Neues aus Berlin II: Strafverfolgungsentschädigung, oder: Kommt endlich eine Reform des StrEG?

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Und im zweiten Posting weise ich hier auf den Referentenentwurf des BMJ zu einem „Gesetz zur Reform des Gesetzes über die Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen und zur Änderung weiterer Gesetze (Strafverfolgungsentschädigungsreformgesetz – StrERG)“ hin. Der sieht – endlich – eine durchgreifende Änderung des StrEG vor, dass im Grunde seit seiner Einführung im Jahr 1971 nur punktuell immer wieder geändert worden ist. Insbesondere wurde die als Ersatz für immaterielle Schäden bei Freiheitsentziehung zu leistende Haftentschädigungspauschale mehrfach angehoben, viel mehr ist aber auch nicht passiert.

Jetzt soll es weitergehenden Reformen des StrEG geben, insbesondere im Hinblick auf Verbesserungen für Personen, die wegen letztlich zu Unrecht erlittener Freiheitsentziehung zu entschädigen sind. Ziele des Entwurfs sind die materielle Besserstellung und Unterstützung von Personen, die für eine auf Grund gerichtlicher Entscheidung erfolgte und letztlich zu Unrecht erlittene Freiheitsentziehung zu entschädigen sind, sowie die Stärkung der Rehabilitierung zu Unrecht Verurteilter. Im Interesse aller (potentiell) Entschädigungsberechtigten sollen darüber hinaus das Entschädigungsverfahren und das sich gegebenenfalls anschließende Rechtsbehelfsverfahren vereinfacht werden.

Der Entwurf sieht dazu insbesondere folgende Änderungen vor:

  • Anhebung der Haftentschädigungspauschale um weitere 25 EUR auf 100 EUR für jeden angefangenen Tag der Freiheitsentziehung und ab einer Haftdauer von sechs Monaten nochmals auf 200 Euro für jeden weiteren angefangenen Tag der Freiheitsentziehung,
  • die Anrechnung von durch die Freiheitsentziehung ersparten Aufwendungen für Unterkunft und Verpflegung auf den Entschädigungsanspruch soll ausgeschlossen werden und
  • es soll ein Anspruch auf eine kostenlose anwaltliche Erstberatung im Betragsverfahren eingeführt werden.
  • im RVG soll im Hinblick auf die letztgenannte Änderung flankierend ein Vergütungsanspruch des Rechtsanwalts, der die Erstberatung durchgeführt hat, gegen die Staatskasse vorgesehen werden.
  • Durch weitere Änderungen des StrEG sollen Erleichterungen für das Entschädigungsverfahren und das sich ggf. anschließende Klageverfahren eingeführt werden, namentlich erweiterte Belehrungspflichten, die Verlängerung von Antrags- und Klagefrist sowie die Möglichkeit der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bei Versäumung der Antrags- oder Klagefrist.
  • Mit einer Änderung der StPO sollen schließlich zu Unrecht Verurteilte dadurch besser rehabilitiert werden, dass sie bei erfolgreicher Wiederaufnahme auch nach erneuter Hauptverhandlung einen Anspruch auf öffentliche Bekanntmachung der Aufhebung des früheren Urteils erhalten.

Wegen weiterer Einzelheiten hier das Informationspapier des BMJ.

Auch hier: Mal sehen, was daraus wird.

 

Neues aus Berlin I: Geschäftsverteilung und Schöffen, oder: Beschränkung der Laienverteidigung

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Und dann starte ich in die neue Woche mal nicht mit Entscheidungen, sondern mit zwei Beiträgen zu Gesetzesvorhaben, die in Berlin in der Pipeline sind.

Zunächst der Hinweis auf einen am 30.08.2024 veröffentlichen Referentenentwurf des BMJ zu geplanten Änderungen im GVG. Vorgesehen sind zwei Änderungen, und zwar.

  • In Zukunft sollen Gerichte verpflichtet sein, ihre Geschäftsverteilungspläne im Internet zu veröffentlichen.
  • Zudem soll der Zugang zum Schöffenamt strenger reguliert werden. Es sollen Personen als Schöffen ausgeschlossen sein, die wegen einer vorsätzlichen Tat zu einer Geldstrafe von mehr als 90 Tagessätzen oder zu einer Freiheitsstrafe verurteilt wurden. Bisher lag die Schwelle bei sechs Monaten Freiheitsstrafe, Geldstrafen hatten gar keine Bedeutung.

