In der zweiten Entscheidung, dem BVerfG, Beschl. v. 20.09.2018 – 2 BvR 708/18 – befasst sich das BVerfG mit eine Verfassungsbeschwerde gegen die Sichtung sichergestellter Datenträger, die bei einer auf den Anfangsverdacht des Besitzes kinderpornografischer Schriften gestützten Durchsuchung gewonnen worden waren.
Das BVerfG nimmt zu drei Fragen Stellung: Anfangsverdacht, Ableitung des Anfangverdachts aus legalem Verhalten und Beweisverwertungsverbot:
„3. Der Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung ist verfassungsrechtlich gerechtfertigt.
Rechtsgrundlage für die vorläufige Sicherstellung der technischen Geräte des Beschwerdeführers und der darauf gespeicherten Daten zum Zwecke der Durchsicht ist § 110 StPO. Da das Verfahren im Stadium der Durchsicht noch einen Teil der Durchsuchung nach § 102 StPO oder § 103 StPO bildet, kommt es für die Rechtmäßigkeit der richterlichen Bestätigung der vorläufigen Sicherstellung darauf an, ob die Voraussetzungen für eine Durchsuchung im Zeitpunkt der Entscheidung noch vorliegen. Sind diese Voraussetzungen zum Zeitpunkt der Durchsicht dagegen nicht mehr gegeben, dann ist auch die Durchsicht als Teil der Durchsuchung nicht mehr zulässig (vgl. BVerfGK 15, 225 <237 m.w.N.>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 18. Juni 2008 – 2 BvR 1111/08 -, juris, Rn. 5). Es muss also weiterhin ein Anfangsverdacht bestehen und die Durchsicht zur Auffindung von Beweismitteln geeignet und verhältnismäßig sein. Ungeeignet ist die Durchsicht insbesondere, wenn Beweismittel aufgespürt werden sollen, die einem Beschlagnahmeverbot oder einem sonstigen Verwertungsverbot unterliegen.
Die Anwendung des § 110 StPO durch das Landgericht verstößt im vorliegenden Fall nicht gegen Verfassungsrecht. Im Ergebnis begegnet es keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, dass das Landgericht einen Anfangsverdacht des Besitzes kinderpornographischer Schriften gegen den Beschwerdeführer bejaht (a), ein Beweisverwertungsverbot trotz der rechtswidrigen Durchsuchungsanordnung verneint (b) und die Durchsicht nicht aufgrund von Beschlagnahmeverboten aus § 97 StPO für unzulässig gehalten hat (c). Substantielle Einwände gegen die Verhältnismäßigkeit der Maßnahme bringt der Beschwerdeführer nicht vor (d).
a) aa) Voraussetzung einer jeden Durchsuchung und damit auch der Durchsicht nach § 110 StPO ist der Verdacht, dass eine bestimmte Straftat begangen wurde. Dieser Anfangsverdacht muss auf konkreten Tatsachen beruhen; vage Anhaltspunkte und bloße Vermutungen reichen nicht aus (vgl. BVerfGE 44, 353 <371 f.>; 115, 166 <197 f.>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 15. August 2014 – 2 BvR 969/14 -, juris, Rn. 38). Durchsuchung und Durchsicht dürfen nicht der Ermittlung von Tatsachen dienen, die zur Begründung eines Verdachts erforderlich sind, denn sie setzen einen Verdacht bereits voraus (vgl. BVerfGK 8, 332 <336>; 11, 88 <92>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 1. August 2014 – 2 BvR 200/14 -, juris, Rn. 15). Ein Verstoß gegen diese Anforderungen liegt vor, wenn sich sachlich zureichende Gründe für eine Durchsuchung beziehungsweise Durchsicht nicht finden lassen (vgl. BVerfGE 59, 95 <97>).
