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Absprache III: Mitteilungspflicht und Beruhensprüfung, oder: Nochmal „Nachhilfe“ für das OLG Naumburg

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Und dann habe ich hier als dritte Entscheidung noch einmal etwas Nachhilfe vom BVerfG, und zwar zur Verletzung der Mitteilungspflicht nach § 243 Abs. 4 Satz 2 StPO. Dazu hat sich das BVerfG im BVerfG, Beschl. v. 08.11.2023 – 2 BvR 294/22 – geäußert.

Der Entscheidung liegt im Wesentlichen folgender Sachverhalt zugrunde:

Das AG Magdeburg hat den Angeklagten wegen gewerbsmäßiger Steuerhehlerei (§ 374 AO) in fünf Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr, deren Vollstreckung es zur Bewährung aussetzte, verurteilt. Während der Hauptverhandlung regte der Verteidiger des Angeklagten ein Rechtsgespräch an, woraufhin die Sitzung für etwa 20 Minuten unterbrochen wurde. Im Sitzungsprotokoll ist (dann) vermerkt:

„Eine Verständigung wurde insoweit herbeigeführt, als dass im Falle eines glaubhaften Geständnisses keine höhere Gesamtfreiheitsstrafe als ein Jahr mit Strafaussetzung zur Bewährung (…) in Betracht komme (…). Der Vertreter der Staatsanwaltschaft tritt neben dem Gericht dieser Verständigung bei.“

Der Verteidiger erklärte für den Angeklagten, dass er die Anklage bestätige.

Der Angeklagte hat gegen das amtsgerichtliche Urteil Sprungrevision eingelegt. Zu deren Begründung wurde u.a. vorgetragen, in der Hauptverhandlung beim AG sei auf Anregung seines Verteidigers eine Erörterung durchgeführt worden. Er und die Öffentlichkeit seien aufgefordert worden, den Sitzungssaal zu verlassen. Der Strafrichter habe in dem Gespräch gesagt: „Wenn es eine Vereinbarung geben solle, müsse sich diese auf die gesamten Anklagevorwürfe beziehen“. Der Strafrichter, der Verteidiger und der Staatsanwalt hätten im weiteren Gesprächsverlauf u.a. ihre Standpunkte zu der Art und Höhe der Strafe im Falle eines Geständnisses ausgetauscht. Nach der Erörterung habe ihm sein Verteidiger erklärt, dass seine Sichtweise zum Eingreifen eines Beweisverwertungsverbots nicht geteilt werde, aber eine Bewährungsstrafe gegen Geständnis bei Einräumung aller Vorwürfe laut Anklage von ca. einem Jahr für realistisch gehalten werde, die ohne Auflage oder Weisung einer Geldzahlung in Betracht komme. Weitere Umstände der Erörterung seien ihm nicht mitgeteilt worden.

Das OLG Naumburg (sic!) hat die Revision nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen. Die Verfassungsbeschwerde des Angeklagten hatte – teilweise – Erfolg. Das BVerfG hat das Verfahren an das OLG zurückverwiesen.

Auch hier stelle ich wegen des Umfangs der Entscheidung keine Auszüge ein, sondern verweise auf den verlinkten Volltext. Die Argumentation des BVerfG lässt sich etwa wie folgt zusammenfassen:

  • Das OLG Naumburg hat Bedeutung und Tragweite des Rechts auf ein faires Verfahren (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG) für die Auslegung und Anwendung der Vorschriften über die Verständigung im Strafprozess nicht hinreichend berücksichtigt.
  • Das OLG hat zudem die verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Mitteilungspflicht aus § 243 Abs. 4 Satz 2 StPO sowie an die Beurteilung, ob das amtsgerichtliche Urteil auf einer Verletzung dieser Mitteilungspflicht beruhe, verkannt.
  • Transparenz und Öffentlichkeit sind im Regelungskonzepts der Verständigung eine wichtige Säule, die die vom Gesetzgeber als erforderlich bewertete „vollumfängliche“ Rechtsmittelkontrolle ermöglichen und wirksam ausgestalten soll.
  • Der Inhalt des während der Unterbrechung der Hauptverhandlung vor dem AG geführten Gesprächs zwischen dem Vertreter der Staatsanwaltschaft, dem Strafrichter und dem Verteidiger des Angeklagten unterfiel jedenfalls ab dem Zeitpunkt der Mitteilungspflicht nach § 243 Abs. 4 StPO, als der Strafrichter durch die Aussage „Wenn es eine Vereinbarung geben solle, müsse sich diese auf die gesamten Anklagevorwürfe beziehen“ ausdrücklich die Möglichkeit einer Vereinbarung in Betracht gezogen hatte. Spätestens ab diesem Moment ist die Erörterung offensichtlich auf eine einvernehmliche Verfahrenserledigung gerichtet gewesen.
  • Die Mitteilungspflicht ist , denn die Mitteilung des Strafrichters in der Hauptverhandlung gibt den wesentlichen Inhalt des Verständigungsgesprächs nicht vollständig wieder. Der Strafrichter beschränkt sich nämlich darauf, kundzutun, dass eine Verständigung herbeigeführt worden sei und welche Strafe der Angeklagte im Falle eines Geständnisses zu erwarten habe. Nach § 243 Abs. 4 StPO hätte der Strafrichter jedoch auch mitteilen müssen, welche Standpunkte die einzelnen Gesprächsteilnehmer vertraten, von welcher Seite die Frage einer Verständigung aufgeworfen wurde und ob sie bei den anderen Gesprächsteilnehmern auf Zustimmung oder Ablehnung stieß.
  • Das OLG hat bei der Beruhensprüfung das Beruhen des Urteils des AG auf der Verletzung der Mitteilungspflicht mit verfassungsrechtlich nicht tragfähiger Argumentation ausgeschlossen. Es hat die verfassungsrechtlichen Anforderungen des § 243 Abs. 4 StPO bereits aus dem Grund verfehlt, weil die Frage des Beruhens offensichtlich allein unter dem Gesichtspunkt einer Einwirkung auf das Aussageverhalten des Angeklagten geprüft und die Bedeutung der von dem Verstoß in erster Linie betroffenen, auch dem Schutz des Angeklagten dienenden Kontrollmöglichkeit der Öffentlichkeit außer Acht gelassen worden ist.
  • Es sei bereits nicht ersichtlich, dass das OLG sich mit dem Gesichtspunkt auseinandergesetzt hätte, dass richterliche und nichtrichterliche Mitteilungen nicht von identischer Qualität sein können, sodass auch bei erfolgter Unterrichtung durch den Verteidiger das richterliche Mitteilungsdefizit Auswirkungen auf das Aussageverhalten des Angeklagten gehabt haben könnte.

Auch hier ist man – zumindest ich – wie beim BVerfG, Beschl. v. 20.12.2023 – 2 BvR 2103/20  zur Verurteilung nach einem verständigungsbasierten Geständnis erstaunt, mit welcher Nonchalance AG, OLG und auch der Vertreter der Staatsanwaltschaft die Rechtsprechung des BVerfG und des BGH zu den maßgeblichen Fragen schlicht übersehen. Ob bewusst oder unbewusst, ist letztlich ohne Belang, denn beides ist gleich unverständlich. Es würde zu weit führen, an dieser Stelle die maßgeblichen obergerichtliche Rechtsprechung im Einzelnen darzustellen. Festzuhalten ist aber, dass für das BVerfG und ihm letztlich folgend auch für den BGH die Mitteilungspflicht des § 243 Abs. 4 Satz 2 StPO einer der Grundpfeiler der Verständigungsregelung ist. Es wird immer wieder die Bedeutung dieser Mitteilungspflicht im Hinblick auf die Rechte des Angeklagten aber auch der Öffentlichkeit betont. Ergebnis dieser Rechtsprechung ist, dass die Mitteilungspflicht vom inhaltlichen Umfang her sehr weit geht und das auch Auswirkungen auf die Beruhensprüfung des Revisionsgerichts hat. Darauf weist das BVerfG noch einmal hin. Man kann nur hoffen, dass dieser Hinweis auch gelesen werden und zumindest dann diese Rechtsprechung bei AG und OLG bekannt ist. Bisher scheint das nicht der Fall zu sein.

Mitteilung von Gesprächen außerhalb der Hauptverhandlung?, oder: Wenn der Angeklagte „Punkte sammeln“ kann

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Und als zweite Entscheidung des Tages dann der BGH, Beschl. v. 23.07.2019 – 1 StR 2/19. Die Entscheidung kommt auch aus dem Bereich der Absprache, hat also nichts mit der heute im Rheinland beginnenden 5. Jahreszeit zu tun 🙂 .

