Archiv der Kategorie: Verwaltungsrecht

EuGH-Vorabentscheidungsverfahren, oder: Ist die Fahrt des vorlegenden Richters zum EuGH eine Dienstreise?

Bild von Laurent Verdier auf Pixabay

Bei der zweiten Entscheidung, die ich vorstelle, handelt es sich um den BVerwG, Beschl. v. 15.04.2021 – 2 C 13.20. Die hatte ich über die PM schon länger „auf dem Schirm“. Das BVerwG hat aber jetzt erst den Volltext veröffentlicht. Also kann ich die Entscheidung auch jetzt erst vorstellen.

Es geht um folgenden Sachverhalt:

„Der Kläger beansprucht von seinem Dienstherrn die Kostenerstattung für eine Reise zum Gerichtshof der Europäischen Union nach Luxemburg. Darüber hinaus erstrebt er Feststellungen zu den Bedingungen seiner Dienstausübung als Richter.

Der Kläger ist Vorsitzender Richter an einem Oberlandesgericht. Im Jahr 2015 setzte der vom Kläger geleitete Strafsenat des Oberlandesgerichts zwei Überstellungsverfahren zum Zwecke der Strafverfolgung nach Ungarn und Rumänien aus und legte dem Gerichtshof der Europäischen Union mehrere Fragen zur Vorabentscheidung vor. Nachdem der Gerichtshof dem Vorlagesenat des Oberlandesgerichts mitgeteilt hatte, dass Termin zur mündlichen Verhandlung bestimmt worden sei, entschloss sich der Kläger, nach Luxemburg zu reisen, um die mündliche Verhandlung zu besuchen.

Dies zeigte er der Beklagten über ein elektronisches Mitarbeiterportal zur Abrechnung von Dienstreisen mit dem Hinweis an, dass es sich um eine Reise im Rahmen richterlicher Spruchtätigkeit handele, die keiner Anordnung oder Genehmigung bedürfe. Die Präsidentin des Oberlandesgerichts lehnte es ab, eine Dienstreise zu genehmigen. Zur Begründung führte sie aus, eine Anwesenheit des Klägers bei der mündlichen Verhandlung des Gerichtshofs der Europäischen Union sei weder im Rahmen richterlicher Spruchtätigkeit noch aus sonstigen Gründen geboten. Es werde angeregt, Sonderurlaub zu beantragen. Der Kläger beantragte hilfsweise Sonderurlaub und reiste nach Luxemburg.

Sein anschließend gestellter Antrag auf Erstattung der Reisekosten in Höhe von rund 840 € wurde abgelehnt. Die nach erfolglosem Widerspruch erhobene Klage auf Erstattung der Reisekosten und auf Feststellung, dass es sich bei der Reise zum Gerichtshof der Europäischen Union um eine genehmigungsfreie Dienstreise gehandelt habe, sowie auf weitere Feststellungen ist in den Vorinstanzen ohne Erfolg geblieben. Das Oberverwaltungsgericht hat darauf abgestellt, dass es sich bei der Reise des Klägers nicht um ein dem Schutz der richterlichen Unabhängigkeit unterliegendes richterliches Amtsgeschäft gehandelt habe. Die Definitionshoheit darüber, ob es sich um eine richterliche Tätigkeit in diesem Sinne handele, liege nicht bei dem Richter selbst; dies sei vielmehr objektiv zu bestimmen. Bei der Beobachtung der mündlichen Verhandlung des Gerichtshofs der Europäischen Union durch den Kläger handele es sich nicht um eine richterliche Handlung, die mit der Aufgabe des Richters, in einem konkreten Verfahren Recht zu finden, unmittelbar im Zusammenhang stehe.“

Das BVerwG hat die Revision gegen das Urteil des OVG Bremen zurückgewiesen. Es hat seiner Entscheidung folgende Leitsätze gegeben:

1. Dienstreisen eines Richters bedürfen dann keiner Genehmigung, wenn sie im Rahmen richterlicher Amtstätigkeit erfolgen. Die Bestimmung darüber, ob eine genehmigungsfreie richterliche Dienstreise vorliegt, richtet sich nach objektiven Kriterien.

2. Die Prozessbeobachtung einer mündlichen Verhandlung vor dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) durch einen Richter des vorlegenden Gerichts in einem Vorabentscheidungsverfahren nach Art. 267 AEUV ist kein richterliches Amtsgeschäft.

