Schlagwort-Archive: Arrestverfahren

Gegenstandswert nicht 3.621.930,00 €. sondern nur 7.024,68 €, oder: Wertfestsetzung im Arrestverfahren

© fotomek – Fotolia.de

Ich hatte im vorigen Jahr über das OLG Frankfurt, Urt. v. 11.05.2017 – 1 U 203/15 berichtet (vgl. RVG: Gegenstandswert 3.621.930,00 € oder nur 7.024,68 €?, oder: Wertfestsetzung im Arrestverfahren). In dem Urteil hatte das OLG zu zwei Fragen Stellung genommen, nämlich einmal dazu, ob im Fall der Tätigkeiten des Rechtsanwalts/Verteidigers im Hinblick auf die Rückgewinnungshilfe nach altem Recht (auch) die Nr. 4142 VV RVG anfällt – das OLG hatte das bejaht – und von welchem Gegenstandswert in den Fällen des Arrestes auszugehen ist.

Nun liegt zu der Entscheidung die Revisionsentscheidung des BGH vor mit dem BGH, Urt. v. 08.11.2018 – III ZR 191/17, und zwar:

Der BGH hat zur Frage der Nr. 4142 VV RVG bei der Rückgewinnungshilfe aus revisionsrechtlichen Gründen nicht Stellung nehmen (müssen), m.E. lässt sich dem Urteil aber entnehmen, dass er derselben Auffassung wie das OLG ist.

Dem OLG hat sich der BGH dann auch hinsichtlich des Gegenstandswertes angeschlossen, und zwar mit folgenden Leitsätzen:

  1. Bei einem dinglichen Arrest nach § 111b Abs. 2, 5 StPO aF ist der Gegen­standswert für eine zusätzliche Verfahrensgebühr nach Nr. 4142 VV RVG aF ausgehend von dem zu sichernden Anspruch gemäß § 23 Abs. 1 Satz 1 und 2 RVG in Verbindung mit § 53 Abs. 1 Nr. 1 GKG, § 3 ZPO zu schät­zen. Maßgebend ist dabei das wirtschaftliche Interesse des Betroffenen an der Abwehr der Arrestforderung, wobei die konkrete wirtschaftliche Situa­tion in den Blick zu nehmen ist. Beträge, deren Durchsetzbarkeit nicht ernstlich in Betracht kommt und die deshalb eher fiktiven Charakter haben, bleiben unberücksichtigt.
  2. Das für die Wertberechnung gemäß § 2 Abs. 1 RVG maßgebliche Interes­se des Betroffenen an der Abwehr des Arrests geht nicht weiter, als Ver­mögenswerte vorhanden sind, auf die im Wege der Arrestvollziehung zu­gegriffen werden kann. Entscheidend ist dabei der Zeitpunkt, zu dem der Anwalt – gegebenenfalls auch nur beratend – tätig wird.

Also: Gegenstandswert nicht 3.621.930,00 € sondern nur 7.024,68 €. Wäre ja auch zu schön gewesen.

„Mandantenfreundlich“ im Arrestverfahren 6 x die zusätzliche Verfahrensgebühr? oder: Sprachlos, weil falsch

© J.J.Brown – Fotolia.com

In den heutigen Gebührenfreitag starte ich mit dem LG Chemnitz, Beschl. v. 12.07.2018 – 4 Qs 231/18, der mir vor einigen Tagen von dem Kollegen, der ihn erstritten hat, übersandt worden ist. Auf den ersten Blick eine „ganz normale“ Entscheidung zur zusätzlichen Verfahrensgebühr Nr. 4142 VV RVG. Wenn man sich den Beschluss dann genauer ansieht, stellt man fest: Normal ist nicht. Ich war dann über den Beschluss auch „sprachlos“ oder aber „sehr erstaunt“.

Zunächst zum „Normalen“. Es geht wie gesagt um die Gebühr Nr. 4142 VV RVG, nachdem der Verteidiger für den ehemaligen Angeklagten im Arrestverfahren tätig geworden ist. Das AG hat den ehemaligen Angeklagten vom Vorwurf des Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt rechtskräftig frei gesprochen. Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des ehemaligen Angeklagten sind der Staatskasse auferlegt worden. Gestritten wird dann noch um die Gebühren des Verteidigers.  Insoweit lassen sich die (knappen) Ausführungen des LG in etwa folgenden Leitsätzen zusammenfassen:

  1. Die Gebühr Nr. 4142 VV RVG entsteht auch bei der Anordnung des Arrestes zum Zwecke der Rückgewinnungshilfe (zum alten Recht).
  2. Im Regelfall ist als Gegenstandswert 1/3 des zu sichernden Hauptanspruches anzusetzen.