Das LG hat den Angeklagten wegen Beihilfe zum Wohnungseinbruchdiebstahl verurteilt. Dagegen wendet sich der Angeklagte mit der Revision, mit der er eine Verletzung der Mitteilungspflicht aus § 243 Abs. 4 Satz 2 StPO geltend macht. Ohne Erfolg:

1. Näherer Erörterung bedarf lediglich die Rüge einer Verletzung der Mitteilungspflicht im Rahmen einer behaupteten Verfahrensverständigung (§ 243 Abs. 4 Satz 2 StPO). Die Revision beanstandet insoweit, der Vorsitzende der Strafkammer habe entgegen § 243 Abs. 4 Satz 2 StPO nicht vollständig über ein Gespräch außerhalb der Hauptverhandlung unterrichtet, das die Möglichkeit einer Verständigung zum Gegenstand gehabt habe.

a) Der Rüge liegt folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde:

Am 18. Juni 2018 fand zwischen den Berufsrichtern und Schöffen der Strafkammer, dem Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft und den Verteidigern der Angeklagten H. und B. ein Rechtsgespräch statt, in dem das bisherige Ergebnis der Beweisaufnahme besprochen wurde. Der Vertreter der Staatsanwaltschaft erklärte, er könne sich nach entsprechender Anregung der Strafkammer vorstellen, den Antrag zu stellen, das Verfahren hinsichtlich aller angeklagten Sachverhalte bis auf den Wohnungseinbruch in A. nach § 154 Abs. 1 und 2 StPO zu behandeln. Dies teilte der Vorsitzende in der Hauptverhandlung mit. Der Staatsanwalt und die Verteidiger bestätigten anschließend die Richtigkeit der erfolgten Mitteilung.

Nach Fortsetzung der Beweisaufnahme beantragte der Staatsanwalt, die angeklagten Taten bis auf den Wohnungseinbruch in A. nach § 154 StPO vorläufig einzustellen. Die Strafkammer erließ den entsprechenden Beschluss. Die Beweisaufnahme wurde fortgesetzt. Der Angeklagte H. äußerte sich erstmals zur Sache.

In der Fortsetzung der Hauptverhandlung am 20. Juni 2018 erteilte der Vorsitzende den rechtlichen Hinweis, dass hinsichtlich des Angeklagten H. auch eine Verurteilung wegen Beihilfe zum Wohnungseinbruchdiebstahl in Betracht komme. Der kroatische Strafregisterauszug des Angeklagten wurde verlesen und die Beweisaufnahme geschlossen. Nachdem die Schlussvorträge gehalten worden waren, erfolgte die Urteilsverkündung.

b) Die Revision meint, in die Mitteilung über den Inhalt des Rechtsgesprächs hätte aufgenommen werden müssen, dass erörtert worden sei, ob bei dem Angeklagten H. von Beihilfe oder Mittäterschaft auszugehen sei und der Vorsitzende erklärt habe, die für diesen Angeklagten in Betracht kommende Strafe werde jedenfalls wesentlich geringer sein als beim Studium der Anklageschrift gedacht. Der Staatsanwalt habe geäußert, er habe bei dem Angeklagten H. bei einer Verurteilung nach Anklage sieben, bei dem Angeklagten B. neun bis zehn Jahre „ins Auge gefasst“. Der Vorsitzende habe darauf hingewiesen, die Angeklagten könnten „Punkte sammeln“, wenn sie hinsichtlich ihrer kroatischen Vorstrafen Angaben machen würden, und sich erkundigt, von welchen Strafvorstellungen der Angeklagte H. ausgehe. Dessen Verteidiger habe entgegnet, mit seinem Mandanten nicht über konkrete Strafvorstellungen gesprochen zu haben.

c) Das während der Unterbrechung der Hauptverhandlung am 18. Juni 2018 geführte Rechtsgespräch war nicht mitteilungspflichtig nach § 243 Abs. 4 Satz 2 StPO. Es wies keinen Verständigungsbezug auf.

