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TraffiStar S 350 ist nicht toll, oder Schönen Gruß vom AG Neunkirchen, nicht alles super

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Nach den beiden „Grußentscheidungen vom KG und vom OLG Celle (KG, Beschl. v.21.06.2017 – 3 Ws (B) 156/17 – 162 Ss 901/17 –  dazu PoliscanSpeed ist toll, oder: Schönen Gruß vom KG, alles superOLG Celle, Beschl. v. 17.05.2017 – 2 Ss OWi 93/17 – dazu Leivtec XV 3 ist auch toll, oder: Schönen Gruß vom OLG Celle, auch alles super) dann noch eine amtsgerichtliche Entscheidung zu der Problematik. Die ist zwar schon beim Kollegen Gratz gelaufen. Der hat sie mir dann aber geschickt, damit ich sie hier auch veröffentliche, um sie einem „breiten Publikum“ zugänglich zu machen.

Es handelt sich um das AG Neunkirchen, Urt. v. 15.05.2017 – 19 OWi 534/16. Es ging um eine Messung mit dem Messsystem TraffiStar S 350. Das AG hat frei gesprochen und begründet das wie folgt:  Bei dem  Messverfahren handelt es sich zwar grundsätzlich um ein sog. standardisiertes Messverfahren. Aber:

2. Aus dem Rechtsstaatsprinzip sowie dem Recht auf ein faires Verfahren aus Art. 6 EMRK folgt daher im Falle der Annahme eines standardisieren Messverfahrens nach Auffassung des Gerichts, dass der Betroffene – wenn ihm schon auferlegt wird, konkrete Messfehler vorzutragen-, auch in die Lage versetzt werden muss, genau dies tun zu können. Um eine technische Messung sinnvoll angreifen zu können bedarf es daher rein denklogisch schon der Überprüfungsmöglichkeit der Messdaten.

a) In der obergerichtlichen Rechtsprechung ist bereits umstritten, ob der Betroffene einen Anspruch auf Herausgabe der Rohmessdaten einer Geschwindigkeitsmessung hat, ohne konkret vorzutragen welche Anhaltspunkte für Messfehler gegeben sind, oder der Betroffene bereits diesbezüglich substantiiert vortragen muss, welche Anhaltspunkte für Messfehler gegeben sind. Während das OLG Celle, OLG Düsseldorf und das OLG Saarbrücken unter Verweis auf das Rechtsstaatsprinzip, dem allgemeinen Freiheitsrecht und dem Recht auf ein faires Verfahren dies bejahen (vgl. OLG Celle Beschluss vom 16.06.2016, 1 Ss OWi 96/16, OLG Saarbrücken, Beschluss vom 24.02.2016, Az. Ss (BS) 6/2016 (4/16 OWi), OLG Düsseldorf, Beschl. v. 22.07.2015 – 2 RBs 63/15, juris Rn. 17), verneint das OLG Bamberg einen Anspruch des Betroffenen auf Einsicht und Herausgabe in die Rohmessdaten ohne konkreten Vortrag des Betroffenen mit dem Verweis auf das Prinzip des standardisierten Messverfahrens (OLG Bamberg, Beschluss v. 04.04.2016 – 3 Ss OWi 1444/15)

b) Nach Ansicht des erkennenden Gerichts kann der Auffassung des OLG Bamberg diesbezüglich nicht gefolgt werden. Denn wenn dem Betroffenen im Rahmen eines standardisierten Messverfahrens schon auferlegt wird, konkrete Anhaltspunkte für Messfehler oder eine Fehlmessung darzulegen, damit dass Gericht einen Beweisantrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens nicht als Ausforschungsbeweis ansehen und diesen nach § 77 Abs. 2 OWiG ohne Weiteres ablehnen kann, muss ihm diese Möglichkeit auch überhaupt erst einmal eröffnet werden. Hierzu bedarf der Betroffene aber zwingend Einsicht in die Rohmessdaten, um die Messung auf ihre Ordnungsgemäßheit zu überprüfen bzw. überprüfen zu lassen (vgl. OLG Celle aaO.). Anderenfalls befände sich der Betroffene in einem nicht aufzulösenden Teufelskreis, da er – sofern man der Ansicht des OLG Bambergs folgen würde – konkrete Umstände für eine fehlerhafte Messung vortragen zu müssen ohne die Messung – insbesondere die Messdaten – überhaupt zu kennen, die ihn nach Ansicht des erkennenden Gerichts erst in die Lage versetzen können, konkrete Anhaltspunkte für eine fehlerhafte Messung vortragen zu können (vgl. OLG Celle aaO.).

