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Einstellung nach § 154 Abs. 2 StPO, oder: Notwendige Auslagen der Nebenklägerin beim Angeklagten?

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Und dann heute noch RVG-/Kostenentscheidungen.

Zunächst der LG Essen, Beschl. v. 09.03.2020 – 2 Kls 20/20. Das LG hat in einem „KLs-Verfahren“ das Verfahren gegen den Angeklagten nach § 154 Abs. 2 stPo eingestellt. Es hat davon abgesehen, dem Angeklagten die notwendigen Auslagen der Nebenklägerin aufzuerlegen:

„Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten waren gemäß § 467 Abs. 4 StPO der Staatskasse aufzuerlegen,

Da die Auslagentragung für den Angeschuldigten weder eine Strafe noch eine strafähnliche Sanktion darstellt, ist diese nur zulässig, wenn die strafrechtliche Schuld positiv festgestellt wird. Aufgrund der Unschuldsvermutung darf, die Kammer im Rahmen ihrer Ermessensentscheidung daher nur die Verdachtsgründe berücksichtigen, die prozessordnungsgemäß festgestellt worden sind (vgl. MüKoStPO/Grommes, 1. Aufl. 2019, StPO § 467 Rn. 27). Die Kammer hat zu dem Tatvorwurf vom 14.09.2019 keine Feststellungen getroffen.

Die Kammer hat davon abgesehen; dem Angeklagten die notwendigen Auslagen der Nebenklägerin pp. gemäß § 472 Abs. 2 S. 1 StPO aufzuerlegen. Es entsprach nicht besonderen Gründen der Billigkeit die notwendigen Auslagen der Nebenklägerin pp. dem Angeklagten aufzuerlegen. Grundsätzlich hat der/die Nebenklägerin bei einer Verfahrenseinstellung seine/ihre notwendigen Auslagen selbst zu tragen. Entspricht es besonderen Gründen der Billigkeit können die notwendigen. Auslagen der Nebenklage dem Angeklagten auferlegt werden, Solche besonderen Gründe liegen nicht vor. Da die Hauptverhandlung hinsichtlich des Tatvorwurfs vom 14.09,2019 noch nicht bis zur Schuldspruchreife durchgeführt wurde, hat die Kammer Aspekte wie ein besonders gewichtiges Schuldausmaß oder einen gravierenden Tatverdacht nicht zur Begründung ihrer Auslagenentscheidung herangezogen. Eine summarische Prüfung der Aktenlage und eine daraus prognostizierte Verurteilung genügen als Grundlage der Kostenentscheidung nicht (MüKoStPO/Maier, 1. Aufl. 2019, StPO § 472 Rn. 50, 51).“

Zusätzliche Verfahrensgebühr Nr. 4141 VV RVG, oder: Rat zur bestreitenden Einlassung ist Mitwirkung

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Heute ist dann „Gebührenfreitag“. Und an dem stelle ich zwei positive gebührenrechtliche Entscheidungen vor – ja die gibt es 🙂 .

Ich beginne mit dem AG Aschaffenburg, Beschl. v. 16.12.2020 – 390 AR 81/20, den mir die Kollgin Waterstradt aus Aschaffenburg geschickt hat. Themati ist mal wieder die zusätzliche Verfahrensgebühr Nr. 4141 VV RVG. Das AG hatte das Verfahren nach einer bestreitenden Einlassung der Beschuldigten nach § 154 Abs. 2 StPO eingestellt. Rechtspfleger und Bezirksrevisor waren der Auffassung: Die Nr. 4141 VV RVG ist nicht entstanden. Das AG hat festgesetzt:

„Die Gebühr nach Nr. 4141 Abs. 1 Nr. 1 des Vergütungsverzeichnisses zu § 2 Abs. 2 Satz 1 RVG, die allgemein als Befriedungsgebühr bezeichnet wird, entsteht, wenn das Verfahren durch die anwaltliche Mitwirkung nicht nur vorläufig eingestellt wird (vgl. BGH, Urteil vom 14. April 2011 – IX ZR 153/10 -, Rn. 7, juris)

Allgemein gilt zunächst, dass eine Sachbehandlung nach § 154 Abs. 1 StPO als eine solche Verfahrenseinstellung mit dem Ziel der Endgültigkeit der Einstellung im Sinne dieses Gebührentatbestands darstellt (Gerold/Schmidt/Burhoff, 24. Aufl. 2019, RVG VV 4141 Rn. 16).