Eine ins Einzelne gehende Nachprüfung des von den Fachgerichten angenommenen Verdachts ist nicht Aufgabe des Bundesverfassungsgerichts. Sein Eingreifen ist nur geboten, wenn die Auslegung und Anwendung der einfach-rechtlichen Bestimmungen über die prozessualen Voraussetzungen des Verdachts (§ 152 Abs. 2, § 160 Abs. 1 StPO) als Anlass für die strafprozessuale Zwangsmaßnahme und die strafrechtliche Bewertung der Verdachtsgründe objektiv willkürlich sind oder Fehler erkennen lassen, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung der Grundrechte des Beschwerdeführers beruhen (vgl. BVerfGE 18, 85 <92 ff.>; 115, 166 <199>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 1. August 2014 – 2 BvR 200/14 -, juris, Rn. 15).
bb) Die Annahme eines Anfangsverdachts des Besitzes kinderpornographischer Schriften ist jedenfalls nicht willkürlich und beruht nicht auf einer Verkennung des Grundrechts des Beschwerdeführers aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG.
(1) Als Erkenntnisquellen standen dem Landgericht drei Chat-Verläufe vom 2., 8. und 12. November 2017 sowie die Ergebnisse der polizeilichen Ermittlungen zu der sich hinter dem Pseudonym „O.“ verbergenden Person zur Verfügung. Mit den Inhalten der Chats hat sich das Landgericht in seiner Entscheidung eingehend auseinandergesetzt und sie zum Teil wörtlich wiedergegeben. Erkennbar beruht seine Bewertung auf den Chat-Inhalten………………
……………Zwar schildert „O.“ möglicherweise keine tatsächlichen Geschehnisse, sondern sexuelle Phantasien, diese aber in sehr bildhafter und auch drastischer Sprache. Es erregt den Verfasser offenkundig, sich Kinder und Jugendliche in den beschriebenen Posen und bei den beschriebenen sexuellen Handlungen vorzustellen oder sie in solchen Posen und bei solchen Handlungen zu betrachten. Kinder- und jugendpornographisches Material zur Befriedigung dieser Neigung ist im Internet auch leicht und anonym zu beschaffen. Vor diesem Hintergrund durfte es das Landgericht unter Heranziehung von kriminalistischer Erfahrung für möglich halten, dass der Verfasser der Chats strafbares kinderpornographisches Material zur Befriedigung seiner sexuellen Neigung besitzt, auch wenn in den Chats nicht über die Anfertigung, den Austausch oder den Besitz von kinderpornographischem Material gesprochen wird. Der angenommene Verdacht beruht auf einer ausreichenden tatsächlichen Grundlage und stellt sich daher nicht als bloße Vermutung dar.
(4) Das Landgericht leitet den Anfangsverdacht dabei auch nicht in unzulässiger Weise allein aus legalem Verhalten her.
Steht fest, dass eine Straftat begangen wurde, kann aus einem legalen Verhalten einer Person wie beispielsweise dem Erwerb eines Messers ohne Weiteres auf einen Anfangsverdacht geschlossen werden (vgl. Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 61. Aufl. 2018, § 152 Rn. 4a; Hoven, in: Fischer/Hoven, Verdacht, 1. Aufl. 2016, S. 117 <121 und 132>). Anders zu beurteilen sind Fälle wie der vorliegende, in denen eine konkrete Straftat noch nicht bekannt ist, bestimmte legale Handlungen einer Person es jedoch nach kriminalistischer Erfahrung möglich erscheinen lassen, dass sich die Person strafbar gemacht hat. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts kann in solchen Fällen ein Anfangsverdacht für die Begehung einer Straftat durch ein an sich legales Verhalten begründet werden, wenn weitere Anhaltspunkte hinzutreten (vgl. BVerfGK 5, 84 <90>; 8, 332 <336>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 23. März 1994 – 2 BvR 396/94 -, juris, Rn. 16-19; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 15. August 2014 – 2 BvR 969/14 -, juris, Rn. 38; siehe dazu auch LG Regensburg, Beschluss vom 10. Oktober 2014 – 2 Qs 41/14 -, BeckRS 2014, 100231, Rn. 17; Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 61. Aufl. 2018, § 152 Rn. 4a; Jahn, in: Fischer/Hoven, Verdacht, 1. Aufl. 2016, S. 147 <157>; Hoven, NStZ 2014, S. 361 <365 ff.>).
