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„Ich will meinen Sachverständigen bei der Anhörung“, oder: Sonst befangen

Im Strafvollstreckungsverfahren spielen häufig von der Strafvollstreckungskammer eingeholte Gutachten eine Rolle. Gehen die für den Verurteilten ungünstig aus, stellt sich für ihn immer auch die Frage: Lasse ich diese Gutachten durch einen Privatsachverständigen überprüfen? Und daran anknüpfend: Wie viel Zeit habe ich dazu bzw. mein Sachverständiger und daran dann weiter anknüpfend: Kann „mein“ Sachverständiger ggf. auch an einem Anhörungstermin teilnehmen? Die Fragen haben in einem Verfahren über die Aussetzung einer lebenslangen Freiheitsstrafe, das beim LG Essen anhängig war, eine Rolle gespielt und zu Streit zwischen der Kammer und dem Verteidiger des Verurteilten geführt. Der Verteidiger hat schließlich die Kammer wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt. Und er hat dann vom OLG Hamm im OLG Hamm, Beschl. v. 31.05.2016 – 1 Ws 209/16 – Recht bekommen. Seine Besorgnis war berechtigt. Dazu der Leitsatz der OLG-Entscheidung:

„Die Weigerung der Strafvollstreckungskammer, dem Verurteilten im Verfahren über die Aussetzung einer lebenslangen Freiheitsstrafe einen angemessenen Zeitraum zur Überprüfung des seitens des Gerichts eingeholten Sachverständigengutachtens durch einen von ihm selbst beauftragten Privatsachverständigen einzuräumen, und die in diesem Rahmen ebenfalls folgende Ablehnung des Antrages, dem Privatsachverständigen im Termin zur Anhörung des gerichtlichen Sachverständigen gemäß § 454 Abs. 2 S. 3 StPO als sachverständigen Berater der Verteidigung die Teilnahme im Termin zu gestatten, verstößt gegen die Grundsätze des fairen Verfahrens, schränkt die Verteidigung unzulässig ein und begründet die Besorgnis der Befangenheit der beteiligten Richter.“

 

(Unberechtigte) Entpflichtung, oder: Entfernung des „missliebigen Verteidigers“ als „bloße Demonstration der Macht“

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Führt eine unberechtigte Entpflichtung des Pflichtverteidigers zur Befangenheit des Vorsitzenden. Das war die Frage, die ein Angeklagter mit der Revision an den 2. Strafsenat des BGH herangetragen hat (ich weiß, „Besorgnis der Befangenheit“ reicht 🙂 ). Und die hat der BGH im BGH, Beschl. v. 23.09.2015 – 2 StR 434/14 – dann entschieden, und zwar auf der Grundlage folgenden Verfahrensgeschehens:

„Die Angeklagte hatte den Vorsitzenden Richter zu Beginn der (zweiten) Hauptverhandlung wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt, da dieser ihren als Pflichtverteidiger beigeordneten Verteidiger mit Verfügung vom 16. September 2013, am ersten Tag der (ersten) Hauptverhandlung, wegen mangelnder Zuverlässigkeit entbunden und ihm die durch die gleichzeitig verfügte Aussetzung der (ersten) Hauptverhandlung entstandenen Kosten auferlegt habe. Dem lag zugrunde, dass der Verteidiger am 10. September 2013, wenige Tage vor Beginn der (ersten) Hauptverhandlung (16. September 2013), einen Antrag auf ergänzende Akteneinsicht gestellt und, nachdem ihm die Akten in der Folgezeit nicht zugesandt worden waren, die Aussetzung des Verfahrens beantragt hatte. Die mangelnde Zuverlässigkeit begründete der Vorsitzende in seiner Verfügung vom 16. September 2013 damit, dass der Verteidiger schuldhaft „nicht zeitig nach Anklageerhebung … sondern erst wenige Tage vor dem Termin“ sein ergänzendes Akteneinsichtsgesuch gestellt habe.

Auf die Beschwerde des Verteidigers hat das Oberlandesgericht Frankfurt am Main mit Beschluss vom 28. Oktober 2013 die angefochtene Kostenentscheidung und die Verfügung des Vorsitzenden vom 16. September 2013 auf-gehoben.