c) Dies widerspricht nach Auffassung des Gerichts auch nicht dem Prinzip des standardisierten Messverfahrens. Sinn und Zweck des standardisierten Messverfahrens ist es, dass das Gericht gerade nicht bei jeder einzelnen Geschwindigkeitsmessung den Beweis durch Sachverständigengutachten führen muss, dass diese fehlerlos erfolgt ist. Dass dies in Anbetracht der Massenverfahren im Bereich der Verkehrsordnungswidrigkeiten sinnvoll und notwendig ist, steht außer Frage. Werden dem Betroffenen nun sämtliche tauglichen Mittel zur Verfügung gestellt um eine Messung überprüfen zu lassen, tangiert dies den Sinn und Zweck des standardisierten Messverfahren aber nach Ansicht des Gerichts gerade nicht. Denn hierdurch wird der Betroffene lediglich in die Lage versetzt im Vorfeld der Hauptverhandlung eine Messung durch einen von ihm beauftragen Sachverständigen überprüfen zu lassen (vgl. AG St Ingbert Urteil vom 26.04.2017 Az. 2 OWI 379/16). Dies dürfte nach Ansicht des Gerichts nicht dazu führen, dass Gerichte dann auf Antrag der Verteidigung nahezu jede Messung durch einen Sachverständigen im Rahmen der Amtsermittlungspflicht auf deren Richtigkeit überprüfen lassen müssen. Vielmehr liegt die Annahme nahe, dass nach der Überprüfungsmöglichkeit durch einen Sachverständigen im Vorfeld der Hauptverhandlung die Richtigkeit der Messung bestätigt wird und der Betroffene daraufhin seinen Einspruch zurücknimmt oder auf die Rechtsfolgen beschränkt (vgl. AG St Ingbert aaO.).

3. Wenn man nun – nach den obigen Erwägungen – aus dem Rechtsstaatsprinzip und dem Recht auf ein faires Verfahren den Anspruch des Betroffenen auf Einsicht und Herausgabe der Rohmessdaten bejaht, damit dieser in die Lage versetzt wird, im Rahmen eines standardisierten Messverfahrens konkrete Messfehler vortragen zu können, müssen diese Messdaten für den Betroffenen nach Ansicht des Gerichts auch nutzbar und dürfen nicht nahezu nutzlos sein.

a) Im vorliegenden Fall hat der Betroffene die Falldateien zwar anstandslos erhalten und diese einem von ihm beauftragten Sachverständigen übergeben, damit dieser die Messung überprüfen kann. Dies war dem vom Betroffenen beauftragten Sachverständigen jedoch nicht möglich, da – wie der gerichtliche Sachverständige festgestellt hat, weder Rohdaten noch insbesondere die Zeitdifferenzen zwischen Messstart und Messende vom Messgerät selbst nicht mehr gespeichert werden, obwohl dies technisch problemlos möglich wäre. Dadurch ist es einem vom Betroffenen bestellten – und darüber hinaus auch einem vom Gericht bestellten Sachverständigen – nicht mehr möglich, die Messung und insbesondere das Messergebnis auf seine Plausibilität zu überprüfen. Damit aber wird der Betroffene gerade nicht in die Lage versetzt, etwaige Messfehler vortragen zu können. Nach den Ausführungen des gerichtlich bestellten Sachverständigen ist eine Überprüfung der Messung insbesondere der vorgeworfenen Geschwindigkeit aufgrund der Nichtspeicherung der Rohdaten, insbesondere der Zeitdifferenz zwischen Messstart und Messende schlichtweg nicht möglich.

b) Dadurch wird der Betroffene aber letztlich nach Ansicht des Gerichts so massiv in seinen Verteidigungsmöglichkeiten beschränkt, dass nicht mehr von einem tauglichen Beweismittel ausgegangen werden kann. Denn wie dargelegt muss der Betroffene nach Auffassung des Gerichts bei der Annahme eines standardisierten Messverfahrens zumindest in die Lage versetzt werden, konkrete Messfehler aufzeigen zu können und hierfür die Messung – im Vorfeld der Hauptverhandlung – überprüfen zu können. Hierzu sind ihm sämtliche relevanten Messdaten zur Verfügung zu stellen, sofern dies technisch machbar ist. Denn wenn dem Betroffenen schon auferlegt wird, den Nachweis eines Messfehlers zu führen, müssen ihm dazu auch sämtliche taugliche Mittel zur Verfügung gestellt werden.

