Mord III: Beihilfestrafbarkeit einer KZ-Sekretärin, oder: Beihilfe zum Mord in 10.505 Fällen

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Und im dritten Posting dann der Hinweis auf das BGH, Urt. v.  20.08.2024 – 5 StR 326/23. Die Entscheidung ist vor allem zeitgeschichtlich bzw. historisch von Interesse. Bei der Entscheidung handelt es sich um die Revisionsentscheidung zu einem Urteil des LG Itzehoe, das im Dezember 20233  eine ehemalige Zivilangestellte im Konzentrationslager Stutthof wegen Beihilfe zum Mord verurteilt hat.

Wegen der Einzelheiten der Entscheidung verweise ich auf den verlinkten Volltext. Ich stelle hier zur ersten Information nur die PM des BGH ein:

„Der in Leipzig ansässige 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat die Revision einer 99 Jahre alten ehemaligen Zivilangestellten der SS verworfen, die sich gegen ihre Verurteilung durch das Landgericht Itzehoe wegen Beihilfe zum Mord in 10.505 Fällen und versuchtem Mord in fünf Fällen zu einer zur Bewährung ausgesetzten Jugendstrafe von zwei Jahren gewandt hatte (vgl. Pressemitteilung 18/2024).

Nach den Urteilsfeststellungen war die im Tatzeitraum 18 und 19 Jahre alte Beschwerdeführerin vom 1. Juni 1943 bis zum 1. April 1945 als einzige Stenotypistin in der Kommandantur des von der SS betriebenen Konzentrationslagers Stutthof beschäftigt. Das Landgericht ist zu der Überzeugung gelangt, dass die Angeklagte durch die Erledigung von Schreibarbeit in der Kommandantur die Haupttäter willentlich dabei unterstützt habe, Gefangene durch Vergasungen, durch die Schaffung lebensfeindlicher Bedingungen im Lager, durch Transporte in das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau und durch Verschickung auf sogenannte Todesmärsche grausam zu töten oder dies versucht zu haben. Ihre Arbeit sei für die Organisation des Lagers und die Durchführung der grausamen, systematischen Tötungshandlungen notwendig gewesen.

Der 5. Strafsenat hat nach mehrstündiger Hauptverhandlung am 31. Juli 2024 (vgl. Pressemitteilung 156/2024) durch Urteil vom heutigen Tage die mit der Sachrüge geführte Revision der Angeklagten verworfen. Dabei hat er sich auf die neuere Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu Beihilfehandlungen im Zusammenhang mit staatlich organisierten Massenverbrechen gestützt und diese fortgeführt (BGH, Beschluss vom 20. September 2016 – 3 StR 49/16 zu einem Wachmann im Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau, vgl. Pressemitteilung 213/2016). In solchen Konstellationen sind einerseits an jeder einzelnen begangenen Mordtat eine Vielzahl von Personen in politisch, verwaltungstechnisch oder militärisch-hierarchisch verantwortlicher Position ohne eigenhändige Ausführung einer Tötungshandlung beteiligt. Andererseits wirken aber auch eine Mehrzahl von Personen in Befolgung hoheitlicher Anordnungen und im Rahmen einer hierarchischen Befehlskette unmittelbar an der Durchführung der einzelnen Tötungen mit. Deshalb ist eingehend zu prüfen, ob die dem Gehilfen vorgeworfenen Handlungen die Tathandlung zumindest eines der an dem Mord Mitwirkenden im Sinne des § 27 Abs. 1 StGB gefördert haben.

Nach der rechtsfehlerfreien Würdigung des Landgerichts war dies bei der Angeklagten der Fall. Sie half durch ihre Schreibarbeit dem Lagerkommandanten und dessen Adjutanten, mit denen sie vertrauensvoll zusammenarbeitete, nicht nur physisch. Sie unterstützte diese durch ihre Einordnung in den Lagerbetrieb als zuverlässige und gehorsame Untergebene auch psychisch bei der Begehung der 10.505 vollendeten und fünf versuchten grausamen Morde, die das Landgericht ihr zugerechnet hat. Ihre Tätigkeit als einzige Stenotypistin war für den durchweg bürokratisch organisierten Lagerbetrieb von zentraler Bedeutung. Insoweit kam es nicht entscheidend darauf an, dass die Strafkammer nicht hat ausschließen können, dass einzelne Schreiben auch von anderen erstellt worden sein könnten.