In der dienstlichen Erklärung zum Ablehnungsantrag hat der Vorsitzende Richter ausgeführt, „an den Entscheidungen mitgewirkt bzw. die Entscheidung getroffen“ zu haben und sich im Übrigen „nicht für befangen“ zu halten.

Mit Beschluss vom 25. März 2014 hat das Landgericht den Befangenheitsantrag – ohne Mitwirkung des abgelehnten Richters – als unbegründet zurückgewiesen. Es sei nicht ersichtlich, dass die Entbindungs- oder die Kostenentscheidung des Vorsitzenden willkürlich oder von sachfremden Erwägungen beeinflusst gewesen seien.“

Der BGH sieht es anders. Nach seiner Auffassung ist das Ablehnungsgesuch gegenüber dem Vorsitzenden Richter zu Unrecht zurückgewiesen worden. Durch die Erwägung, auf welche er den Widerruf der Pflichtverteidigerbestellung stützte, habe er der Angeklagten berechtigten Grund zu der Annahme mangelnder Unvoreingenommenheit gegeben. Nach dem üblichen allgemeinen Vorspann (Textbaustein 🙂 ) geht es recht deutlich zur Sache:

Zwar lässt sich diese Besorgnis grundsätzlich nicht schon allein mit einer fehlerhaften Sachbehandlung begründen. Verfahrensverstöße, die auf einem Irrtum oder auf einer unrichtigen Rechtsansicht beruhen, stellen grundsätzlich keinen Ablehnungsgrund dar (st. Rspr.; vgl. Senat, Urteil vom 20. Juni 2007 – 2 StR 84/07, BGHR StPO § 24 Abs. 2 Befangenheit 19 mwN), sondern nur dann, wenn die Entscheidungen unvertretbar sind oder den Anschein der Willkür erwecken. So liegt der Fall hier.

Die Verfügung des Vorsitzenden Richters vom 16. September 2013, mit der der Pflichtverteidiger der Beschwerdeführerin entpflichtet worden ist, und der Beschluss, dem Verteidiger die durch die Aussetzung der (ersten) Haupt-verhandlung entstandenen Kosten aufzuerlegen, sind, wie auch der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift vom 11. Dezember 2014 und das Ober-landesgericht Frankfurt am Main – ohne Bindungswirkung für den Senat – im Rahmen des Beschwerdeverfahrens für diesen Sachverhalt mit Beschluss vom 28. Oktober 2013 ausgeführt haben, rechtsfehlerhaft.

Der Widerruf der Bestellung eines Pflichtverteidigers, der das Vertrauen der Angeklagten besitzt, berührt die Verteidigungsbelange auf das stärkste. Er setzt daher einen wichtigen Grund voraus. Es müssen Umstände vorliegen, die den Zweck der Pflichtverteidigung ernsthaft gefährden. Dieser besteht darin, dem Beschuldigten einen geeigneten Beistand zu sichern und einen geordneten Verfahrensablauf zu gewährleisten (BVerfGE 39, 238, 245; vgl. auch Senat, Urteil vom 31. Januar 1990 – 2 StR 449/89, BGHR StPO § 24 Abs. 2 Vorsitzen-der 3).

Die – angeblich – verspätete Stellung eines ergänzenden Akteneinsichtsgesuchs durch den Verteidiger der Angeklagten, rechtfertigte es hier nicht, einen geordneten Verfahrensablauf für gefährdet zu halten. Vielmehr konnte diese Begründung den Eindruck erwecken, es handele sich um einen nur vorgeschobenen Grund, mit dem das Ziel verfolgt wurde, einen missliebigen, weil unbequemen Verteidiger aus dem Verfahren zu entfernen.

Eine solche bloße Demonstration von Macht richtete sich dann aber nicht nur gegen den Verteidiger, der es – wie auch das Oberlandesgericht Frankfurt am Main im Beschluss vom 28. Oktober 2013 ausgeführt hat – lediglich versehentlich, keineswegs grob pflichtwidrig unterlassen hatte, zeitnah ein ergänzendes Akteneinsichtsgesuch zu stellen. Er traf vielmehr unmittelbar auch die Verteidigungsbereitschaft der Angeklagten. Diese konnte zu Recht befürchten, der Vorsitzende werde ihre Interessen auch sonst nicht ausreichend berücksichtigen und geneigt sein, auf nicht genehmes Verhalten ihrer selbst oder ihres Verteidigers in einer für sie nachteiligen Weise sachfremd zu reagieren (vgl. BGH, Urteil vom 9. März 1988 – 3 StR 567/87, BGHR StPO § 24 Abs. 2 Vorsitzen-der 1; Beschluss vom 9. August 1988 – 4 StR 222/88, BGHR StPO § 24 Abs. 2 Vorsitzender 2).