3. Der Anspruch eines Richters auf unmittelbare und genehmigungsfreie Kommunikation zwischen ihm als Mitglied des vorlegenden nationalen Gerichts und dem Gerichtshof der Europäischen Union ist nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union auf schriftlichen, digitalen und fernmündlichen Dialog angelegt. Reisetätigkeiten erfasst dieser Dialog nicht.

Das Verfahren, oder besser: der Sachverhalt, lässt einen, jedenfalls mich, dann doch ein wenig – oder auch ein wenig mehr – verwundert zurück. Ich frage mich, warum man für diese Frage das BVerwG braucht.  Dass das keine Dienstreise ist/war, lag m.E. auf der Hand. Hat der EuGH Rückfragen, wird das eben schriftlich oder telefonisch geregelt. Vor Ort möchte er im Grunde niemanden vom vorlegenden Gericht, muss wohl das OLG Bremen gewesen sein, sehen.

Entziehung der Fahrerlaubnis wegen Cannabiskonsum, oder: Wiederholter Verstoß gegen das Trennungsgebot

Bild von Alexas_Fotos auf Pixabay

In der zweiten Entscheidung, dem VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 08.07.2021 – 13 S 1800/21 – geht es auch um Cannabis-Konsum und die Entziehung der Fahrerlaubnis.

Grundlage der Entscheidunge ist folgender Sachverhalt:

„Der Antragsteller begehrt vorläufigen Rechtsschutz gegen die Aberkennung des Rechts, von seiner kroatischen Fahrerlaubnis im Gebiet der Bundesrepublik Gebrauch zu machen.

Dem Antragsteller wurde erstmals 2014 die Fahrerlaubnis der Klasse B erteilt. Nachdem er am 08.02.2017 unter Cannabiseinfluss ein Kraftfahrzeug geführt hatte – eine bei ihm durchgeführte Blutprobe ergab eine THC-Konzentration von 2,41 ng/ml und eine THC-COOH-Konzentration von 58,5 ng/ml – hörte die Stadt … ihn zu einer beabsichtigten Entziehung der Fahrerlaubnis an. Der Antragsteller verzichtete daraufhin mit Erklärung vom 03.03.2017 auf seine Fahrerlaubnis.

Am 24.09.2020 wurde dem Antragsteller eine kroatische Fahrerlaubnis der Klasse B erteilt.

Am 04.11.2020 führte der Antragsteller ein Kleinkraftrad. Im Rahmen einer Verkehrskontrolle stellten die Polizeibeamten unter anderem ein deutliches Muskelzittern sowie ein extremes Liedflattern fest. Eine insoweit beim Antragsteller durchgeführte Blutprobe ergab eine THC-Konzentration von 2,3 ng/ml und eine THC-COOH-Konzentration von 39,1 ng/ml.

Mit – dem Antragsteller am 12.02.2021 zugestelltem – Bescheid vom 09.02.2021 entzog das Landratsamt pp. (im Folgenden: Landratsamt) dem Antragsteller nach vorheriger Anhörung seine kroatische Fahrerlaubnis bzw. erkannte ihm das Recht, von dieser im Gebiet der Bundesrepublik Gebrauch zu machen, ab (Ziff. 1 des Bescheids), forderte diesen auf, den Führerschein binnen einer Woche zur Eintragung eines Sperrvermerks vorzulegen (Ziff. 2 des Bescheids), ordnete die sofortige Vollziehbarkeit hinsichtlich Ziff. 1 an (Ziff. 3 des Bescheids) und setzte eine Gebühr von 200,– EUR fest (Ziff. 4 des Bescheids).

Der Antragsteller erhob am 10.03.2021 Widerspruch, über den – soweit ersichtlich – noch nicht entschieden wurde. Gleichzeitig beantragte er beim Verwaltungsgericht Stuttgart die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes. Zur Begründung machte er im Wesentlichen geltend: Er sei Cannabispatient und könne zwischen dem medizinisch indizierten Konsum und den Anforderungen des Straßenverkehrs trennen. Soweit bei ihm am 04.11.2020 ein Zittern festgestellt worden sei, beruhe dies auf einer Unterkühlung.

