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Das Mobiltelefon bringt das Faß zum Überlaufen, oder: Fahrerlaubnis weg

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Mit der Entziehung der Fahrerlaubnis nach dem (neuen) FABS nach „Punkteumstellung“ befasst sich der VGH Kassel, Beschl. v. 01.09.2016 – 2 B 2192/16. Die Verwaltungsbehörde hatte das Vorliegen der Voraussetzungen für den Entzug der Fahrerlaubnis nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 3 StVG i. d. F. v. 28.11.2014 bejaht. Danach gilt der Inhaber einer Fahrerlaubnis als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen und ist ihm daher die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn bezüglich seiner Person 8 oder mehr Punkte nach dem Fahreignungs-Bewertungssystem im Fahreignungsregister eingetragen sind. Die acht Punkte ergaben sich aus der Umstellung alter Punkte aus dem VZR. Dort hatte der betroffene Fahrerlaubnisinhaber 17 Punkte angesammelt, die ergaben 7 Punkte nach neuem Recht. Dazu kam dann ein Punkt nach neuem Recht; es war ein Verstoß gegen § 23 Abs. 1a StVO – Mobiltelefon -, der das Faß zum Überlaufen gebracht hat, und damit waren es 8 Punkte und genug für die Entziehung der Fahrerlaubnis. Der betroffene Fahrerlaubnisinhaber hatte im Verfahren dann geltend gemacht, er hätte vorher – noch einmal – ermahnt und verwarnt werden müssen. Der VGH sagt: Nein:

„Entgegen der Rechtsauffassung des Beschwerdeführers ergibt sich aus den gesetzlichen Regelungen des § 4 Abs. 5 StVG i. V. m. § 65 StVG nicht, dass erneut eine Ermahnung (§ 4 Abs. 5 Nr. 1 StVG) oder eine Verwarnung (§ 4 Abs. 5 Nr. 2 StVG) vor dem Entzug der Fahrerlaubnis hätte ausgesprochen werden müssen, weil der Beschwerdeführer bereits unter dem Regime des alten Punktesystems sowohl am 23. August als auch am 24. Juli 2013 nach § 4 Abs. 3 Nr. 1 und 2 StVG i. d. F. v. 2. Dezember 2010 verwarnt worden war. § 65 Abs. 3 Nr. 4 Satz 2 StVG bestimmt ausdrücklich, dass die am 1. Mai 2014 erreichte Stufe für Maßnahmen nach dem Fahreignungs-Bewertungssystem zugrunde zu legen ist. Nach § 65 Abs. 3 Nr. 4 Satz 3 StVG führt die Einordnung nach § 65 Abs. 3 Nr. 4 Satz 1 StVG allein nicht zu einer Maßnahme nach dem Fahreignungs-Bewertungssystem.

Mit der Neufassung der entsprechenden gesetzlichen Regelung hat sich der Gesetzgeber bewusst von den Erwägungen des Bundesverwaltungsgerichts in seinem Urteil vom 25. September 2008 – 3 C/07 – abgesetzt und zum neuen Tattagprinzip bekannt (vgl. BT-Drs. 18/2775, S. 9). Es soll nach dem Fahreignungs-Bewertungssystem nicht mehr darauf ankommen, dass eine Maßnahme den Betroffenen vor der Begehung weiterer Verstöße erreicht und ihm die Möglichkeit zur Verhaltensänderung einräumt, bevor es zu weiteren Maßnahmen kommen darf, sondern es soll Verkehrssicherheitsgesichtspunkten und dem Ziel, die Allgemeinheit vor ungeeigneten Fahrern zu schützen, der Vorrang eingeräumt werden (BT – Drs. 18/2775, S. 9f.). Insbesondere bei Konstellationen, in denen in kurzer Zeit wiederholt und schwer gegen Verkehrsregeln verstoßen wurde, soll in der Abwägung mit dem Sicherheitsinteresse der Allgemeinheit nicht über bestimmte Verkehrsverstöße hinweggesehen werden (vgl. BayVGH, Beschluss vom 10. Juni 2015 – 11 CS 15.745 -, juris Rdnr. 20; Sächsisches OVG, Beschlüsse 7. Juli 2015 – 3 B 118 -, juris und vom 18.06.2015 – 3 B 153/15 -, juris). Wie der Bayerische Verwaltungsgerichtshof und das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen zutreffend feststellen, führt die bloße Überführung des alten Punktesystems in das neue Fahreignungs-Bewertungssystem zum 1. Mai 2014 bei Ermittlung eines entsprechenden Punktestandes nicht dazu, dass die Fahrerlaubnisbehörde eine Verwarnung nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 StVG n. F. hätte aussprechen müssen (vgl. hierzu BayVGH, Beschluss vom 7.4.2016 – 11 CS 16.338 -, NZV 2016, S. 395 (396); OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 07. Mai 2015 – 16 B 205/15 -, juris;). Ist eine Maßnahme der 1. Stufe (Ermahnung, bzw. 1. Verwarnung nach altem Recht) oder der 2. Stufe (Verwarnung, bzw. 2. Verwarnung nach altem Recht) in der Vergangenheit bereits getroffen worden, werden durch eine Änderung des Punktestandes innerhalb einer Stufe keine neuen Maßnahmen veranlasst. Dies gilt selbst dann, wenn die Stufe schon unter der alten Rechtslage erreicht wurde und nur die Umrechnung des Punktestandes zur Einordnung in die Stufe nach der neuen Rechtslage führte. Denn es ist kein Grund ersichtlich, warum ein solcher Fahrerlaubnisinhaber im Gegensatz zu den Verkehrsteilnehmern, die die Maßnahmenstufen vollständig vor oder nach der Rechtsänderung durchlaufen, ein drittes Mal auf sein Fehlverhalten hingewiesen werden müsste, um eine Änderung seines Fahrverhaltens herbeizuführen (vgl. BayVGH a.a.O.).“

