Als zweite Entscheidung kommt dann auch (noch) eine Beschluss vom LG Kiel, und zwar der LG Kiel, Beschl. v. 06.04.2022 – 7 KLs 592 Js 48961/21 – zum Pflichtverteidigerwechsel. Begründung hier: Keine Besuche des Mandanten in der JVA. Das LG hat ausgewechselt:
„Der Beschluss beruht auf § 143a Abs. 2 Nr. 3 StPO.
Nach der Entscheidung des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts in Schleswig vom 31.3.2022 war über die Frage des Pflichtverteidigerwechsels neu zu befinden. Ein konsensualer Pflichtverteidigerwechsel, der vorrangig zu berücksichtigen wäre, ist spätestens nach dem Schriftsatz von Herrn pp. vom 4.4.2022 nicht mehr zu erwarten. Ein weiteres Zuwarten auf eine eventuelle Einigung ist zudem wegen des Beschleunigungsgebotes in dieser Haf vertretbar.
Die Voraussetzungen für einen Pflichtverteidigerwechsel im Sinne des § 143a Abs. 2 Nr. 3 StPO sind gegeben. Die Bestellung des Pflichtverteidigers ist aufzuheben und ein neuer Pflicht-verteidiger zu bestellen, wenn das Vertrauensverhältnis zwischen Verteidiger und Beschuldigtem endgültig zerstört ist oder aus einem sonstigen Grund keine angemessene Verteidigung des Beschuldigten gewährleistet ist. Der Angeklagte trägt hierzu vor, dass der bisherige Pflicht-verteidiger ihn nicht in der Untersuchungshaftanstalt aufgesucht habe, um die Angelegenheit mit ihm zu besprechen. Er befinde sich seit dem 6.10.21 in Untersuchungshaft – mithin bezogen auf den Zeitpunkt der Antragstellung fast 3 Monate – ohne besucht worden zu sein, obwohl er telefonisch mehrfach im Verteidigerbüro darum gebeten habe.
Rechtsanwalt pp. hat hierzu ausgeführt, dass er auf Wunsch des Angeklagten mandatiert und beigeordnet worden sei. Zunächst habe bei der Haftbefehlsverkündung Rechtsanwalt pp. den Angeklagten vertreten, der die Angelegenheit im Anschluss sofort mit dem Mandanten besprochen habe. Im Anschluss sei Akteneinsicht beantragt worden. Der Angeklagte sei in-formiert und darauf aufmerksam gemacht worden, dass ohne Akteneinsicht eine Rücksprache nicht zielführend sei. Am 24.11. sei dann die Akteneinsicht erfolgt, was dem Angeklagten mit Schreiben vom Folgetag mitgeteilt worden sei, verbunden mit der Frage, in welcher Sprache gedolmetscht werden müsse (es kämen bei afghanischen Staatsangehörigen mehrere Sprachen in Betracht). Das sei dann am 4.12. beantwortet worden, woraufhin mit einer Dolmetscherin für unterschiedliche afghanische Sprachen Kontakt aufgenommen worden sei zwecks Terminabsprache. Im Übrigen sei der Mandant stets informiert worden, was allerdings nicht weiter ausgeführt wurde. Mit Schreiben vom 30.12.21 habe sich dann Rechtsanwalt pp. gemeldet und mit-geteilt, er werde die Verteidigung übernehmen. Eine Zerrüttung des Vertrauensverhältnisses liege nicht vor. Mit einer Entpflichtung sei er – Rechtsanwalt pp. -aber einverstanden, da es keinen Sinn mache, einen Beschuldigten zu verteidigen, der dies nicht wünsche. Die bisher entstandenen Gebühren würden in Ansatz gebracht.
Danach ist eine Zerrüttung des Vertrauensverhältnisses im Sinne der genannten Norm anzunehmen. Maßstab für die Beurteilung ist die Sicht eines verständigen Beschuldigten (BGH NStZ 2021, 60). Ein gestörtes Vertrauensverhältnis liegt zB vor, wenn ein inhaftierter Beschuldigter längere Zeit nicht von seinem Verteidiger besucht wird (OLG Braunschweig BeckRS 2012, 23866 (2 Monate in Untersuchungshaft nicht besucht); OLG Düsseldorf NStZ-RR 2011, 48 (über 2 Monate in Untersuchungshaft nicht besucht); LG Ingolstadt StV 2015, 27 (fehlender Besuch eines Pflichtverteidigers über einen längeren Zeitraum von fast zwei Monaten in der U-Haft); BeckOK StPO/Krawczyk, 42. Ed. 1.1.2022, StPO § 143a Rn. 19).
Das ist nach dem Vorbringen der Beteiligten der Fall. Der Angeklagte hat selbst im Haftbefehlsverkündungstermin keinen Kontakt mit seinem späteren Pflichtverteidiger gehabt und später dann auch nicht mehr erlangt. Soweit Herr Torgebracht hat, dass für eine Besprechung Akteneinsicht und die Abstimmung mit einem geeigneten Dolmetscher erforderlich gewesen sei, kann dem im Ergebnis nicht gefolgt werden. Aus Sicht des Beschuldigten war schon auf Grundlage der überreichten Haftbefehlsausfertigung eine Besprechung möglich. Soweit geltend gemacht wird, es habe erst ermittelt werden müssen, welche Sprache der Dolmetscher beherrschen müsse, überzeugt dies nicht, da ausweislich des eigenen Vortrages schließlich eine Dolmetscherin eingebunden werden sollte, die unterschiedliche afghanische Sprachen beherrscht. Das hätte von vorneherein so gehandhabt werden können.
Zudem ist zu beachten, dass nach dem Pflichtverteidigerwechselwunsch des Angeklagten von Herrn pp. kein Kontakt mehr gesucht wurde, was aus Sicht des Angeklagten den bisherigen Eindruck einer unzureichenden Betreuung bestärken musste. Dabei übersieht die Kammer nicht, dass Herr pp. von einem konsensualen Pflichtverteidigerwechsel ausging, wofür es gute Gründe gab. Jedenfalls mittlerweile muss der Angeklagte verständlicherweise den Eindruck haben, dass der bisherige Pflichtverteidiger seine – des Angeklagten – Verteidigung nicht mehr betreibt und das Vertrauensverhältnis zerrüttet ist.“