Mit – dem Prozessbevollmächtigten des Antragstellers am 10.05.2021 zugestelltem – Beschluss vom 04.05.2021 lehnte das Verwaltungsgericht den Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes ab. Zur Begründung führte es im Wesentlichen aus: Die Aberkennung des Rechts, von der kroatischen Fahrerlaubnis im Inland Gebrauch zu machen, erweise sich bei summarischer Prüfung als rechtmäßig. Der Antragsteller könne sich wohl hinsichtlich der Fahrten am 08.02.2017 und am 04.11.2020 nicht auf das Arzneimittelprivileg berufen. Dies gelte ohne weiteres für die Fahrt am 08.02.2017, da zu diesem Zeitpunkt das Arzneimittelprivileg noch nicht eingeführt gewesen sei. Nichts anderes ergebe sich für die Fahrt am 04.11.2020. Den Ausführungen des Antragstellers und den vorgelegten ärztlichen Attesten lasse sich nicht entnehmen, dass dem nachgewiesenen Konsum im November 2020 tatsächlich Medizinal-Cannabis zugrunde gelegen habe. Weder der verantwortliche Arzt noch der Zeitraum der Verordnung seien hinreichend erkennbar, ebenso wenig auf Grund welcher Erkrankung die Verordnung erfolgt sei. Auch sei zu berücksichtigen, dass der Antragsteller den Ausweis als Cannabispatient nicht bereits bei der Polizeikontrolle oder zu einem sonstigen Zeitpunkt vor Erlass des angegriffenen Bescheids vorgelegt habe. Ausgehend hiervon könne offenbleiben, ob der Antragsteller regelmäßig Cannabis konsumiere. Er habe jedenfalls zweimal gegen das Trennungsgebot verstoßen und sei daher nach Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen.

Der Antragsteller hat am 25.05.2021 Beschwerde erhoben und macht zur Begründung im Wesentlichen geltend: Bei der Fahrt am 05.11.2020 seien verkehrsbedingte Auffälligkeiten nicht festgestellt worden. Er nehme das Medizinal-Cannabis zuverlässig im Rahmen des medizinischen Behandlungsplans ein und halte sich strikt an die Vorgaben seines Arztes. Die Ausführungen des Verwaltungsgerichts dazu, dass naheliegender Weise zahlreiche cannabisaffine Personen versuchten, durch ärztliche Verschreibungen ihren Gebrauch zu legalisieren, widerspreche der Unschuldsvermutung und diffamiere Cannabispatienten. Der Antragsteller legalisiere keinen missbräuchlichen Konsum, sondern sei auf Medizinal-Cannabis angewiesen. Er sei im Sommer 2020 von pp. über die Trennung hinsichtlich des Konsums von Cannabis und der Teilnahme am Straßenverkehr belehrt worden. Soweit das Verwaltungsgericht nähere Ausführungen zu der ärztlichen Verordnung vermisse, missachte es strafprozessuale Rechte sowie Grundrechte und verkenne die Schweigepflicht des Arztes sowie die Interessen eines Kranken. Überdies könne beim Zeitablauf von mehreren Jahren zwischen zwei selbständigen Konsumeinheiten auch nicht von einem gelegentlichen Konsum ausgegangen werden. Selbst wenn man von gelegentlichem Cannabiskonsum ausgehe, sei davon auszugehen, dass er hinreichend trenne. Die vom Verwaltungsgericht zitierte Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts betreffe Erkenntnisse der Grenzwertkommission, die auf Untersuchungen aus dem Jahr 2002 basierten. Zwischenzeitlich gebe es neuere wissenschaftliche Erkenntnisse, insbesondere sei die Entscheidung nicht auf den Gebrauch von medizinischem Cannabis eins zu eins übertragbar. In einem solchen Fall sollte möglicherweise ein medizinisch-psychologisches Gutachten zur Beeinträchtigung in Betracht gezogen werden.“

Das Rechtsmittel hatte Erfolg. Hier die Leitsätze zu der Entscheidung:

  1. Auch ein wiederholter Verstoß gegen das Trennungsgebot genügt für sich genommen regelmäßig nicht, um ohne weitere Sachverhaltsaufklärung von der Nichteignung zum Führen von Kraftfahrzeugen auszugehen.
  2. Der Konsum von Cannabis fällt nur dann nicht unter Ziff. 9.2 der Anlage 4 zur FeV, wenn dieses ärztlich verordnet und entsprechend der ärztlichen Verordnung eingenommen wird. Dies darzulegen ist Sache des Fahrerlaubnisinhabers.

