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StPO I: Befangeheitsantrag des Angeklagten, oder: Nach dem letzten Wort absolut ausgeschlossen

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Heute dann Entscheidungen zum (Straf)Verfahren, also zur StPO.

Ich beginne mit dem BGH, Beschl. v. 25.05.2021 – 5 StR 482/20. Der BGH nimmt in dem Beschluss (noch einmal) zum spätesten Zeitpunkt für eine Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit Stellung:

„3. Die von beiden Angeklagten erhobene Rüge der Verletzung von § 338 Nr. 3 StPO, die auf ein nach der mündlichen Urteilsverkündung außerhalb der Hauptverhandlung gestelltes, gegen die Berufsrichter und die Schöffen gerichtetes Befangenheitsgesuch des Angeklagten B. gestützt wird, dem sich die Verteidigung des Angeklagten S. angeschlossen hatte, geht fehl.

Die Beschwerdeführer haben das Befangenheitsgesuch damit zu begründen gesucht, dass die von der Vorsitzenden der Strafkammer in der Urteilsbegründung geäußerte Einschätzung, „der Zoll habe alles sehr gut gemacht“ und „sich professionell verhalten“, sich als „objektiv und subjektiv willkürlich“ darstelle und deshalb die Besorgnis begründe, „die abgelehnten Richterinnen hätten die erforderliche Distanz, Neutralität und Unparteilichkeit auch sonst vermissen lassen.“ Dieses Befangenheitsgesuch hat die Strafkammer – unter Mitwirkung der abgelehnten Berufsrichterinnen – in der außerhalb der Hauptverhandlung zuständigen Kammerbesetzung zu Recht ohne Sachprüfung verworfen, weil Befangenheitsgesuche nach dem letzten Wort des Angeklagten absolut ausgeschlossen und damit unzulässig sind (§ 25 Abs. 2 Satz 2 StPO, vgl. KKStPO/Scheuten, 8. Aufl., § 25 Rn. 11 mwN).

Soweit in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs vereinzelt erwogen worden ist, ob es in Fällen einer deutlich zu Tage getretenen Voreingenommenheit möglich sei, von diesem Grundsatz durch eine einschränkende Auslegung der Vorschrift abzuweichen, wenn Ablehnungsgründe erst nach dem letzten Wort entstanden oder bekannt geworden seien und anders „unerträgliche Ergebnisse“ nicht vermieden werden könnten (BGH, Urteil vom 7. September 2006 – 3 StR 277/06, bei Cierniak, NStZ-RR 2009, 1, 2), liegen – ungeachtet der Frage ob eine solche einschränkende Auslegung angesichts des eindeutigen entgegenstehenden Wortlauts von § 25 Abs. 2 Satz 2 StPO überhaupt in Betracht kommen kann – die in der zitierten Entscheidung skizzierten Voraussetzungen nicht ansatzweise vor: Die Beschwerdeführer begründen ihre Ablehnung im Kern mit der von der Strafkammer im Urteil vorgenommenen Beweiswürdigung. Diese kann denknotwendig keine „Voreingenommenheit“ der an der Urteilsfindung beteiligten Richter zum Ausdruck bringen, ist es doch gerade die Aufgabe des Tatgerichts, über das Ergebnis der Beweisaufnahme nach seiner freien, aus dem Inbegriff der Hauptverhandlung geschöpften – und folglich zwingend spätestens in der Urteilsberatung zu bildenden – Überzeugung zu entscheiden (§ 261 StPO). Der Ort für die Darlegung dieser Überzeugungsbildung ist das Urteil (§ 267 Abs. 1 StPO), der Zeitpunkt dafür ist derjenige der Urteilsverkündung (§ 268 Abs. 2 StPO). Das Landgericht hat mithin seine ihm von der Strafprozessordnung aufgegebene Verpflichtung erfüllt, indem es die Beweise im Urteil gewürdigt hat, ohne dass – auch nach deren Vorbringen – etwa unnötige oder sachlich unzutreffende Werturteile über die Beschwerdeführer in der Begründung enthalten gewesen wären (vgl. dazu Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 64. Aufl., § 24 Rn. 13a mwN). Anhaltspunkte, die die Besorgnis der Befangenheit begründen könnten, sind deshalb unter keinem denkbaren rechtlichen Gesichtspunkt ersichtlich. Dass die Angeklagten sich ein anderes Ergebnis gewünscht haben mögen bzw. die Beweise anders gewürdigt hätten, ändert daran nichts.

