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Nebenklage I: Anschlussberechtigung, oder: Unterlassene Hilfeleistung

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Heute stelle ich drei Entscheidungen vor, die in Zusammenhang mit der Nebenklage (§§ 385 ff. StPO) stehen. Das ist ein Bereich, der von manchem Verteidiger kritisch gesehen wird, aber: M.E. ein Bereich, der (auch) seine Berechtigung hat. Obwohl: Wenn man manche Nebenklägervertreter in/nach Umfangsverfahren pp. – vgl. z.B. das NSU-Verfahren – reden hört – gern in Talksshows -, dann hat man schon den Eindruck, dass sie die Stellung des Nebenklägers und die Funktion der Nebenklage dann doch ein wenig überschätzen.

Aus dem Bereich der Nebenklage kommt hier dann zunächst das BGH, Urt. v. 28.01.2021 – 3 StR 279/20.

Das LG hat  den Angeklagten wegen Freiheitsberaubung verurteilt. Dagegen die Revision des Nebenklägers der mit seiner auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützten Revision die Verurteilung des Angeklagten auch wegen unterlassener Hilfeleistung erstrebt. Das Rechtsmittel hatte beim BGH – im Ergebnis – Erfolg:

„Das Landgericht hat im Wesentlichen folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:

1. Am Morgen des 22. Juli 2019 begab sich der Nebenkläger gegen 10:00 Uhr zur Wohnanschrift des Angeklagten. Nach seiner Ankunft kam es zwischen den beiden zu einer mit Blick auf Anlass und Intensität nicht näher aufklärbaren verbalen und körperlichen Auseinandersetzung. Im Zuge dieser sperrte der Angeklagte die Eingangstür ab, um den Beschwerdeführer zu hindern, sich aus der Wohnung zu begeben. Zwischen 12:30 und 13:00 Uhr „verließ“ der Nebenkläger die Wohnung durch das Fenster des Schlaf-/Wohnzimmers, dessen Unterkante sich in einer Höhe von 7,61 m über dem Boden befindet, und stürzte auf die darunterliegende Rasenfläche. Er lehnte die ihm durch einen Zeugen angebotene Hilfe ab und entfernte sich zunächst ohne fremde Unterstützung in Richtung der gegenüberliegenden Straßenseite, wo er schließlich aufgrund seiner schwerwiegenden Verletzungen zusammenbrach. Gegen 13:01 Uhr tätigten Passanten einen Notruf. Der Beschwerdeführer wurde notärztlich versorgt und zur Behandlung in eine Klinik verbracht. Er erlitt multiple Prellungen und Hämatome im Gesichtsbereich, eine Gehirnerschütterung, eine Fraktur des linken kleinen Fingers, ein stumpfes Bauchtrauma mit einem Abriss der Nierenarterie links und akuter intraabdomineller Blutung, weshalb die linke Niere durch eine Not- operation entfernt werden musste.

Dass der Angeklagte – wie ihm in der Anklageschrift zur Last gelegt – den Beschwerdeführer aus dem Fenster stieß oder der Sturz anderweitig auf dessen Verhalten zurückzuführen war, hat die Jugendkammer nicht feststellen können.

2. Das Landgericht ist davon ausgegangen, der Angeklagte habe sich der Freiheitsberaubung nach § 239 Abs. 1 StGB schuldig gemacht. Den Qualifikationstatbestand des § 239 Abs. 3 Nr. 2 StGB hat es nicht als erfüllt angesehen, da es sichere Feststellungen zu einem inneren Zusammenhang zwischen dem Absturz und der Freiheitsberaubung nicht habe treffen können. Eine Strafbarkeit des Angeklagten wegen unterlassener Hilfeleistung nach § 323c StGB scheide aus, da dieser nach seiner nicht zu widerlegenden Einlassung davon ausging, der Nebenkläger, der sich zunächst selbständig vom Unfallort entfernte, bedürfe keiner Hilfe. Davon, dass der Angeklagte dessen späteren Zusammenbruch auf der gegenüberliegenden Straßenseite beobachtet habe, hat sich das Landgericht nicht überzeugt.

II.

Die zulässige Revision des Nebenklägers hat in der Sache Erfolg.