Und dann gibt es noch einen Gesetzesentwurf zur Änderung der StPO aus Bayern (BR-Drucksache 206/24), und zwar zur Beschränkung der Laienverteidigung. Hintergrund ist § 138a Abs. 2a StPO. Danach darf ausnahmsweise vom Gericht im Einzel-
fall auf Antrag eine andere Person als ein Rechtsanwalt oder Hochschullehrer, der die Befä-
higung zum Richteramt hat, als Verteidiger zugelassen werden (sogenannte
Laienverteidiger). Diese muss kein Rechtsanwalt oder Volljurist sein. Es genügt,
dass sie nach Ansicht des Gerichts ausreichend sachkundig und vertrauenswürdig
für eine ordnungsgemäße Verteidigung ist und keine sonstigen Bedenken gegen die
gewählte Person bestehen.

Vorgeschlagen wird, eine Genehmigung nur noch folgenden Personen zu erteilen:

„1. Volljährigen Angehörigen des Beschuldigten,
2. Personen mit Befähigung zum Richteramt, wenn die Vertretung nicht im
Zusammenhang mit einer entgeltlichen Tätigkeit für den Beschuldigten
steht,
3. Vertretern von Berufsverbänden, Gewerkschaften oder Vereinigungen von
Arbeitgebern sowie von Zusammenschlüssen solcher Verbände für ihre
Mitglieder oder für andere Verbände oder Vertreter von Zusammenschlüssen mit vergleichbarer Ausrichtung und deren Mitglieder oder
4. Vertretern von juristischen Personen, deren Anteile sämtlich im wirtschaft-
lichen Eigentum einer der in Nummer 3 bezeichneten Organisationen stehen, wenn die juristische Person ausschließlich die Rechtsberatung und
Prozessvertretung dieser Organisation und ihrer Mitglieder oder anderer
Verbände oder Zusammenschlüsse mit vergleichbarer Ausrichtung und deren Mitglieder entsprechend deren Satzung durchführt, und wenn die Organisation für die Tätigkeit ihrer Vertreter haftet.“

Mal sehen was aus den beiden Vorhaben wird.

 

Sonntagswitz, heute wieder zu Freunden

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Wenn dieser Beitrag online geht, wollte ich auf der Rückfahrt von unserem alljährlichen „Freundschaftstreffen“ in Erfurt sein. Ist immer wieder schön: Essen, Trinken, Reden und Fortbilden. Es hat aber leider nicht geklappt, da bei mir eine Augen-OP so verlegt werden musste, dass ich an diesem Wochenende dann lieber doch daheim geblieben bin. Das Treffen – im nächsten Jahr bin ich wieder dabei – ist dann aber dennoch der Themengeber für den heutigen Sonntagswitz, nämlich: Freunde, und zwar:

Treffen sich zwei Freunde.

„Mir geht es heute so beschissen!“

„Du kannst ja in den Streichelzoo gehen. So etwas beruhigt normalerweise.“

Nach ein paar Stunden treffen sie sich wieder.

„Und, geht es dir wieder besser?“

„Nein …“

„Warum das denn?“

„Im Streichelzoo wollte mich keiner streicheln …“


Habe meinen Freund gerade gefragt, ob er sich daran erinnert, was heute für ein Tag ist.

Männern Angst machen, kann so einfach sein.


Der Mann war über Nacht nicht zu Hause. Am Morgen erzählt er seiner Frau, dass er bei einem Kumpel übernachtet hätte.

Seine Frau ruft zehn seiner besten Freunde an. Abends stellt sie ihren Gatten zur Rede.

„Ich habe zehn deiner Freunde angerufen. Fünf haben mir bestätigt, dass du bei ihnen geschlafen hast. Und drei behaupten, dass du immer noch bei ihnen wärst.“


Das Motto des Jagdvereins:

Lernen Sie schießen und treffen Sie neue Freunde.