Entziehung der Fahrerlaubnis wegen Cannabisabhängigkeit, oder: Wiederholter Konsum

© gepard – Fotolia.com

Samstag ist „Kessel-Buntes-Tag“. Heute im Kessel seit längerem mal wieder zwei verwaltungsrechtliche Entscheidungen aus dem Verkehrsrecht,

Zunächst stelle ich den OVG Lüneburg, Beschl. v. 20.07.2021 – 12 ME 79/21 – vor. Er behandelt – noch einmal die Problematik der Entziehung der Fahrerlaubnis wegen Cannabisabhängigkeit. In dem Verfahren hatte sich ein 1983 geborener Antragsteller sich gegen die sofort vollziehbare Entziehung seiner Fahrerlaubnis u. a. der Klasse B gewendet. Der Antragsteller hatte im Jahr 2014 die Wiederteilung der ihm zuvor im Jahr 2004 entzogenen Fahrerlaubnis u. a. der Klasse B beantragt. Im Rahmen des Wiedererteilungsverfahrens legte er ein medizinisch-psychologisches Gutachten des TÜV Nord vom September 2015 vor. Beruhend auf einem täglichen Konsum von Cannabis vom März 1998 bis zum Jahr 2013 gingen die Gutachter von einer „psychischen und Verhaltensstörung durch Cannabinoide/Abhängigkeitssyndrom“ bei dem Antragsteller aus, verneinten die erfolgreiche Durchführung einer danach grundsätzlich erforderlichen Entwöhnungsbehandlung, bejahten aber gleichwohl die Kraftfahreignung des Antragstellers. Er erhielt daraufhin im Oktober 2015 die streitige Fahrerlaubnis.

Infolge einer Polizeikontrolle am 08.03.2019 wurden im Blut des Antragstellers ein THC-Gehalt von unter 1,0 ng/ml und ein THC-COOH-Gehalt von 8,8 ng/ml festgestellt. Den polizeilichen Berichten sind unterschiedliche Angaben dazu zu entnehmen, ob der Antragsteller nach seinen damaligen Angaben Marihuana zuletzt Silvester oder „zwei Tage“ vor der Kontrolle konsumiert habe.

Nachdem die Antragsgegnerin von dem Vorfall Kenntnis erlangt hatte, forderte sie den Antragsteller im November 2019 gem. §§ 46, 11, 14 Abs. 2 Nr. 2 FeV zur Vorlage eines medizinisch-psychologischen Gutachtens auf.  Da der Antragsteller kein Gutachten vorlegte, entzog ihm die Antragsgegnerin am 28.04.2020 die Fahrerlaubnis und ordnete die sofortige Vollziehung an. Darum wird gestritten. Das VG hatte dem Antragsteller Recht gegeben. Das OVG gibt der Verwaltungsbehörde Recht:

„Die zulässige, insbesondere fristgerecht eingelegte und begründete Beschwerde der Antragsgegnerin ist auch begründet; der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes ist aus den folgenden Gründen abzulehnen.

Das Prüfprogramm in einem – wie hier – § 146 Abs. 4 VwGO unterfallenden Beschwerdeverfahren ist ggf. zweistufig (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 26. Aufl., § 146, Rn. 43; Guckelberger in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. § 146, Rn. 107 f., 115, jeweils m. w. N): In einem ersten Schritt ist gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO zu prüfen, ob der Beschwerdeführer die Gründe, die die erstinstanzliche Entscheidung tragen, hinreichend in Zweifel gezogen hat. Ist dies der Fall, so ist in einem zweiten Schritt von Amts wegen zu prüfen, ob die Entscheidung aus anderen Gründen zutreffend ist und insoweit eine vollumfängliche Prüfung des Antrags auf vorläufigen/einstweiligen Rechtsschutz vorzunehmen.

Hier hat die Antragsgegnerin als Beschwerdeführerin die beiden tragenden Begründungsstränge des Verwaltungsgerichts hinreichend in Zweifel gezogen (1.) und erweist sich der Beschluss auch nicht aus anderen Gründen als zutreffend (2.).

