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Der StA gefällt die Eröffnungsentscheidung nicht, oder: Beschwerde zulässig?

Und zum Schluss des Tages weise ich dann noch hin auf den LG Bielefeld, Beschl. v. 25.04.2019 – 3 Qs 123/19, den mir der Kollege Brüntruo aus Minden vor einiger Zeit geschickt hat.

Es geht um ein BTM-Verfahren gegen einen Jugendlichen, in dem die StA mit der Eröffnungsentscheidung des Jugendschöffengericht nicht einverstanden war und dagegen Beschwerde eingelegt hat. Damit ist sie dann aber gescheitert:

„Die Beschwerde ist teilweise schon unzulässig und im Übrigen unbegründet.

Soweit sich die Staatsanwaltschaft gegen die Eröffnung mit einer abweichenden rechtlichen Qualifizierung der Tat zu Ziffer 2 der Anklageschrift wendet, ist die Beschwerde unzulässig. Es liegt keine teilweise Ablehnung der Eröffnung des Hauptverfahrens und mithin kein Fall des § 210 Abs. 2, 1. Alt. StPO vor. Eine solche teilweise Ablehnung kann nur wirksam bezüglich einer im verfahrensrechtlichen Sinne selbstständigen Tat ergehen (vgl.. LG Zweibrücken, BeckRS 2013, 3688). Das Amtsgericht hat vorliegend die Anklage lediglich mit einer abweichenden rechtlichen Würdigung zugelassen. In diesen Fällen besteht kein Beschwerderecht der Staatsanwaltschaft, da es sich nur um eine vorläufige Tatbewertung handelt und die Staatsanwaltschaft — sollte es bei der abweichenden Würdigung bleiben — ihren abweichenden Standpunkt in der Hauptverhandlung und eventuell mittels einer Berufung oder Revision geltend machen kann (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 61. Aufl., § 210, Rn. 5; OLG München NStZ 1986, 183).

Soweit sich die Beschwerde auch — wovon die Kammer ausgeht — gegen die Eröffnung des Verfahrens vor dem Amtsgericht — Jugendrichter — Rahden wendet, ist sie zwar zulässig, in der Sache aber unbegründet.

Auch wenn in der Beschwerdebegründung die Eröffnung des Verfahrens vor dem Jugendrichter nicht explizit erwähnt wird, geht die Kammer davon aus, dass mit der Beschwerde auch diese Entscheidung angegriffen werden soll. Eine abweichende Beschränkung enthält die Beschwerdebegründung nicht. Zudem kann das jeweilige Delikt auch im Jugendstrafrecht Auswirkungen auf die für die Zuständigkeit maßgebliche, zu erwartende Strafe haben.

In der Sache ist die Beschwerde jedoch insoweit unbegründet. Das Amtsgericht ­Jugendschöffengericht – Minden hat das Verfahren zu Recht vor dem Jugendrichter eröffnet. Dieser ist gemäß § 39 JGG zuständig, Soweit eine Anklage beim Jugendschöffengericht erhoben wurde, handelt es sich trotz des der Staatsanwaltschaft zustehenden Beurteilungsspielraums um eine in vollem Umfang überprüfbare Prognoseentscheidung. Diese führt vorliegend aus Sicht der Kammer zu einer Zuständigkeit des Jugendrichters.

Gemäß § 39 Abs. 1 JGG ist der Jugendrichter für Verfehlungen Jugendlicher zuständig, wenn nur Erziehungsmaßregeln, Zuchtmittel oder zulässig Nebenstrafen und Folgen oder die Entziehung der Fahrerlaubnis zu erwarten sind. § 39 JGG gilt auch für Heranwachsende, soweit die Anwendung von Jugendstrafrecht zu erwarten ist. Dies ist hier der Fall. Der Angeklagte war zu den Zeitpunkten der ihm zur Last gelegten Taten 19 Jahre und 9-Monate bzw. 19 Jahre und 11 Monate-alt. Nach dem Bericht der Jugendgerichtshilfe dürfte bei ihm vom Vorliegen von Reifeverzögerungen auszugehen sein. Zwar war der Angeklagte nach dem Bericht in seiner Schulzeit vielfach auf sich alleine gestellt. Auch nachdem er bei seinem Vater eingezogen war, hatte dieser wohl wenig Zeit für ihn und wollte, dass sein Sohn schnell selbstständig und erwachsen wird, Dies steht jedoch Reifeverzögerungen vorliegend nicht entgegen. Der Angeklagte wohnte zu den Tatzeitpunkten – genau wie aktuell auch – noch bei seinem Vater und traut sich ein Leben in einem eigenen Haushalt derzeit nicht zu. Zum Zeitpunkt der ihm zur Last gelegten Taten absolvierte er ein freiwilliges soziales Jahr. Seine Ausbildung hatte er noch nicht begonnen. Mithin hatte er zum Tatzeitpunkt weder seine Lebensführung verselbstständigt, noch den zur erfolgreichen Sozialisation erforderlichen beruflichen Standort gefunden.