aa) Gemäß § 243 Abs. 4 Satz 1 und 2 StPO ist über Erörterungen nach §§ 202a, 212 StPO zu berichten, die außerhalb der Hauptverhandlung stattgefunden haben und deren Gegenstand die Möglichkeit einer Verständigung (§ 257c StPO) gewesen ist. Davon ist auszugehen, sobald bei im Vorfeld oder neben der Hauptverhandlung geführten Gesprächen ausdrücklich oder konkludent die Möglichkeit einer Verständigung im Raum stand, also Fragen des prozessualen Verhaltens in Konnex zum Verfahrensergebnis gebracht wurden und damit die Frage nach oder die Äußerung zu einer Straferwartung nahe lag (BVerfG, Urteil vom 19. März 2013 – 2 BvR 2628/10 u.a. Rn. 85; BGH, Urteile vom 23. Juli 2015 – 3 StR 470/14 Rn. 12 und vom 3. Mai 2017 – 2 StR 576/15 Rn. 14 f.; Beschlüsse vom 14. April 2015 – 5 StR 9/15 Rn. 14 und vom 24. Januar 2018 – 1 StR 564/17 Rn. 7; siehe auch BVerfG, Beschluss vom 21. April 2016 – 2 BvR 1422/15 Rn. 20 ff. zur „synallagmatischen Verknüpfung“).

Ein verständigungsbezogenes Gespräch ist allerdings von sonstigen zur Verfahrensförderung geeigneten Erörterungen zwischen den Verfahrensbeteiligten abzugrenzen, die nicht auf eine einvernehmliche Verfahrenserledigung abzielen, sondern mit denen lediglich ein Gedankenaustausch über die Einschätzung der Sach- oder Rechtslage erstrebt wird (vgl. z.B. BGH, Beschluss vom 14. April 2015 – 5 StR 9/15 Rn. 15 mwN).

Solche unverbindlichen Erörterungen, die das Gericht ohne Verständigungsbezug als Ausdruck transparenten kommunikativen Verhandlungsstils führen kann, sind z.B. Rechtsgespräche und Hinweise auf die vorläufige Beurteilung der Beweislage (vgl. BT-Drucks. 16/12310, S. 13) oder die strafmildernde Wirkung eines Geständnisses (BVerfG, aaO, Rn. 106; BGH, Beschluss vom 14. April 2015 – 5 StR 9/15 Rn. 15 mwN; Urteil vom 28. Juli 2016 – 3 StR 153/16 Rn. 20). Darüber hinaus hielt der Gesetzgeber auch die Mitteilung einer Ober- und Untergrenze der nach dem Verfahrensstand vorläufig zu erwartenden Strafe durch das Gericht für ein Beispiel einer offenen und sachgerechten Verfahrensführung (vgl. BT-Drucks. 16/12310, S. 12; BGH, Beschluss vom 14. April 2015 – 5 StR 9/15 Rn. 15).

Gespräche, die auf eine Einstellung von Taten während laufender Hauptverhandlung nach § 154 Abs. 2 StPO abzielen, lösen keine Mitteilungspflicht gemäß § 243 Abs. 4 Satz 2 StPO aus, soweit sie allein auf die Möglichkeit einer Teileinstellung gerichtet sind (vgl. BGH, Urteil vom 3. Mai 2017 – 2 StR 576/15 Rn. 13 ff.).

Eine Teileinstellung gemäß § 154 Abs. 2 StPO kann aber auch Gegenstand einer förmlichen Verständigung sein (vgl. BVerfG, Beschluss vom 21. April 2016 – 2 BvR 1422/15 Rn. 20; BGH, Urteil vom 3. Mai 2017 – 2 StR 576/15 Rn. 15 mwN). Dies ist dann der Fall, wenn sie in einen Konnex zu Prozessverhalten der Verfahrensbeteiligten gebracht wird, sich also die (vorläufige) Einstellung nach § 154 Abs. 2 StPO durch das Gericht als „Gegenleistung“ für eine von einem anderen Verfahrensbeteiligten in Aussicht gestellte oder zugesagte Leistung darstellt (BVerfG, Beschluss vom 21. April 2016 – 2 BvR 1422/15 Rn. 21 „synallagmatische Verknüpfung der jeweiligen Handlungsbeiträge“; BGH, Urteil vom 3. Mai 2017 – 2 StR 576/15 Rn. 15).

bb) Nach diesem Maßstab weist das außerhalb der Hauptverhandlung geführte Gespräch vom 18. Juni 2018 keinen Verständigungsbezug auf. Die Äußerungen des Vorsitzenden sind lediglich Aspekte eines kommunikativen offenen Verhandlungsstils.