1.a) Der Annahme des Verwaltungsgerichts, im Zeitpunkt der erneuten Gutachtenanforderung im August 2020 hätten nicht einmal ausreichende Anhaltspunkte für eine Cannabisabhängigkeit des Antragstellers vorgelegen, hält die Antragsgegnerin zutreffend ein fehlerhaftes Verständnis des Begriffs „Abhängigkeit“ i. S. d. § 14 Abs. 2 Nr. 2 FeV entgegen. Er knüpft an die in Nr. 9.3 der Anlage 4 zur FeV angeführte „Abhängigkeit von Betäubungsmitteln“ sowie den entsprechenden Begriff in Nr. 8.3 bezogen auf Alkohol an. Nach der Anlage 4a zur FeV ist über das Vorliegen u. a. einer solchen Abhängigkeit auf der Grundlage der Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung zu befinden. Die Antragsgegnerin weist zu Recht darauf hin, dass danach eine einmal festgestellte Abhängigkeit nicht durch Zeitablauf oder eine erfolgreiche Entwöhnung erlischt, sondern generell eine hohe Rückfallgefahr beinhaltet, zu deren Abwehr eine dauerhafte, d. h. grundsätzlich lebenslange Abstinenz erforderlich ist. Dies ist in Nr. 3.13.2 der Begutachtungsleitlinien für Alkohol ausdrücklich geregelt und gilt wegen des höheren Gefahrenpotenzial erst recht für die Abhängigkeit von Betäubungsmitteln; auch insoweit muss es deshalb nach der Begründung zu Nr. 3.14.1 der Begutachtungsleitlinien für eine positive Prognose wahrscheinlich sein, „dass der Betroffene auch in Zukunft die notwendige Abstinenz einhält“. Hiervon wird im Übrigen bereits in der Anlage 4a zur FeV ausgegangen. Denn nach deren Nr. 1 f) Satz 2 gilt: „Hat Abhängigkeit von Alkohol oder Betäubungsmitteln vorgelegen, muss sich die Untersuchung darauf erstrecken, dass eine stabile Abstinenz besteht“. Eine in diesem Sinne – wie hier beim Antragsteller – einmal gutachterlich festgestellte Abhängigkeit wirkt damit aus medizinischer Sicht zeitlich unbegrenzt fort; rechtliche Grenzen ergeben sich insoweit (bezogen auf § 14 Abs. 2 Nr. 2 FeV) nur aus § 2 Abs. 9 StVG, der hier aber der Verwertung der Angaben aus dem Gutachten des TÜV Nord vom September 2015 nicht entgegensteht. Die zwischenzeitliche Wiedererteilung der Fahrerlaubnis stellt hingegen weder medizinisch noch rechtlich eine insoweit maßgebende Zäsur im Sinne einer Unverwertbarkeit dar, wie sie in § 4 Abs. 3 StVG etwa für die Punktebewertung vorgeschrieben ist. Aus der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urt. v. 9.6.2005 – 3 C 25:04 -, juris, Rn. 22) ergibt sich nichts Anderes. Sie bezieht sich hinsichtlich der dortigen Forderung nach einzelfallbezogener Bestimmung der Fristen nicht auf die hier maßgebliche Fallgestaltung der Klärung eines Rückfalls in eine bereits zuvor festgestellte Abhängigkeit; dem zeitlichen Abstand zwischen dem eingeräumten erneuten Konsumakt im März 2019 und der Anordnung der Begutachtung erst im August 2020 ist bereits dadurch Rechnung getragen worden, dass nur von Anhaltspunkten für ein „Wiederaufleben“ der Abhängigkeit und nicht von einer ansonsten ohne weitere Aufklärungsmaßnahmen zu bejahenden Cannabisabhängigkeit ausgegangen worden ist. Von dem vorbezeichneten Verständnis einer „Abhängigkeit“ ist der Senat bereits in der Vergangenheit ausgegangen (vgl. bezogen auf Betäubungsmittel: Beschl. v. 31.5.2021 – 12 PA 68/21 -, sowie bezogen auf Alkohol: Beschl. v. 8.1.21 – 12 ME 189/20 -, v. 16.1.2019 – 12 ME 221/18 – und v. 3.2.2016 – 12 ME 181/15 -). Damit stellte sich nicht die – vom Verwaltungsgericht im Anschluss an die Argumentation des Antragstellers zu Unrecht aufgeworfene, als solche aber nachvollziehbar verneinte – Frage, ob allein aus den im März 2019 im Blut des Antragstellers festgestellten Werten erstmals auf eine bei ihm vorliegende Cannabisabhängigkeit geschlossen werden kann, sondern die davon abweichende, ob sich daraus – für eine erneute Begutachtung nach § 14 Abs. 2 Nr. 2 FeV – zumindest Anhaltspunkte für einen Rückfall in die bereits gutachterlich festgestellte Abhängigkeit von Cannabis ergeben. Diese Frage ist jedoch zu bejahen, zumal bei dem Antragsteller bereits im Jahr 2015 über die Abhängigkeit hinaus eine „psychische und Verhaltensstörung durch Cannabinoide“ festgestellt worden war und er vor der Bejahung seiner Kraftfahreignung nicht die grundsätzlich erforderliche Entwöhnungsbehandlung erfolgreich abgeschlossen hatte. Ob der Antragsteller im Jahr 2019 nur einmal oder mehrfach Cannabis konsumiert hat, ist dafür unerheblich. Damit hat die Antragsgegnerin für die erneute Gutachtenanforderung im August 2020 aller Voraussicht nach zu Recht einen grundsätzlichen Klärungsbedarf hinsichtlich der Abhängigkeit (i. S. d. § 14 Abs. 2 Nr. 2 FeV) des Antragstellers von Cannabis bejaht.