Rückschau: Wochenspiegel in die 36. KW/2022, mit beA, Corona, Coca Cola, Lobo, fragwürdiges AG Hannover

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Ich darf ja im Moment nicht viel auf den PC schauen und lesen, daher gibt es heute mal wieder keinen aktuellen Wochenspiegel, sondern eine Rückschau, und zwar in den Wochenspiegel für die KW 36/2022. Da hatte ich geschrieben:

„Und auch heute, am Ende der 36. KW., gibt es einen Wochenspiegel, und zwar mit folgenden Beiträgen:

  1. OLG Frankfurt: Kein Schadensersatzanspruch gegen Messeveranstalter wegen coronabedingter Absage einer Messe ,
  2. LG Hagen: Zur Zustellung einer einstweiligen Verfügung per beA / Ersatzzustellung gem. § 189 ZPO
  3. LG Hamburg: Coca-Cola muss Lebensmittelhändler EDEKA vorerst weiter beliefern – Lieferstopp zur Durchsetzung höherer Preise ist Missbrauch der marktbeherrschenden Stellung
  4. Lobo und der Datenschutzschuldfetisch – Ein Kommentar

  5. KG Berlin: Wer eine einstweilige Verfügung zu erschleichen versucht, verstößt gegen prozessuale Wahrheitspflicht ,

  6. BGH: Unzulässige Servicepauschale für Bezahlung von Flugbuchungen im Internet wenn keine gängige kostenlose Zahlungsweise im Sinne von § 312a Abs. 4 Nr. 1 BGB angeboten wird,
  7. ZPO-Reform: DAV-Forum am 18. Oktober 2022,

  8. BGH: Online-Werbung mit Aussage „Notar & Mediator irreführend und damit verboten

  9. Regelung zur digitalen Beschlussfassung ausgelaufen

  10. und an der Spitze meiner Beiträge – ein fragwürdiger Erfolg für das AG Hannover – (Keine) Mitwirkung bei „derzeitigem Schweigen“?, oder: Oh, hättest du doch geschwiegen, AG Hannover

Regress des Polizeibeamten für eine Einsatzfahrt, oder: 92 km/h innerorts, mit Blaulicht, ohne Martinshorn

Ein Polizeibeamter, der auf dem Weg zu einem Einsatz ein bisschen „zu tief geflogen “ ist und einen Verkehrsunfall verursacht hat, verstößt grob fahrlässig gegen dienstliche Sorgfaltspflichten, wenn es nur um einen Einbruch gegangen ist. So das VG Berlin im VG Berlin, Urt. v. 18.03.2024 – 5 K 65/21. Folge: Der Dienstherr kann Regress nehmen:

„2. Auch materiell ist der Bescheid rechtmäßig. Der Kläger hat ihm obliegende Pflichten grob fahrlässig verletzt und so an einem Dienstfahrzeug einen Schaden verursacht, den er zumindest in der geltend gemachten Höhe ersetzen muss.

Der Kläger hat die ihm nach der Straßenverkehrsordnung obliegenden Pflichten verletzt.

Er hat, obwohl er eine entsprechende Freigabe erhalten hatte, keine Wegerechte im Sinne von § 38 Abs. 1 StVO in Anspruch genommen; dafür hätte er blaues Blinklicht zusammen mit dem Einsatzhorn verwenden müssen; dies hätte die Anordnung bedeutet: „Alle übrigen Verkehrsteilnehmer haben sofort freie Bahn zu schaffen“ (§ 38 Abs. 1 Satz 2 StVO). Vielmehr hat er nur blaues Blinklicht eingeschaltet und damit lediglich Sonderrechte im Sinne von § 35 StVO genutzt. Nach Abs. 1 dieser Vorschrift ist (unter anderem) die Polizei von den Vorschriften der Straßenverkehrsordnung befreit, soweit das zur Erfüllung hoheitlicher Aufgaben dringend geboten ist. Abs. 8 bestimmt, dass Sonderrechte nur unter gebührender Berücksichtigung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgeübt werden.

Hieran gemessen durfte der Kläger, der sich auf einer Einsatzfahrt zu einem gegenwärtig stattfindenden Einbruch befand, die allgemeinen Verkehrsregeln, insbesondere auch die Vorschriften über die zulässige Höchstgeschwindigkeit, missachten. Dies jedoch nur in einem Umfang, der in einem angemessenen Verhältnis zur dadurch verursachten Gefährdung der öffentlichen Sicherheit steht.