Die von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze zur Straffreiheit von berufstypisch neutralen Handlungen mit „Alltagscharakter“ stehen der Verurteilung der Angeklagten schon deshalb nicht entgegen, weil sie von dem verbrecherischen Handeln der von ihr unterstützten Haupttäter positive Kenntnis hatte und sich durch ihre dennoch erbrachten Dienste gleichsam mit ihnen solidarisierte, wodurch ihr Tun jeglichen „Alltagscharakter“ verlor.“

Mord II: Nochmals „Mordmerkmal Heimtücke“, oder: Bewusstes Ausnutzen der Arg- und Wehrlosigkeit

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Als zweite Entscheidung dann das BGH, Urt. v. 20.06.2024 – 4 StR 15/24 -, über das ich schon einmal in anderem Zusammenhang berichtet habe (siehe Verkehrsrecht I: Begriff des Unfalls bei der Unfallflucht, oder: Verkehrstypische Gefahr realisiert?). 

Wegen des Sachverhalts verweise ich auf das frühere Posting. Hier geht es jetzt um die Frage, ob das LG zu Recht das Mordmerkmal „Heim

„Das vom Generalbundesanwalt vertretene Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft hat Erfolg. Die materiell-rechtliche Überprüfung des Urteils aufgrund der Sachrüge hat durchgreifende Rechtsfehler sowohl zum Nachteil als auch zum Vorteil (§ 301 StPO) des Angeklagten ergeben.

1. Die Begründung, mit der das Landgericht das Mordmerkmal der Heimtücke verneint hat, hält revisionsrechtlicher Überprüfung nicht stand. Die Ausführungen zum fehlenden Ausnutzungsbewusstsein des Angeklagten sind widersprüchlich und lückenhaft.

a) Heimtückisch handelt, wer in feindlicher Willensrichtung die Arg- und dadurch bedingte Wehrlosigkeit des Tatopfers bewusst zu dessen Tötung ausnutzt. Arglos ist das Tatopfer, wenn es bei Beginn des ersten mit Tötungsvorsatz geführten Angriffs nicht mit einem gegen sein Leben oder seine körperliche Unversehrtheit gerichteten schweren oder doch erheblichen Angriff rechnet. Ohne Bedeutung ist dabei, ob das Opfer die Gefährlichkeit des drohenden Angriffs in ihrer vollen Tragweite überblickt (vgl. BGH, Urteil vom 1. Februar 2024 – 4 StR 287/23 Rn. 12 mwN; Beschluss vom 10. Januar 1989 – 1 StR 732/88, BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 7). Das Opfer kann auch dann arglos sein, wenn der Täter ihm offen feindselig entgegentritt, die Zeitspanne zwischen dem Erkennen der Gefahr und dem unmittelbaren Angriff aber so kurz ist, dass keine Möglichkeit bleibt, dem Angriff irgendwie zu begegnen (vgl. BGH, Urteil vom 15. November 2023 – 1 StR 104/23; Urteil vom 16. August 2005 – 4 StR 168/05, NStZ 2006, 167, 169; Urteil vom 4. Juni 1991 – 5 StR 122/91, BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 15 mwN).

Für das bewusste Ausnutzen der Arg- und Wehrlosigkeit genügt es, dass der Täter diese in ihrer Bedeutung für die hilflose Lage des Angegriffenen und die Ausführung der Tat in dem Sinne erfasst, dass er sich bewusst ist, einen durch seine Ahnungslosigkeit gegenüber einem Angriff schutzlosen Menschen zu überraschen (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 4. Februar 2021 – 4 StR 403/20 Rn. 26 mwN; Beschluss vom 4. Mai 2011 – 5 StR 65/11 Rn. 9 mwN). Das Ausnutzungsbewusstsein kann bereits aus dem objektiven Bild des Geschehens entnommen werden, wenn dessen gedankliche Erfassung durch den Täter auf der Hand liegt. Das gilt in objektiv klaren Fällen bei einem psychisch normal disponierten Täter selbst dann, wenn er die Tat einer raschen Eingebung folgend begangen hat. Denn bei erhaltener Einsichtsfähigkeit ist die Fähigkeit des Täters, die Tatsituation in ihrem Bedeutungsgehalt für das Opfer realistisch wahrzunehmen und einzuschätzen, im Regelfall nicht beeinträchtigt (vgl. BGH, Urteile vom 9. Oktober 2019 – 5 StR 299/19 Rn. 10 mwN und vom 31. Juli 2014 – 4 StR 147/14 Rn. 7 mwN).