b) Berechtigt sind ferner die Einwände der Antragsgegnerin gegen die den Beschluss eigenständig tragende weitere Annahme des Verwaltungsgerichts, jedenfalls die o. a. Fragen 3 und 4 seien „offensichtlich“ nicht durch die angegebene Rechtsgrundlage des § 14 Abs. 2 Nr. 2 FeV gedeckt.

Im Ausgangspunkt zutreffend ist das Verwaltungsgericht dabei unter Bezugnahme auch auf die Rechtsprechung des Senats davon ausgegangen, dass in einer rechtmäßigen Gutachtenanforderung die richtige Rechtsgrundlage für die Begutachtung zu bezeichnen ist. Denn ein Fahrerlaubnisinhaber ist nicht gehalten, nach Vorschriften zu suchen, die fehlerhaft begründetes behördliches Handeln zu seinen Lasten doch noch rechtfertigen könnten, sodass es nicht ausreicht, wenn die in einer Gutachtenanordnung genannte Ermächtigungsgrundlage nicht einschlägig ist und lediglich eine weitere, nicht genannte Rechtsgrundlage das Vorgehen decken könnte.

Dass beide letzten o. a. Fragen offensichtlich nicht von der genannten Rechtsgrundlage, d. h. § 14 Abs. 2 Nr. 2 FeV, gedeckt sind, trifft jedoch nicht zu.

Das Verwaltungsgericht hat seine diesbezügliche Feststellung nicht näher begründet, ihr aber offenbar zugrunde gelegt, dass sich aus § 14 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 1 FeV abschließend die maßgebliche Fragestellung ergebe. Es bestehen jedoch schon Zweifel, ob darin überhaupt eine Regelung zu der maßgeblichen Fragestellung für den Gutachter enthalten ist oder nicht stattdessen lediglich, wie in den Fällen der Nrn. 1 und 3 des § 14 Abs. 2 FeV, der Anlass für die Begutachtung umschrieben wird. Selbst wenn man jedoch mit dem in diese Richtung deutenden Wortlaut der Nr. 2 Alt. 1 des § 14 Abs. 2 FeV von einer Regelung zur gutachterlichen Fragestellung ausgeht, so ist diese jedenfalls nicht abschließend in dem Sinne zu verstehen, dass ausschließlich die Frage nach einer noch bestehenden Abhängigkeit – hier von Cannabis – Gegenstand des Gutachtens sein dürfte. Hiervon ist (zu Recht) offenbar das Verwaltungsgericht auch selbst nicht ausgegangen, weil es dann auch die übrigen, nicht so lautenden Fragen für den Gutachter hätte beanstanden müssen. § 14 Abs. 2 FeV ist jedoch nicht nur in den Fällen der Wiedererteilung, sondern gemäß § 46 Abs. 3 FeV auch bei einer möglichen Entziehung anzuwenden (vgl. BVerwG, Urt. v. 9.6.2005, a. a. O., juris, Rn. 20; Dauer, in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 46. Aufl., § 46, Rn. 24; Pause-Münch in: Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 1. Aufl., § 14 FeV, Stand: 25.6.2019, Rn. 94, m. w. N.); dann kann aber in der ersten Alternative nicht – wie im Falle der Wiedererteilung – der Fortbestand/zwischenzeitliche Wegfall einer die Fahreignung vormals ausschließenden Abhängigkeit, sondern nur dessen erstmaliges Vorliegen oder – wie hier – dessen „Wiederaufleben“ durch Rückfall zu klären sein. Eine auf § 14 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 1 FeV gestützte, an einen Fahrerlaubnisinhaber gerichtete Gutachtenanordnung muss demnach die Klärung einer (die Kraftfahreignung ausschließenden oder zumindest beschränkenden) Abhängigkeit einschließlich ihrer Folgen zum Gegenstand haben und insoweit regelmäßig auch das in Rede stehende Mittel/den Stoff bezeichnen, lässt in diesem Rahmen aber Raum für eine nähere, einzelfallbezogene Konkretisierung der Fragestellung nach den allgemeinen Grundsätzen des § 11 Abs. 6 Satz 1 FeV.