Hierzu muss allerdings eine anwaltliche Mitwirkung an der Einstellung des Verfahrens vorliegen. Für die Mitwirkung bei der Erledigung des Verfahrens genügt jede Tätigkeit des Verteidigers, die zur Förderung der Verfahrenseinstellung geeignet ist. Nach dem Ausschlusstatbestand des Nr. 4141 Abs. 2 VV RVG entsteht die Gebühr nur dann nicht, wenn eine auf die Förderung gerichtete Tätigkeit nicht ersichtlich ist. Mit dem Ausschlusstatbestand der Nr. 4141 Abs. 2 VV RVG sollen offensichtlich nur sachfremde Eingaben und sich in keiner erkennbaren Weise auf die Sache selbst beziehende Tätigkeiten des Rechtsanwalts ausgeschlossen werden.

Vorliegend wurde am 17.09.2019 ein Haftprüfungstermin beim Ermittlungsrichter des Amtsgerichts Aschaffenburg durchgeführt. Bei diesem war Frau Rechtsanwältin Pp. anwesend und gab für die damals noch Beschuldigte eine Erklärung ab. Hierbei wurde ein kleiner Teil der Taten, die Gegenstand des Haftbefehls waren, eingeräumt. Der größere Teil wurde bestritten. Eine solche Einlassung erfordert erfahrungsgemäß immer eine vorherige Absprache mit dem Mandanten und eine Auseinandersetzung mit der Verfahrensakte. Dies reicht aus, um den Gebührentatbestand des Nr. 4141 VV RVG zu erfüllen (so auch LG Trier , Beschl. v. 22.1.2007 – 5 Qs 222/06). Denn welchen Umfang die anwaltliche Mitwirkung hat, ist grundsätzlich unerheblich. Dem Wortlaut der Regelung kann keine weitergehende Anforderung an die Quantität oder Qualität des anwaltlichen Mitwirkungsbeitrags entnommen werden. Für die Beurteilung kommt es daher einzig darauf an, ob ein Beitrag des Verteidigers vorliegt, der objektiv geeignet ist, das Verfahren in formeller und/oder materieller Hinsicht im Hinblick auf eine Verfahrensbeendigung außerhalb der Hauptverhandlung zu fördern (vgl. LG Verden , Beschl. v. 29.10.2020 — 4 KLs 461 Js 23425/20). Gerade das Bestreiten von Taten kann erfahrungsgemäß die Staatsanwaltschaft zu der Einschätzung gelangen lassen, dass ein weiterer Ermittlungsaufwand nicht mehr verhältnismäßig ist, sodass letztlich eine Einstellung nach § 154 StPO eine sachgerechte Verfahrensbeendigung darstellt. Es erscheint auch vorliegend durchaus möglich, dass dies ein Beweggrund für die Einstellung des Verfahrens nach § 154 Abs. 1 StPO gewesen ist.“

Zusätzliche Verfahrensgebühr nach Einstellung des Verfahrens nach § 154 Abs. 2 StPO, oder: Eiertanz

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So, auch heute am Karfreitag gibt es RVG-Entscheidungen. Und da bringe ich zum Auftakt zunächst mal den positiven AG Koblenz, Beschl. v. 31.03.2020 – 33 Ds 2010 Js 19175/19 (2) -, den mir die Kollegin Juharos aus Trier geschickt.

Es geht mal wieder um den Ansatz der Nr. 4141 VV RVG. Die Kollegin hat die Gebühr bei der Vergütungfestsetzung nach Einstellung des Verfahrens gemäß § 154 Abs. 2 StPO geltend gemacht. Der Rechtspfleger hat nicht festgesetzt mit der Begründung, „dass es sich bei der Verfahrenseinstellung nach § 154 Abs. 2 StPO lediglich um eine vorübergehende Einstellung handele, so dass die Voraussetzungen Nr. 4141 Abs. 1 Ziffer 1 VV RVG nicht vorliegen.“ Das AG richtet es dann:

2. Die Erinnerung hat in der Sache Erfolg.

Dem Wortlaut der Nr. 4141 Abs. 1 Ziff. 1 VV RVG nach entsteht die Gebühr, wenn die Hauptverhandlung durch die anwaltliche Mitwirkung entbehrlich wird, weil das Verfahren nicht nur vorläufig eingestellt wird.

a) Zunächst ist festzustellen, dass die für den 01.03.2020 anberaumte Hauptverhandlung aufgrund der Mitwirkung der Pflichtverteidigerin pp. entbehrlich wurde.

