Schlagwort-Archive: AG Lüdinghausen

Für Lkw-Fahrer: „Grenzfall“ bei Abstandsverstoß

© digitalstock - Fotolia.com

© digitalstock – Fotolia.com

Für Lkw-Fahrer interessant ist der AG Lüdinghausen, Beschl. v. 20.06.2016 – 19 OWi-89 Js 891/16-87/16 – betreffend den Abstandsverstoß eines Lkw-Fahrers (§ 4 Abs. 3 StVO). Die Regelbuße beträgt in dem Fall nach dem BKat 80 €, was für Lkw-Fahrer wegen der somit erfolgenden Eintragung im FAER von Bedeutung ist. Das LG Lüdinghausen hat nun in einem „Grenzfall“ – m.E. eher ein „Sonderfall“ – die Geldbuße nur auf 50 € festgesetzt. Begründung:

„Es liegt ein Grenzfall des Verstoßes gegen § 4 Abs. 3 StVO vor, wie er bereits von AG Lüdinghausen, Urteil v. 4.2.2013 – 19 OWi 89 Js 1877/12 – 239/12 = NZV 2013, 203 angenommen wurde. Der Betroffene ist mit einer (nach Toleranzabzug) gemessenen Geschwindigkeit von 56 km/h gefahren. Der Abstand zum Vordermann betrug laut VKS-Messung 37 m. Bei einer derart sich an die Untergrenze des § 4 Abs. 3 StVO annähernden Geschwindigkeit und gleichzeitiger Einhaltung des für PKW geltenden „Halben-Tacho-Abstands“ kann bei einem LKW eine Geldbuße unterhalb der Eintragungsgrenze für das FAER festgesetzt werden. „

Auslagenerstattung im OWi-Verfahren – ab wann?

© Alex White - Fotolia.com

© Alex White – Fotolia.com

Folgender Sachverhalt: Am 22.03.2016 versendet die Verwaltungsbehörde einen Anhörungsbogen, in dem eine falsche Tatörtlichkeit hinsichtlich des dem Betroffenen vorgeworfenen Geschwindigkeitsverstoßes genannt wird. Nach Hinweis des Verteidigers des Betroffenen wird dann lediglich in der anschließend ergangenen Verwarnung unter dem 06.04.2016 ein Verwarnungsgeldbetrag von 25 € festgesetzt und dabei der Tatort richtig benannt. Der Betroffene verlangt Auslagenerstattung, die die Verwaltungsbehröde ablehnt. Der Verteidiger ist hingegen der Ansicht, dass der Betroffene nach dem falsch erhobenen Vorwurf angehalten gewesen sei, seinen Verteidiger zu beauftragen und den Vorwurf aus der Welt zu schaffen. Nicht nur der Tatort sei nämlich falsch gewesen sondern auch der Tatvorwurf sein anderer gewesen. Zunächst sei dem Betroffenen nämlich eine innerörtliche Geschwindigkeitsüberschreitung um 31 km/h vorgeworfen worden, wogegen schließlich der ergangenen Verwarnung nur noch eine innerörtliche Geschwindigkeitsüberschreitung um 11 km/h zugrundegelegen habe. Das AG gibt der Verwaltungsbehörde Recht. Das Fazit aus dem AG Lüdinghausen, Beschl. v. 07.07.2016 – 19 OWi 122/16 [b]:

Eine Auslagenentscheidung zu Gunsten des Betroffenen kommt im Bußgeldverfahren nur dann/erst dann in Betracht, wenn die Verwaltungsbehörde bereits einen Bußgeldbescheid erlassen hatte, dieser dann aber zurückgenommen wird. Vor Erlass und Zustellung des Bußgeldbescheides trägt jede Seite ihre Kosten und Auslagen hingegen selbst.

Der Beschluss entspricht der Auffassung in der Literatur und der Rechtslage im Strafverfahren. Auch da kommt eine Auslagenerstattung – nach Einstellung des Ermittlungsverfahrenss – nur in Ausnahmefällen in Betracht (vgl. dazu Burhoff, Handbuch für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren, 7. Aufl., 2015, Rn. 610 ff.).

