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OWi I: Fahrverbot und Entziehung der Fahrerlaubnis, oder: Keine Doppelbestrafung

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Und dann geht es heute mit dem ersten regulären Arbeitstag in die letzte Woche des Jahres – Und da gibt es hier: OWi-Entscheidungen.

Zunächst stelle ich den OLG Düsseldorf, Beschl. v. 19.12.2022 – IV-2 RBs 179/22 – vor, der eine „Fahrverbotsproblematik“ behandelt, und zwar der Verhältnis Fahrverbot und Entziehung der Fahrerlaubnis. Das sieht der Betroffene sich dann „doppelt bestraft“, was nach Auffassung des OLG Düsseldorf aber nicht der Fall ist:

„Der Erörterung bedarf lediglich der im Rahmen der allein erhobenen Sachrüge geltend gemachte Einwand, dass von der Verhängung des Fahrverbots hätte abgesehen werden müssen, weil gegen den Betroffenen „aufgrund desselben Lebenssachverhalts bereits verwaltungsrechtlich die Entziehung der Fahrerlaubnis ausgesprochen wurde.“

Das Vorbringen zu einer Entziehung der Fahrerlaubnis durch die Fahrerlaubnisbehörde ist urteilsfremd und schon deshalb für die sachlich-rechtliche Überprüfung nicht relevant. Das angefochtene Urteil enthält keine Angaben zu einer solchen Maßnahme. Soweit der Betroffene aus dem angeführten Umstand Günstiges für sich herleiten möchte, wäre eine Aufklärungsrüge zu erheben gewesen, an der es vorliegend fehlt. Der Begründungsschrift ist schon nicht zu entnehmen, zu welchem Zeitpunkt die Fahrerlaubnisbehörde die Entziehung der Fahrerlaubnis ausgesprochen hat und ggf. wann dieser Verwaltungsakt bestandskräftig geworden ist.

Abgesehen davon hätte das wegen einer Verkehrsordnungswidrigkeit nach § 24a StVG verhängte Regelfahrverbot (§ 25 Abs. 1 Satz 2 StVG) auch dann Bestand, wenn man zugunsten des Betroffenen für den Zeitpunkt der Hauptverhandlung eine bestandskräftige Entziehung der Fahrerlaubnis durch die Fahrerlaubnisbehörde (§ 3 Abs. 1 StVG, § 46 Abs. 1 FEV) unterstellt.

Es handelt sich nicht um eine „Doppelbestrafung“. Die Entziehung der Fahrerlaubnis wegen der Nichteignung des Betroffenen ist eine präventive Maßnahme der Gefahrenabwehr und dient nicht der Sanktionierung eines Verhaltens (vgl.statt vieler: OVG Hamburg NZV 2008, 262, 263; OVG Magdeburg Blutalkohol 47, 43 = BeckRS 2009, 41257; BayVGH SVR 2022, 117, 118).

Auch steht die Erwägung, dass der Betroffene im Falle der bestandskräftigen Entziehung der Fahrerlaubnis durch die Fahrerlaubnisbehörde ohnehin kein fahrerlaubnispflichtiges Kraftfahrzeug im Straßenverkehr mehr führen darf, der Verhängung eines Fahrverbots im Bußgeldverfahren nicht entgegen. So erfolgt die Anordnung eines Fahrverbots auch dann, wenn das Fahrverbot durch Anrechnung der Dauer der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis bzw. der Dauer der Verwahrung, Sicherstellung oder Beschlagnahme des Führerscheins (§ 25 Abs. 6 StVG) bereits erledigt ist (vgl. Senat DAR 2017, 92 = BeckRS 2016, 19216; OLG Frankfurt Blutalkohol 57, 367 = BeckRS 2020, 28167; zu § 51 Abs. 5 StGB: BGH NJW 1980, 130). Denn die Eintragung eines Fahrverbots im Fahreignungsregister wird im Wiederholungsfall bei künftigen Zumessungserwägungen oder auch für die Frage, ob dem Betroffenen eine viermonatige Schonfrist zu gewähren ist (§ 25 Abs. 2a StVG), regelmäßig von Bedeutung sein (vgl. Senat a.a.O., OLG Frankfurt a.a.O.; Krenberger NZV 2021, 26, 29).“

StPO III: Vollstreckung nach Doppelbestrafung? oder: Was ist der richtige Weg zum Ziel?