Aus den genannten Gründen wäre das Befangenheitsgesuch im Übrigen auch nach § 26a Abs. 1 Nr. 2 StPO unzulässig, weil die Begründung – auch eingedenk des dabei anzuwendenden strengen Maßstabs – aus zwingenden rechtlichen Gründen völlig ungeeignet ist, was dem vollständigen Fehlen einer Begründung gleichsteht (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 64. Aufl., § 26a Rn. 4a mwN).“

Ablehnung wegen Befangenheit, Schnelligkeit ist Trumpf

entnommen wikimedia.org  Urheber Ulfbastel

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Es kommt auf die Sekunde an. Nun, vielleicht nicht auf die Sekunde, aber Schnelligkeit ist im Ablehnungsrecht dann doch Trumpf bzw. die richtige Reihenfolge entscheidend. Das musste sich ein Verteidiger im BGH, Urt. v. 10.11.2015 – 5 StR 303/15 – vom BGH bescheinigen lassen. Es war die Rüge der Verletzung des § 338 Nr. 3 StPO erhoben. Dazu der BGH:

„Hinsichtlich der Revision des Angeklagten bedarf nur die Rüge der fehlerhaften Zurückweisung des Befangenheitsgesuchs betreffend den beisitzenden Richter K. (§ 338 Nr. 3 StPO) der Erörterung:

Es kann dahinstehen, ob die Rüge bereits deswegen unzulässig ist (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO), weil die Revision versäumt, die nach Anbringung des Befangenheitsgesuchs abgegebenen Stellungnahmen mitzuteilen, insbesondere die der Staatsanwaltschaft bzw. eine etwaige Äußerung des abgelehnten Beisitzers, auf dessen Zeugnis sich der Angeklagte zur Glaubhaftmachung berufen hat (vgl. auch BGH, Urteil vom 11. März 2015 – 5 StR 578/14). Denn die Strafkammer hat den Befangenheitsantrag im Ergebnis zu Recht wegen Verspätung als unzulässig abgelehnt. Der Angeklagte hätte nach den insoweit geltenden strengen Maßstäben (vgl. etwa BGH, Beschlüsse vom 25. April 2006 – 3 StR 429/05, BGHR StPO § 25 Abs. 2 unverzüglich 5; vom 6. Mai 2014 – 5 StR 99/14, BGHR StPO § 25 Abs. 2 unverzüglich 6, jeweils mwN) das Befangenheitsgesuch unmittelbar nach Fortsetzung der Hauptverhandlung anbringen müssen. Dies hat er jedoch versäumt und zunächst einen bereits vor der 45-minütigen Unterbrechung angekündigten Beweisantrag gestellt.“

Also: Umgekehrte Reihenfolge.

NSU-Verfahren: Und der zweite Befangenheitsantrag wird dann auch abgelehnt

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Das OLG München macht heute die Ecken sauber bzw. bereitet alles für den (neu)Start am Dienstag vor. Spiegel-Online meldet gerade, dass nun auch der zweite Befangenheitsantrag, der noch nicht beschieden war, abgelehnt worden ist (vgl. hier). Das war der Antrag der Verteidiger von Beate Zschäpe wegen der Durchsuchung (der Verteidiger).

Dazu aus der Begründung – zitiert nach Spiegel.de:

„..In dem Beschluss von Freitag heißt es nun: Die Leibesvisitation sei aus Sicherheitsgründen erforderlich und diene „dem Schutz der Verteidiger und ihrer Integrität sowie ihrer Stellung als unabhängige Organe der Rechtspflege“. Die Angeklagten kämen „als vorrangiges Angriffsziel“ für diejenigen in Betracht, „die die Übernahem der Verteidigung von Angeklagten, die sie der rechten Szene zurechneten, nicht billigten und diese Missbilligung durch die Begehung von Straftaten oder andersgearteten Attacken auf die Person oder die Integrität der Verteidiger zum Ausdruck bringen wollten“. Dies gelte besonders für die Verteidiger von Beate Zschäpe, gegen die bereits Drohungen eingegangen seien.

Es liege „keine Diskriminierung der Verteidiger der Angeklagten Zschäpe gegenüber den Mitgliedern des Senats, den Vertretern des Generalbundesanwalts und den sonstigen Justizbediensteten“ vor, begründet das OLG seinen Beschluss. Die von der Durchsuchung ausgenommenen Personen befänden sich nicht wie die Verteidiger Zschäpes zu dieser in einem besonderen Näheverhältnis.