Das AG hat dann noch die Frage einer analogen Anwendung der Grundsätze zur Auslagenerstattung untersucht. Es hat es allerdings verneint, eine Auslagenerstattungsentscheidung dann für notwendig zur erachten, wenn, was hier ja der Fall war, in einem Anhörungsbogen zunächst falsche Angaben im weiteren Verfahrensgang vor Erlass eines Bußgeldbescheides oder einer Verwarnung zurückgenommen oder korrigiert werden. Eine Auslagenerstattung komme selbst dann nicht und auch nicht deshalb in Betracht, wenn dem Betroffenen nach Zugang des ersten Anhörungsbogens aus seiner Sicht erhebliche Rechtsfolgen in Form einer hohen Geldbuße und eines einmonatigen Regelfahrverbotes drohten.

Ist leider so – und ist leider auch im Strafverfahren grundsätzlich so. Der Betroffene/Beschuldigte bleibt in dem Verfahrensstadium auf seinen Kosten sitzen.

Sicherheitsgurt angelegt? Nein, fahre aber auch nur mit Schrittgeschwindigkeit

entnommen wikimedia.org Urheber http://commons.wikimedia.org/wiki/User:Ryj

entnommen wikimedia.org
Urheber http://commons.wikimedia.org/wiki/User:Ryj

Gurtanschnallpflicht, da war doch was.  Ja, der § 21a StVO, von dem man länger nichts mehr gehört hat. Aber nun hat das AG Lüdinghausen im AG Lüdinghausen, Urt. v. 30.05.2016 – 19 OWi-89 Js  – festgestellt: Auch in einem Kreisverkehr darf ein Fahrzeugführer unangeschnallt fahren, wenn er Schrittgeschwindigkeit fährt. Die Tatsache, dass sich der Fahrzeugführer zur Tatzeit im fließenden Verkehr befand und an der Tatörtlichkeit üblicherweise schneller als mit Schrittgeschwindigkeit gefahren wird, ist dabei ohne Belang.

Das Urteil ruft in Erinnerung, dass dann, wenn mit Schrittgeschwindigkeit gefahren wird, hinsichtlich der Gurtpflicht der Ausnahmetatbestand des § 21 a Abs.1 Satz 2 Nr.3 StVO erfüllt ist. Die Vorschrift nimmt aus der Gurtpflicht nämlich „Fahrten mit Schrittgeschwindigkeit wie Rückwärtsfahren, Fahrten auf Parkplätzen“ aus. Die Tatsache, dass der Betroffene sich zur Tatzeit ggf. im fließenden Verkehr befindet und an der Tatörtlichkeit üblicherweise schneller als mit Schrittgeschwindigkeit gefahren wird, ist dabei ohne Bedeutung.

Fahrverbot II: Kündigung des Arbeitsverhältnisses auf Probe – kein Fahrverbot

© stockWERK - Fotolia.com

© stockWERK – Fotolia.com

Nach dem OLG Zweibrücken, Beschl. v. 10.12.2015, 1 OWi 1 SsBs 57/15 (vgl. dazu: Fahrverbot I: Wegfall des Hauptauftraggebers – kein Fahrverbot) nun das AG Lüdinghausen, Urt. v. 23.05 2016 – 19 OWi-89 Js 821/16-81/16. Das AG hat (ebenfalls) vom Fahrverbot abgesehen, nachdem die Geschäftsführerin der Arbeitgeber-GmbH als Zeugin bestätigt hatte, dass dem sich in einem Arbeitsverhältnis auf Probe befindende Betroffene für den Fall einer Fahrverbotsanordnung gekündigt wird. Dann bedürfe es auch keiner weiteren Feststellungen für das Absehen vom Fahrverbot aufgrund eines konkret drohenden Arbeitsplatzverlustes durch das Fahrverbot:

„Jedoch hat sich der Betroffene auf berufliche Härten infolge eines aus seiner Sicht drohenden Arbeitsplatzverlustes berufen. Er ist von Beruf gelernter Bäcker und war bislang in Südkirchen als Bäcker angestellt gewesen. Seine bisherige Arbeitgeberin hat den Bäckereibetrieb jedoch vor einigen Monaten eingestellt – das Gericht kennt aus dienstlichen Fahrten anlässlich von Betreuungsanhörungen in Nordkirchen die leer stehenden Ladenlokale der bisherigen Arbeitgeberin. Aufgrund dieser Arbeitslosigkeit hat der Betroffene sich umgetan und in Werne eine neuen Arbeitsplatz als Bäcker bei der Firma A gefunden. Es handelt sich hierbei um eine Bäckerei mit einer Filiale, in der die Bäckerei betrieben wird und zwei weiteren Filialen, in denen die Backwaren verkauft werden. Geführt wird der Betrieb von der Zeugin B. Diese hat das Gericht in einem Fortsetzungstermin als Zeugin geladen und vernommen. Der Betroffene hat nämlich geltend gemacht, dass er gekündigt und seinen Arbeitsplatz verlieren werde, wenn es zu einer Fahrverbotsanordnung käme. Die Zeugin B bestätigte dies. Sie erklärte, dass ihre beiden Söhne Bäckermeister seien und den Betrieb insoweit – was das eigentliche Backen und Verkaufen angehe – führen würden. Ihre Söhne bräuchten dringend Hilfe in der Bäckerei – die Mitarbeit dulde keinen Aufschub. Man sei froh gewesen, dass man schnell in dem Betroffenen einen geeigneten Bäcker habe finden können. Dieser müsse aber täglich ab 2:00 Uhr nachts zur Verfügung stehen und zwar in Werne. Zu dieser Zeit sei der öffentliche Nahverkehr zwischen Südkirchen und Werne nicht in der Lage, den Betroffenen zuverlässig seinen Arbeitsplatz aufsuchen zu lassen. Die Zeugin erklärte, dass der Betroffene einen Vertrag mit 3-monatiger Probezeit habe. Käme es zu einem Fahrverbot, werde dem Betroffene gekündigt, da Probleme im Geschäft aus ihrer Sicht zwangsläufig die Folge seien. Es sei auch nicht so, dass der Betrieb irgendwie auf den Betroffenen warten könne, bis dieser sein Fahrverbot absolviert habe. Man müsse sich dann schnell einen geeigneten Nachfolger suchen. Das Gericht hat nach dieser Zeugenaussage von der Anordnung eines Fahrverbotes Abstand genommen, da es tatsächlich rechtlich möglich ist, einen Arbeitnehmer innerhalb der Probezeit ohne Begründung zu kündigen. Genau dies hat die Zeugin glaubhaft angekündigt für den Fall der Fahrverbotsanordnung. Damit hat das Gericht einen konkret drohenden Arbeitsplatzverlust für den Fall einer Fahrverbotsanordnung feststellen können (bereits zum Arbeitsverhältnis auf Probe: AG Lüdinghausen, NZV 2008, 105 = DAR 2008, 161). Da der Betroffene keine weiteren Voreintragungen aufwies, hielt es das Gericht für durchaus ausreichend, die Geldbuße zu verdoppeln und vom Fahrverbot abzusehen.“

Bei 5.000 € Familieneinkommen wird nicht vom Fahrverbot abgesehen…

© digitalstock - Fotolia.com

© digitalstock – Fotolia.com

Eine Betroffene, der ein Abstandsverstoß (§ 4 StVO) zur Last gelegt wurde, bei dem im Fall der Verurteilung ein Fahrverbot drohte, hat beim AG Lüdinghausen „berufliche Härten“ geltend gemacht und wollte ein Absehen vom Fahrverbot erreichen. Damit ist sie aber gescheitert. Das AG sagt im AG Lüdinghausen, Urt. v. 18.01.2016 – 19 OWi-89 Js 2283/15-214/15: Nicht bei einem Familieneinkommen von monatlich rund 5.000 €:

„Die Betroffene hat berufliche Härten durch das drohende Fahrverbot geltend gemacht.