b) Dem werden die Erwägungen im angefochtenen Urteil nicht gerecht. Zur Begründung der Ablehnung des Ausnutzungsbewusstseins hat die Jugendkammer angeführt, dass der Angeklagte wegen der Fahrt „mit aufheulendem Motor und durchgehend angeschaltetem Licht“ damit rechnen „musste“, dass die Geschädigten das sich nähernde Fahrzeug wahrnehmen würden. Damit hat das Landgericht auf Umstände abgestellt, die lediglich die Wahrnehmungssituation der Tatopfer betreffen, und zwar, obwohl es ebenfalls angenommen hat, dass diese das Fahrzeug als ihnen drohende Gefahr für Leib und Leben vor der Kollision nicht erkannt haben. Denn nach den Urteilsgründen ging der Geschädigte I.     von einem Fahrzeug auf Parkplatzsuche aus. Ebenso sah die Geschädigte H.     in dem wahrgenommenen Motorengeräusch keinen Anlass, sich nach hinten umzudrehen. Aber auch im Falle eines dahingehenden Vorstellungsbildes des Angeklagten ließen die vorgenannten Umstände die Arglosigkeit dann nicht entfallen, wenn die verbleibende Zeitspanne zu kurz gewesen wäre, um der erkannten Gefahr zu begegnen. Insoweit geht die Jugendkammer im Rahmen der Ausführungen zum bedingten Tötungsvorsatz selbst davon aus, dass die Wahrnehmbarkeit des vom Angeklagten durchgeführten Fahrmanövers aufgrund der sehr kurzen Phase vom Anfahren bis zur Kollision von nur knapp sechs Sekunden für die Geschädigten stark eingeschränkt war. Stattdessen legen die festgestellten äußeren Umstände ein Ausnutzungsbewusstsein des Angeklagten nahe. Danach fuhr er mit einem Pkw plötzlich und überfallartig von hinten auf einem Gehweg auf sein anvisiertes Tatopfer zu, welches in der kurzen Phase der Annährung hierauf keinerlei Reaktion zeigte, die auf ein Erkennen des Angriffs hindeutete. Anhaltspunkte, weshalb der Angeklagte, der sich selbst dahin eingelassen hat, der Geschädigte habe sich bei der Zufahrt von hinten nicht umgedreht, diese Tatsituation in ihrem Bedeutungsgehalt nicht erfasst haben könnte, benennt die Jugendkammer nicht. Eine hierfür in Betracht kommende psychische Ausnahmesituation mit Auswirkungen auf die Erkenntnisfähigkeit hat sie nicht festgestellt.“

Mord I: „Heimtücke ist kein „heimliches“ Vorgehen, oder: Mordmerkmal „Heimtücke“

Heute dann StGB-Entscheidungen. Alle drei stammen vom BGH und alle drei haben mit Mord (§ 211 StGB) zu tun.

Den Opener macht das BGH, Urt. v. 25.07.2024 – 1 StR 471/23. Das LG hat den Angeklagten u.a. (nur) wegen versuchten Totschlags in Tateinheit  verurteilt. Die Staatsanwaltschaft verfolgt mit ihrer zu Ungunsten des Angeklagten eingelegten, auf die Sachrüge gestützten Revision ua. die Verurteilung des Angeklagten wegen versuchten Mordes. Insoweit hat das Rechtsmittel keinen Erfolg:

„Das Landgericht hat, soweit für das Revisionsverfahren von Bedeutung, folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:

1. Der Angeklagte ist der Schwager des Geschädigten A., der im Tatzeitpunkt von dessen Schwester getrennt lebte und im Rahmen des Scheidungsverfahrens die Auseinandersetzung des gemeinsamen Vermögens betrieb. Der in Kanada lebende Angeklagte unterstützte seine Schwester bei den Verhandlungen, indem er mehrfach sowohl mit deren Scheidungsanwalt als auch dem Geschädigten telefonierte, bis dieser seine Anrufe nicht mehr entgegennahm. Anlass für den Angeklagten, den Geschädigten persönlich aufzusuchen, war die zuletzt am 17. November 2022 geäußerte Bitte seiner Schwester mit den Worten: „H. bitte komm und zeig dich dem Mann! Komm, damit er dich sieht!“.