Zum Ganzen dann auch hier im Terrorismus-Blog NSU: Nach dem Antrag ist vor dem Antrag. Der Kollege dort weiß aus der Begründung noch zu berichten:

„Denn die Anwälte hätten ein besonderes Näheverhältnis zu Beate Zschäpe – wobei die Richter betonen, dass sie dieses Näheverhältnis allein aus der Verteidigerposition herleiten. Eine mögliche Gesinnungs-Nähe sehen die Richter also offenbar nicht.“

Letzteres wird die Kollegen Sturm, Stahl und Heer dann sicherlich beruhigen.

Die Ablehnung des Befangenheitsantrages überrascht mich nicht. Mit den Entscheidungen des BVerfG aus früheren Verfahren zur Durchsuchung von Verteidigern lässt sich argumentieren, ob gut, ist eine andere Frage. Denn durch besondere Begründungstiefe zeichnen sich die Entscheidungen m.E. nicht aus.

NSU-Verfahren: Erster Befangenheitsantrag abgelehnt

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Bei Spiegel-Online lese ich gerade (vgl. hier), dass es im NSU-Verfahren eine erste Entscheidung zu den Befangenheitsanträge vom vergangenen Montag gibt, und zwar:

  • Der Antrag des Angeklagten Ralf Wohlleben ist zurückgewiesen worden. Der war darauf gestützt, dass dem Angeklagten vom Gericht kein dritter Pflichtverteidiger zugestanden worden war – anders als der Hauptangeklagten Beate Zschäpe. Bei Spiegel-online heißt es dazu aus der Begründung: Es liegen „keine berechtigten Zweifel an der Unvoreingenommenheit der Richter“ vor. „Beim Vorsitzenden Richter Manfred Götzl etwa gebe es keine Gründe, „die geeignet sind, Misstrauen in die Unparteilichkeit des Vorsitzenden Richters zu haben“, heißt es in der Begründung.“ Wenn das alles ist, was ich nicht glaube, ist es wenig konkret. Aber würde letztlich auch nicht schaden, da die Rüge der Verletzung des § 338 Nr. 3 StPO wegen des Ausschlusses der sofortigen Beschwerde in § 304 Abs. 4 Satz 2 StPO nicht erfolgreich in der Revision erhoben werden kann.
  • Offen ist noch der Antrag der Angeklagten Beate Zschäpe, der u.a. auf die Durchsuchung der/ihrer Verteidiger gestützt war.

Nachtrag um 19.50: Der Befangenheitsantrag der Zschäpe-Verteidiger ist dann auch abgelehnt worden Vgl. dazu hier: NSU-Verfahren: Und der zweite Befangenheitsantrag wird dann auch abgelehnt

 

Gedanken zum NSU-Verfahren – das „Vergraulprogramm“

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Das alles beherrschende Thema der letzten Tage ist natürlich der Auftakt im Münchner NSU-Verfahren. Es war zu erwarten, dass es in der Presse – aber auch in den Blogs – erneut hoch hergehen würde – das Interesse wird sicherlich mit zunehmender Verfahrensdauer abnehmen. Ich habe länger überlegt, ob ich ich mich auch in die Reihe derjenigen einreihen soll, die etwas mehr oder weniger Bedeutendes beitragen (wollen).

Nun, ich habe mich dann doch dazu entschlossen, und zwar weil mir in der heutigen Berichterstattung ein Begriff sauer aufgestoßen ist. Nämlich der wohl von der „Ombudsfrau der Bundesregierung für die Hinterbliebenen der NSU-Opfer“, Barbara John, gebrauchte Begriff des „Vergraulprogramms“ (vgl. u.a. hier). Ich akzeptiere, dass Frau John dem „Lager“ der Hinterbliebenen angehört. Ich akzeptiere auch, dass das natürlich dazu führt, dass man deren Interessen besonders im Blick hat. Aber:

Ich kann aber nicht akzeptieren, dass nun das Verhalten des Gerichts – und damit inzidenter auch das der Verteidiger – als „Vergraulprogramm“ angesehen/bezeichnet wird. Die „dauernden Verschiebungen“ sind, liebe Frau John, doch nichts Besonderes. Die erleben wir in jedem Großverfahren und sie sind der StPO geschuldet. Und Verschiebungen haben Nebenkläger/Hinterbliebene in anderen Verfahren auch zu ertragen. Da von „Vergraulprogramm“ zu sprechen, liegt m.E. neben der Sache und zeigt, dass man sich offenbar nicht so richtig mit dem was zu erwarten war, vorab mal befasst hat.