Sondermeldung: Gewaltenteilung in Hessen wohl aufgehoben, oder: Hinterzimmermauschelei im Bußgeldverfahren?

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Ich war in der letzten Zeit wiederholt von Kollegen darauf angesprochen worden, dass man es in Hessen als Verteidiger erst gar nicht mehr zu versuchen brauche, an Messdaten, insbesondere an Rohmessdaten, zu kommen. Ich war dann immer ein wenig irritiert, weil es ja den AG Kassel, Beschl. v. 27.02.2015 – 381 OWi – 9673 Js 32833/14, zfs 2015, 354, gibt, der das m.E. anders sieht/regelt/löst.

Nun bin ich aber erneut irritiert, und zwar in anderer Richtung. Ein Kollege hat mir nämlich ein Schreiben des Regierungspräsidiums Kassel übersandt, dass er auf seine Anforderung von Messdaten von dort erhalten hat. Darin heißt es:

„Sehr geehrter Herr

die mit Schreiben vom 05.10.2015 angeforderten Daten können nicht übersandt werden. Die Weitergabe von gan­zen Messdatensätzen (Messreihen) aus Geschwindigkeits- oder Abstandsmesssystemen -ohne konkreten Auftrag eines Gerichtes- ist aus datenschutzrechtlichen Gründen nicht statthaft.

Sogenannte Messrohdaten gibt es bei einer Messung mit dem hier verwendeten Messgerät ESO ES 3.0 nicht.

Anlässlich einer Dienstbesprechung meiner Behörde mit Vertretern des OLG Frankfurt am Main und der hessi­schen Amtsgerichte am 23.04.2015 wurde auch die Übersendung von Beweismitteln an Rechtsanwälte erörtert. Als grundsätzliche Verfahrensweise wurde u. a. festgelegt, dass dem Rechtsanwalt das Beweisfoto mit dem Schlüsselsymbol zu übersenden ist. Das Foto mit dem Schlüsselsymbol belegt nämlich zweifelsfrei die Integrität der Originaldaten. Eine Übersendung in digitaler Form ist nicht daher nicht erforderlich.

Das Foto mit dem Schlüsselsymbol habe ich heute bei der die Messung durchführenden Ordnungsbehörde ange­fordert und wird ihnen übersandt, wenn es mir vorliegt.

Die übersandte DVD gebe ich zu meiner Entlastung wieder zurück.“

Was soll man davon nun halten? Jedenfalls nicht viel. Denn der Inhalt des Schreibens steht m.E. im Widerspruch zu dem o.a. Beschluss des AG Kassel v. 27.02.2015.

Was mich aber viel mehr stört ist: „Anlässlich einer Dienstbesprechung meiner Behörde mit Vertretern des OLG Frankfurt am Main und der hessi­schen Amtsgerichte am 23.04.2015 wurde auch die Übersendung von Beweismitteln an Rechtsanwälte erörtert. Als grundsätzliche Verfahrensweise wurde u. a. festgelegt….“. Das ist in meinen Augen die Aufgabe der Gewaltenteilung, wenn sich nämlich das Regierungspräsidium als Teil der Exekutive mit Vertretern der Judikative zusammensetzt und man (vorab) „festlegt“, was auf bestimmte Anforderungen eines Verteidigers zu geschehen hat. Da brauche ich dann in der Tat als Verteidiger erst gar nicht mehr anzufragen oder einen Antrag zu stellen:

Denn, wenn die Verwaltungsbehörde dem nicht stattgibt, ist das völlig „ungefährlich“ für einen ggf. gestellten Antrag auf gerichtliche Entscheidung, weil man ja „mit Vertretern …… der hessi­schen Amtsgerichte“, schon „festgelegt“ hat, was der Verteidiger bekommt und – es gilt der Vertrauensschutz – die „Vertreter …… der hessi­schen Amtsgerichte“ sich sicher daran halten werden. Aber auch für die ist es „ungefährlich“, denn man hat sich ja auch schon „mit Vertretern des OLG Frankfurt am Main …“ „unterhalten“/“festgelegt“. Das bedeutet für mich, dass man von dort aus signaliesiert hat, wie man mit diesen Fragen in der Rechtsbeschwerde umgehen wird. Wie gesagt „Vertrauensschutz“. Der Verteidiger kann also machen, was er will: Es ist bereits entschieden, beim AG und auch beim OLG. Diese „Hinterzimmermauschelei“ ist für mich die Aufhebung der Gewaltenteilung durch die (Verwaltungs)“Behörde mit Vertretern des OLG Frankfurt am Main und der hessi­schen Amtsgerichte.“

Der Kollege hat gefragt, was man denn tun könne/solle: Na ja, ich denke mal, man fragt ggf. bei den (Richter)Kollegen mal nach, ob sie daran teilgenommen haben und wie sie es mit der Besprechung und ihrem Ergebnis denn so halten. Für mich lässt § 24 StPO grüßen.

Ach so: Mal sehen, ob sich die Rechtsprechung beim AG Kassel ändert.

Aufbewahrung von Erbrochenem für den Sachverständigen? – befangen ist die Vorsitzende nicht

FragezeichenIch erinnere: Im „Schreiber-Verfahren“ beim LG Augsburg hatte das LG dem Angeklagten, der sich auf eine Erkrankung, nämlich eine akute Gastroenteritis berufen und mit der Begründung die Aufhebung eines Hautpverhandlungstermins beantragt hatte, dem Angeklagten aufgegeben, von ihm Erbrochenes in einem Eimer aufzubewahren und einem Sachverständigen ggf. für eine Untersuchung zur Verfügung zu stellen. Dagegen hatte der Angeklagte Beschwerde eingelegt und beim OLG München im OLG München, Beschl. v. 10.09.2013 – 3 Ws 661 und 662/13 Recht bekommen (vgl. Fassungslos! Aufbewahrung von Erbrochenem für den Sachverständigen?). Im Verfahren hatte der Angeklagte dann die Vorsitzende der Strafkammer abgelehnt, damit aber keinen Erfolg gehabt.

Und der BGH sieht es dann im BGH, Beschl. v. 28.07.2015 – 1 StR 602/14natürlich auch anders:

aa) Die beanstandete Vorgehensweise der Vorsitzenden Richterin erweist sich als sachgerecht. Die Erkrankung des Angeklagten hatte die vom Sachverständigen angegebene typische Dauer von 36 bis 48 Stunden am Morgen des 24. Juli 2013 nach Ausbruch am 20. Juli 2013 schon deutlich überschritten. Dass sie daher den Sachverständigen mit der körperlichen Untersuchung beauftragte, diente der Objektivierung der Beschwerden und der Abklärung des Einflusses auf die bestehende Herzerkrankung, wie die Vorsitzende schon in ihrer Verfügung vom 24. Juli 2014 niederlegte. Es gehört gerade vor dem Hintergrund des in Haftsachen – der gegen den Angeklagten bestehende Haftbefehl war nur außer Vollzug gesetzt – geltenden Beschleunigungsgrundsatzes zu den Aufgaben des Vorsitzenden, die behauptete Verhandlungsunfähigkeit zu überprüfen und damit eine möglichst effektive Durchführung der Hauptverhandlung zu gewährleisten. Soweit die Revision geltend macht, dies sei nicht erforderlich gewesen, weil zwei eindeutige medizinische Voten für Verhandlungsunfähigkeit vorgelegen hätten, verkennt sie schon die Ausrichtung der Maßnahme auf den nächsten Verhandlungstag, den 30. Juli 2013. Denn für den 22. und 24. Juli 2013 hatte die Vorsitzende, dem Votum des Hausarztes bzw. des gerichtlich bestellten Sachverständigen folgend, die Ver-handlung wegen akuter Erkrankung bereits abgesetzt. Dass von der Vorsitzenden die Sicherung der zukünftigen Verhandlungsfähigkeit, die kein medizinisches Zeugnis abdeckte, intendiert war, ergibt sich auch aus dem von ihr in den Blick genommenen abendlichen Untersuchungszeitpunkt. Hinzu kam, dass die Einschätzung des Sachverständigen auf der telefonischen Mitteilung des Angeklagten beruhte, was keine zuverlässige Grundlage für eine Diagnose darstellt.