Die o. a. Fragen bewegen sich innerhalb des so bezeichneten Rahmens des § 14 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 1 FeV.

Für die erste Frage nach dem „weiterhin“ Vorliegen einer Cannabisabhängigkeit hat dies auch das Verwaltungsgericht nicht beanstandet. Schon diese Frage ist zwar nicht eindeutig, weil der Fortbestand der Abhängigkeit als medizinischer Befund von der Antragsgegnerin dabei gerade vorausgesetzt wird; die erste Frage ist aber so zu verstehen und von den Beteiligten auch verstanden worden, dass – zu Recht – der Rückfall in die bzw. das Wiederaufleben der Cannabisabhängigkeit bei dem Antragsteller zu klären ist.

Darin eingeschlossen ist die zweite Frage, ob es zumindest jetzt zu der grundsätzlich nach Nr. 9.5 der Anlage 4 zur FeV für die Annahme der Kraftfahreignung erforderlichen Entgiftung und Entwöhnung gekommen ist.

Ebenfalls nicht eindeutig, aber noch hinreichend auslegungsfähig ist die dritte Frage. Sie knüpft im ersten Halbsatz an widersprüchliche Voraussetzungen an, indem einerseits das Vorliegen der zuvor genannten Beeinträchtigungen, also eine Cannabisabhängigkeit als Eignungsmangel vorausgesetzt wird, andererseits in der ersten Alternative der Frage aber „gleichwohl“ nach einem cannabisbedingten Ausschluss der Eignung gefragt wird. Sie geht damit entweder (folgenlos) ins Leere oder bezieht sich auf andere durch die jahrelange Cannabisabhängigkeit die Fahreignung ausschließende „Folgeschäden“, wie etwa dadurch bedingte relevante Persönlichkeitsveränderungen, und dient bei diesem Verständnis noch der Klärung der durch die Cannabisabhängigkeit bedingten Folgen für die Kraftfahreignung des Antragstellers. Die zweite Alternative der dritten Frage bezieht sich auf eine durch die Cannabisabhängigkeit zwar nicht entfallende, aber ggf. nur noch bedingte Kraftfahreignung i. S. d. § 2 Abs. 4 Satz 2 StVG, § 46 Abs. 2 Satz 1 FeV und erweist sich damit – als Maßnahme zur Klärung eines milderen Mittels als des Entzugs der Fahrerlaubnis – ebenfalls noch von § 14 Abs. 2 Nr. 2 FeV umfasst. Dass eine bedingte Kraftfahreignung bei „Cannabisabhängigkeit“ nach einer Entwöhnung in Betracht kommt, ergibt sich schon aus Nr. 9.5 der Anlage 4 zur FeV auch für die in Rede stehende Fahrerlaubnisklasse B; danach können insoweit „regelmäßige Kontrollen“ vorgeschrieben werden.