Denn nach Auffassung des Gericht darf die Annahme eines standardisierten Messverfahrens schon aus Gründen des Rechtsstaatsprinzips im Hinblick auf den Grundsatz der rechtlichen Gehörs und des Rechts auf ein faires Verfahren nicht dazu führen, dass der Betroffene überhaupt keine Möglichkeit mehr hat, sich gegen den Tatvorwurf zu wehren (vgl AG St Ingbert aaO.).

 

AG Neunkirchen: Herausgabe der Messdaten; oder: Warum kann es der Proberichter besser als das OLG?

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Es geht mit der Einsicht in Messdaten und/oder – unterlagen auch anders als in Bayern(vgl. dazu den AG Nördlingen, Beschl. v. 08.09.2016 – 4 OWi 99/16AG Nördlingen: Grausame Akteneinsicht, aber: Schönen Gruß vom Marketing und Nochmals: Grausame Akteneinsicht, oder: Doppelschlag aus Bamberg) und das lässt hoffen – die Hoffnung stirbt ja bekanntlich zuletzt. Und es ist wieder 🙂 das AG Neunkirchen, das im AG Neunkirchen, Beschl. v. 05.09.2016 – 19 OWi 531/15 – erneut alles „herausrückt“, was der Verteidiger haben wollte. Und das zu Recht, denn das braucht der Verteidiger auch, um den Anforderungen des standardisierten Messverfahrens gerecht zu werden. Denn wie soll er konkret Fehler der Messung rügen, wenn er die Umstände der Messung nicht kennt? Auf die Frage ist bisher m.E. auch das OLG Bamberg eine vernünftige Antwort schuldig geblieben.

Der Leitsatz der AG Neunkirchen, Entscheidung:

„Dem Verteidiger sind bei der Geschwindigkeitsmessung die Rohmessdaten der tatgegenständlichen Messung in unverschlüsselter Form, sowie die Lebensakte zum Messgerät und die Statistikdatei der Messserie des Messtages herauszugeben.“

Und die Begründung des AG in Stichpunkten:

  • Wird dem Betroffenen aber die Herausgabe der Rohmessdaten in unverschlüsselter Form versagt, wird ihm die Möglichkeit verwehrt, aktiv die Daten auf Fehler untersuchen zu lassen, die der ihm vorgeworfenen Ordnungswidrigkeit zugrunde liegen.
  • Da es dem Betroffenen aufgrund des standardisierten Messverfahrens obliegt, konkrete Anhaltspunkte für eine fehlerhafte Messung vorzutragen, damit überhaupt eine Beweiserhebung über die Korrektheit der Messung durch das Gericht in Betracht kommt, sind dem Betroffenen die Rohmessdaten in unverschlüsselter Form zur Verfügung zu stellen, damit der Betroffene etwaige Messfehler konkretisieren kann.
  • Die Rohmessdaten sind der Verteidigung in unverschlüsselter Form herauszugeben.
  • Die Verwaltungsbehörde kann sich nicht darauf zurückziehen, dass die Daten durch den Hersteller verschlüsselt werden und derzeit lediglich dieser zur Entschlüsselung in der Lage ist. Verfügungsberechtigt über die Messdaten ist allein die Behörde, die diese Daten erzeugt und abgespeichert hat. Es ist daher Sache der Verwaltungsbehörde die Rohdaten in unverschlüsselter Form zu beschaffen und dem Betroffenen auf sein Verlangen hin zur Verfügung zu stellen.
  • Der Betroffene kann nicht darauf verwiesen werden, die unverschlüsselten Rohdaten unmittelbar bei der Fa ESO GmbH anzufordern, denn diese wäre zu einer Herausgabe an den Betroffenen gar nicht berechtigt, da sie keine Befugnis hat, über diese Daten zu verfügen.
  • Sofern die Verwaltungsbehörde nicht in der Lage ist, die Daten selbst zu entschlüsseln, hat sie die unverschlüsselten Daten bei der Firma ESO anzufordern. Aus den genannten Gründen hat die Firma ESO die Daten dann unverschlüsselt herauszugeben, da sie — wie dargelegt — zur Verschlüsselung überhaupt nicht berechtigt ist.
  • Ebenso sind der Verteidigung die Lebensakte des Messgeräts sowie die Statistikdatei des Messtages herauszugeben. Denn auch aus diesen Unterlagen können sich mögliche Messfehler oder Anhaltspunkte auf eine nicht ordnungsgemäße Messung ergeben.