Medizinische Untersuchungen sind aber zumeist mit Eingriffen in die Intimsphäre des zu Untersuchenden – was die Revision beanstandet – verbunden. Dieser Eingriff mag durch die Begutachtung von Körperausscheidungen, die zu diesem Zweck aufzubewahren sind, intensiviert worden sein. Gleichwohl stellt diese Methode zur medizinischen Befunderhebung – üblicher freilich für andere Körperausscheidungen, was die damit verbundene Beeinträchtigung aber nicht entscheidend verändert – angesichts des damit verfolgten Zwecks keine unzumutbare Untersuchung dar und führt nicht dazu, dass die Vorsitzende hiermit den Boden einer ordnungsgemäßen Verhandlungsleitung verlassen hätte. Denn es war zu berücksichtigen, dass der Sachverständige diese Unter-suchungsmethode sowohl zur Objektivierung der geschilderten Symptome als auch zum Ausschluss einer viralen und die zukünftige Verhandlungsfähigkeit in Frage stellenden Infektion benannt hat. Dass die Vorsitzende im Rahmen der ihr obliegenden Anleitung des Sachverständigen einen dahingehenden Auftrag erteilt hat, ist vor diesem Hintergrund nicht zu beanstanden. Letztlich wurde die Körperausscheidung auch vom Sachverständigen untersucht und diente der diagnostischen Einordnung. Dass der Sachverständige dann keinen Anlass sah, eine Laboruntersuchung zu veranlassen, unterfällt seinem Verantwortungsbereich.

bb) Es besteht für einen vernünftigen bzw. verständigen Angeklagten kein Anlass, aufgrund einer solchen sachgerechten Verfahrensweise anzunehmen, der Richter habe ihm gegenüber in der Sache selbst bereits eine innere Haltung angenommen, die seine Unparteilichkeit und Unvoreingenommenheit störend beeinflussen kann. Insbesondere die in dem Ablehnungsantrag geltend gemachte Sorge, die Richterin wolle, dass er krank bleibe und ein Erbrechen provozieren, um ihn zu traktieren, entbehrt vor dem Hintergrund, dass die Aufforderung nur für den Fall abermaligen Erbrechens gegolten und der Angeklagte selbst fortdauerndes Erbrechen geltend gemacht hat, jeder vernünftigen Grundlage.

cc) Dass das Oberlandesgericht München auf eine für zulässig erachtete Beschwerde des Angeklagten für die „im Rahmen der Verfügung vom 24. Juli 2013 … getroffene Anordnung, wonach der Angeklagte das von ihm an diesem Tag Erbrochene in einem Eimer aufzubewahren und dem Sachverständigen zur Verfügung stellen sollte“, die Rechtswidrigkeit festgestellt hat, ändert an dieser Wertung nichts.

Der Senat ist zuständig für die Entscheidung, ob der Revisionsgrund des § 338 Nr. 3 StPO vorliegt. Dabei hat er nach Beschwerdegrundsätzen über die geltend gemachte Befangenheit zu entscheiden. Dass das Oberlandesgericht eine frühere Beschwerdeentscheidung für diesen Sachverhalt – ungeachtet § 305 StPO – getroffen hat, entfaltet keinerlei Bindungswirkung für den Senat. Die Wertung des Oberlandesgerichts, die Maßnahme sei nicht zweckdienlich und entwürdigend, nicht auch nur annähernd „verhältnismäßig“ und beeinträchtige tiefgreifend die Menschenwürde und das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Angeklagten, teilt der Senat aus den oben dargestellten Gründen nicht. Ob dies auf den Abweichungen im zugrunde gelegten Sachverhalt beruht, kann dahinstehen.“

Sehr subtil übrigens, wie der BGH dem OLG dann auch gleich noch einen „mitgibt“: „Dass das Oberlandesgericht eine frühere Beschwerdeentscheidung für diesen Sachverhalt – ungeachtet § 305 StPO – getroffen hat, …“

SMS aus der Hauptverhandlung – das geht gar nicht….

