt. Am 08.11.2022 wurde dem Verteidiger der Betroffenen Akteneinsicht durch über-sendung der Akte gewährt (As. 57) und am 14.11.2022 vom Verteidiger zurückgesandt (As. 67).

Die Bußgeldbehörde hat daraufhin als Zustellungsdatum des Bußgeldbescheids den 27.10.2022 vermerkt, da davon ausgegangen wurde, dass die Betroffene spätestens an dem Tag, als sich ein Verteidiger für sie bestellte. Kenntnis vorn Bußgeldbescheid erlangt haben müsste.

Mit Schriftsatz vorn 16.06.2023 (As. 233) beantragt der Verteidiger die Einstellung des Verfahrens mit der Begründung, dass Verfolgungsverjährung eingetreten sei. Er trägt vor, dass die Betroffene tatsächlich nicht in der Rue pp. 28, sondern in der Hausnummer 26 wohne, was auch durch eine entsprechende Meldebestätigung (As. 241) belegt wird. Eine wirksame Zustellung des Bußgeldbescheides an die Betroffene sei daher nie erfolgt. Diese habe ihn allein aufgrund des Informationsschreibens vorn 04.10.2022, das ihr von einer Nachbarin ausgehändigt worden sei, beauftragt, von einem Bußgeldbescheid habe sie keine Kenntnis erlangt.

II.

Das Verfahren war gemäß § 206a Abs 1 StPO einzustellen, da Verfolgungsverjährung eingetreten ist.

Nach § 26 Abs. 3 StVG beträgt die Verjährungsfrist für Ordnungswidrigkeiten nach § 24 Abs. 1 StVG drei Monate, solange wegen der Handlung weder ein Bußgeldbescheid erlassen ist noch öffentliche Klage erhoben worden ist, danach sechs Monate.

Die Ordnungswidrigkeit datiert vom 11.09.2022. Eine erste Unterbrechung der Verfolgungsverjährung erfolgte am 04.10.2022 durch Übersendung des Informationsschreibens an die Betroffene an die Anschrift Rue pp. 28, pp. Frankreich. Gemäß § 33 Abs. 1 Nr. 1 OWiG wird die Verjährung unterbrochen durch die erste Vernehmung des Betroffenen, die Bekanntgabe. dass gegen ihn ein Ermittlungsverfahren eingeleitet ist, oder die Anordnung der Vernehmung oder Bekanntgabe_ Die Versendung des Anhörungsbogens ist hierfür ausreichend (vgl. BeckOK OWiG/Gertler, 39. Ed. 1.7 2023, OWiG § 33 Rn. 47). Unerheblich ist, dass die Betroffene nie in der Hausnummer 28, sondern in der Hausnummer 26 wohnte, da zum einen die Bußgeldbehörde hierbei nicht missbräuchlich gehandelt hat (vgl. KK-OWiG/Ellbogen, 5. Aufl. 2018, OWiG § 33 Rn. 23) und zum anderen, da die Betroffene selbst eingeräumt hat, dass ihr das In-formationsschreiben von einer Nachbarin ausgehändigt wurde (As. 233).

Eine weitere Verjährungunterbrechung insbesondere durch Erlass des Bußgeldbescheides oder dessen Zustellung nach § 33 Abs. 1 Nr. 9 OWiG ist nicht erfolgt. Es kann nicht festgestellt werden, dass der Bußgeldbescheid der Betroffenen zur Kenntnis gelangt ist. Die Betroffene war unter der Hausnummer, an welche der Bußgeldbescheid versandt wurde, nachweislich der Meldebescheinigung (As. 241) nicht wohnhaft. Eine Zustellungsurkunde ist nie zur Akte gelangt. Es kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass der Betroffenen alle Post von ihren Nachbarn weitergereicht wurde, nur weil sie das Informationsschreiben erreicht hat. Eine Terminsladung kam beispielsweise als unzustellbar zurück (As. 227). Es kann auch nicht – wie es aber die Bußgeldbehörde vermerkte – ohne Weiteres davon ausgegangen werden, dass der Bußgeldbescheid die Betroffene spätestens am 27.10.2022 erreicht haben muss. weil an diesem Tag ein Verteidiger sich für die Betroffene gegenüber der Bußgeldbehörde bestellt hat. In dem Verteidigerschreiben wird ausdrücklich nur gegen einen möglicherweise bereits ergangenen Bußgeldbescheid Einspruch eingelegt. Es ist damit ebenso möglich, dass die Betroffene den Verteidiger bereits aufgrund des erhaltenen Informationsschreibens beauftragt hat. Ein Rückschluss darauf, dass die Betroffene auch der Bußgeldbescheid erreicht haben muss, kann nicht gezogen werden.