So weit, so gut. Nun dann aber der Teil, der „sprachlos“ macht. Gehandelt hat es sich um ein umfangreiches Arrestverfahren, und zwar:

  • Das AG hatte bereits im Ermittlungsverfahren AG am 18.02.2016 dinglichen Arrest in Höhe von 306.610,42 € in das Vermögen des ehemaligen Angeklagten angeordnet.
  • Gegen den Beschluss hatte der Verteidiger Beschwerde eingelegt. Die ist vom LG am 07.04.2016 als unbegründet verworfen worden.
  • Die hiergegen gerichtete weitere Beschwerde hat das OLG ebenfalls am 22.08.2016 als unbegründet angesehen.
  • Am 08.12.2016 hat das AG den Arrestbeschluss vom 18.02.2016 nebst den dazugehörigen Pfändungsmaßnahmen aufgehoben.
  • Dagegen legte die Staatsanwaltschaft Beschwerde ein und verband diese Beschwerde mit dem Antrag, die Vollziehung der angefochtenen Entscheidung bis zur Entscheidung über die Beschwerde der Staatsanwaltschaft auszusetzen. Das LG hat am 17.01.2017 die amtsgerichtliche Entscheidung aufgehoben.
  • Die dagegen gerichtete weitere Beschwerde des Angeklagten hatte Erfolg, das OLG hat am 20.03.2017 die Entscheidung des LLG aufgehoben und klargestellt, dass der dingliche Arrest des AG aufgehoben bleibt.

Im Festsetzungsverfahren setzt das LG dann die Gebühr Nr. 4142 VV RVG insgesamt sechsmal fest, und zwar

  • für das ursprüngliche Antragsverfahren beim AG,
  • das Beschwerdeverfahren beim LG,
  • das weitere Beschwerdeverfahren beim OLG,
  • das (nochmalige Beschwerdeverfahren beim LG,
  • das Eilverfahren beim LG
  • sowie das nochmalige weitere Beschwerdeverfahren beim OLG.

Festgesetzt worden ist außerdem sechsmal die Nr. 7002 VV RVG. Insgesamt hat die Kammer inkl. MwSt. einen Betrag von 10.201,87 € festgesetzt.

Eine konkrete Begründung gibt es nicht, außer dass die Kammer darauf verweist, dass die Gebühr Nr. 4142 VV RV „rechtszugbezogen“ ist.

Diese Festsetzung macht mich „sprachlos“, denn sie beruht m.E. auf einer Verkennung der Strukturen und Grundlagen des RVG, und zwar sowohl beim Verteidiger, der diese Festsetzung beantragt hat, als auch beim Vertreter der Staatskasse, der insoweit der Festsetzung offenabr nicht entgegengetreten ist und das Ergebnis offenbar hingenommen hat, als auch der Kammer des LG, die so festgesetzt hat. Alle übersehen, dass es sich bei der Nr. 4142 VV RVG um eine zusätzliche Verfahrensgebühr handelt, die der als Verteidiger tätige Rechtsanwalt zusätzlich zu den ihm sonst zustehenden Gebühren verdient (wegen allem die Kommentierung bei Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG, Nr. 4142 VV Rn 1 ff. und in allen anderen RVG-Kommentaren). Diese zusätzliche Verfahrensgebühr ist, worauf das LG insoweit zutreffend hinweist, zwar nach Anm. 3 zu Nr. 4142 VV RVG „rechtszugbezogen“, d.h. sie „entsteht für das Verfahren des ersten Rechtszugs einschließlich des vorbereitenden Verfahrens und für jeden weiteren Rechtszug“. Aber doch nicht so, wie es offenbar die Kammer meint, nämlich jeweils für das Antragsverfahren, das Beschwerdeverfahren, das weitere Beschwerdeverfahren, das Eilverfahren (!) und nochmals für das weitere Beschwerdeverfahren, sondern zusätzlich zu den übrigen Gebühren des Verteidigers in jedem Rechtszug des Strafverfahrens, also ggf. insgesamt maximal dreimal – nämlich vorbereitendes Verfahren und gerichtliches Verfahren I. Instanz, Berufungsverfahren und Revisionsverfahren (Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG, Nr. 4142 Rn 14 f.).