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Und zum Tagesschluss dann noch der AG Reutlingen, Beschl. v. 25.01.2022 – 5 Cs 24 Js 7842/21. M.E. bedenklich, zwar nicht das Ergebnis, aber der Weg dorthin. Es geht um die Zulässigkeit der Vollstreckung einer Geldstrafe.

Der Verurteilte wurde mit rechtskräftigem Strafbefehl vom 07.05.2021 wegen Besitzes von Betäubungsmitteln am 02.04.2021 gegen 11:10 Uhr in seiner Wohnung zu einer Geldstrafe verurteilt. Einer weiteren rechtskräftigen Verurteilung zu einer weiteren Geldstrafe am 29.07.2021 in einem anderen Verfahren lag eine Widerstandshand­lung gegen Polizeibeamte ebenfalls am 02.04.2021 gegen 11:10 Uhr in seiner Wohnung zugrunde. Die polizeilichen Maßnahmen in der Woh­nung des Verurteilten erfolgten, weil durch die Poli­zeibeamten im Haus ein starker Cannabisgeruch festgestellt wurde, was nach richterlicher An­ordnung zur Kontrolle der Wohnung und dem abgeurteilten Widerstand führte. Auf Antrag der StA hat das AG festgestellt, dass die Vollstreckung der Geldstrafe aus dem Urteil vom 26.06.2021 unzulässig ist:

„Auf Antrag der Staatsanwaltschaft Tübingen wird festgestellt, dass die Vollstreckung der Geldstrafe aus dem Strafbefehl des Amtsgerichts Reutlingen vom 26.06.2021 i. V. m. dem Urteil des Amtsgerichts Reutlingen vom 29.07.2021, rechtskräftig seit 18.10.2021, unzulässig ist.

Der Strafausspruch im Verfahren 5 Cs 24 Js 7842/21 verstößt gegen das verfassungsrechtliche Verbot der Doppelbestrafung, Art. 103 III Grundgesetz.

Ob dieselbe „Tat“ nach Art. 103 III GG vorliegt, ist dabei unabhängig vom Begriff der Tateinheit nach § 52 StGB zu beurteilen, weil die Rechtsfiguren der Tateinheit (§ 52 StGB) und der Tatidentität (Art. 103 III GG) verschiedene Zwecke verfolgen (vgl. BVerfGK 5, 7 = BeckRS 2005, 22553). Tat nach Art. 103 III GG ist vielmehr der geschichtliche — und damit zeitlich und sachverhaltlich begrenzte — Vorgang, auf welchen Anklage und Eröffnungsbeschluss hinweisen und innerhalb dessen der Angeklagte als Täter oder Teilnehmer einen oder mehrere Straftatbestände verwirk-licht hat (BVerfGK 5, 7 BeckRS 2005, 22553). Die prozessuale Tat nach § 264 StPO entspricht damit im Wesentlichen dem verfassungsrechtlichen Begriff der sogenannten Tatidentität gern. Art. 103 III GG.

Über die prozessuale Tat ist hier bereits rechtskräftig seit 27.05.2021 abschließend entschieden mit einem Strafbefehl es Amtsgerichts Reutlingen vom 07.05.2021. Eine Wiederaufnahme des Verfahrens ist nicht geboten oder vom Verurteilten beantragt. Es ist ausreichend, aber auch geboten, die Unzulässigkeit dler Vollstreckung festzustellen (hierzu: Meyer/Goßner, StPO, § 359, Rn. 39 m.w.N.).

Der Verurteilte wurde mit Strafbefehl des Amtsgerichts Reutlingen vom 07.05.2021 (Az: 5 Cs 41 Js 9699/21), rechtskräftig seit 27.05.2021, wegen unerlaubtem Besitzes von Betäubungsmitteln (rund 40 Gramm) am 2.04.201 gegen 11:10 Uhr in seiner Wohnung in pp. zu einer Geldstrafe verurteilt.

Der späteren Verurteilung im Verfahren 5 Cs 24 Js 7842/21 hingegen lag eine „Widerstandshandlung gegen Polizeibeamte“ ebenfalls am 02.04.2021 „gegen 11:10 Uhr in der Wohnung des Verurteilten in pp.» zugrunde. Da die polizeilichen Maßnahmen in der Wohnung des Verurteilten nach den gerichtlichen Feststellungen auch erfolgten, weil seitens der Polizeibeamten im Haus ein starker Cannabisgeruch festgestellt wurde, was nach richterlicher An-ordnung zur Kontrolle der Wohnung und dem abgeurteilten Widerstand führte, stehen die den vorgenannten Verurteilungen zugrundeliegenden Taten nicht nur in einem engen zeitlichen und örtlichen Zusammenhang, sondern darüber hinaus in einem besonders starken inneren Beziehungs- und Bedingungszusammenhang.

