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Das „Kleine Einmaleins“ der ordnungsgemäßen Bezugnahme – man sollte es beherrschen…

entnommen wikimedia.org Urheber Photo: Andreas Praefcke

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So ganz viel – erfolgversprechende – Möglichkeiten, im Bußgeldverfahren mit der Rechtsbeschwerde die Aufhebung des amtsgerichtlichen Urteils zu erreichen, gibt es ja leider nicht (mehr). Aber, wenn es um die Täteridentifizierung anhand eines Lichtbildes, das von dem Verkehrsverstoß gefretigt worden ist, geht, dann stehen die Chancen nicht schlecht. Da werden dann doch häuifg/viele Fehler gemacht, die zur Aufhebung führen und damit Zeitgewinn bringen. Und das vor allem dann, wenn man an einen Amtsrichter „gerät“, der das „Kleine Einmal Eins“ der Bezugnahme nach § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO nicht beherrscht.

So der Amtsrichter in Berlin, der das dem KG, Beschl. v. 22.09.2015 – 3 Ws (B) 484/15 – zugrundeliegende Urteil abgesetzt hatte. Das passte nun gar nicht:

„Die Generalstaatsanwaltschaft Berlin weist in ihrer Stellungnahme zu dem Rechtsmittel zutreffend darauf hin, dass das Urteil hinsichtlich der Feststellung zu der Identifizierung der Betroffenen als Fahrerin an einem durchgreifenden Darstellungsmangel leidet. Ausweislich der Urteilsgründe hat der Tatrichter die Betroffene anhand der Fotos und der Aufzeichnungen der Rotlicht- und Geschwindigkeitsüberwachungsanlage als Führerin des maßgeblichen Fahrzeugs erkannt. Die bloße Darlegung jedoch, dass das Gericht die Fotos und Aufzeichnungen in die Hauptverhandlung eingeführt habe, stellt keine prozessordnungsgemäße Verweisung dar. Denn die Absicht, wegen der Einzelheiten des Inhalts auf die Lichtbilder Bezug zu nehmen, kommt damit nicht deutlich und zweifelsfrei zum Ausdruck (vgl. Senat, Beschluss vom 17. Oktober 2014 — 3 Ws (B) 550/14 —). Der Tatrichter muss insoweit ausdrücklich auf die in der Akte befindlichen Lichtbilder gemäß den §§ 71 Abs. 1 OWiG, 267 Abs. 1 Satz 3 StPO Bezug nehmen. Lediglich dann werden diese zum Bestandteil der Urteilsgründe und das Rechtsmittelgericht kann sie aus eigener Anschauung würdigen Meyer-Goßner/Schmitt, StPO 58. Aufl., § 267 Rdn. 10) und ist daher in der Lage zu beurteilen, ob sie als Grundlage einer Identifizierung tauglich sind (vgl. BGH NZV 1996, 157 mit weit. Nachw.),

Wenn der Tatrichter jedoch — wie vorliegend — von der erleichternden Verweisung auf die In Augenschein genommenen Fotos und Aufzeichnungen gemäß den §§ 71 Abs. 1 OWiG, 267 Abs. 1 Satz 3 StPO abgesehen hat, muss das Urteil Ausführungen zur Bildqualität enthalten sowie die abgebildete Person oder jedenfalls mehrere charakteristische Identifizierungsmerkmale so präzise beschreiben, dass dem Rechtsmittelgericht anhand der Beschreibung in gleicher Weise wie bei Betrachtung der Lichtbilder die Prüfung ermöglicht wird, ob diese zu Identifizierung generell geeignet sind (vgl. BGH a. a. O.).

Diesen Anforderungen genügt das angefochtene Urteil nicht, weil lediglich mitgeteilt wird, dass der Tatrichter die Betroffene anhand der Frisur und der Gesichtsform eindeutig wiedererkannt habe. Das Urteil kann daher, ohne dass es auf das weitere Beschwerdevorbringen ankommt, keinen Bestand haben.“

Ich bin dann immer wieder erstaunt, wenn ich solche Aufhebungen lese. Nicht über die Aufhebung, die ist klassich. Nein, über das AG-Urteil. Denn die Grundsatzentscheidung des BGH (BGHSt 41, 376) ist aus 1995 – da sollten sich die Grundsätze der Entscheidung doch allmählich herum gesprochen haben. Oder?