Das hat der Kläger nicht beachtet, indem er an einem Freitagabend um kurz nach 18:00 Uhr innerorts sein Dienstfahrzeug mit 95 km/h bzw. (kurz vor Einleitung der Vollbremsung) mit 92 km/h geführt hat. Die Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h um rund 90 % war weder geboten noch gerechtfertigt.

Die Verhältnisse am Unfallort verlangen vom Kläger größere Vorsicht und damit eine niedrigere Geschwindigkeit: Der Eichborndamm ist zwar eine Durchgangsstraße im Bezirk Reinickendorf; sie liegt jedoch im innerörtlichen Bebauungszusammenhang und ist rechts und links von Wohnhäusern gesäumt; der Unfallort liegt in Fahrtrichtung gesehen hinter einer leichten Rechtskurve, wie das vom Kläger vorgelegte Luftbild deutlich macht. Zum Unfallzeitpunkt, einem Freitagabend kurz nach 18:00 Uhr, war es bereits dunkel (Sonnenuntergang ca. 16:30 Uhr, Dämmerungsende ca. 17:10 Uhr).

Unter diesen Umständen musste der Kläger mit der Möglichkeit rechnen, auf ein Hindernis zu treffen. Das konnte ein anderes Kraftfahrzeug sein, das vom rechten Fahrbahnrand anfährt, aus einer Grundstücksausfahrt (von links oder rechts) herausfährt oder das (wie offenbar geschehen) auf der Fahrbahn wendet. Das hätte aber auch ein die Fahrbahn überquerender Fußgänger, ein Rollstuhlfahrer oder ein Radfahrer sein können.

Diesem jederzeit zu erwartenden Hindernis hätte der Kläger seine Geschwindigkeit anpassen müssen, um rechtzeitig bremsen und eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer vermeiden zu können. Die Datenauswertung des konkreten Bremsvorgangs hat gezeigt, dass bei einer Geschwindigkeit von 92 km/h auch eine 50 m (2,7 Sekunden) vor der Kollision eingeleitete Vollbremsung den Zusammenprall nicht verhindern konnte. Vielmehr hatte der Kläger 13,5 m (1,1 Sekunden) vor der Kollision noch eine Geschwindigkeit von 61 km/h und traf mit einer Geschwindigkeit von 30-35 km/h auf das Fahrzeug des Unfallgegners.

Dabei ist im Übrigen zu berücksichtigen, dass der Bremsweg exponentiell mit der Geschwindigkeit wächst. Bei einer Geschwindigkeit von 75 km/h (also einer Reduzierung gegenüber der gefahrenen Geschwindigkeit von 92 km/h um knapp ein Fünftel) hätte sich der Bremsweg rechnerisch (s = v2 ./. 2a, das heißt Bremsweg = Quadrat der Geschwindigkeit in m/s, geteilt durch das Doppelte der Bremsverzögerung in m/s2, hier laut Unfalldatenschreiber 7,2 m/sec2) um mehr als ein Drittel (von 45,5 auf 30,1 m) reduziert.

Der Einsatzzweck rechtfertigte nicht die Inkaufnahme der Gefährdung Dritter. Es handelte sich zwar um einen Einsatz im Zusammenhang mit einem gegenwärtigen Einbruch; eine akute Gefährdung von Personen, gar Lebensgefahr, stand jedoch nicht in Rede.

Durch diese Pflichtverletzung hat der Kläger den Schaden auch verursacht. Wäre er (pflichtgemäß) langsamer gefahren, wäre sein Bremsweg kürzer gewesen, und er hätte den Zusammenprall vermeiden können.

Dabei kommt es nicht darauf an, ob und wie es sich auf die Entstehung des Unfalls ausgewirkt hat, dass der Kläger kein Signalhorn eingeschaltet hatte. Zwar ist es naheliegend, dass das Signalhorn die (akustische) Wahrnehmbarkeit des Einsatzfahrzeuges erhöht und damit die Gefahr der Kollision verringert hätte. Allerdings haben die beteiligten Polizeibeamten angegeben, dass bei dem zweiten Einsatzfahrzeug, das dem des Klägers folgte, das Signalhorn eingeschaltet war. Es bedürfte gegebenenfalls weiterer Aufklärung, in welchem Abstand das zweite Einsatzfahrzeug von dem des Klägers gefahren ist und wie sich dieser Abstand auf die Lautstärke des Signals im bzw. bei dem unfallgegnerischen Fahrzeug ausgewirkt hat. Auch wenn man unterstellt, dass das Unterlassen, das Signalhorn einzuschalten, die Gefahr des Zusammenpralls in diesem konkreten Einzelfall nicht erhöht hat, bleibt es bei dem (für den Unfall jedenfalls kausalen) Verstoß gegen die Pflicht, auch bei der Inanspruchnahme von Sonderrechten mit angemessener Geschwindigkeit zu fahren.