Es sind ferner für den Angeklagten nur Erziehungsmaßregeln, Zuchtmittel oder zulässig Nebenstrafen und Folgen zu erwarten. Eine Jugendstrafe kommt nicht in Betracht. Dabei kommt es vorliegend nicht darauf an, ob der Angeklagte sich nach dem bisherigen Ergebnis der Ermittlungen im Hinblick auf den Vorwurf zu Ziffer 2 der Anklageschrift wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln oder unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge strafbar gemacht hat. Dies kann mithin dahinstehen. Unabhängig von dem Delikt liegen beim Angeklagten nach dem bisherigen Ergebnis der Ermittlungen weder schädliche Neigungen vor, noch ist die Schwere der Schuld zu bejahen. Der Angeklagte ist strafrechtlich bisher nicht in Erscheinung getreten. Ihm werden lediglich zwei Delikte zur Last gelegt, wobei eines dieser Delikte den Erwerb von Marihuana zum Eigenkonsum betrifft. Auch im Hinblick auf den Vorwurf zu Ziffer 2 der Anklage ist unabhängig von der Frage, ob die nicht geringe Menge erreicht wird oder nicht, von einer eher überschaubaren Gesamtmenge und mithin Handelstätigkeit auszugehen.“

Nichteröffnung des Verfahrens –> Wiederaufnahme, oder: Was sind neue Tatsachen?

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In der Praxis kommt es immer wieder zu der Konstellation, ob nach einer Nichteröffnungsentscheidung das Verfahren nach § 211 StPO „wieder aufgenommen“ werden kann/darf. Mit der Frage befasst sich der BGH, Beschl. v. 01.12.2016 – 3 StR 230/16; der war mir bislang durchgegangen. Die Frage ist natürlich für den Angeschuldigten von erheblichem Interesse, denn der geht ja aufgrund der Ablehnung der Eröffnung davon aus, dass das Verfahren für ihn entgültig erledigt ist.

Der BGH meint zu der Problematik und zu dem, was „neu“ i.S. des § 211 StPO ist und wie man mit einem Beweisverwertungsverbot umgehen muss:

„b) Die Überprüfung des Eröffnungsbeschlusses in dem Zweitverfahren ist auf der Grundlage des zum Zeitpunkt der Eröffnung vorliegenden Akteninhalts vorzunehmen. Bei der Eröffnungsentscheidung handelt es sich auch im Fall des § 211 StPO um eine vorläufige Tatbewertung anhand der dem Gericht vorliegenden Akten, die nicht im Nachhinein deshalb unrichtig wird, weil sich das Wahrscheinlichkeitsurteil nach dem Ergebnis der Hauptverhandlung nicht bestätigt. Hat das Eröffnungsgericht dieses Wahrscheinlichkeitsurteil ohne Rechtsverstoß getroffen, bleibt die besondere Prozessvoraussetzung für das neue Verfahren daher bestehen (vgl. LR/Stuckenberg aaO, Rn. 25, 29; ferner KK-Schneider aaO; MüKoStPO/Wenske aaO, Rn. 31, 51 f.).

c) Prüfungsmaßstab für das Revisionsgericht ist die Frage, ob die Tatsachen oder Beweismittel für das eröffnende Gericht im Sinne des § 211 StPO neu und erheblich gewesen sind. Als neu sind sie zu bewerten, wenn sie dem Gericht, das die Eröffnung zuvor abgelehnt hatte, aus den Akten nicht ersichtlich waren (vgl. MüKoStPO/Wenske aaO, Rn. 20; LR/Stuckenberg aaO, Rn. 11; KK-Schneider aaO, Rn. 4). Sie sind dann erheblich, wenn sie vom Standpunkt des eröffnenden Gerichts aus geeignet gewesen sind, allein oder im Zusammenwirken mit den übrigen, dem Erstgericht schon bekannt gewesenen Tatsachen und Beweismitteln die Frage nach dem Vorliegen eines hinreichenden Tatverdachts im Sinne des § 203 StPO nunmehr anders zu beurteilen als bisher (vgl. BGH, Urteil vom 18. Januar 1963 – 4 StR 385/62, NJW 1963, 1019, 1020; OLG Frankfurt, Beschluss vom 23. November 2001 – 3 Ws 662/01, NStZ-RR 2002, 78; KK-Schneider aaO, Rn. 5; LR/Stuckenberg aaO, Rn. 12; MüKo-StPO/Wenske aaO, Rn. 23).