Als Mitwirkungshandlung ausreichend ist jede zur Förderung der Einstellung geeignete Tätigkeit (BGH 18. 9. 2008 — IX ZR 174/07). Die Übersendung eines Antrages auf Erlass eines Haftbefehls mit der Anregung das Verfahren gemäß § 154 Abs. 2 StPO einzustellen ist eine solche die Erledigung des Verfahrens fördernde Handlung. Diese Anregung führte auch zu der Verfahrenseinstellung nach § 154 Abs. 2 StPO, so dass die Durchführung der Hauptverhandlung am 01.10.2019 entbehrlich wurde.

b) Bei der Einstellung gemäß § 154 Abs. 2 StPO handelt es sich nicht um eine nicht nur vorläufige Verfahrenseinstellung i.S.d. Nr. 4141 Abs. 1 Ziff. 1 VV RVG.

Zwar handelt es sich dem Wortlaut des § 154 Abs. 2 StPO nach um eine „vorläufige“ Einstellung. Gleichwohl wird angenommen, dass auch die Einstellung gemäß § 154 Abs. 2 StPO eine nicht nur vorläufige Einstellung i. S. d. Nr. 4141 Abs. 1 Ziff. 1 VV RVG ist (vgl. OLG Köln 18.10.2017 – III-2 Ws 673/17; LG Saarbrücken 06.03.2015 – 4 KLs 22/13; OLG Stuttgart 08.03.2010 – 2 Ws 29/10; Kremer in: Riedel/Sußbauer, RVG, 10 Aufl. VV 4141, Rn. 12; Burhoff in: Gerold/Schmidt, RVG-Kommentar, 24. Aufl., VV 4141, Rn. 17).

Auch losgelöst von der Frage, ob es sich bei der Einstellung nach § 154 Abs. 2 StPO um eine Einstellung Nr. 4141 Abs. 1 Ziff. 1 VV RVG handelt, die die Gebühr auslöst, ist allgemein anerkannt, dass es sich bei § 154 Abs. 2 StPO – entgegen dem Wortlaut – um eine endgültige Einstellung des Strafverfahrens handelt (Schmitt in: Meyer-Goßner/Schmitt, 62. Aufl., StPO, § 154, Rn. 17 m.w.N.; Teßmer in: Münchener Kommentar zur StPO, 1. Aufl., § 154, Rn. 65; Diemer in: Karlsruher Kommentar zur Strafprozessordnung, 8. Aufl., § 154, Rn. 24). Begründet wird diese Sichtweise mit den zutreffenden Erwägungen, dass mit der Einstellung eines Verfahrens nach § 154 Abs. 2 StPO die gerichtliche Anhängigkeit des Verfahrens beendet ist und die Entscheidung in (beschränkte) materielle Rechtskraft erwächst. Der Einstellungsbeschluss schafft somit ein von Amts wegen zu berücksichtigendes Prozesshindernis, dass nur unter den Voraussetzungen des § 154 Abs. 3 – Abs. 5 StPO beseitigt werden kann. Dementsprechend hat der erkennende Spruchkörper des Gerichtes gemäß § 464 StPO eine – verfahrensabschließende – Kostenentscheidung getroffen (vgl. zu diesem Erfordernis Schmitt in: Meyer-Goßner/Schmitt, 62. Aufl., StPO, § 154, Rn. 18 sowie § 464, Rn. 6).

Unter Berücksichtigung dieser rechtlichen Wirkungen einer Einstellung gem. § 154 Abs. 2 StPO ist der allgemeinen Sichtweise beizupflichten, dass die Einstellung gemäß § 154 Abs. 2 StPO eine nicht nur vorläufige Einstellung i. S. d. Nr. 4141 Abs. 1 Ziff. 1 VV RVG ist. Denn die Gebühr Nr. 4141 Abs. 1 Ziff. 1 VV RVG soll gerade honorieren, dass das bei Gericht anhängige Verfahren ohne Durchführung einer Hauptverhandlung erledigt wird. In dem anhängigen Strafverfahren entsteht dementsprechend auch keine Termingebühr nach Nr. 4108 VV RVG. Diese Erfolge treten mit der Beseitigung der Anhängigkeit bei Gericht endgültig ein, unabhängig davon, ob das Verfahren auf der Grundlage eines Wiederaufnahmebeschlusses gemäß § 154 Abs. 5 StPO erneut gerichtlich anhängig werden sollte.“

Wenn man das liest man sich, warum der Rechtspflger eigentlich so entschieden hat.  Denn es ist seit langem h.M. Meinung, dass die Einstellung nach § 154 Abs. 2 StPO eine Einstellung i.S. der Nr. 4141 VV RVG ist (allerdings lese ich das aus der im Beschluss angeführten Entscheidung des OLG Köln nicht heraus.. Warum also dieser „Eiertanz“? Das ist nicht nachvollziehbar. Und das hatte dann auch wohl die angehörte Bezirksrevisorin so gesehen. Denn die war der Erinnerung der Pflichtverteidigerin „nicht entgegen getreten“. Und das will bei der sonstigen Praxis der Vertreter der Staatskasse schon etwas heißen.