Manchmal gibt der BGH auch Hilfestellung: Tatrichter nimmt doch Bezug

entnommen wikidmedia.org Fotograf Faßbender, Julia

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Fotograf Faßbender, Julia

Manchmal gibt der BGH den Instanzgerichten auch Hilfestellung, sicherlich auch im eigenen Interesse, damit es beim zweiten Mal dann „richtig“ gemacht wird und der BGH die Sache nicht noch einmal sieht und ggf. nochmals aufheben muss. Ein schönes Beispiel für solche Hilfestellung ist der BGH, Beschl. v. 14.08.2014 – 4 StR 163/14, über den ich schon mal in anderem Zusammenhang berichtet habe.

Es ging um § 226 StGB und die Frage, ob das LG die Qualifikation des § 226 Abs. 1 Nr. 3 StGB zu Recht abgelehnt hat. Dazu führt der BGH zunächst aus:

a) Ein Verletzter ist im Sinne des § 226 Abs. 1 Nr. 3 StGB in erheblicher Weise dauernd entstellt, wenn es durch die Tat zu einer Verunstaltung seiner Gesamterscheinung gekommen ist, die in ihren Auswirkungen dem Gewicht der geringsten Fälle des § 226 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 StGB gleichkommt (BGH, Urteil vom 17. Juli 2013 – 2 StR 139/13, NStZ-RR 2013, 343; Urteil vom 20. April 2011 – 2 StR 29/11, BGHR StGB § 226 Abs. 1 Entstellung 3; Urteil vom 28. Juni 2007 – 3 StR 185/07, BGHR StGB § 226 Abs. 1 Entstellung 2 mwN). Dies kann grundsätzlich auch bei einzelnen besonders großen oder markanten Narben (vgl. BGH, Urteil vom 28. Juni 2007 – 3 StR 185/07, BGHR StGB § 226 Abs. 1 Entstellung 2), ebenso wie bei einer Vielzahl von Narben in derselben Körperregion der Fall sein. Allein der Umstand, dass eine Narbe deutlich sichtbar ist, reicht dabei aber für die Annahme einer erheblichen Entstellung noch nicht aus.

Erst wenn im Einzelfall – etwa durch eine deutliche Verzerrung der Proportionen des Gesichts – ein Grad an Verunstaltung erreicht ist, der in einer Relation zu den anderen schweren Folgen im Sinne des § 226 Abs. 1 StGB steht, kommt die Annahme einer erheblichen Entstellung in Betracht (BGH, Urteil vom 28. Juni 2007 – 3 StR 185/07, BGHR StGB § 226 Abs. 1 Entstellung 2; Be“schluss vom 2. Mai 2007 – 3 StR 126/07, BGHR StGB § 226 Abs. 1 Entstellung 1).

Und dann kommt der Teil mit der „Hilfestellung“:

„b) Ob das äußere Erscheinungsbild des Nebenklägers durch die verbliebenen Narben eine Verunstaltung erfahren hat, die diesen Vorgaben entspricht, kann auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen nicht beurteilt werden. Das Landgericht teilt zwar ausführlich mit, welche Schnittverletzungen der Nebenkläger erlitten hat. Eine revisionsgerichtlicher Überprüfung zugängliche Beschreibung des verbliebenen Narbenbildes und seiner Auswirkungen auf die äußere Erscheinung des Nebenklägers fehlt jedoch. Den Urteilsgründen kann dazu lediglich entnommen werden, dass die Narbe auf der linken Wange lang ist und „sofort ins Auge springt“ (UA 25). Zu den anderen Narben und dem durch sie hervorgerufenen optischen Gesamteindruck verhält sich die Strafkammer dagegen nicht. In diesem Zusammenhang weist der Senat darauf hin, dass sich ein Tatrichter die mitunter nicht einfache textliche Schilderung einer solchen verunstaltenden Wirkung durch eine nach § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO zulässige Bezugnahme auf Lichtbilder erleichtern kann.“

Anfängerfehler II: Täteridentifizierung im Straßenverkehr – auch das reicht nicht.

