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Nichts Neues an der „Fahrverbotsfront“ – OLGs bestätigen nur alte Rechtsprechung

Nicht selten beherrschen bestimmte Themen die Rechtsprechung eine Zeit lang und dann versinken sie wieder in der Vergessenheit. So werden wir es mit der Rechtsprechung zum Richtervorbehalt bei der Blutentnahme nach § 81a Abs. 2 StPO erleben, so wird es mit der Videomessung sein. Und so ist es in der Vergangenheit für die Rechtsprechung zum Fahrverbot zu beobachten gewesen. Nach den „großen“ Entscheidungen des BGH in BGHSt 39 und BGHSt 43 haben sich die OLGs mit der Umsetzung der Vorgaben des BGH beschäftigt, jetzt ist m.E. weitgehend Ruhe eingekehrt und es wird derzeit nur an Kleinigkeiten „gefeilt“ bzw. „alte“ Rechtsprechung bestätigt.

Ein schönes Beispiel ist dafür der Beschluss des OLG Düsseldorf v. 05.03.2010 – IV-3 RBs 36/10, über den auch schon der Beck-Blog berichtet hat. Die Entscheidung bringt zum Fahrverbot nichts Neues, sondern nur die Bestätigung der weitgehend einhelligen oberlandesgerichtlichen Rechtsprechung (nur der 3. Senat für Bußgeldsachen des OLG Hamm hat das [früher] anders gesehen), wonach sich aus dem tatrichterlichen Urteil ergeben muss, dass der Tatrichter die sog. Möglichkeit gesehen hat (so haben wir es im 2. Senat für Bußgeldsachen des OLG Hamm immer genannt), nämlich, dass er auch allein gegen eine Erhöhung der Geldbuße vom Fahrverbot absehen kann. Eine Möglichkeit, von der in der Praxis m.E. leider viel zu wenig Gebrauch gemacht wird.

Die nachträgliche Sicherungsverwahrung dient nicht der Korrektur früherer, fehlerhafter Entscheidungen

Der BGH (3 StR 439/09, PM v. 17.02.2010). hat eine vom LG Hannover angeordnete nachträgliche Sicherungsverwahrung aufgehoben. Der 49 Jahre alte Verurteilte hatte 1984 seine erste Ehefrau getötet und war deswegen vom LG Hildesheim zu einer Freiheitsstrafe von 7 Jahren und 6 Monaten verurteilt worden. Nachdem er diese Strafe teilweise verbüßt hatte und 1989 auf Bewährung aus der Haft entlassen worden war, heiratete er erneut. Im Mai 1993 tötete er auch seine zweite Ehefrau sowie seinen Stiefsohn. Deswegen verurteilte ihn das LG Hannover 1994 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 15 Jahren. Hintergrund der Taten war jeweils die Persönlichkeitsstruktur des Verurteilten, eines auf die eigene Geltung bedachten Menschen mit einem ausgeprägten Bedarf an Anerkennung und Neigung zu impulsiv unbedachten Verhaltensmustern. Schon im Urteil von 1994 war vom Landgericht Hannover deshalb festgestellt worden, bei ihm bestehe ein hohes Risiko für weitere brutale Gewaltentfaltung gegenüber Menschen, die eine Partnerbeziehung zu ihm eingingen.

Zur Überzeugung des Landgerichts besteht bei dem Verurteilten eine solche Gefährlichkeit auch nach der vollständigen Vollstreckung der 15-jährigen Freiheitsstrafe fort. Es hat daher gegen ihn die nachträgliche Sicherungsverwahrung angeordnet. Da die Gefährlichkeit des Verurteilten schon bei seiner Verurteilung im Jahr 1994 bekannt war, hat es indes keine erst während des Strafvollzugs neu entstandenen oder erstmals erkennbaren Umstände in der Person des Verurteilten festgestellt, die dessen Beurteilung als gefährlich erst nachträglich rechtfertigen. Derartige neue Tatsachen sind aber für die Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung nach § 66 b Abs. 1 Satz 1 oder Abs. 2 StGB erforderlich. Das Landgericht hat seine Entscheidung deshalb auf Grundlage der seit dem Jahr 2007 geltende Ausnahmevorschrift des § 66 b Abs. 1 Satz 2 StGB getroffen. Nach dieser Bestimmung kann die nachträgliche Sicherungsverwahrung auch auf bereits bei der ursprünglichen Verurteilung erkennbare Tatsachen gestützt werden, wenn damals die Anordnung der Sicherungsverwahrung nach § 66 StGB aus Rechtsgründen noch nicht möglich war.