Pflichti III: Abwarten mit der Beiordnung geht nicht, oder: Diese „Kungelei“…..

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Die dritte Pflichtverteidigungsentscheidung behandelt den in der Praxis immer wieder Schwierigkeiten bereitenden Fall der nachträglichen Beiordnung eines Pflichtverteidigers nach Einstellung des Verfahrens gem. § 154 Abs. 2 StPO. Hier hatte sich der Angeklagte in Haft befunden. Der Verteidiger hatte seine Beiordnung beantragt und sich dabei ausdrücklich auf § 140 Abs. 1 Nr. 5 StPO bezogen. Das Ag stört sich daran aber nicht, sondern „betreibt“ die Einstellung des Verfahrens nach § 154 Abs. 2 StPO. Es wird dann eingestellt und zugleich der Antrag auf Beiordnung des Rechtsanwalts pp. abgelehnt, da „nunmehr weder die Voraussetzungen des § 140 Abs. 1 StPO noch die des § 140 Abs. 2 StPO“ vorlägen. Dagegen die Beschwerde, die beim LG Mühlhausen im LG Mühlhausen, Beschl. v. 01.12.2017 – 3 Qs 205/17 – Erfolg hat:

„Die Kammer ist im Ansatz mit der Staatsanwaltschaft Mühlhausen der Auffassung, dass die von der herrschenden Lehre angenommene Unzulässigkeit einer rückwirkenden Pflichtverteidigerbestellung nicht ausnahmslos gelten darf. Der Gesetzgeber sieht gegen die Ver­sagung einer Beiordnung ein Rechtsmittel vor. Die dem Beschuldigten hierdurch kraft Ge­setzes gewährte Überprüfungsmöglichkeit darf ihm nicht dadurch entzogen werden, dass das Gericht schlicht untätig bleibt. Entscheidend für eine Ausnahme ist demnach, dass der Antrag auf Beiordnung rechtzeitig gestellt wurde und die Frage einer Beiordnung entschei­dungsreif war. Ob dagegen – wie die Staatsanwaltschaft unter Bezugnahme auf LG Pots­dam ausführt — die Gründe, warum das Amtsgericht den Antrag nicht beschieden hat, nach­vollziehbar sind oder nicht, ist aus Sicht der Kammer ohne Bedeutung. Hierbei handelt es sich um Umstände, die dem Einfluss der Verteidigung vollständig entzogen sind und aus denen daher auch kein Nachteil erwachsen kann.

Die Anwendung dieser Grundsätze führt vorliegend zur Aufhebung des Ablehnungsbe­schlusses. Der Antrag auf Beiordnung war rechtzeitig angebracht und auch entscheidungs­reif. Der Verteidiger hat ausdrücklich § 140 Abs. 1 Ziffer 5 StPO genannt. Dem Amtsge­richt war aus der Anklageschrift bekannt, dass ein Aufenthalt in pp. vorlag. Es hätte daher ohne Weiteres und sofort prüfen können, ob dieser auf einer behörd­lichen Unterbringung beruhte und bereits die im Gesetz geforderten drei Monate andauer­te. Da dies, wie sich aus den Gründen des Urteils des Landgerichts Magdeburg ergibt, der Fall war, hätte der Beiordnungsantrag bereits zu diesem Zeitpunkt positiv beschieden werden müssen.

Vorsorglich weist die Kammer für andere Fälle darauf hin, dass es auch ohne Inhaftierung des Angeklagten nicht zulässig ist, den weiteren Verlauf des Verfahrens abzuwarten und erst am Ende für den Zeitpunkt der abschließenden Entscheidung zu prüfen, ob die Voraus­setzungen für eine Beiordnung (noch) vorliegen (letzter Absatz des angefochtenen Be­schlusses: „da nunmehr weder die Voraussetzungen …“, Hervorhebung durch die Kam­mer). Ausschlaggebend ist stets der Zeitpunkt der Antragstellung.“

Sehr schön und deutlich der letzte Absatz, der zeigt, was das LG von der Vorgehensweise des AG hält. Leider ist diese „Kungelei“ kein Einzelfall.