Zwischen der von der Staatsanwaltschaft angestoßenen Einstellung des Verfahrens gemäß § 154 StPO und der nach deren Umsetzung erfolgten Sacheinlassung des Angeklagten ist keine Verknüpfung in Gestalt der Abgabe einer Sacheinlassung bzw. der Zusage sonstigen Prozessverhaltens des Angeklagten als Gegenleistung zu Tage getreten.

Ebenso wenig hat der Hinweis des Vorsitzenden, der Angeklagte könne durch Angaben zu seinen kroatischen Vorstrafen „Punkte sammeln“, einen solchen synallagmatischen Konnex zwischen einem prozessualen Verhalten des Angeklagten und dem Verfahrensergebnis begründet. Die Äußerung des Vorsitzenden erschöpfte sich darin, auf eine mögliche strafmildernde Berücksichtigung hinzuweisen.

Auch die allgemein gehaltenen Erklärungen des Vorsitzenden und des Staatsanwalts zu ihren Strafvorstellungen gehören zum beispielhaften Inhalt unverbindlicher Erörterungen ohne Verständigungsbezug. Von keinem der Verfahrensbeteiligten wurde ein Geständnis oder sonstiges Prozessverhalten des Angeklagten und damit verbundene Strafunter- und Strafobergrenzen genannt. Die Erklärung des Vorsitzenden, die Strafhöhe werde niedriger sein, als ursprünglich beim Studium der Akten gedacht, enthält keine Strafvorstellung und liegt jenseits einer sich anbahnenden Verständigung. Auch die Offenbarung seiner Strafvorstellungen durch den Staatsanwalt, die ohne Bezug zu einem prozessualen Verhalten des Angeklagten erfolgte, diente nicht der Vorbereitung einer Verständigung.

Soweit das Gespräch die Abgrenzung von Beihilfe oder Mittäterschaft bei dem Angeklagten H. zum Gegenstand hatte, handelt es sich lediglich um einen Gedankenaustausch über die Einschätzung der Sach- und Rechtslage.

Im Falle eines Verständigungsinhaltes würde der Senat im Hinblick darauf, dass die unterlassene Mitteilung der von der Verteidigung genannten Aspekte weder für die Verteidigung von Bedeutung waren noch die Belange der Öffentlichkeit berühren könnten, ein Beruhen ausschließen.“

Belehrung muss vor der Absprache/Verständigung erfolgen, oder: Aber kein Beruhen…..

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Als erste Entscheidung der 46. KW. hier dann der BGH, Beschl. v. 08.08.2019 – 2 StR 295/19.

Das LG hat den Angeklagten u.a. wegen schweren Bandendiebstahls iverurteilt. Dagegen die Revision des Angeklagten, der einen Verstoß gegen § 257c Abs. 5 StPO – als Belehrung über Verständigung – geltend macht. Dazu der BGH:

„1. Mit der Verfahrensrüge beanstandet die Revision, dass der Vorsitzende der Strafkammer entgegen § 257c Abs. 5 StPO die Belehrung über die Voraussetzungen und Folgen einer Abweichung des Gerichts von dem in Aussicht gestellten Ergebnis der Verständigung nach § 257c Abs. 4 StPO erst nach Zustandekommen der Verständigung und damit verspätet erteilt habe. Sie meint, dieser Verfahrensfehler habe sich ausgewirkt, weil die Feststellungen des Landgerichts zum Tatgeschehen auf den geständigen Angaben des Angeklagten beruhten und damit das vor der Belehrung abgegebene Geständnis in das Urteil eingeflossen sei.

a) Der zulässig erhobenen Rüge liegt im Wesentlichen folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde:

Am 22. Januar 2019 unterbreitete die Strafkammer dem Angeklagten den Vorschlag, im Falle eines umfassenden Geständnisses hinsichtlich der Taten eins bis sechs aus dem ersten Tatkomplex und der Tat vier aus dem zweiten Tatkomplex der Anklage und Angaben zu den Tatbeteiligten eine Gesamtfreiheitsstrafe zwischen vier Jahren neun Monaten und fünf Jahren drei Monaten zu verhängen. Der Angeklagte, sein Verteidiger und die Staatsanwaltschaft nahmen sodann den Verständigungsvorschlag an. Der Vorsitzende erklärte, dass mit dem Angeklagten eine Verständigung zustande gekommen sei, und erteilte die Belehrung gemäß § 257c Abs. 5 StPO. Im Anschluss daran ließ sich der Angeklagte geständig zur Sache ein.

