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Die FE wird entzogen, der Führerschein „eingezogen“, oder: Zusätzliche Verfahrensgebühr Nr. 4142 VV RVG?

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Und als zweite Entscheidung dann noch einmal etwas zur Nr. 4142 VV RVG, und zwar den AG Amberg, Beschl. v. 04.12.2021 – 7 Cs 114 Js 5614/18 (2). Das AG nimmt Stellung zur Nr. 4142 VV RVG in den Fällen der Einziehung des Führerschein(dokuments) Entziehung der Fahrerlaubnis.

Der Kollege Jendricke, der mir die Entscheidung geschickt hat, hatte als Pflichtverteidiger ua.a. eine 1,0 Verfahrensgebühr nach Nr. 4142 VV-RVG aus einem Gegenstandswert von 5000,00 EUR, somit € 257,00, geltend gemacht. Begründet wurde dies damit, dass im Zuge der Einziehung des Führerscheindokuments diese Gebühr angefallen sei. Als Gegenstandswert seien entsprechend Ziffer 46.3 des Streitwertkatalogs der Verwaltungsgerichtsbarkeit € 5000 anzusetzen. Der Rechtspfleger hat die Festsetzung abgelehnt. Dagegen die Erinnerung, die beim AG teilweise Erfolg hat.

„2. Der zugrundeliegende Gebührentatbestand Nr. 4142 VV-RVG lautet:

„Verfahrensgebühr bei Einziehung und verwandten Maßnahmen

(1)      Die Gebühr entsteht für eine Tätigkeit für den Beschuldigten, die sich auf die Einziehung, dieser gleichstehende Rechtsfolgen (§ 439 StPO), die Abführung des Mehrerlöses oder auf eine diesen Zwecken dienende Beschlagnahme bezieht.

(2)      Die Gebühr entsteht nicht, wenn der Gegenstandswert niedriger als 30,00 € ist. […]“

Nr. 4142 VV RVG gewährt dem Rechtsanwalt damit eine besondere Verfahrensgebühr. Sie ist als Wertgebühr ausgestaltet und steht dem Rechtsanwalt zusätzlich zu, wenn er bei Einziehung und verwandten Maßnahmen eine darauf bezogene Tätigkeit für den Beschuldigten ausübt (Abs. 1 der Anm. zu Nr. 4142 VV RVG).

Unstrittig fällt bei einer Entziehung der Fahrerlaubnis die Verfahrensgebühr nicht an. Die Entziehung der Fahrerlaubnis ist keine Einziehung im Sinne von Nr. 4142 VV RVG (ganz h.M., vgl. nur OLG Koblenz, Beschluss vom 13. 2. 2006 – 2 Ws 98/06). Auch eine analoge Anwendung oder eine Behandlung als verwandte Maßnahme kommen nicht in Betracht (vgl. nur Toussaint/Felix, 51. Aufl. 2021, RVG VV 4142 Rn. 5).

3. Noch nicht abschließend geklärt ist hingegen, ob die Einziehung des Führerscheindokuments den genannten Gebührentatbestand auslöst. Dies wird in der Literatur ohne nähere Begründung bejaht (z.B. BeckOK RVG/Knaudt, 53. Ed. 1.9.2021, RVG VV 4142 Rn. 4; Gerold/Schmidt/Burhoff, 25. Aufl. 2021, RVG VV 4142 Rn. 9). Dagegen spricht freilich, dass es sich bei der Einziehung des Führerscheindokuments um eine bloße Folgemaßnahme zur Entziehung der Fahrerlaubnis handelt.

Nach Rechtsauffassung des Gerichts ist zu differenzieren: Grundsätzlich ist die Einziehung des Führerscheindokuments gesetzliche Folge der Entziehung der Fahrerlaubnis. Bei der Entziehung der Fahrerlaubnis regelmäßig eine Gebühr für die Einziehung des Führerscheindokuments fallen zu lassen, würde die gesetzgeberische Wertung, wonach die Entziehung der Fahrerlaubnis keine Einziehung im Sinne von Nr. 4142 VV RVG sein soll, ad absurdum führen. Damit kann die bloße anwaltliche Beratung darüber, dass im Falle der Wiedererteilung ein neues Führerscheindokument ausgegeben wird und das mit Rechtskraftentziehung der Fahrerlaubnis das Führerscheindokument abzuliefern ist, noch keinen Anfall des Gebührentatbestandes begründen. Auch eine Beratung über MPU-Maßnahmen, wie im Schriftsatz vom 26.05.2021 erklärt, bezieht sich in erster Linie auf die Fahrerlaubnis als solche und höchstens mittelbar auf das Führerscheindokument.

Etwas anderes gilt jedoch, wenn sich die anwaltliche Tätigkeit und Beratung spezifisch auf Fragen im Zusammenhang mit dem Führerscheindokument errichtet. Dies ist hier der Fall, indem die Frage der Übersendung des Führerscheindokument in die Tschechische Republik aufgrund einer Sonderkonstellation und anlässlich eines gerichtlichen Schreibens vom 21.08.2020 erörtert wurde.