Ist übrigens ein „Proberichter“, der da beim AG Neunkirchen „segensreich“ tätig ist. Warum der es besser kann als teilweise die OLG Rechtsprechung, angeführt vom OLG Bamberg, …. mir erschließt es sich nicht.

Der Beschluss passt übrigens zum AG Neunkirchen, Urt. v. 27.04.2016 – 19 OWi 68 Js 778/15 (234/15)  und dazu: Messauswertung durch Private, oder: Beweisverwertungsverbot (im Saarland?). 🙂

Messauswertung durch Private, oder: Beweisverwertungsverbot (im Saarland?)

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So. Heute will ich dann mal mit einigen OWi-Entscheidungen „aufwarten“. Zum Teil sind die Entscheidungen beim Kollegen Gratz im VerkehrsrechtsBlog schon gelaufen. Ich schiebe sie aber dann dennoch auch hier noch einmal nach.

Beginnen will ich mit einer erfreulichen Entscheidung. Es ist das AG Neunkirchen, Urt. v. 27.04.2016 – 19 OWi 68 Js 778/15 (234/15), ein AG das sich in meinen Augen zu einem „Hort der Rechtstaatlichkeit“ entwickelt hat. Man kann über viele schöne Entscheidungen, die von dem AG kommen, berichten. In diesem Urteil geht es um die Frage eines Beweisverwertungsverbotes, wenn die Verwaltungsbehörde im Rahmen der Geschwindigkeitsüberwachung – insbesondere im Rahmen der Auswertung von Messungen – „sehenden Auges“ gegen die Vorschriften eines ministerialen Erlasses verstößt. Das AG hat ein Beweisverwertungsverbot für ein vorliegendes Messfoto bejaht und sich dazu auf OLG-Rechtsprechung (OLG Frankfurt NStZ 2003, 342; OLG Naumburg, Beschl. v.07.05.2012 – 2 Ss Bz 25/12 und Hilfe von Privaten – Beweisverwertungsverbot für Messergebnisse im Straßenverkehr) berufen:

„d) Aus den oben genannten Gründen hat die Stadt Neunkirchen wie dargelegt als zuständige Behörde in erheblicher Weise gegen die Bestimmungen des Saarländischen Erlasses verstoßen. Da ihr der Erlass auch bekannt war und dieser klar und deutlich die Grenzen der Einbindung Privater in die Verkehrsüberwachung regelt und definiert, hat sie diese Vorgaben nach Auffassung des Gerichts zumindest grob fahrlässig missachtet, so dass im vorliegenden Fall aus den genannten Gründen von einem Beweisverwertungsverbot bzgl. der Messfotos auszugehen ist.

Davon abgesehen, hat das Gericht erhebliche Zweifel daran, dass im vorliegenden Fall überhaupt eine hoheitliche Messung bzw. Auswertung vorliegt. Denn letztlich ist nach Auffassung des Gerichts nicht mit der hinreichenden Sicherheit festzustellen, ob die Auswertung der Daten überhaupt noch hoheitlich erfolgt und die Messfotos im vorliegenden Fall unverändert sind.“

Die vom AG Neunkirchen entschiedene Sache war inzwischen übrigens auch schon beim OLG Saarbrücken. Das hat im OLG Saarbrücken, Beschl. v. 13.09.2016 – Ss RS 21/16 – den Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft gegen den Freispruch des Betroffenen verworfen. Allerdings nicht deshlab, weil es auch von einem Beweisverwertungsverbot ausgegangen ist, sondern aus den Gründen des Rechtsbeschwerderechts. Denn es erfolgt keine Zulassung bei formellen (Verfahrens)Fragen:

„Bei den hier in Rede stehenden und auch von der Staatsanwaltschaft zur Begründung ihres Zulassungsantrags formulierten Fragen, wie die Ordnungsbehörde bei der Hinzuziehung eines privaten Unternehmens zur Auswertung der bei einer Verkehrsüberwachung (hier: Geschwindigkeitsmessung) erlangten Messdaten ihre Verantwortung auszufüllen hat, um Herrin des Verfahrens zu bleiben, unter welchen Voraussetzungen ihr diesbezügliches Handeln rechtswidrig (gesetz- und/oder erlasswidrig) ist und ob in einem solchen Fall eines rechtswidrig erhobenen Beweises ein Beweisverwertungsverbot anzunehmen ist, handelt es sich nicht um Fragen des materiellen Rechts, sondern um solche des Verfahrensrechts. Zum Verfahrensrecht gehören die Vorschriften, die den Weg bestimmen, auf dem der Richter zur Entscheidungsfindung berufen und gelangt ist; alle anderen Vorschriften sind dem materiellen Recht zuzuordnen (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 59. Aufl., § 337 Rn. 8; Göhler/Seitz, a. a. O., § 80 Rn. 16f). Vorliegend geht es um die Rechtmäßigkeit des der Entscheidung vorangegangenen Verfahrens, nämlich um die Frage, ob im ordnungsbehördlichen Bußgeldverfahren erhobene Beweise rechtmäßig erlangt worden sind. Hierbei handelt es sich ebenso wie bei der Frage, ob aus einem etwaigen Verstoß ein Beweisverwertungsverbot folgt, um eine verfahrensrechtliche Frage, zumal die Erörterung, ob ein Beweisverwertungsverbot vorliegt, von der Frage des Vorliegens eines Beweiserhebungsverbots nicht getrennt werden kann (vgl. OLG Hamm, Beschl. v. 05.10.2009 — 3 Ss OWi 764/09, juris Rn. 6; Beschl. v. 11.11.2009 — 3 Ss OWi 856/09, juris Rn. 6; OLG Stuttgart, Beschl. v. 03.01.2011 — 5 Ss 732/10, BI. 164 ff. d. A.; OLG Karlsruhe, Beschl. v. 14.10.2014 — 3 (4) SsRs 259/14 — P.K 78/14, BI. 168 d. A.; OLG Bamberg, Beschl. v. 04.08.2015 — 3 Ss OWi 874/15, juris).“

Den Betroffenen wird das nicht interessieren. Denn er ist/bleibt frei gesprochen 🙂 .

(Akten)Einsicht a la AG Neunkirchen, oder: Die Rohmessdaten sind (endlich) unverschlüsselt herauszugeben

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Der Kollege Gratz vom Verkehrsrechtsblog hat ja schon auf den AG Neunkirchen, Beschl. v. 02.05.2016 – 19 OWi 365/15 – hingewiesen, den ich mir – mit seinem Einverständnis – dort „geklaut“ 🙂 habe. Das OWi-Verfahren, in dem der Beschluss ergangen ist, war schon mal Gegenstand der Berichterstattung, nämlich in Zusammenhnag mit dem AG Neunkirchen, Beschl. v. 30.12.2015 – 19 OWi 365/15  (vgl. dazu Akteneinsicht a la AG Neunkirchen, oder: Geht auch anders/richtig – Verfahren ausgesetzt). Nun geht es also weiter. Die zentrale Bußgeldbehörde will also offenbar nicht so, wie es das AG gerne hätte. Sie rückt die Rohmessdaten der Messung nicht raus, jedenfalls nicht unverschlüsselt. Das hat das AG jetzt aber bestimmt:

Beim tatgegenständlich verwendeten Messverfahren mit dem Gerät ESO 3.0 handelt es sich unbestrittener Maßen um ein sog. standardisiertes Messverfahren (OLG Zweibrücken, Beschluss vom 19.10.2012. Az.: 1 Ss Bs 12/12). Dies hat zur Folge, dass es dem Betroffenen obliegt, substantiiert vorzutragen aus welchen Gründen die durchgeführte Messung fehlerhaft ist, so dass der Betroffene konkrete und einer Beweiserhebung zugängliche Umstände vortragen muss, um eine Messung in Zweifel zu ziehen (vgl. AG Weißenfels , Beschluss v. 3. 9. 2015 – 10 AR 1/15). Neben des Rechts auf Einsicht in das Messprotokoll und die Eichbescheinigung folgt aus dem Grundsatz des fairen Verfahrens aufgrund der durch das standardisierte Messverfahren vorliegenden Beweislastumkehr, dass dem Betroffenen die Möglichkeit gegeben werden muss, die Messung unter Hinzuziehung eines Sachverständigen auf mögliche Messfehler zu untersuchen (vgl. AG Weißenfels , Beschluss v. 3. 9. 2015 – 10 AR 1/15). Dies aber ist nur dann möglich, wenn dem Betroffenen die Messdateien in unverschlüsselter Form übergeben werden.