Nachdem der Angeklagte am 23. November 2022 von Kanada nach Deutschland eingereist war, erwarb er spätestens am Folgetag einen Zimmermannshammer, der auf der einen Seite eine flache und breite Schlagfläche und auf der anderen Seite ein spitzes Ende, eine sogenannte „Klaue“, besaß.

Am frühen Morgen des 25. November 2022 fuhr der Angeklagte mit einem Mietwagen zum Wohnanwesen des Geschädigten, wo er gegen 5.31 Uhr eintraf, um den Geschädigten zu stellen; den Zimmermannshammer führte er mit. Mit zwei Eimern in den Händen verließ der Geschädigte gegen 6.10 Uhr das Haus und betrat den vor der Wohnungseingangstür befindlichen Treppenaufgang, der ab diesem Moment infolge des aktivierten Bewegungsmelders hell ausgeleuchtet war. Der Geschädigte drehte sich zur Tür, sperrte diese ab, nahm die zuvor abgestellten Eimer wieder auf und erblickte nun den einige Meter entfernt unterhalb der fünf bis sechs Treppenstufen stehenden Angeklagten mit dem Hammer in der Hand.

Der Angeklagte bewegte sich unmittelbar über den Treppenaufgang auf den Geschädigten zu und holte – für diesen erkennbar – unter billigender Inkaufnahme tödlicher Folgen mit dem Hammer zum Schlag aus. Der Geschädigte ließ daraufhin die beiden Eimer fallen, ging dem Angeklagten ein oder zwei Treppenstufen entgegen, führte seine Hände zum Schutz über den Kopf und ergriff den Schlagarm des Angeklagten, um die Wucht des bereits geführten Schlages abzufangen. Obwohl dies gelang, traf der Angeklagte den Geschädigten mit der spitzen Seite des Hammers frontal an der rechten Schädelseite oberhalb der Schläfe. Der Geschädigte erlitt hierdurch eine – nicht lebensgefährliche – Riss-Quetsch-Wunde sowie eine Kalottenfraktur (Absprengung der Lamina interna) rechts parietal mit winzigen intrakraniellen Lufteinschlüssen.

Im Anschluss entwickelte sich zwischen dem Angeklagten und dem Geschädigten eine über mehrere Minuten andauernde Rangelei mit wechselseitigen Faustschlägen, die sich von den Treppenstufen durch den Garten bis zum Gartentor und von dort aus auf die davorgelegene Straße verlagerte. Der Angeklagte äußerte dabei gegenüber dem Geschädigten, dass er ihn umbringen werde, während dieser den bewaffneten Schlagarm des Angeklagten weiter festhielt und wiederholt lautstark um Hilfe und nach der Polizei rief. Ein erneutes Zuschlagen mit dem Hammer war dem Angeklagten infolge der anhaltenden Gegenwehr des Geschädigten nicht möglich. Als der Zeuge P., ein durch die Rufe aufmerksam gewordener Nachbar, in das Geschehen eingriff, konnte der Geschädigte dem Angeklagten den Hammer entwinden und diesen zum Zwecke der Festnahme einstweilen festhalten. Zwar gelang es dem Angeklagten schließlich, sich aus dem Griff des Geschädigten zu lösen, den Hammer wieder an sich zu bringen und zu flüchten; jedoch erachtete er die Tatausführung infolge der unerwarteten Gegenwehr und der Anwesenheit des Zeugen P. als gescheitert.