Hiervon ist das Landgericht Hannover im Jahr 1994 und im jetzigen Urteil ausgegangen. Diese Rechtsauffassung ist indes fehlerhaft, da gegen den Verurteilten schon im Jahr 1994 die Sicherungsverwahrung nach § 66 Abs. 2 StGB hätte angeordnet werden können.

Daher ist die Ausnahmeregelung des § 66 b Abs. 1 Satz 2 StGB nicht anwendbar, so dass die Revision des Verurteilten Erfolg haben musste. Da auszuschließen ist, dass das Landgericht in einer erneuten Verhandlung solche neuen Tatsachen im Sinne des § 66 b Abs. 1 Satz 1 oder Abs. 2 StGB feststellen kann, hat der Bundesgerichtshof von einer Zurückverweisung der Sache abgesehen und selbst entschieden, dass die nachträgliche Sicherungsverwahrung entfällt. Der Verurteilte muss deshalb entlassen werden, sobald die Reststrafe aus dem Urteil des Landgerichts Hildesheim vollstreckt ist.

Der Bundesgerichtshof hatte bei dieser Konstellation nicht zu entscheiden, ob das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 17. Dezember 2009 (AZ 19359/04) Anlass gibt, an der Vereinbarkeit der Ausnahmevorschrift des § 66 b Abs. 1 Satz 2 StGB mit dem Grundgesetz oder der Europäischen Menschenrechts-konvention zu zweifeln.

OLG Frankfurt: Fahrverbot verhänge ich selbst, aber: Reichen die Feststellungen?

Hinzuweisen ist heute auf eine Entscheidung des OLG Frankfurt vom 30.10.2009 (2 Ss OWi 239/09), die eine Fahrverbotsentscheidung bestrifft. Auf den ersten Blick meint man: Nichts Besonderes, dann ist man aber doch erstaunt. Denn: Das OLG hat unter Hinweis auf § 79 Abs. 6 OWiG das Fahrverbot, von dessen Verhängung das AG abgesehen hatte, selbst verhängt. Für mich stellt sich das die Frage: Wie sieht es denn mit den (weiteren) Verteidigungsmöglichkeiten des Betroffenen aus? Werden ihm die nicht durch dies Verfahrensweise abgeschnitten. Die Frage stellt sich vor allem deshalb, weil das OLG auf eine dem Betroffenen mögliche Kreditaufnahme abgestellt hat. In der amtsgerichtlichen Entscheidung fehlen dazu aber wohl Feststellungen. So ist die Annahme, der Betroffene könne einen Kredit aufnehmen, um dadurch die durch das Fahrverbot entstehenden Erschwernisse abzumildern, durch nichts untermauert und es handelt sich um eine bloße Behauptung des OLG. So geht es m.E. nicht. Wenn man den Betroffenen schon auf die Kreditaufnahme verweist, was m.E. in vielen Fällen unverhältnismäßig ist, dann muss man aber auch die Grundlagen feststellen.

Auf zum Großen Senat für Strafsachen

Wir werden sicherlich bald mal wieder eine Entscheidung des Großen Senats für Strafsachen des BGH bekommen. Der 5. Strafsenat hatte mit Beschluss vom 10.03.2009 (5 StR 460/08) mitgeteilt, dass er zu § 247 StGB wie folgt entscheiden wolle: „Die fortdauernde Abwesenheit des nach § 247 StPO während einer Zeugenvernehmung entfernten Angeklagten bei der Verhandlung über die Entlassung des Zeugen begründet nicht den absoluten Revisionsgrund des § 338 Nr. 5 StPO.“ Er hatte daher bei den anderen Strafsenaten angefragt, ob diese an entgegenstehender Rechtsprechung festhalten. Der 4. Strafsenat hat jetzt mitgeteilt, dass er an seiner abweichenden Rechtsprechung festhalte (vgl. Beschl. v. 25.08.2009, 4 Ars 6/09). Der Weg zum Großen Senat ist damit „frei“.