„Die Revision hat mit der formgerecht gemäß § 344 Abs. 2 StPO erhobenen Verfahrensrüge der Verletzung des § 329 Abs. 1 StPO Erfolg, da das Landgericht rechtsfehlerhaft davon ausgegangen ist, der Angeklagte sei nicht genügend entschuldigt.
1. Gemäß § 329 Abs. 1 StPO hat das Gericht die Berufung zu verwerfen, wenn bei Beginn des Hauptverhandlungstermins der Angeklagte nicht erschienen und sein Ausbleiben nicht genügend entschuldigt ist.
Der Begriff der „genügenden Entschuldigung“ ist zugunsten des Angeklagten weit auszulegen. Denn § 329 Abs. 1 StPO enthält eine Ausnahme von der Regel, dass ohne den Angeklagten nicht verhandelt werden darf, und birgt die Gefahr eines sachlich unrichtigen Urteils in sich (BGH, Beschluss vom 01.08.1962 – 4 StR 122/62, NJW 1962, 2020; Senat, Beschlüsse vom 27.08.2007 – 1 Ws 337/07, juris Rn. 2, vom 07.11.2011 – 1 Ss 85/10). Eine genügende Entschuldigung im Sinne von § 329 Abs. 1 StPO ist anzunehmen, wenn die im Einzelfall abzuwägenden Belange des Angeklagten einerseits und seine öffentlich-rechtliche Pflicht zum Erscheinen in der Hauptverhandlung andererseits den Entschuldigungsgrund als triftig erscheinen lassen, d.h. wenn dem Angeklagten unter den gegebenen Umständen ein Erscheinen billigerweise nicht zumutbar war und ihm infolge dessen wegen seines Fernbleibens auch nicht der Vorwurf schuldhafter Pflichtverletzung gemacht werden kann (Senat, Beschluss vom 07.09.2011 – 1 Ss 85/10; Gössel in LR-StPO, 26. Aufl., § 329 Rn. 33 mwN). Eine Krankheit entschuldigt insbesondere dann, wenn sie nach Art und Auswirkungen eine Beteiligung an der Hauptverhandlung unzumutbar macht (Senat, Beschluss vom 30.08.2011 – 1 Ss 29/11; OLG Hamm, Beschluss vom 08.04.1998 – 2 Ss 394/98, NStZ-RR 1998, 281, 282). Wird eine Infektion mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 vorgebracht, ist das Fernbleiben eines Angeklagten nicht nur durch eine Verhandlungsunfähigkeit gerechtfertigt, sondern bereits durch die Schutzbedürftigkeit anderer Prozessbeteiligter vor einer Infektion (BayObLG, Beschluss vom 25.10.2022 – 206 StRR 286/22, juris Rn. 11).
Bei der Prüfung, ob die Voraussetzung einer Verwerfung der Berufung gemäß § 329 Abs. 1 StPO vorliegen, kommt es grundsätzlich nicht darauf an, ob und in welcher Form der Angeklagte sich entschuldigt hat, sondern ob er tatsächlich entschuldigt ist. Den Angeklagten trifft hinsichtlich des Entschuldigungsgrundes keine Pflicht zur Glaubhaftmachung oder gar zu einem lückenlosen Nachweis. Bloße Zweifel an der Glaubhaftigkeit des Vorbringens dürfen nicht zu Lasten des Angeklagten gehen. Nur der Nachweis, dass die Entschuldigung unwahr ist, lässt sie als ungenügend erscheinen. Bloßen Zweifeln hat das Gericht im Rahmen seiner Aufklärungspflicht nachzugehen (BayObLG, Beschluss vom 25.10.2022 – 206 StRR 286/22, juris Rn. 15 ff. mwN; Senat, Beschluss vom 31.07.2015 – 1 OLG 1 Ss 65/15; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 65. Aufl., § 329 Rn. 20 ff.; Paul in KK-StPO, 9. Aufl., § 329 Rn. 7).