Wird dem Betroffenen aber die Herausgabe der Rohmessdaten in unverschlüsselter Form versagt, wird ihm die Möglichkeit verwehrt, aktiv die Daten auf Fehler untersuchen zu lassen, die der ihm vorgeworfenen Ordnungswidrigkeit zugrunde liegen. Dann aber ist dem Betroffenen verwehrt, aktiv am Gang und Ergebnis des Verfahrens mitzuwirken. Dies aber stellt ein ureigenes Recht eines Betroffenen dar (vgl. BVerfGE 46, 202). Aus Art. 6 EMRK folgt zudem das Gebot der sog. Waffengleichheit. Dies bedeutet, dem Betroffenen müssen die gleichen Möglichkeiten zur Verfügung gestellt sich gegen einen Vorwurf zu verteidigen, wie dem Ankläger Möglichkeiten zur Verfügung gestellt werden, den Tatvorwurf nachzuweisen.

Da es dem Betroffenen aufgrund des standardisierten Messverfahrens aber obliegt, konkrete Anhaltspunkte für eine fehlerhafte Messung vorzutragen, damit überhaupt eine Beweiserhebung über die Korrektheit der Messung durch das Gericht in Betracht kommt, sind dem Betroffenen die Rohmessdaten in unverschlüsselter Form zur Verfügung zu stellen, damit der Betroffene etwaige Messfehler konkretisieren kann. Ohne eine Konkretisierung könnte ein Gericht aber einen Beweisantrag des Betroffenen auf Überprüfung der Messung als Ausforschungsbeweis betrachten (vgl. AG Weißenfels , Beschluss v. 3. 9. 2015 – 10 AR 1/15).

Die Rohmessdaten sind der Verteidigung auch in unverschlüsselter Form herauszugeben. Denn eine unabhängige Auswertung der Daten durch den Sachverständigen ist nur möglich, wenn die Daten zuvor entschlüsselt worden sind.

Die Verwaltungsbehörde kann sich auch nicht darauf zurückziehen, dass die Daten durch den Hersteller verschlüsselt werden und derzeit lediglich dieser zur Entschlüsselung in der Lage ist. Verfügungsberechtigt über die Messdaten ist allein die Behörde, die diese Daten erzeugt 1nd nhgpeppinhprt hat, Es ist daher Sarhe der Verwaltungsbehörde, die Rohdaten in unverschlüsselter Form zu beschaffen und dem Betroffenen auf sein Verlangen hin zur Verfügung zu stellen. (OLG Naumburg, VersR 2015, 1525; AG Weißenfels , Beschluss v. 3. 9. 2015 – 10 AR 1/15)

Genauso wenig kann der Betroffene darauf verwiesen werden, die unverschlüsselten Rohdaten unmittelbar bei der Fa ESO GmbH anzufordern, denn diese wäre zu einer Herausgabe an den Betroffenen gar nicht berechtigt, da sie keine Befugnis hat, über diese Daten zu verfügen (OLG Naumburg, a.a.O.).

Sofern die Verwaltungsbehörde also nicht in der Lage ist, die Daten selbst zu entschlüsseln, hat sie die unverschlüsselten Daten bei der Firma ESO anzufordern. Aus den genannten Gründen hat die Firma ESO die Daten dann unverschlüsselt herauszugeben, da sie — wie dargelegt — zur Verschlüsselung überhaupt nicht berechtigt ist.

Daher sind dem Betroffenen im vorliegenden Fall die Rohmessdaten durch die Verwaltungsbehörde in unverschlüsselter Form zu übergeben.

Bemerkenswert wie das AG den „Teufelskreis“, in dem sich Verteidiger und Betroffene aufgrund der teilsweise in der Rechtsprechung vertretenen Rechtsansichten zur Einsicht und Herausgabe in Rohmessdaten durchbricht. Bemerkenswert allerdings auch – jedoch nicht im positiven Sinn – dass die Zentralen Bußgeldbehörde die Auffassung des AG offenbar nicht interessiert. Denn sonst müsste das AG nicht im Tenor formulieren: „Der zentralen Bußgeldbehörde wird nochmals aufgegeben, …..“. und müsste die Behörde auch nicht die Fa. ESO „anweisen“. Allerdings: Interessant wird es, was das AG macht, wenn die Fa. ESO nicht entschlüsselt 🙂  .