Bisher kann ich weder von der Verteidigung noch vom Gericht Verzögerungen erkennen, die nicht prozessbezogen wären. Dass die Verteidigung einen Ablehnungsantrag stellen würde – ja musste – war zu erwarten. Es nicht zu tun nach der Diskussion um die Durchsuchung der Verteidiger, wäre m.E. ein Fehler gewesen, man muss sich eben alle prozessualen Möglichkeiten offen halten. Dass das Gericht darüber nicht sofort entscheiden würde – quasi aus der Hüfte geschossen – war auch zu erwarten; ob man deshalb eine Woche unterbrechen muss, ist eine andere Frage, aber das hat man hinzunehmen.

Deshalb nun von einem „Vergraulprogramm“ zu sprechen und dem Gericht und der Verteidigung Vorwürfe zu machen, man würde das Verfahren verschleppen, wie es u.a. auch einer der Nebenklägervertreter getan hat, liegt neben der Sache (ob der Kollege nun gleich „Amateur“ ist, wie der Kollege Siebers meint – vgl. Nebenklage – Amateure – lasse ich mal dahinstehen).

Und: Ich brauche ganz bestimmt auch keine „Ombudsfrau der Bundesregierung für die Hinterbliebenen der NSU-Opfer“, die das Gericht auffordert „möglichst schnell die Anklageschrift zu verlesen“.  Liebe Frau John, noch haben wir die StPO, an die sich das OLG  und – ich bin davon überzeugt – auch die Verteidiger von Beate Zschäpe halten werden/müssen. Und die sieht einen bestimmten Zeitpunkt für die Verlesung der Anklage vor. An dem kann – zum Glück – auch eine „Ombudsfrau der Bundesregierung für die Hinterbliebenen der NSU-Opfer“ nicht ändern. Zudem wäre es m.E. fatal, wenn nach all den Fehlern, die gemacht worden sind, nun „kurzer Prozess gemacht würde“. Denn eins darf man – bei allem Mitgefühl mit den Angehörigen der Ge­tö­te­ten – nicht vergessen – ich zitiere aus der gestrigen Presserklärung der Strafverteidigervereinigung NRW e.V.:

„…Auch und selbstverständlich auch für die Angeklagten dieses Verfahrens gel­ten die Unschuldsvermutung und der Zweifelsgrundsatz, dem­zu­fol­ge ein Beschuldigter erst schuldig ist, nachdem seine rechtskräftige Verurteilung er­folgt ist.

Die im Zentrum des Strafverfahrens und des staatlichen Strafanspruchs stehende Per­son ist der Angeklagte. Er ist Prozesssubjekt. Dies gilt mit allen Rechten auf rechts­staat­li­che und effektive Verteidigung auch für die Angeklagten dieses Ver­fah­rens.

Die Strafverteidigervereinigungen lehnen eine Teilhabe von Nebenklägern und ih­ren Vertretern am Strafverfahren mit allen Rechten, wie sie auch Verteidiger haben,  ab, da dies die Rechte von Verteidigung tangiert und in Extremfällen, zu denen die­ses Hauptverfahren gehören mag, marginalisieren kann. Das deutsche Straf­ver­fah­ren folgt der Offizialmaxime und ist nicht Parteiprozess wie der an­glo­a­me­ri­ka­ni­sche. Ein Verfahren, in dem den von bis zu maximal zulässigen drei Verteidigern ver­tei­dig­ten An­ge­klag­ten neben den Anklagevertretern etwa 70 Ne­ben­kla­ge­ver­tre­ter gegenüber sit­zen, begründet bereits auf den ersten Blick die Sorge eines Verstoßes gegen die Ge­bo­te des fair trial.

Die Hauptverhandlung ist der Ort ausschließlich der Klärung der Frage der Schuld der Angeklagten unter Wahrung der Gebote des fair trial und der Un­schulds­ver­mu­tung. Sie ist nicht der Ort geschichtlicher Aufarbeitung oder der Abrechnung mit man­nig­fal­ti­gem Versagen von Strafverfolgungsbehörden. Vor diesem Hintergrund ist es selbstverständliches Recht der Angeklagten zu schweigen und die selbst­ver­ständ­li­che Wahrnehmung gebotener Verteidigeraufgaben, in begründeten Fällen et­wa Befangenheitsanträge gegen Gerichtspersonen zu stellen. Verteidigerverhalten hat sich allein und ausschließlich an der bestmöglichen Verteidigung zu orientieren, nicht an öffentlichen Erwartungen, der Befindlichkeit Angehöriger der Opfer oder dem publizistischen Mainstream.“