1. Das Rechtsmittel ist zulässig, insbesondere ist der Beschwerdeführer rechtsmittelbefugt. Hierzu gilt:

a) Nach § 400 Abs. 1 StPO kann der Nebenkläger ein Urteil nicht mit dem Ziel anfechten, dass eine andere Rechtsfolge der Tat verhängt wird oder dass der Angeklagte wegen einer Gesetzesverletzung verurteilt wird, die nicht zum Anschluss als Nebenkläger berechtigt. Deshalb bedarf seine Revision eines genauen Antrags oder einer Begründung, die deutlich macht, dass er eine Änderung des Schuldspruchs hinsichtlich eines Nebenklagedelikts im Sinne des § 395 Abs. 1, Abs. 3 StPO verfolgt (vgl. BGH, Beschluss vom 16. April 2015 – 2 StR 348/14, juris Rn. 3 mwN).

Mit der Nebenklage kann sich nach § 395 Abs. 3 StPO anschließen, wer durch eine andere als in § 395 Abs. 1 StPO genannte Tat verletzt ist, wenn dies aus besonderen Gründen, insbesondere wegen der schweren Folgen der Tat, zur Wahrnehmung seiner Interessen geboten ist. § 395 Abs. 3 StPO ist ein Auffangtatbestand für die Nebenklagebefugnis von Opfern mit besonders schwerwiegenden Tatfolgen (vgl. BT-Drucks. 16/12098, S.. 9, 30 f.). Entsprechend dem Wortlaut der Norm und dem Willen des Gesetzgebers sind alle rechtswidrigen Taten anschlussfähig (BGH, Beschluss vom 9. Mai 2012 – 5 StR 523/11, NJW 2012, 2601 Rn. 4 mwN), sofern der Antragsteller als Träger eines durch den Straftatbestand geschützten Rechtsguts verletzt ist (vgl. BGH, Urteil vom 22. Februar 1963 – 4 StR 9/63, NJW 1963, 1162, 1163; vgl. auch Beschluss vom 22. Januar 2002 – 4 StR 392/01, NJW 2002, 1356 f.; KK-StPO/Walther, 8. Aufl., § 395 Rn. 3 unter Verweis auf KK-StPO/Moldenhauer, 8. Aufl., § 172 Rn. 19) und besondere Gründe im Sinne des § 395 Abs. 3 StPO vorliegen.

Besondere Gründe im Sinne des § 395 Abs. 3 StPO sind gegeben, wenn der möglicherweise durch die Tat Verletzte nach einer auf den Einzelfall bezogenen Gesamtschau prozessual schutzbedürftig ist (BGH, Beschluss vom 9. Mai 2012 – 5 StR 523/11, NJW 2012, 2601 Rn. 6; LR/Wenske, StPO, 26. Aufl., Nachtrag § 395 Rn. 12). Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn schwere Folgen der Tat vorliegen, mithin, wenn beim Verletzten körperliche oder seelische Schäden mit einem gewissen Grad an Erheblichkeit bereits eingetreten oder zu erwarten sind. Der Schweregrad braucht dabei nicht die Schwelle schwerer körper- licher oder seelischer Schäden im Sinne des § 397a Abs. 1 Nr. 3 StPO zu er- reichen, indes ist eine abstrakte Betrachtung des Tatunrechts – anders als bei den Katalogtaten des § 395 Abs. 1 StPO – für sich ohne Aussagekraft (vgl. BT-Drucks. 16/12098, S. 31; LR/Wenske, StPO, 26. Aufl., Nachtrag § 395 Rn. 12/13).

b) Entsprechend seinem Revisionsantrag erstrebt der Nebenkläger die Verurteilung des Angeklagten wegen unterlassener Hilfeleistung (§ 323c StGB). Insoweit ist er Verletzter, denn Schutzgut des § 323c StGB sind zumindest auch die bei einem Unglücksfall gefährdeten Individualrechtsgüter des in Not Geratenen (BGH, Beschluss vom 22. Januar 2002 – 4 StR 392/01, NJW 2002, 1356, 1357 mwN). Angesichts dessen, dass der Beschwerdeführer durch die verfahrensgegenständliche Tat u.a. eine Niere verloren hat, steht dessen prozessuale Schutzbedürftigkeit außer Frage.