2. Das Landgericht hat den Angeklagten, der sich dahin eingelassen hat, er habe mit dem Hammer nur eine Aussprache mit dem Geschädigten erzwingen, diesen aber weder töten noch verletzen wollen, wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung verurteilt. Das Mordmerkmal der Heimtücke hat es abgelehnt, da nicht zu seiner Überzeugung feststehe, dass der Geschädigte im Zeitpunkt des ersten Angriffs arg- und wehrlos gewesen sei. Der Strafzumessung hat das Landgericht den nach § 23 Abs. 2, § 49 Abs. 1 StGB und §§ 46a, 49 Abs. 1 StGB (doppelt) gemilderten Strafrahmen des § 212 Abs. 1 StGB zugrunde gelegt. Die Voraussetzungen des Täter-Opfer-Ausgleichs nach § 46a Nr. 1 StGB hat es als gegeben erachtet, weil der Angeklagte sich in der Hauptverhandlung bei dem Geschädigten entschuldigt und die Wiedergutmachung der Tat durch Zahlung von 10.000 Euro ernsthaft erstrebt habe. Insoweit dürfe es dem Angeklagten nicht zum Nachteil gereichen, dass der Geschädigte, der zunächst Gesprächsbereitschaft signalisiert habe, weder die Entschuldigung noch das Zahlungsangebot angenommen habe. Besonderes Gewicht begründe schließlich die familiäre Verbindung zwischen dem Geschädigten und dem Angeklagten, welcher der Onkel der Söhne des Geschädigten sei.

II.

Die Revision der Staatsanwaltschaft hat nur zum Strafausspruch Erfolg.

1. Die Verneinung des Mordmerkmals der Heimtücke lässt auf der Grundlage der Urteilsfeststellungen keinen Rechtsfehler erkennen.

a) Heimtückisch handelt, wer in feindseliger Willensrichtung die Arg- und dadurch bedingte Wehrlosigkeit des Opfers bewusst zur Tötung ausnutzt (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteile vom 14. Juni 2017 – 2 StR 10/17, BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 41 und vom 4. Juli 1984 – 3 StR 199/84, BGHSt 32, 382, 383 f.; Beschluss vom 2. Dezember 1957 – GSSt 3/57, BGHSt 11, 139, 143). Arglos ist ein Opfer, das sich keines erheblichen Angriffs gegen seine körperliche Unversehrtheit versieht. Die Arglosigkeit führt zur Wehrlosigkeit, wenn das Opfer aufgrund der Überraschung durch den Täter in seinen Abwehrmöglichkeiten so erheblich eingeschränkt ist, dass ihm die Möglichkeit genommen wird, dem Angriff auf sein Leben erfolgreich zu begegnen oder ihn wenigstens zu erschweren. Das ist der Fall, wenn das Opfer daran gehindert ist, sich zu verteidigen, zu fliehen, Hilfe herbeizurufen oder in sonstiger Weise auch durch verbale Äußerungen auf den Täter einzuwirken, um den Angriff zu beenden (vgl. BGH, Urteile vom 24. Mai 2023 – 2 StR 320/22 Rn. 11; vom 15. November 2017 – 5 StR 338/17 Rn. 9; vom 25. November 2015 – 1 StR 349/15 Rn. 14 und vom 21. Dezember 1951 – 1 StR 675/51, BGHSt 2, 60, 61; Beschluss vom 26. März 2020 – 4 StR 134/19 Rn. 13). Heimtückisches Handeln erfordert jedoch kein „heimliches“ Vorgehen. Vielmehr kann das Opfer auch dann arglos sein, wenn der Täter ihm zwar offen feindselig entgegentritt, die Zeitspanne zwischen dem Erkennen der Gefahr und dem unmittelbaren Angriff aber so kurz ist, dass keine Möglichkeit bleibt, dem Angriff zu begegnen. Maßgebend für die Beurteilung ist die Lage bei Beginn des ersten mit Tötungsvorsatz geführten Angriffs (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteile vom 6. Januar 2021 – 5 StR 288/20 Rn. 28; vom 21. Januar 2021 – 4 StR 337/20 Rn. 12 f.; vom 9. Oktober 2019 – 5 StR 299/19 Rn. 9; vom 25. November 2015 – 1 StR 349/15 Rn. 14 und vom 27. Juni 2006 – 1 StR 113/06 Rn. 10; jeweils mwN).

b) Nach Maßgabe dessen kommt der Versuch einer heimtückischen Tötung hier nicht in Betracht. Zwar hat das Landgericht seiner rechtlichen Würdigung den falschen rechtlichen Ansatz zugrunde gelegt, indem es die Heimtücke objektiv verneint, anstatt auf das – wegen des Versuchs allein relevante – Vorstellungsbild des Angeklagten abzustellen. Die Feststellungen zum objektiven Geschehensablauf und die Erwägungen des Landgerichts zum Tötungsvorsatz belegen allerdings, dass sich der Angeklagte keine heimtückische Tötung vorstellte.