Tja, im Grunde genommen: Kleine Dinge – große Wirkung…

Alte Sünden, oder: Altes Recht bricht neues Recht

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Nach dem VG Freiburg, Beschl. v. 28.7.2016 – 4 K 1916/16 (dazu: „Standfest“ bzw. „handfester Beweis“, oder: Wo ist die (Viagra)Tablette?) eine weitere Entscheidung aus dem Fahrerlaubnisrecht, und zwar das schon etwas ältere VG Karlsruhe, Urt. v. 29.01.2016 – 9 K 275/15, der sich mit dem Fahreignungs-Bewertungssystems (Stichwort: Punktereform 20149 befasst. Es geht um die Frage der Zulässigkeit einer Verwarnung nach neuem Recht (§ 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 StVG) in Zusammenhang mit Eintragungen nach altem Recht. Im Grunde genommen ein ganz einfacher 🙂 Sachverhalt: Das KFB benachrichtigt die Fahrerlaubnisbehörde mit Schreiben vom 29.02.2012, dass auf die Klägerin in das VZR acht Punkte eingetragen seien. Daraufhin spricht die Fahrerlaubnisbehörde mit Schreiben vom 21.03.2012 gegenüber der Klägerin eine Verwarnung gemäß §§ 4 Abs. 3 Nr. 1, Abs. 8 Satz 4 StVG a.F. i aus und wies sie auf die Möglichkeit der Teilnahme an einem Aufbauseminar hin. Nach dieser Verwarnung wird eine weiterer Verstoß in das VZR mit 3 Punkten eingetragen. Zum 01.05.2014 rechnete das KFB den bis dahin erreichten Punktestand von elf Punkten im VZR auf der Grundlage des § 65 Abs. 3 Nr. 4 StVG in der seit dem 01.05.2014 geltenden Fassung um und ordnete die Klägerin mit einem Punktestand von fünf Punkten in das neue Fahreignungs-Bewertungssystem (FABS) ein. Aufgrund eines weiteren Verkehrsverstoeßs ergeht dann eine weitere registerpflichtige Entscheidung mit einem Punkt. Die Fahrerlaubnisbehörde spricht jetzt eine Verwarnung nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 StVG in der ab dem 01.05.2014 geltenden Fassung aus und räumte der Klägerin die freiwillige Teilnahme an einem Fahreignungsseminar ein. Und darum streitet man jetzt in Zusammenhang mit  der erhobenen Gebühr in Höhe von 18,90 €.

Das VG sagt: Alles richtig. Denn: Eine Verwarnung nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 StVG in der seit dem 01.05.2014 geltenden Fassung (2. Stufe des Fahreignungs-Bewertungssystems) setzt nicht voraus, dass zuvor eine Ermahnung nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 StVG n.F. (1. Stufe des Fahreignungs-Bewertungssystems) ergangen ist, wenn der Betreffende bereits auf der 1. Stufe des früheren Punktsystems gemäß § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 StVG in der bis zum 30.04.2014 geltenden Fassung verwarnt worden ist. Dazu aus dem VG Karlsruhe, Urt. v. 29.01.2016 – 9 K 275/15:

„Der Verwarnung nach der 2. Stufe des Fahreignungs-Bewertungssystems gemäß § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 StVG steht – entgegen der Ansicht der Klägerin – auch nicht § 4 Abs. 6 Satz 1 StVG entgegen. Danach darf die Behörde eine Maßnahme nach Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 oder Nr. 3 StVG erst ergreifen, wenn die Maßnahme der jeweils davor liegenden Stufe nach Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 oder Nr. 2 bereits ergriffen worden ist. Sofern die Maßnahme der davor liegenden Stufe noch nicht ergriffen worden ist, ist diese zu ergreifen und der Punktestand verringert sich entsprechend (§ 4 Abs. 6 Satz 2 und 3 StVG). Zwar ist die Klägerin nicht gemäß § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 StVG in der seit dem 01.05.2014 geltenden Fassung nach dem neuen Fahreignungs-Bewertungssystem ermahnt worden. Jedoch wurde ihr gegenüber nach dem vor der Reform geltenden Punktsystem bereits die seinerzeit anwendbare Maßnahme der 1. Stufe, namentlich die Verwarnung nach § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 StVG a.F., ergriffen. Gemäß § 65 Abs. 3 Nr. 4 Satz 2 StVG n.F. wird die am 01.05.2014 erreichte Stufe für Maßnahmen nach dem (neuen) Fahreignungs-Bewertungssystem zugrunde gelegt. Daraus folgt, dass der Gesetzgeber bei der Umstellung auf das neue Fahreignungs-Bewertungssystem gerade nicht bezweckt hat, dass diejenigen Fahrerlaubnisinhaber, die bereits eine Maßnahmenstufe erreicht hatten, durch die Umstellung quasi auf die 1. Stufe „zurückfallen“ und alle zunächst nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 StVG n.F. ermahnt werden müssen. Jeder, der sich im bisherigen dreistufigen Punktsystem in einer Maßnahmenstufe befunden hat, wird in die entsprechende Maßnahmenstufe des neuen ebenfalls dreistufigen Fahreignungs-Bewertungssystems überführt und ausgehend von der bereits erreichten Stufe bei weiteren Zuwiderhandlungen und daraus folgendem Erreichen der jeweils nächsten Stufe behandelt (vgl. BT-Drucksache 17/12636 S. 50). Insoweit überlagern die Übergangsbestimmungen des § 65 Abs. 3 Nr. 4 StVG die Regelungen des § 4 Abs. 6 StVG jedenfalls in denjenigen Fällen, in denen nach altem Recht nicht nur punktemäßig eine Stufe des Punktsystems erreicht war, sondern die Fahrerlaubnisbehörde die Maßnahme der entsprechenden Stufe auch ergriffen hatte. So liegt der Fall auch hier, da die Klägerin bereits auf der 1. Stufe des alten Systems verwarnt worden war. Ein erneutes Ergreifen der Maßnahme der 1. Stufe – jetzt die Ermahnung – war nach alledem nicht erforderlich (vgl. BayVGH, Beschluss vom 10.06.2015 – 11 CS 15.814 -, […] Rn. 9 sowie entsprechend zur Zulässigkeit der Entziehung der Fahrerlaubnis <3. Stufe> ohne vorherige erneute Verwarnung <2. Stufe> VG Stuttgart, Beschluss vom 13.11.2015 – 5 K 3762/15 -, […] Rn. 18 f.).“

Darf ein Gerichtspräsident einen nach seiner Auffassung zu langsamen Richter ermahnen?

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Mit der Frage „Darf ein Gerichtspräsident einen nach seiner Auffassung zu langsamen Richter ermahnen?“ hat sich in der vergangenen Woche das baden-württembergische Richterdienstgericht befasst.

Hintergrund: RiOLG Thomas Schulte-Kellinghaus ist Richter am Oberlandesgericht Karlsruhe; er erledigt weniger Fälle als andere Richter, weil er sich für den einzelnen Fall besonders viel Zeit nimmt. Seine Gerichtspräsidentin hat ihn deshalb im Februar förmlich ermahnt. Er erledige in manchen Jahren weniger Fälle als ein Halbtagsrichter. Das sei „jenseits aller großzügig zu bemessenden Toleranzbereiche“.

Die Geschichte landete jetzt beim baden-württembergische Richterdienstgericht, das der Gerichtspräsidentin Recht gegeben hat. Der RiOLG durfte von der Gerichtspräsidentin ermahnt werden. Die Orientierung an der Erledigungszahl eines „durchschnittlichen“ Richters sei nicht unzulässig, so der Vorsitzende des Richterdienstgerichts.

Weitere Einzelheiten in der Badischen Zeitung oder auch hier bei LTO unter: „Freiburger Richter verliert vor Dienstgericht Nicht faul, aber zu gründlich„.