aa) Bei dieser Prüfung hat ein mögliches Beweisverwertungsverbot nicht schon deswegen außer Betracht zu bleiben, weil – so Formulierungen in einigen Entscheidungen des Bundesgerichtshofs (vgl. Urteile vom 28. Oktober 1986 – 1 StR 507/86, NStZ 1987, 132, 133; vom 12. Januar 1996 – 5 StR 756/94, BGHSt 42, 15, 22; vom 19. März 1996 – 1 StR 497/95, NJW 1996, 2239, 2241 [insoweit in BGHSt 42, 86 nicht abgedruckt]; ähnlich Beschluss vom 11. Juli 2008 – 5 StR 202/08, NStZ 2008, 643; s. andererseits – „Rügepräklusion“ infolge Nichtausübung eines „prozessualen Gestaltungsrechts“ – Beschlüsse vom 9. November 2005 – 1 StR 447/05, NJW 2006, 707; vom 20. Oktober 2014 – 5 StR 176/14, BGHSt 60, 38, 43 f.; vom 27. September 2016 – 4 StR 263/16, juris) – bereits dessen Entstehung von einem hierauf bezogenen rechtzeitigen Widerspruch des Angeklagten in der Hauptverhandlung abhängig wäre. Strenggenommen bedeutete dies, dass das Verwertungsverbot zum Zeitpunkt der Eröffnungsentscheidung noch gar nicht bestanden haben könnte (zur Unbeachtlichkeit des vor der Hauptverhandlung erklärten Widerspruchs s. BGH, Beschluss vom 17. Juni 1997 – 4 StR 243/97, NStZ 1997, 502 f.). Eine solche Schlussfolgerung ist indes ersichtlich noch nicht gezogen worden. Vielmehr wird allgemein davon ausgegangen, dass bei der Prüfung des hinreichenden Tatverdachts im Rahmen der Eröffnungsentscheidung mögliche Beweisverwertungsverbote zu berücksichtigen sind, weil für die Verurteilungswahrscheinlichkeit nicht nur der materielle Verdachtsgrad, sondern auch die tatsächliche Be-weisbarkeitsprognose gegeben sein muss (auf das Problem eingehend – soweit ersichtlich – nur MüKoStPO/Wenske, § 203 Rn. 30 f.; vgl. auch LR/Stuckenberg aaO, § 203 Rn. 15; KK-Schneider aaO, § 203 Rn. 7). Es kann nicht zweifelhaft sein, dass Verwertungsverbote bereits durch den jeweiligen Gesetzesverstoß, nicht erst durch ein Untätigbleiben in der Hauptverhandlung begründet werden und bei der Eröffnungsentscheidung unabhängig von einer Beanstandung durch den Angeschuldigten von Amts wegen zu beachten sind (vgl. BVerfG, Urteil vom 3. März 2004 – 1 BvR 2378/98, 1 BvR 1084/99, NJW 2004, 999, 1007; BGH, Beschlüsse vom 4. April 1990 – StB 5/90, BGHSt 36, 396; vom 15. Mai 2008 – StB 4 und 5/08, NStZ 2008, 643; Becker, Referat zum 67. DJT, 2008, S. L 45, 55 f. mwN; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 59. Aufl., § 203 Rn. 2).“

Oft übersehen – es gibt keine „reduzierte Eröffnungsentscheidung“

In der Praxis wird es häufig übersehen, dass es keine „reduzierte Eröffnungsentscheidung“, d.h., dass bei der Strafkammer immer drei Berufsrichter über die Eröffnung des Hauptverfahrens entscheiden müssen. Und zwar auch dann, wenn die Strafkammer in der Hauptverhandlung nach § 76 Abs. 2 GVG nur mit zwei Berufsrichtern besetzt ist. Soll dann in der Hauptverhandlung eine Eröffnungsentscheidung nachgeholt oder bei einer hinzuverbundenen Sache getroffenen werden, muss der dritte Berufsrichter mitentscheiden. Dazu jetzt noch einmal der BGH, Beschl. v.07.09.2011 – 1 StR 388/11, in dem es kurz und knapp heißt:

Die Strafkammer hat über die Eröffnung nicht in der dafür gesetzlich vor-gesehenen Besetzung entschieden. Entsprechend dem Eröffnungs- und Besetzungsbeschluss vom 22. Juli 2010 und 23. Dezember 2010 in den anhängigen und verbundenen Verfahren war die Strafkammer in der Hauptverhandlung gemäß § 76 Abs. 2 Satz 1 GVG mit zwei Berufsrichtern besetzt. Wird eine zunächst  unterbliebene Entscheidung über die Eröffnung des Hauptverfahrens in der Hauptverhandlung nachgeholt, so entscheidet darüber aber beim Landgericht auch dann die Große Strafkammer in ihrer Besetzung außerhalb der Hauptverhandlung mit drei Berufsrichtern ohne Mitwirkung der Schöffen, wenn die Kammer die Hauptverhandlung in reduzierter Besetzung durchführt (vgl. BGH, Beschluss vom 2. November 2005 – 4 StR 418/05 -; Beschluss vom 25. Februar 2010 – 4 StR 596/09 -; Beschluss vom 22. Juni 2010 – 4 StR 216/10 -). Damit besteht ein von Amts wegen zu beachtendes Verfahrenshindernis, welches insoweit zur Verfahrenseinstellung führt (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 54. Auflage, § 203 Rdnr. 4).“

Wie man sieht, ist das Rechtsprechung des BGH schon seit 2005. Sollte inzwischen bei den Landgerichten angekommen sein. Ist es aber wohl – wie man ebenfalls sieht – nicht.