Nach den Feststellungen trat der Angeklagte dem Geschädigten vor dem ersten mit Tötungsvorsatz geführten Angriff offen feindselig gegenüber. Er stand – für den Geschädigten gut erkennbar – im Lichtkegel der Hausbeleuchtung mit einigem räumlichen Abstand unterhalb des Treppenaufgangs, den Zimmermannshammer sichtbar in der Hand. Der Angeklagte näherte sich dem Geschädigten über die Treppenstufen in unverhohlener und vom Geschädigten augenblicklich erkannter Angriffsabsicht. Trotz der kurzen Zeitspanne von wenigen Sekunden war der Geschädigte im Zeitpunkt des Angriffs nicht mehr arglos, sondern lediglich überrascht durch die unerwartete Begegnung mit dem Angeklagten. Die Zeitspanne zwischen dem Erkennen der Gefahr und dem unmittelbaren Angriff des Angeklagten war, wie an der Reaktion des Geschädigten deutlich wird, auch nicht so kurz, dass diesem keine Möglichkeit mehr blieb, dem Angriff wirksam zu begegnen. Wie der Fortgang des Geschehens zeigt, war der Geschädigte aufgrund der bestehenden Kräfteverhältnisse und der Möglichkeit, Nachbarschaft und Polizei zu Hilfe zu rufen, auch nicht wehrlos. Allein dass es ihm nicht gelang, noch zurück ins Haus zu gelangen oder den Angriff vollständig abzuwehren, ändert daran nichts. Es liegt fern, dass sich der Angeklagte, der weder sich noch sein Werkzeug verborgen hielt, etwas davon völlig Abweichendes vorgestellt hat.“

Wegen der Ausführungen des BGH zum TOA komme ich auf die Entscheidung noch einmal zurück.

Lösung zu: Ich habe da mal eine Frage: Kann ich noch die Wahlanwaltsgebühren geltend machen?

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Und dann noch die Lösung für die Freitagsfrage. Die hatte gelautet: Ich habe da mal eine Frage: Kann ich noch die Wahlanwaltsgebühren geltend machen?

Meine Antwort war:

„Moin,

das stimmt, da es sich dabei ja auch in erster Linie nicht um eine gebührenrechtliche, sondern um eine kostenrechtliche Frage handelt 🙂 .

Sie können die Gebühren der 1. Instanz (natürlich) nicht (mehr) geltend machen. Das AG-Urteil gibt es ja nicht mehr, es ist durch die Berufung der Staatsanwaltschaft und die Einstellungsentscheidung weggefallen.

Tragen Sie es mit Fassung.“

Wiedereinsetzung II: Ausbleiben des Betroffenen, oder: Darf der Betroffene seinem Verteidiger vertrauen?

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Die zweite Entscheidung stammt aus einem OWi-Verfahren. Es ist (fast) ein Klassiker. Es geht nämlich um die Frage, ob ein Mandant auf die Auskunft seines Verteidigers, ein Termin werde nicht stattfinden, vertrauen darf.

Gegen den Betroffenen war ein Bußgeldbescheid ergangen. Der Verteidiger legte dagegen form- und fristgerecht Einspruch ein. Das Amtsgericht bestimmte darauf am Termin zur Hauptverhandlung auf den 06.06.2024, wobei das persönliche Erscheinen der Betroffenen angeordnet wurde.  Am 04.06.2024 beantragte der Verteidiger, den Hauptverhandlungstermin zu verlegen, da er wegen einer Lendenwirbelfraktur, die am 21. beziehungsweise am 24.05.2024 festgestellt worden sei, nicht reisefähig sei. Ab Mitte Juli d. J. könne er wieder Hauptverhandlungstermine wahrnehmen. Das AG forderte vom Verteidiger ein ärztliches Attest an (sic!).