2. Diese Maßstäbe zugrunde gelegt, rechtfertigen die Urteilsgründe die Annahme, dass der Angeklagte nicht genügend entschuldigt gewesen sei, in rechtlicher Hinsicht nicht.
a) Das Urteil leidet bereits an einem Darstellungsmangel. Hat der Angeklagte vor dem Termin bereits Gründe für eine Entschuldigung seines Nichterscheinens vorgetragen, muss das Urteil diese anführen, sich mit ihnen auseinandersetzen und erkennen lassen, weshalb dem Vorbringen die Anerkennung als Entschuldigung versagt wurde. Dies gilt insbesondere für gesundheitliche Gründe (BayObLG, Beschluss vom 21.12.1995 – 5St RR 127/95, juris Rn. 9 mwN; OLG Hamm, Beschluss vom 08.04.1998 – 2 Ss 394/98, NStZ-RR 1998, 281; Senat, Beschluss vom 07.11.2011 – 1 Ss 85/10). Diesen Anforderungen werden die Urteilsgründe nicht gerecht. Aus ihnen ergibt sich nicht, aus welchem Grund das Landgericht davon ausgegangen ist, dass der Angeklagte nicht hinreichend entschuldigt sei. Es gibt nur das Verfahrensgeschehen wieder, ohne sich inhaltlich und rechtlich damit auseinander zu setzen.
b) Die Ausführungen des Landgerichts lassen zudem besorgen, dass es entweder unzutreffend darauf abgestellt hat, der Angeklagte habe sich nicht ausreichend entschuldigt, ohne zu klären, ob er ausreichend entschuldigt war, oder, dass es etwaig bestehende Zweifel an der Richtigkeit der vorgebrachten Entschuldigung zu Lasten des Angeklagten gewertet hat (s. zu einer dem vorliegenden Fall vergleichbaren Konstellation BayObLG, Beschluss vom 25.10.2022 – 206 StRR 286/22, juris). Die Strafkammer ist insoweit ihrer Aufklärungspflicht nicht nachgekommen.
Die Strafkammer hat festgestellt, dass der Angeklagte sowohl ein Foto von einem positiven Selbsttest als auch ein ärztliches Attest vorgelegt hat, mit dem – nach telefonischer Konsultation des Arztes – das Vorliegen einer Infektion mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 bestätigt wird. Damit hat der Angeklagte schlüssig einen Sachverhalt vorgetragen, der, zumindest aufgrund der Infektionsgefahren für die Öffentlichkeit und die Verfahrensbeteiligten, geeignet war, sein Ausbleiben genügend zu entschuldigen (s. BayObLG, Beschluss vom 25.10.2022 – 206 StRR 286/22, juris Rn. 19). Soweit sich aus dem Attest ergibt, dass der Angeklagte angeben habe, hochfiebrig zu sein, ist auch ein Umstand vorgetragen, der eine Verhandlungsunfähigkeit des Angeklagten nahelegt.
Gründe dafür, dass der Entschuldigungsgrund aus der Luft gegriffen oder ob und aus welchen Gründen das Landgericht möglicherweise von seiner Unrichtigkeit überzeugt war, sind nicht dargetan. Etwaige bloße Zweifel an der Richtigkeit sind ebenfalls nicht aufgezeigt. Insbesondere genügt hierfür der Hinweis darauf, dass das Attest nicht vom Hausarzt, sondern von einem anderen Arzt ohne Untersuchung telefonisch ausgestellt worden sei, nicht. Denn zum einen musste sich der Angeklagte nach dessen Angaben an einen fremden Arzt wenden, weil sein Hausarzt im Urlaub war. Falls das Landgericht bei seiner Entscheidung von der Unrichtigkeit des Vortrags ausgegangen war oder eine solche vermutete, hätte es diesen nachprüfen und das Ergebnis der Nachforschung darlegen müssen. Zum anderen war eine telemedizinische Vorstellung in dem maßgeblichen Zeitraum bei Verdacht einer Corona-Infektion jedenfalls nicht unüblich. Falls das Gericht vermutete, dass die Erkrankung nur vorgeschützt sein könnte, hätte es ebenfalls eigene Ermittlungen anstellen müssen (vgl. OLG Frankfurt, Beschluss vom 20.02.1987 – 1 Ss 468/86, NJW 1988, 2965; BayObLG, Beschluss vom 25.10.2022 – 206 StRR 286/22, juris Rn. 23 f.). Dieser Verpflichtung ist das Landgericht nicht nachgekommen. Die Urteilsgründe lassen vielmehr besorgen, dass es rechtsfehlerhaft davon ausging, dass der Angeklagte entweder ein schriftliches Testergebnis einer Teststation oder ein Attest, das aufgrund einer persönlichen Vorsprache bei dem Arzt erstellt wurde, vorlegen müsse, um entschuldigt zu sein. Eine solche Forderung begegnet mit Blick auf die fehlende Pflicht zur Mitwirkung durchgreifenden rechtlichen Bedenken (s. BayObLG, Beschluss vom 25.10.2022 – 206 StRR 286/22, juris Rn. 23; OLG Hamm, Beschluss vom 18.03.1997 – 2 Ss 142/97, NStZ-RR 1997, 240).“