Schließlich ist auch keine Heilung der Zustellung durch die Gewährung von Akteneinsicht an den Verteidiger erfolgt. Zwar erfolgte die Gewährung der Akteneinsicht an den Verteidiger mit Über-sendung der Akte am 08.11.2022 und Rücksendung am 14.11.2022 vor Eintritt der Verfolgungs-verjährung und kann grundsätzlich – wie auch von der Staatsanwaltschaft eingewandt (As. 245) ¬eine zunächst unwirksame Zustellung heilen (vgl. OLG Hamm BeckRS 2017, 122300, BeckOK OWiG/Gertler, 39. Ed. 1.7.2023, OWiG § 33 Rn. 118). Im dem Fall des OLG Hamm war der Verteidiger jedoch Empfangsberechtigter und die Bußgeldbehörde hatte einen erkennbaren Zustellungswillen, den Bußgeldbescheid an den Verteidiger als Empfangsberechtigten zuzustellen. In hiesigem Verfahren ist aber gerade keine Vollmacht des Verteidigers zu den Akten gelangt – weder eine Zustellungsvollmacht noch eine sonstige Vertretungsvollmacht. Die Bußgeldbehörde wollte auch nicht an den Verteidiger. sondern an die Betroffene selbst zustellen. Für diesen Fall ist nach ganz überwiegender Rechtsprechung eine Heilung der Zustellung nicht anzunehmen (vgl. OLG Celle. Beschluss vom 30. 8. 2011 – 311 SsRs 126/11, NZV 2012, 45, beck-online; OLG Stuttgart, Beschl. v. 10. 10. 2013 – 4 a Ss 428/13, NZV 2014, 186, beck-online). Insbesondere hat das OLG Karlsruhe ausdrücklich entschieden, dass eine Heilung der Zustellung dann nicht erfolgen kann, wenn der Verteidiger nicht bevollmächtigt ist, Zustellungen für den Betroffenen entgegenzunehmen (vgl. OLG Karlsruhe Beschl. v. 29.10.2020 – 2 Rb 35 Ss 618/20, BeckRS 2020. 34187, beck-online).

Da die Gewährung von Akteneinsicht an den nicht bevollmächtigten Verteidiger die fehlende Zu-stellung an die Betroffene damit nicht heilen konnte, hat der Erlass des Bußgeldbescheides man-gels wirksamer Zustellung die Verjährung nicht unterbrochen. Einzige Verjährungsunterbrechung war daher die Übersendung des Informationsschreibens an die Betroffene am 04.10.2022, weshalb zum 04.01.2023 Verjährung eingetreten ist.“

Soweit so gut, so richtig. Aber dann die Auslagenentscheidung. Das AG hat entschieden, dass die Betroffene ihre notwendigen Auslagen selbst zu tragen hat, und hat das wie folgt begründet: „Unter Würdigung aller entscheidungserheblichen Umstände des Einzelfalls wird daher davon abgesehen, die notwendigen Auslagen der Betroffenen der Staatskasse aufzuerlegen.“ Das reicht m.E. nicht nur nicht, sondern ist falsch. Dazu verweise ich auf die Anmerkung zum im AG Augsburg, Beschl. v. 26.07.2024 – 45 OWi 605 Js 107352/24  (vgl. dazu OWi II: Einstellung in der HV wegen Verjährung, oder: Auslagenentscheidung man wieder nicht begründet). Der Fehler liegt/lag doch nicht bei der Betroffenen.