In der Fortsetzung der Hauptverhandlung am 8. Februar 2019 machte der Angeklagte weiter Angaben zur Sache und setzte dies trotz Hinweises des Vorsitzenden, dass sein Geständnis über die Verständigung hinausgehe, in Absprache mit seinem Verteidiger fort. Der Angeklagte wurde vom Vorsitzenden „nach geheimer Umfrage“ darauf hingewiesen, dass die Verständigungsabsprache vom 22. Januar 2019 nicht mehr gelte, da er nun drei weitere Einbrüche zugegeben habe. Die Strafkammer erklärte die Verständigung vom 22. Januar 2019 für hinfällig. Der Vorsitzende wies den Angeklagten darauf hin (§ 257c Abs. 4 Satz 4 StPO), dass sein Geständnis daher gemäß § 257c Abs. 4 Satz 3 StPO nicht mehr verwertbar sei.

Nach Unterbrechung der Hauptverhandlung unterbreitete der Vorsitzende dem Angeklagten einen neuen Verständigungsvorschlag, der im Falle eines Geständnisses der Taten „A1 bis A6 und B1 bis B4“ die Verhängung einer Freiheitsstrafe zwischen fünf Jahren drei Monaten und fünf Jahren neun Monaten vorsah. Die Vertreterin der Staatsanwaltschaft stimmte dem Vorschlag zu. Der Verteidiger des Angeklagten erklärte, sein Mandant bleibe bei seinem letzten umfassenden Geständnis. Dies bestätigte der Angeklagte. Sodann erteilte der Vorsitzende dem Angeklagten die Belehrung gemäß § 257c Abs. 5 StPO.

b) Die Revision rügt zu Recht eine fehlerhafte Anwendung der Vorschrift des § 257c Abs. 5 StPO, da die Belehrung über die in § 257c Abs. 4 StPO geregelte Möglichkeit eines Entfallens der Bindung des Gerichts an die Verständigung erst nach Zustandekommen der Verständigung und damit verspätet erteilt worden ist.

Die Verständigung kommt nicht erst mit der Belehrung zustande, sondern bereits durch die Zustimmungserklärungen gemäß § 257c Abs. 3 Satz 4 StPO. Eine Verständigung ist regelmäßig nur dann mit dem Grundsatz des fairen Verfahrens zu vereinbaren, wenn der Angeklagte vor ihrem Zustandekommen nach § 257c Abs. 5 StPO über deren nur eingeschränkte Bindungswirkung für das Gericht belehrt worden ist (vgl. hierzu BVerfG, Urteil vom 19. März 2013 – 2 BvR 2628/10, 2 BvR 2883/10 und 2 BvR 2155/11, BVerfGE 133, 168-241 Rn. 127; BGH, Beschlüsse vom 6. November 2018 – 5 StR 486/18 Rn. 5 und vom 8. November 2018 – 4 StR 268/18 Rn. 5, jeweils mwN).

c) Bleibt die unter Verstoß gegen die Belehrungspflicht zustande gekommene Verständigung bestehen und fließt das auf der Verständigung basierende Geständnis in das Urteil ein, beruht dieses auf der mit dem Verstoß einhergehenden Grundrechtsverletzung, es sei denn, eine Ursächlichkeit des Belehrungsfehlers für das Geständnis kann ausgeschlossen werden, weil der Angeklagte dieses auch bei ordnungsgemäßer Belehrung abgegeben hätte; hierzu müssen vom Revisionsgericht konkrete Feststellungen getroffen werden (BVerfG aaO Rn. 127).“

So weit, so gut. Aber im Ergebnis nicht gut, denn der BGH kann mal wieder das Beruhen ausschließen. Es stehe nämlich zweifelsfrei fest, dass dem Angeklagten auch ohne rechtzeitige Belehrung durch das Gericht bekannt war, unter welchen Voraussetzungen die Bindung des Gerichts an eine Verständigung entfällt. Na ja, warum dann der „Eiertanz“ um die Belehrung?