Akteneinsicht a la AG Neunkirchen: Ich durchbreche den „Teufelskreis“

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Aus dem Verkehrsrechtsblog des Kollegen Gratz habe ich mir – mit dessen Genehmigung – den AG Neunkirchen, Beschl. v. 24.03.2016 – 19 OWi 523/15 – „geklaut“. Er behandelt noch einmal die Problematik der Akteneinsicht im Bußgeldverfahren, und zwar in die sog. Rohmessdaten. An der Stelle gibt es in der Rechtsprechung ja immer wieder Probleme, vor allem nachdem die OLG mit der Herausgabe(verpflichtung) doch teilweise recht zögerlich sind. Das führt dann zu der Problematik des „Teufelskreises“, den das AG allerdings durchbricht, und zwar mit einer sehr schönen Agrumentation:

„Beim tatgegenständlich verwendeten Messverfahren mit dem Gerät ESO 3.0 handelt es sich unbestrittener Maßen um ein sog. standardisiertes Messverfahren (OLG Zweibrücken, Beschluss vom 19.10.2012. Az.: 1 Ss Bs 12/12). Dies hat zur Folge, dass es dem Betroffenen obliegt, substantiiert vorzutragen aus welchen Gründen die durchgeführte Messung fehlerhaft ist, so dass der Betroffene konkrete und einer Beweiserhebung zugängliche Umstände vortragen muss, um eine Messung in Zweifel zu ziehen (vgl. AG Weißenfels, Beschluss v. 3.9. 2015 – 10 AR 1/15). Neben des Rechts auf Einsicht in das Messprotokoll und die Eichbescheinigung folgt aus dem Grundsatz des fairen Verfahrens aufgrund der durch das standardisierte Messverfahren vorliegenden Beweislastumkehr, dass dem Betroffenen die Möglichkeit gegeben werden muss, die Messung unter Hinzuziehung eines Sachverständigen auf mögliche Messfehler zu untersuchen (vgl. AG Weißenfels, Beschluss v. 3. 9. 2015 – 10 AR 1/15). Dies aber ist nur dann möglich, wenn dem Betroffenen die Messdateien in unverschlüsselter Form übergeben werden.

Wird dem Betroffenen aber die Herausgabe der Rohmessdaten in unverschlüsselter Form versagt, wird ihm die Möglichkeit verwehrt, aktiv die Daten auf Fehler untersuchen zu lassen, die der ihm vorgeworfenen Ordnungswidrigkeit zugrunde liegen. Dann aber ist dem Betroffenen verwehrt, aktiv am Gang und Ergebnis des Verfahrens mitzuwirken. Dies aber stellt ein ureigenes Recht eines Betroffenen der (vgl. BVerfGE 46, 202). Aus Art. 6 EMRK folgt zudem das Gebot der sog. Waffengleichheit. Dies bedeutet, dem Betroffenen müssen die gleichen Möglichkeiten zur Verfügung gestellt sich gegen einen Vorwurf zu verteidigen, wie dem Ankläger Möglichkeiten zur Verfügung gestellt werden, den Tatvorwurf nachzuweisen.

Da es dem Betroffenen aufgrund des standardisierten Messverfahrens aber obliegt, konkrete Anhaltspunkte für eine fehlerhafte Messung vorzutragen, damit überhaupt eine Beweiserhebung über die Korrektheit der Messung durch das Gericht in Betracht kommt, sind dem Betroffenen die Rohmessdaten in unverschlüsselter Form zur Verfügung zu stellen, damit der Betroffene etwaige Messfehler konkretisieren kann. Ohne eine Konkretisierung könnte ein Gericht aber einen Beweisantrag des Betroffenen auf Überprüfung der Messung als Ausforschungsbeweis betrachten (vgl. AG Weißenfels, Beschluss v. 3. 9. 2015 – 10 AR 1/15).

Daher sind dem Betroffenen im vorliegenden Fall die Rohmessdaten durch die Verwaltungsbehörde in unverschlüsselter Form zu übergeben.“

Na bitte, geht doch 🙂 .