Am 05. Juni 2024 lehnte das AG dann den Verlegungsantrag ab, da eine Arbeits- und/oder Reiseunfähigkeit (des Verteidigers) nicht ärztlich attestiert worden sei. Das AG verwarf in der Hauptverhandlung vom 06.06.2024 den Einspruch, da weder die Betroffene noch der Verteidiger erschienen waren.

Dagegen beantragte der Verteidiger die Zulassung der Rechtsbeschwerde und die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Das AG hat den Wiedereinsetzungsantrag verworfen.Die dagegen gerichtete sofortige Beschwerde hatte beim LG Stuttgart mit dem LG Stuttgart, Beschl. v. 20.9.2024 – 17 Qs 46/24 – Erfolg:

„2. Das Rechtsmittel hat auch in der Sache Erfolg.

a) Soweit der Verteidiger den Wiedereinsetzungsantrag mit seiner eigenen Erkrankung be-gründet, kommt es darauf nicht an. Bereits nach dem Gesetzeswortlaut (§ 74 Abs. 2 OWIG) ist allein maßgeblich, ob der Betroffene – nicht sein Verteidiger – genügend entschuldigt war. Eine Erkrankung des Verteidigers vermag einen solchen Entschuldigungsgrund mithin grundsätzlich nicht darzustellen. Ob das Amtsgericht dem Verlegungsantrag hätte stattgeben müssen beziehungsweise ob die Voraussetzungen für die Verwerfung des Einspruchs unter diesen Umständen vorgelegen haben, ist nicht Gegenstand dieses Rechtsmittels.

b) Der Wiedereinsetzungsantrag war jedoch begründet, weil der Verteidiger schlüssig dargelegt und durch seine anwaltliche Versicherung glaubhaftgemacht hat, dass er der Betroffenen – über ihren Ehemann – mitgeteilt habe, dass „der Termin deshalb [wegen seiner Verhinderung] nicht stattfinden könne“.

Die Auskunft eines Verteidigers an einen Betroffenen, der Termin könne nicht stattfinden, ist – soweit keine besonderen Umstände vorliegen – geeignet, bei dem Betroffenen ein Vertrauen auf die Richtigkeit dieser Auskunft zu begründen und schließt eine schuldhafte Säumnis im Termin aus (vgl. Senge in Karlsruher Kommentar zum OWiG, 5. Auflage, § 74 Rn. 33).

Anhaltspunkte, dass seitens der Betroffenen Zweifel an der Richtigkeit der Auskunft ihres Verteidigers angebracht waren (vgl. hierzu KG, Beschluss vom 9. Mai 2012 – 3 Ws 260/12, Beck LSK 2012, 360619), sind dabei nicht ersichtlich. Liegen – aus Laiensicht – keine Anhaltspunkte für die Unzuverlässigkeit oder einen Irrtum des Verteidigers vor, darf er den Worten seines Verteidigers vertrauen, ohne dies hinterfragen zu müssen.

Soweit das OLG Brandenburg (Beschluss vom 27. September 2022 – 1 OLG 53 Ss-Owi 378/22) im Falle einer falschen Anweisung durch den Verteidiger, einem Termin fernzubleiben, mangels Entscheidungskompetenz des Verteidigers keine entschuldigende Wirkung zumisst, kommt es hierauf im hiesigen Fall nicht an, da sich der Verteidiger keine solche Entscheidungskompetenz zugesprochen hat, sondern bei lebensnaher Betrachtung für einen Laien den Anschein erweckt hat, der Termin sei oder werde (sicher) durch das Gericht aufgehoben.

Soweit das Amtsgericht darauf abstellt, der Verteidiger habe nicht dargelegt, die Betroffene auf eine bereits erfolgte Terminsaufhebung hingewiesen zu haben, ist solcher Vortrag nicht zwingend notwendig. Tatsächlich impliziert die Aussage des Verteidigers „der Termin könne nicht stattfinden“, dass die Terminsaufhebung durch das Gericht unvermeidlich sei beziehungsweise sicher erfolgen werde.

Im übrigen sind die Anforderungen an ein Wiedereinsetzungsgesuch nicht zu überspannen, wenn es – wie hier – um einen erstmaligen Zugang zu Gericht geht.“