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Machen wir heute mal eine kleine Nachhilfestunde in der Frage: Welche Anforderungen muss das amtsgerichtliche Urteil bei der Täteridentifizierung anhand eines Lichtbildes vom Verkehrsverstoß erfüllen? Nach dem OLG Düsseldorf, Beschl. v. 18.07.2013 –  IV-3 RBs 67/13 und dazu dann Anfängerfehler I: Täteridentifizierung im Straßenverkehr – aufgehoben und zurück, jetzt der Hinweis auf den OLG Hamm, Beschl. v. 02.04.2013 – 5 RBs 33/13. Auch da m.E. im Hinblick auf die uralte Rechtsprechung des BGH: Anfängerfehler.

„Von der Möglichkeit, die §§ 267 Absatz 1 Satz 3 StPO, 71 Abs. 1 OWiG eröffnet, hat der Tatrichter keinen Gebrauch gemacht. Da eine solche Bezugnahme – wie ausgeführt – nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, der der Senat folgt, deutlich und zweifelsfrei erfolgen muss, reicht der bloße Hinweis darauf, die Betroffene sei „auf dem vom Geschwindigkeitsverstoß gefertigten Beweisfoto vom Gericht erkannt“ worden, nicht aus. Denn dieser beschreibt lediglich den Beweiserhebungsvorgang, auf den sich die Überzeugungsbildung des Tatrichters gründet, ermöglicht dem Senat als Rechtsbeschwerdegericht aber nicht die Möglichkeit zu überprüfen, ob das Beweisfoto für die Identifizierung geeignet ist. Der Tatrichter hätte somit die Bildqualität und die auf dem Beweisfoto abgebildete Person im Einzelnen beschreiben müssen. Dies ist indes nicht geschehen. Angaben zur Qualität des Beweisbildes fehlen gänzlich. Soweit das Urteil einzelne Identifizierungsmerkmale aufgezählt hat, entbehren auch diese im Wesentlichen einer ausreichend genauen Beschreibung im vorgenannten Sinne.“

Also: Immer sorgfältig prüfen, ob das, was das AG geschrieben hat. für eine prozessordnungsgemäße Bezugnahme reicht.

Bezugnahme auf Videofilm geht nicht – auch in Saarbrücken nicht

Der BGH, Beschl. v. 02.11.2011 – 2 StR 332/11 dürfte inzwischen allgemein bekannt sein (vgl. hier unser Posting dazu Die Kuh ist vom Eis – BGH: Bezugnahme auf “Videofilme” geht nicht. Danach kann nicht gem.  § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO auf einen Videofilm Bezug genommen werden. Das hat nicht nur im Strafverfahren Bedeutung – der Beschluss betraf ein Strafverfahren – sondern auch im Bußgeldverfahren, wenn es z.B. um die Täteridentifizierung anhand eine Videofilms geht. Der Rechtsprechung des BGH hatte sich recht bald nach Bekanntwerden des Beschlusses v. 02.11.2011 das OLG Jena angeschlossen (vgl. unser Posting: Manchmal kommt die Rechtsprechung des BGH schnell bei den OLG an…). Und nun gibt es auch eine Entscheidung des OLG Saarbrücken zu der Problematik, nämlich den OLG Saarbrücken, Beschl. v. 11.03.2013 – Ss 88/2012 (57/12), das ausführt:

„a) Dem Revisionsführer ist zuzugeben, dass die an mehreren Stellen des Urteils vorgenommene Verweisung auf die – auf den DVD in Hülle BI. 42 d.A. befindlichen – Videoaufnahmen der Überwachungskameras rechtsfehlerhaft ist. Denn in der Verweisung auf ein elektronisches Speichermedium als solches liegt nach Auffassung des Bundesgerichtshofs (NStZ 2012, 228), der sich der Senat anschließt, keine wirksame Bezugnahme im Sinne von § 267 Abs. 1 S. 3 StPO (vgl. auch OLG Brandenburg, NStZ-RR 2010, 89; OLG Schleswig, SchlHA 1997, 170; a.A. OLG Dresden, NZV 2009, 520; OLG Zweibrücken, VRS 102, 102 f.; KG, VRS 114, 34; OLG Bamberg, NZV 2008, 469). Nach dieser Vorschrift darf wegen der Einzelheiten nur auf Abbildungen verwiesen werden, die sich bei den Akten befinden. Unabhängig von der Frage, ob sich der Begriff Abbildungen nach dem Wortsinn auch auf Filme oder Filmsequenzen erstreckt (vgl. hierzu BGH, a.a.O., m.w.N.), setzt eine Bezugnahme nach § 267 Abs. 1 S. 3 StPO voraus, dass die Abbildungen selbst Aktenbestandteil geworden sind. Dies ist bei auf elektronischen Medien gespeicherten Bilddateien nicht der Fall.“

Das OLG hat die Bezugnahme als unzulässig angesehen, auf dem Rechtsfehler beruhte das Urteil dann aber nicht :-(.

Übrigens: Mehr OLG-Entscheidungen zu der Frage kenne ich bislang nicht. Über die Zusendung weiterer Entscheidungen würde ich mich daher freuen.

Strafbares Graffiti? – Ich will wissen, was du gemalt/gesprühst hast..

(Unerwünschte) Graffitis sind ärgerlich, schon allein deshalb, weil es meist viel Mühe und Geld kostet, sie wieder zu entfernen. Von daher kann man verstehen, wenn Strafanzeigen wegen Sachbeschädigungen gestellt und Verfahren eingeleitet werden, in denen es dann i.d.R. zu einer Verurteilung wegen Sachbeschädigung nach § 303 StGB kommt. Eine solche durch das AG Berlin-Tiergarten lag dem KG, Beschl. v. 23. 11. 2012 – (4) 161 Ss 249/12 (311/12) – zugrunde. Da hatte es sich das AG aber ein wenig einfach gemacht, denn es hatte – so das KG – nur ausgeführt:

„Nach der Sachverhaltsdarstellung des Amtsgerichts „besprühte“ der Angeklagte am 21. Mai 2011 in der R Straße 83 in Berlin gegen 2.00 Uhr „die Wand einer Hofzufahrt mit einem ca. zwei Mal zwei Meter großen Graffiti“.

Das war dem KG zu knapp. Denn nicht jedes (neue/weitere) Graffiti ist Sachbeschädigung i.S. des § 303 Abs. 2 StGB. Es scheiden vielmehr die sog. „unerheblichen Veränderungen“ aus. Dazu der Leitsatz 1 des KG, Beschlusses:

1. Eine unerhebliche, von § 303 Abs. 2 StGB nicht erfasste Veränderung liegt vor, wenn sie völlig unauffällig bleibt, was etwa der Fall sein kann, wenn eine neue Farbauftragung sich auf einer infolge bereits vorangegangener Schmierereien bereits großflächig verunstalteten Fläche nicht mehr ausnimmt.

Und deshalb muss die tatrichterliche Verurteilung besondere Anforderungen erfüllen. Dazu der Leitsatz 2 der KG-Enscheidung:

2. Das Urteil muss daher sowohl Feststellungen zur Größe und Gestalt der Farbauftragungen – nicht nur zu deren äußeren Ausmaßen, sondern auch zu der für die rechtliche Bewertung ggf. bedeutsamen Ausgestaltung in der Fläche – als auch zu der dadurch bewirkten optischen Veränderung der betroffenen Fläche enthalten.

Also muss das Graffiti beschrieben werden, wenn das Amtsgericht nicht ggf. auf ein Lichtbild Bezug nimmt. Dann gilt aber die vor allem aus dem Bußgeldverfahren bekannte Rechtsprechung zu § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO. Es muss „prozessordnungsgemäß“ Bezug genommen werden. Allein die Mitteilung, das Lichtbild sei in Augenschein genommen worden reicht nicht.