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Das BGH, Urt. v. 17.06.2015 – 2 StR 228/14 – ist gestern (endlich) auf der Homepage des BGH veröffentlicht worden. Die Entscheidung hatte ja bereits, als nur die PM existiert, einige Blogs zu Postings veranlasst. Ich warte dann ja immer lieber auf den Volltext. Nun ist er da und ich kann die Entscheidung dann auch vorstellen.

Gegenstand des Urteils sind (private) SMS, die eine beisitzende Richterin während einer laufenden Hauptverhandlung versandt hatte. Die Die Angeklagten hatten die Beisitzerin wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt, da diese während der Vernehmung eines Zeugen am vierten Hauptverhandlungstag über einen Zeitraum von etwa zehn Minuten mehrfach ihr Mobiltelefon bedient habe. Aufgrund des mit der Bedienung des Mobiltelefons und dem Schreiben von Kurzmitteilungen einhergehenden Aufmerksamkeitsdefizits sei das Fragerecht bzw. die Fragemöglichkeit der abgelehnten Richterin eingeschränkt. Damit sei der Eindruck erweckt worden, die Richterin habe sich mangels uneingeschränkten Interesses an der Beweisaufnahme bereits zur Tat- und Schuldfrage der Angeklagten festgelegt. In der dienstlichen Erklärung hat die beisitzende Richterin u.a. ausgeführt, ihr vor ihr liegendes stumm geschaltetes Mobiltelefon in der Hauptverhandlung als „Arbeitsmittel“ zu nutzen. Die an diesem Tag erwartete Sitzungszeit sei bereits deutlich überschritten gewesen. Einen (stummen) Anruf von zu Hause habe sie mit einer vorgefertigten SMS des Inhalts „Bin in Sitzung“ beantwortet; eine weitere dringende SMS-Anfrage bezüglich der weiteren Betreuung der Kinder habe sie „binnen Sekunden“ beantwortet. Auf Rüge Auf Rüge der Verteidigung habe sie diesen Sachverhalt öffentlich gemacht und sich entschuldigt.

Dem BGH reicht die Entschuldigung nicht. Er sieht das Ablehnungsgesuch – anders als die Strafkammer – als begründet und damit § 338 Nr. 3 StPO als gegeben an:

Angesichts der Tatsache, dass es die beisitzende Richterin wegen der erwarteten Überschreitung der Sitzungszeit mit vorgefertigter SMS offensichtlich von vornherein darauf angelegt hat, aktiv in der Hauptverhandlung in privaten Angelegenheiten nach außen zu kommunizieren, kommt es entgegen der Auffassung im ablehnenden Beschluss des Landgerichts auch nicht darauf an, ob deswegen die Aufmerksamkeit der Richterin erheblich reduziert gewesen sei. Denn die beisitzende Richterin hat sich während der Zeugenvernehmung durch eine mit der Sache nicht im Zusammenhang stehende private Tätigkeit nicht nur gezielt abgelenkt und dadurch ihre Fähigkeit beeinträchtigt, der Verhandlung in allen wesentlichen Teilen zuverlässig in sich aufzunehmen und zu würdigen; sie hat damit auch zu erkennen gegeben, dass sie bereit ist, in laufender Hauptverhandlung Telekommunikation im privaten Bereich zu betreiben und dieses über die ihr obliegenden dienstlichen Pflichten zu stellen. Von kurzfristigen Abgelenktheiten, wie sie während einer länger andauernden Hauptver-handlung auftreten können, unterscheidet sich dieser Fall dadurch, dass eine von vornherein über den Verhandlungszusammenhang hinausreichende externe Telekommunikation unternommen wird; eine solche ist mit einer hinreichenden Zuwendung und Aufmerksamkeit für den Verhandlungsinhalt unvereinbar.

Klare und deutliche Worte, denen m.E nichts hinzuzufügen ist. SMS aus der Hauptverhandung geht gar nicht. Man stelle sich das Szenario vor, das würden alle Berufs- und Laienrichter machen. Dann hört gar keiner mehr zu. Und: Auf den „Einwand“ „Arbeitsmittel“ muss man ja auch erst mal kommen. Kreativ, Frau Kollegin

Allerdings: SMS aus der Hauptverhandlung geht m.E auch nicht für Verteidiger, oder?