Nach Wortlaut und Sinn von Nr. 4142 VV-RVG kann der Anwalt die besondere Verfahrensgebühr geltend machen, wenn sich seine Tätigkeit auf die Einziehung und verwandte Maßnahmen richtet. Das sind alle Tätigkeiten, die einen Bezug zu solchen Maßnahmen haben, also z.B. Schriftsätze, Stellungnahmen, Besprechungen, Beschwerden usw. (Burhoff, RVGreport 2006, 412, abzurufen unter https://www.burhoff.de/veroeff/aufsatz/rvgreport_2006_412.htm). Zwar braucht die Tätigkeit keinen besonderen Umfang zu entfalten. Ein Mindestmaß an spezifischer Beratung im Hinblick auf die Entziehung des Führerscheindokuments gegenüber dem Mandanten oder an Eingaben gegenüber dem Gericht oder der Vollstreckungsbehörde muss aber stattgefunden haben und dokumentiert sein.

Dies ist hier der Fall.

2. Hinsichtlich des Gegenstandswerts ist jedoch auf die Gebühren für das Führerscheindokument als solches abzustellen. Um Fahrstunden, Fahrerlaubnisprüfung, MPU-Vorbereitung geht es nicht, weil diese wiederum nicht dem Führerscheindokument als solchem, sondern dem Bereich der Fahrerlaubnis zuzuordnen sind.

Entsprechend der Stellungnahme des Bezirksrevisors vom 26.05.2021 ist ein Wertansatz in Höhe von 300,00 EUR als angemessen anzusehen.“

Wenn ich schon lese: „ohne nähere Begründung…“. Warum soll ich etwas begründen, was sich aus dem Wortlaut des Gesetzes ergibt? Im Übrigen ist die Einschränkung des AG falsch. Sie ergibt sich nicht aus dem Gesetz und widerspricht den allgemeinen Regeln zur Verfahrensgebühr. Es reicht eben „jede“ Tätigkeit, auch wenn das ggf. den Rechtspflegern und/oder Amtsrichtern nicht gefällt.

Um den Gegenstandswert kann man streiten. Mal sehen, was das LG macht. 🙂 .

Pflichti I: Nachträgliche Beiordnung, oder: Weitere Rechtsprechung

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Heute dann noch einmal ein Tag mit Pflichtverteidigungsentscheidungen. Da ist nach meinem letzten Posting zu dem Themenbereich einiges an Entscheidungen hereingekommen. Und einen Teil davon stelle ich heute vor.

Zunächst noch einmal zur Frage: Nachträgliche Beiordnung (also i.d.R. nach einer Einstellung nach § 154 StPO) zulässig oder nicht. Dazu hatte ich ja auch schon einige Entscheidungen zum neuen Recht vorgestellt. Hier kommen dann noch ein paar mehr, aus denen man m.E. den Schluss ziehen kann: Die LG halten an ihrer weiten Auffassung, dass die nachträgliche Beiordnung zulässig ist. Sie kommen im Grunde mit einer: Jetzt erst recht Argumentation unter Hinweis auf das neue Recht. Zu nennen ist da  dann auch nochLG Bonn, Beschl. v. 28.04.2020 – 21 Qs 25/20. Auch das AG Amberg, Beschl. v. 09.04.2020 – 6 Gs 591/20 – ordnet nachträglich bei, allerdings ohne auf das neue Recht einzugehen.

Es gibt natürlich leider auch noch andere Entscheidungen, wie z.B. den LG Essen, Beschl. v. 05.03.2020 – 57 Qs 6 Js 651/19-39/20. Wenn ich den lese frage ich mich allerdings, ob die gesetzlichen Neuregelungen an der Kammer vorbeigegangen sind. Man sollte ggf. dann vielleicht doch mal die Rechtsprechung überdenken und jetzt alte Zöpfe abschneiden. Zumindest sollte man sich mit der neuen Rechtslage auseinander setzen.

Klein, aber fein: Das AG Amberg und die „unnütze Förmelei“ bei der Akteneinsicht

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Das Thema der Akteneinsicht im Bußgeldverfahren hat 2011 und 2012 die Amtsgerichte bewegt. Jetzt scheint es da durch zu sein, denn es gibt nur noch wenige amtsgerichtliche Entscheidungen, die sich mit den Fragen befassen (müssen). I.d.R. haben wir es jetzt mit OLG-Entscheidungen zu tun. Aber es gibt dann immer mal wieder ein AG, das sich, weil die Verwaltungsbehörde „nicht will“, dann doch noch mal mit der Akteneinsicht befassen muss. So das (bayerische) AG Amberg im AG Amberg, Beschl. v. 27.05.2015 – 7 OWi 284/15.

Der Verteidiger hatte dort offenbar Einsicht in die Testfotos, die Gebrauchsanweisung für das verwendete Messgerät sowie die Lebensakte beantragt, was nicht gewährt worden war. Das AG macht kurzen Prozess/Beschluss und entscheidet, dass diese Unterlagen dem Verteidiger in Kopie zu übersenden sind:

„Die Ablehnung der Einsicht in die im Tenor genannten Dokumente durch den Verteidiger beschränkt den Betroffenen in seinen Rechten auf sachgemäße Verteidigung. Er hat einen Anspruch auf Vorlage der gewünschten Dokumente in Kopie.

Die Einschränkung, dass die entsprechenden Daten auf Anforderung des Gerichtes doch herausgegeben werden, stellt eine unnütze Förmelei dar und verzögert lediglich das Verfahren.“

Tja, warum gibt man eigentlich nicht sofort das heraus, was man auf Anforderung des Gerichts dann doch herausgeben muss/wird?