Keine Auslagenerstattung wegen „Rechtsmissbrauch“?, oder: LG Baden-Baden irrt gewaltig/hat keine Ahnung

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Und dann noch der Gebührentag. Heute zunächst der Aufreger des Tages – jedenfalls für mich. Es handelt sich um den LG Baden-Baden, Beschl. v. 04.10.2023 – 2 Qs 93/23. In ihm zeigt mal wieder ein LG (!!), dass es nicht weiß, was ein Verteidiger nicht tun darf und auch nicht tun muss.

Gegen den Betroffenen war ein Bußgeldverfahren wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung anhängig. Das ist dann vom AG wegen Eintritt der Verfolgungsverjährung – nicht ordnungsgemäße Zustellung des Bußgeldbescheides  – eingestellt worden. Die notwendigen Auslagen des Betroffenen werde nicht der Staatskasse auferlegt. Und das hält beim LG – mit einer m.E. in „eilen abenteuerlichen Begründung:

„……

Die insoweit in der angefochtenen Entscheidung unter Berücksichtigung des Akteninhalts vorgenommene, tatrichterliche Bewertung des Amtsgerichts ist tragfähig und aus Sicht der Beschwerdekammer nach eigener Prüfung mit Blick auf das vom Fahrzeuglenker gefertigten Foto nach Ab-gleich mit dem Lichtbild des Betroffenen nicht zu beanstanden. Soweit der Beschwerdeführer behauptet, die Verteidigung habe _Fragen an einer ordnungsgemäßen Messung aufgeworfen“, trifft dies nicht zu; mit Verteidigerschriftsatz vom 11.01.2023 (AS. 49) wurde lediglich Einsicht in Wartungs- und Eichnachweise des Messgeräts, in die digitalen Falldatensätze der gesamten Messreihe u. s. w. beantragt, ohne zu diesem Zeitpunkt oder später Einwendungen gegen den Messungsvorgang geltend zu machen.

Wegen dieses verbleibenden Tatverdachts. mit dem in Ansehung der Unschuldsvermutung keine Schuldzuweisung verbunden ist, kann vier demnach ein Auslagenersatz versagt werden.

Auch sonstige Ermessensgesichtspunkte geben keinen Anlass zu einer gegenteiligen Entscheidung. Der vom Beschwerdeführer geltend gemachte „Ermessensfehler“ der Bußgeldbehörde. die trotz seiner telefonischen Mitteilung vom 1 4 04.2023. dass die Angelegenheit wegen einer fehlerhaften Zustellung verjährt sei, dennoch das Verfahren nicht eingestellt. sondern an das Gericht weitergegeben und damit Kosten „mutwillig provoziert“ habe, dringt nicht entscheidend durch. Unabhängig vom Bestand einer gesetzlichen Zustellungsvollmacht im Sinne von § 51 Abs. 3 S. 1 OWiG, die, wovon das Amtsgericht hier ausgegangen ist, mangels Aktenkundigkeit der Verteidigerstellung durch eine sich in den Akten befindliche Vollmachtsurkunde zum Zeitpunkt der Zustellung des Bußgeldbescheides nicht vorgelegen nat. und unter Verneinung einer rechtsgeschäftlichen Zustellungsvollmacht (a.A im Hinblick auf das Verbot widersprüchlichen Verhaltens -KK-OWiG/Lampe, 5. Aufl. 2018. § 51 Rn 85a) ist durch die Verteidigung des Betroffenen indes der Anschein einer solchen rechtsgeschäftlichen Bevollmächtigung gesetzt worden. Der Verteidiger hat nämlich nicht nur mit Schriftsatz vom 11 01 2023 (AS 49) die „anwaltliche Verteidigung“ des Betroffenen angezeigt, seine „ordnungsgemäße Beauftragung“ zur Verteidigung anwaltlich versichert und vollständige Akteneinsicht beantragt, sondern sich den Bußgeldbescheid der Stadt Rastatt vom 01.02.2023 (AS. 57) unbeanstandet zustellen lassen und gegen diesen auch noch mit Schriftsatz vom 10.02.2023 (AS 77) Einspruch eingelegt ohne eine vermeintlich fehlerhafte bzw. unwirksame Zustellung zu erwähnen. und. nachdem ausreichend verjährungsrelevante Zeit verstrichen war den Verjährungseinwand unter Berufung auf eine fehlerhafte Zustellung erhoben Auch wenn sich dieses Verhalten des Verteidigers noch im Rahmen einer zulässigen Verteidigung bewegt haben sollte, ist jedenfalls zu konstatieren. dass er der Bußgeldbehörde erfolgreich diese – seit langem bekannte – „Verjährungsfalle“ gestellt und bei ihr eine irrige Annahme über das Vorliegen seiner Zustellungsvollmacht hat fortbestehen lassen, ohne eine in diesem Punkt erkannte Unwirksamkeit der Zustellung des Bußgeldbescheides bis zu dem vom Amtsgericht Rastatt schließlich festgestellten Verjährungseintritt zu offenbaren.