Dem Kläger ist auch grobe Fahrlässigkeit vorzuwerfen. Ein Beamter verhält sich grob fahrlässig im Sinne des § 48 BeamtStG, wenn er die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt, nicht beachtet, was im gegebenen Fall jedem einleuchten muss, oder die einfachsten, ganz naheliegenden Überlegungen nicht anstellt. Dieser Fahrlässigkeitsbegriff bezieht sich auf ein individuelles Verhalten; er enthält einen subjektiven Vorwurf. Daher muss stets unter Berücksichtigung der persönlichen Umstände, der individuellen Kenntnisse und Erfahrungen des Handelnden beurteilt werden, ob und in welchem Maß sein Verhalten fahrlässig war. Welchen Grad der Fahrlässigkeitsvorwurf erreicht, hängt von einer Abwägung aller objektiven und subjektiven Tatumstände im Einzelfall ab (vgl. OVG Bautzen, Beschluss vom 28. Juli 2023 – 2 A 411/22 -, juris Rn. 8 m.w.N.).

Daran gemessen ist das Verhalten des Klägers als grob fahrlässig zu bewerten. Ihm musste sich aufdrängen, dass unter den konkreten örtlichen Verhältnissen (innerörtliche Straße mit Wohnbebauung, leichte Rechtskurve, Werktag kurz nach 18:00 Uhr) eine Geschwindigkeit von 92 km/h zu hoch ist, um Kollisionen mit anderen Verkehrsteilnehmern, Schäden am Fahrzeug (und damit letztlich auch die Gefährdung des Einsatzzwecks) zu verhindern.

Es kommt vorliegend nicht darauf an, ob und in welchem Umfang den Unfallgegner ein Mitverschulden an dem Unfall trifft. Insoweit bedürfte der Sachverhalt gegebenenfalls noch weiterer Aufklärung. Denn die Angaben der drei Insassen des unfallgegnerischen Fahrzeugs unterscheiden sich wesentlich von denen des Klägers und der anderen Polizeibeamten, soweit diese Angaben gemacht haben. Während diese berichteten, der Unfallgegner sei vom rechten Fahrbahnrand losgefahren und habe (mehr oder weniger plötzlich) gewendet, schilderten jene, der Unfallgegner sei entlang des Mittelstreifens gefahren und habe dann – nach Setzen des Blinkers und dem Blick in Rück- und Seitenspiegel sowie über die Schulter – gewendet, ohne dass das Fahrzeug des Klägers wahrnehmbar gewesen sei.

Selbst dann, wenn der Unfallgegner seinerseits seine Pflichten nach der Straßenverkehrsordnung beim Wenden und/oder Anfahren vom Fahrbahnrand verletzt haben sollte, änderte das nichts daran, dass der Kläger bei einer geringeren Geschwindigkeit und einem kürzeren Bremsweg den Zusammenprall hätte verhindern können. Wegen seiner überhöhten Geschwindigkeit handelte es sich für ihn auch nicht um ein unabwendbares Ereignis; vielmehr hätte er den Unfall durch angepasste Geschwindigkeit vermeiden können.

Jedenfalls ein Mitverschuldensanteil von 50 % ist dem Kläger anzulasten; nur in dieser Höhe hat der Beklagte ihn in Anspruch genommen. Dem Kläger steht es im Übrigen frei, mögliche Ansprüche gegen den Unfallgegner wegen des behaupteten Mitverschuldensanteils von mehr als 50 % geltend zu machen. Diese Ansprüche gehen nach Zahlung des hier streitgegenständlichen Schadenersatzes gemäß § 72 Abs. 2 LBG auf den Kläger über.“