2. Die Revision ist auch begründet.

………“

Tod des Opfers – nur beschränkte Nebenklageberechtigung

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Die Misshandlung eines Schutzbefohlenen (§ 225 StGB) berechtigt nach § § 395 Abs. 1 Nr. 3 StPO zum Anschluss als Nebenkläger, aber: Nach dem Tod des Opfers gilt das nicht mehr. Dann folgt die Nebenklageberechtigung allein noch aus § 395 Abs. 2 Nr. 1 StPO – also Kinder, Eltern usw. Darauf macht noch einmal der BGH, Beschl. v. 09.10.2012 – 4 StR 350/12 – in Zusammenhang mit der Verwerfung der Revision des Nebenklägers aufmerksam:

„…1. Das Rechtsmittel des Nebenklägers ist unzulässig, soweit er den (Teil-)Freispruch der Angeklagten angreift.

Nach § 400 Abs. 1 StPO kann der Nebenkläger das Urteil nicht mit dem Ziel anfechten, dass der Angeklagte wegen einer Gesetzesverletzung verurteilt wird, die nicht zum Anschluss des Nebenklägers berechtigt. Nach dem Tod des Opfers kann sich die Berechtigung zum Anschluss als Nebenkläger nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs allein aus § 395 Abs. 2 Nr. 1 StPO ergeben (vgl. BGH, Beschlüsse vom 13. Mai 1998 – 3 StR 148/98, BGHSt 44, 97, 99; vom 13. Juni 2002 – 4 StR 95/02, DAR 2002, S. 421; vom 10. Januar 2006 – 4 StR 490/05, NStZ 2006, S. 351, und vom 11. Oktober 2011 – 5 StR 396/11, StraFo 2012, S. 67; KK-Senge, StPO, 6. Aufl., § 395 Rn. 9 mwN). Rechtswidrige Taten im Sinne dieser Vorschrift sind Straftaten gegen das Leben sowie solche, die durch den Tötungserfolg qualifiziert sind. Hieran fehlt es, soweit die Revision wegen der am 17. September 2010 festgestellten Verletzungen des Kindes die Verurteilung der Angeklagten wegen Misshand-lung eines Schutzbefohlenen nach § 225 StGB erstrebt….“

 

Die unzulässige Revision des „Nebenklägers“ – da ist mal wieder eine

§ 400 Abs. 1  StPO scheint dann doch immer wieder überlesen zu werden. Danach kann  kann ein Nebenkläger das Urteil nicht mit dem Ziel anfechten, dass der Angeklagte wegen einer Gesetzesverletzung verurteilt wird, die nicht zum Anschluss des Nebenklägers berechtigt.Immer wieder oder besser: Dauernd findet man Beschlüsse des BGH, in denen auf diese Vorschrift und auf die aus ihr häufig folgende Unzulässigkeit der Revision des Nebenklägers hingewiesen wird. So auch der BGH, Beschl. v.  11.10.2011 – 5 StR 396/11. Dort hatte in einem Mordverfahren sich die Nebenklägerin – die Mutter der Getöteten – mit ihrer Revision eine Verurteilung des Angeklagten auch wegen gefährlicher Körperverletzung (§ 224 StGB) erstrebt. Dazu der BGH:
„Die Anschlussberechtigung der Nebenklägerin ergibt sich aus § 395 Abs. 2 Nr. 1 StPO, wonach sich die Eltern eines durch eine rechtswidrige Tat Getöteten der erhobenen öffentlichen Klage als Nebenkläger anschließen können. Rechtswidrige Taten im Sinne dieser Vorschrift sind vollendete Straftaten gegen das Leben sowie solche, die durch den Tötungserfolg qualifiziert sind (vgl. BGH, Beschlüsse vom 13. Mai 1998 – 3 StR 148/98, BGHSt 44, 97, 99, und vom 10. Januar 2006 – 4 StR 490/05, NStZ 2006, 351; Meyer-Goßner, StPO, 54. Aufl., § 395 Rn. 7), nicht aber rechtswidrige Taten nach § 224 StGB.“