Unter diesen Umständen ist es auch unter Billigkeitsgesichtspunkten nach pflichtgemäßem richterlichen Ermessen sachgerecht, dass der Betroffene seine notwendigen Auslagen gemäß der genannten Regelung des § 467 Abs 3 S 2 Nr. 2 StPO selbst zu tragen hat.“

Ich kann nur ärgerlich den Kopf schütteln, wenn ich so etwas lese. Denn Bedenken kann man schon wegen des (angeblich) fortbestehenden hinreichenden Tatverdachts haben. Die Entscheidung ist hinsichtlich der Ausführungen des LG zur Billigkeit sicherlich falsch.

1. Zum hinreichenden Tatverdacht kann man schon Bedenken haben, ob die von obergerichtlichen Rechtsprechung geforderte „Schuldspruchreife“ (vgl. dazu Burhoff in. Burhoff (Hrsg.), Handbuch für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren, 9. Aufl., 2022, Rn 779 ff. mit weiteren Nachweisen) vorgelegen hat. Denn mehr als das vom Vorfall gefertigte Lichtbild hat zur „Überführung“ des Betroffenen nicht vorlegen (vgl. jüngst LG Trier, Beschl. v. 30.5.2023 – 1 Qs 24/23, AGS 2023, 364; AG Büdingen, Beschl. v. 30.5.2023 – 60 OWi 48/23, AGS 2023, 362). Hier scheint dann doch das “Regle-Ausnahme-Verhältnis” verkannt worden zu sein.

2. Falsch ist m.E. die Entscheidung aber auf jeden Fall hinsichtlich der „Verjährungsfalle“. Das LG argumentiert hier widersprüchlich. Denn einerseits geht es davon aus, dass sich das „Verhalten des Verteidigers noch im Rahmen einer zulässigen Verteidigung bewegt haben soll(te)“, andererseits nimmt es aber Rechtmissbrauch an, weil der Verteidiger eine „Verjährungsfalle“ aufgebaut habe. Das ist nicht nachvollziehbar. Denn „Rechtsmissbrauch“ liegt – entgegen der Auffassung des LG – nicht vor. Ich habe bereits in der Anmerkung zum AG Freiburg, Beschl. v. 10.5.2023 – 76 OWi 48/23 darauf hingewiesen, dass der Verteidiger nicht verpflichtet ist, den Eintritt der Verfolgungsverjährung zu verhindern, sondern er grundsätzlich alles tun darf, was zu einem für seinen Mandanten günstigen Ergebnis führt (so auch LG Freiburg im das AG Freiburg aufhebenden LG Freiburg, Beschl. v. 21.8.2023 – 16 Qs 30/23. Und dazu gehört auch, dass eben eine Vollmacht nicht vorgelegt wird, weil sie nicht vorgelegt werden muss (zur Vollmacht Burhoff, a.a.O., Rn 5026 ff.). Wenn dann die Verwaltungsbehörde trotz nicht geklärter Vollmachtsfragen dann dennoch beim Verteidiger zustellt, ist das „Dummheit“ der Verwaltungsbehörde und kein Rechtsmissbrauch des Verteidigers, der dann mit der Versagung der Auslagenerstattung zu Lasten des Betroffenen sanktioniert wird. Wobei sich dann noch zusätzlich die Frage stellt, inwieweit dieses (angebliche) Fehlverhalten des Verteidigers überhaupt dem Betroffenen zugerechnet werden kann. Denn es handelt sich bei dem Anspruch um einen Auslagenerstattungsanspruch des Betroffenen, nicht um einen des Verteidigers. Aber das hat man beim LG dann lieber doch übersehen.