Zwar erfüllen die vorliegenden Chats keinen Straftatbestand. Es ist nicht strafbar, in Internet-Foren Texte wie die hier in Rede stehenden zu verbreiten. Allerdings kommt hinzu, dass „O.“ seinen Chatpartnern ganz offen von schweren Straftaten wie dem sexuellen Missbrauch von Schutzbefohlenen gemäß § 174 Abs. 1 Nr. 3 StGB und dem schweren sexuellen Missbrauch von Kindern gemäß § 176a Abs. 2 StGB berichtet. Auch wenn es sich möglicherweise um bloße Phantasien handelt, macht der Verfasser deutlich, dass ihn insbesondere auch strafbares Verhalten an und mit Kindern wie der Geschlechtsverkehr eines erwachsenen Mannes mit seiner 11-jährigen Tochter sexuell erregt. Angesichts dieses zusätzlichen Umstands begegnet die Annahme eines Anfangsverdachts des Besitzes kinderpornographischer Schriften keinen verfassungsrechtlichen Bedenken……………….
b) Das Landgericht hat das Bestehen eines der Durchsicht entgegenstehenden Beweisverwertungsverbots nicht unter Verletzung von Verfassungsrecht verneint.
aa) Zu Recht hat das Landgericht die Rechtswidrigkeit der Durchsuchungsanordnung vom 18. Januar 2018 festgestellt. Zudem genügte die Durchsuchungsanordnung entgegen seiner Ansicht auch im Hinblick auf den Vorwurf des (schweren) sexuellen Missbrauchs von Kindern nicht ihrer verfassungsrechtlich gebotenen Begrenzungsfunktion, da der Tatvorwurf weder zeitlich noch in Bezug auf das Opfer eingeschränkt wurde.
bb) Aus der bloßen Unzulässigkeit oder Rechtswidrigkeit einer Beweiserhebung folgt aber nicht ohne Weiteres ein Beweisverwertungsverbot (vgl. BVerfGK 9, 174 <196>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 27. April 2000 – 2 BvR 1990/96 -, juris, Rn. 8; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 2. Juli 2009 – 2 BvR 2225/08 -, juris, Rn. 15 m.w.N.). Insoweit gehen die Strafgerichte in gefestigter, willkürfreier Rechtsprechung davon aus, dass dem Strafverfahrensrecht ein allgemein geltender Grundsatz, dass jeder Verstoß gegen Beweiserhebungsvorschriften ein strafprozessuales Verwertungsverbot nach sich zieht, fremd ist, und dass die Frage jeweils nach den Umständen des Einzelfalls, insbesondere nach der Art des Verbots und dem Gewicht des Verstoßes unter Abwägung der widerstreitenden Interessen zu entscheiden ist. Insbesondere die willkürliche Annahme von Gefahr im Verzug oder das Vorliegen eines besonders schwerwiegenden Fehlers können danach ein Verwertungsverbot nach sich ziehen (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 28. Juli 2008 – 2 BvR 784/08 -, juris, Rn. 9 m.w.N.; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 2. Juli 2009 – 2 BvR 2225/08 -, juris, Rn. 16 m.w.N.). Die Beurteilung der Frage, welche Folgen ein möglicher Verstoß gegen strafprozessuale Verfahrensvorschriften hat und ob hierzu ein Beweisverwertungsverbot zählt, obliegt dabei in erster Linie den zuständigen Fachgerichten, so dass ein Eingreifen des Bundesverfassungsgerichts nur gerechtfertigt ist, wenn Verfassungsrecht verletzt wurde (vgl. BVerfGK 4, 283 <285>; 9, 174 <196>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 28. Juli 2008 – 2 BvR 784/08 -, juris, Rn. 9 m.w.N.).
cc) Die Bewertung des Landgerichts, es liege keine schwerwiegende Rechtsverletzung vor, die durch eine grobe Verkennung der Rechtslage geprägt sei, weshalb darauf abgestellt werden könne, ob die betreffenden Beweismittel auch bei einem hypothetisch rechtmäßigen Ermittlungsverlauf hätten gewonnen werden können, erscheint danach vertretbar und berücksichtigt die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. etwa BGH, Urteil vom 17. Februar 1989 – 2 StR 402/88 -, juris, Rn. 43). Der Beschwerdeführer setzt sich insofern weder mit der angegriffenen Entscheidung noch mit den verfassungsrechtlichen Maßstäben auseinander und zeigt nicht auf, warum ein Beweisverwertungsverbot verfassungsrechtlich zwingend sein soll………….“
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