Sie hat jedoch trotz ausdrücklicher Nachfrage des Gerichts zu keinem Zeitpunkt eine Kündigung als Arbeitnehmerin oder eine Existenzgefährdung als selbstständige Betroffene behauptet.

Sie hat vielmehr ausgeführt, dass sie verheiratet sei mit einem Ehemann, der als Maler und Lackierer monatlich 1700 EUR netto zur Verfügung habe. Sie selbst habe zwei Arbeitstätigkeiten. Etwas über 1000 EUR netto verdiene sie mit einer Angestelltentätigkeit in Hamm als Suchttherapeutin in einer Nachsorgeeinrichtung. Sie müsse dort zwischen verschiedenen Wohngruppen hin und her fahren und dort ihrer Therapeutentätigkeit nachkommen. Weiterhin verdiene sie 2000-2500 EUR netto monatlich als selbstständige Mitarbeiterin eines ambulanten Jugendhilfeträgers mit Sitz in Beckum, Neubeckum und Lippstadt. Sie sei als SPFH („sozialpädagogische Familienhilfe“) tätig. Hierbei müsse sie sechs Familien ambulant betreuen und aufsuchen. Oft müsse sie auch Kinder begleiten. Sie habe dementsprechend einen engen Terminkalender. Urlaubsansprüchen habe sie bei ihrer Arbeitgeber in Hamm i.H.v. 24 Tagen pro Jahr. Hinsichtlich ihrer Tätigkeit bei dem ambulanten Jugendhilfeträger B e.V. mache sie keinen Urlaub, da sie dann auf Einkommen verzichten müsse als selbstständig tätige Person.

Die Betroffene konnte keinerlei Unterlagen zur Glaubhaftmachung vorlegen. Das Gericht hatte jedoch vor der Verhandlung in Internetrecherchen feststellen können, dass die Betroffene tatsächlich in dem von ihr geschriebenen Berufsfeld tätig ist. Das Gericht glaubt insoweit die Angaben der Betroffenen. Das Gericht geht davon aus, dass die Betroffene für ihre berufliche Tätigkeit insbesondere angesichts der auseinanderfallenden Einsatzorte und verschiedener Arbeitgeber zwangsläufig mobil sein muss. Dies bedeutet jedoch nicht, dass sie ihrer Berufstätigkeit während eines abzuleisten Fahrverbotes nicht nachkommen kann. Dabei ist zunächst festzustellen, dass die Betroffene glaubhaft angegeben hat, ohnehin nicht in Urlaub zu fahren, so dass sie ihre 24 Tage Urlaub bei ihrem Arbeitgeber in Hamm gänzlich für das Fahrverbot einsetzen kann. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass die Betroffene die Möglichkeit hat, von der vier-Monate-Abgabefrist nach § 25 Abs. 2a StVG Gebrauch zu machen. Zudem ist zu berücksichtigen, dass die Familie der Betroffenen ein monatliches Familieneinkommen von im Schnitt wohl etwa 5000 EUR netto aufweist. Unter diesen wirtschaftlichen Bedingungen ist es durchaus möglich und vor allem auch zumutbar, für die Dauer des Fahrverbotes einen Fahrer anzustellen oder auf Taxifahrer zurückzugreifen. Gegebenenfalls kann auch ein Kredit aufgenommen werden und in kleinen Raten zurückgezahlt werden. Letztlich ist es aber so, dass die Betroffene nur berufliche Schwierigkeiten geltend macht, jedoch keinen Arbeitsplatzverlust oder gar eine Existenzgefährdung. Hinsichtlich ihrer Nebentätigkeit hat sie nur Verdiensteinbußen für die Dauer des Monats geltend gemacht. Dass sie in Zukunft nicht mehr als sozialpädagogische Familienhilfe tätig sein könnte infolge eines Fahrverbots hat sie nicht geltend gemacht. Dementsprechend konnte auch von der Fahrverbotsanordnung nicht abgesehen werden.“

Bei den Vorgaben dürfte es in der Tat schwer werden mit einem „Absehen“.