Der Sachverhalt ist weder rechtlich noch bei verständiger Betrachtung des wirklichen Geschehens in verschiedene Lebenssachverhalte irgendwie „aufspaltbar“. Eine Tat im prozessualen Sinne ist der von der zugelassenen Anklage umgrenzte geschichtliche Lebensvorgang einschließlich aller damit zusammenhängenden oder darauf bezogenen Vorkommnisse und tatsächlichen Umstände, die geeignet sind, das in diesen Bereich fallende Tun der in der Anklage konkret bezeichneten Person unter irgendeinem rechtlichen Gesichtspunkt als strafbar erscheinen zu lassen (KK-StPO/Ott, 8. Aufl. 2019, § 264 Rn. 5, stRspr, vgl. BGH Beschl. v. 23.9.2020 — 2 StR 606/19, BeckRS 2020, 28081).

Zur Tat in diesem Sinne gehört das gesamte Verhalten eines Angeklagten, soweit es mit dem durch die Anklage bezeichneten geschichtlichen Vorkommnis nach der Lebensauffassung einen einheitlichen Vorgang darstellt (BGH Beschl. v. 23.9.2020 — 2 StR 606/19, BeckRS 2020, 28081). Dies gilt auch, wenn einzelne damit zusammenhängende oder darauf bezogene Umstände in der Anklageschrift nicht ausdrücklich erwähnt, in einem anderen Verfahren angeklagt oder vergessen worden sind (hierzu: 01.3 Stuttgart, NJW 2021, 2596 Rn. 14, beck-online)

Dass die gesamt Tat bereits rechtskräftig abgeurteilt ist, war wohl bedauerlicherweise zu übersehen, da in dem Bundeszentralregisterauszug (Stand: 28.04.2021, mit Beantragung des Strafbefehls im Juni) in der Verfahrensakte in Sachen 5 Cs 24 Js 7842/21 die frühere Aburteilung durch den Strafbefehl noch nicht enthalten war und vom zum damaligen Zeitpunkt unverteidigten Angeklagten in der Hauptverhandlung am 29.07.2021 nicht mitgeteilt wurde. Lediglich anzumerken bleibt, dass die eingesetzte Software ForumStar nicht auf die Anhängigkeit von mehr als einem Verfahren zur gleichen Zeit gegen ein und dieselbe Person beim Gericht oder Spruchkörper automatisiert hinweist. Dar er Strafbefehl. welcher zur zweiten Verurteilung führte, beim Gericht erst im Juni 2021 beantrag: wurde, hat sich das Fehlen einer entsprechenden Softwarefunktion nicht ausgewirkt.

Die doppelte Verurteilung ist misslich, rechtswidrig und wurde erst mit einer vorzunehmenden Gesamtstrafenbildung bei der Staatsanwaltschaft augenfällig.

Von Amts und Verfassungs wegen ist die „zweite Geldstrafe“ nicht zu vollstrecken, wenn auch der „doppelt“ Verurteilte den Fehler weder bis zur Rücknahme einer Berufung noch zu einem späteren Zeitpunkt gerügt hat.“

Wie gesagt: M.E. bedenklich. Denn abgesehen davon, dass der Weg zur Unzulässigkeit der Strafvollstreckung wohl über die Wiederaufnahme des Verfahrens zugunsten des Verurteilten möglich und geboten wäre, war der hier vom AG gewählte Weg über § 458 Abs. 1 StPO, die Unzulässigkeit der Strafvollstreckung festzustellen, schon deshalb nicht gangbar, weil die Korrektur nach § 458 Abs. 1 StPO nur auf entsprechende Einwendung des Verurteilten oder seines Verteidigers zulässig gewesen wäre. Einwendungen der StA als Vollstreckungsbehörde zugunsten des Verurteilten und damit auch der Antrag hier sind mangels Einwendungsberechtigung hingegen nicht statthaft.

Im Übrigen: Augen auf – und zwar bei der StA. Denn die „Doppelbestrafungskonstellationen“ im BtM-Bereich sind ja nicht selten.