Alles andere könnte allenfalls dann richtig sein, wenn die Nr. 4142 VV RVG eine eigenständige Gebühr wäre, was sie aber nicht ist. Es handelt sich um eine zusätzliche Gebühr, die nur neben den übrigen Gebühren von Teil 4 Abschnitt 1 VV RVG entstehen kann. Im Übrigen stünde dann auch noch § 19 Abs. 1 Satz 2 Nr. 10a RVG entgegen. Danach gehören Beschwerden im Strafverfahren zum Rechtszug, wenn nichts anderes geregelt ist. Das ist/wäre aber nicht der Fall.

Richtig wäre es daher gewesen, wenn das LG nur eine Gebühr Nr. 4142 VV RVG nach einem Gegenstandswert in Höhe von 102.203,47 € also eine Gebühr in Höhe von 1.503,00 € festgesetzt hätte. Auch die Festsetzung der Nr. 7002 VV RVG scheidet im Übrigen aus, da es sich nicht um eine eigenständige Angelegenheit i.S. der Nr. 7002 VV RVG i.V.m. § 15 RVG handelt.

Sprachlos bin ich dann übrigens noch aus einem weiteren Grund: Ich habe den Verteidiger, der mir die Entscheidung geschickt hat, auf deren Falschheit angesprochen. Der hat mir geantwortet, dass ich „dogmatisch Recht haben [möge] (jedenfalls nach der Wortlautauslegung). In der Praxis kann das aber nicht der alleinige Maßstab sein; insbesondere dann nicht, wenn die Entscheidung im Ergebnis sachgerecht und mandantenfreundlich ist.“ Der Gesetzgeber habe an die Beschwerdeverfahren innerhalb des Arrestverfahrens schlicht nicht gedacht hat. Dass eine monatelange Verteidigung im Arrestverfahren mit hohen Beträgen und großer Bedeutung für den Mandanten  mit den Rahmengebühren des jeweiligen Rechtszuges nicht annähernd kompensiert werde, sei hoffentlich Konsens. In nahezu allen anderen Rechtsgebieten sei es normal, dass derjenige zahlt, der verliert. Er jedenfalls werde sich – trotz meines Einwandes vermeintlicher Falschheit – fortan immer auf die Entscheidung des LG Chemnitz stützen, die nach seiner Überzeugung auch der materiellen Gerechtigkeit entsprechet. Wenn der Gesetzgeber das Problem gesehen hätte, hätte er es genauso auch geregelt.

Die Sicht kann ich nicht nachvollziehen. Die Honorierung der Tätigkeiten des Verteidigers im Arrestverfahren ist in Teil 4 Abschnitt 1 VV RVG nur mit einer zusätzlichen Verfahrensgebühr als Wertgebühr erfolgt. Allein schon daraus ergibt sich, dass die Gebühr alle Tätigkeiten des Rechtsanwalts in dem Zusammenhang abdeckt. Auch die im Beschwerdeverfahren. Die Beschwerde eröffnet im Übrigen auch keinen neuen Rechtszug. Wenn der Gesetzgeber das anders gesehen hätte, hätte er es in den § 18, 19 RVG regeln können und müssen. Genau das hat er aber nicht getan.

Dre Verteidiger hatte dann noch ausgeführt: „Sofern Sie hingegen von Ihrer Wortlautauslegung der Nr. 4142 VV nicht abzubringen sind, wäre ich Ihnen zur Vermeidung einer mandantenfeindlichen Negativ-Kommentierung dankbar, die Entscheidung nicht in Ihren Gebühren-Blog aufzunehmen.“ Das hat mich dann das dreitte Mal sprachlos gemacht und ich habe dem Kollegen – in einigermaßen wohl gesetzten Worten – geantwortet, dass „ich mir nicht den Mund verbieten lasse“ und daher die Entscheidung kommentieren werde. Das habe ich hiermit getan.