Der vierten Frage nach der Erforderlichkeit weitergehender Maßnahmen zur Klärung der Fahreignung kommt keine eigenständige Bedeutung zu. Denn sie erweitert nicht den Untersuchungsauftrag an den Gutachter etwa dahingehend, er möge weitere mögliche Eignungsmängel bei dem Antragsteller suchen, sondern verdeutlicht nur die Selbstverständlichkeit, dass der Gutachter darauf hinzuweisen hat, wenn er zur abschließenden Beantwortung der vorhergehenden Fragen nicht in der Lage ist, sondern dazu seiner Ansicht nach weitere Maßnahmen zu veranlassen sind; so verstanden wirkt die vierte „Frage“ gerade eingriffsbegrenzend, indem klargestellt wird, dass der Gutachter nicht von sich aus solche Maßnahmen eigenständig veranlassen oder gar selbst vornehmen und zur Grundlage seines Gutachtens machen kann.

Corona II: Impfung von Rechtsanwälten in NRW?, oder: Nein, nur die „Justiz“ – aber: So nicht, meint das VG

Bild von Roland Steinmann auf Pixabay

Die zweite Entscheidung ist dann eine verwaltungsrechtliche. Es handelt sich um den VG Gelsenkirchen, Beschl. v. 21.05.2021 – 2 L 664/21. Gegenstand der Entscheidung: Impfen/Impriorisierung der „Justiz“ (in NRW).

Ergangen ist der Beschluss in einem einstweiliegn Anordnungsverfahren. Der Antragsteller ist Rechtsanwalt und gehört damit zur Gruppe der Personen mit Priorität 3 (§ 4 CoronaImpfV NRW). Er hat bei der Stadt Bochum beantragt, als Angehöriger der Impfgruppe 3 einen Termin im regionalen Impfzentrum zu bekommen. Die Stadt hat das abgelehnt. Zur Begründung verweist sie auf eine Weisung des Gesundheitsministeriums NRW vom 05.05.2021, wonach derzeit eine Impfung von Beschäftigten in den Servicebereichen der Gerichte und Justizbehörden, Richtern und Staatsanwälten, aber keinen Rechtsanwälten durchgeführt werde. Es wird zwar zugestanden, dass Rechtsanwälte, wie auch Justizangestellte häufige Kontakte zu anderen Menschen haben; bei Rechtsanwälten wird aber angenommen, dass Mandantengespräche auch mittels Telefonat oder Video durchgeführt werden können.

Dagegen die einstweilige Anordnung, die teilweise Erfolg hat. Dem VG gefällt die Begründung der Stadt Bochum nicht. Das muss – so das VG – den Antragsteller neu bescheiden:

„Aufgrund der — wie allgemein bekannt — nur begrenzt zur Verfügung stehenden Impf-stoffe, obliegt es der Antragsgegnerin daher, die Impfdosen anhand sachgerechter Kriterien unter den jeweiligen Anspruchsberechtigten zu verteilen. Die Antragsgegnerin hat dem Antragsteller mit E-Mail vom 7. Mai 2021 mitgeteilt, dass sie mit Impfungen von Personen der Priorität 3 (Anspruchsberechtigte nach § 4 CoronalmpfV) begonnen hat. Der Antragsteller unterfällt auch nach Auffassung der Antragsgegnerin aufgrund seiner Tätigkeit als Rechtsanwalt der Gruppe der Anspruchsberechtigten nach § 4 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b CoronalmpfV.

Nach § 1 Abs. 2 Satz 2 CoronalmpfV können innerhalb einer Gruppe von Anspruchsberechtigten auf Grundlage der jeweils vorliegenden infektiologischen Er-kenntnisse, der jeweils aktuellen Empfehlung der Ständigen Impfkommission beim Robert Koch-Institut und der epidemiologischen Situation vor Ort bestimmte Anspruchsberechtigte vorrangig berücksichtigt werden. Sofern eine solche Priorisierung innerhalb der einzelnen Gruppen nach der Coronavirus-Impfverordnung vorgenommen wird, ist aufgrund der begrenzt zur Verfügung stehenden Impfstoffe wiederum eine willkürfreie, an sachlichen Kriterien orientierte Auswahlentscheidung zu verlangen. Die Antragsgegnerin nimmt zur Begründung der von ihr praktizierten Impfreihenfolge Bezug auf die Weisung des Ministeriums für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen (MAGS NRW) im Erlass vom 5. Mai 2021, der derzeit eine Impfung unter anderem von Beschäftigten in den Servicebereichen der Gerichte und Justizbehörden, Richterinnen und Richtern sowie Staatsanwältinnen und Staatsanwälte, nicht aber von Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten vorsieht. Zur Begründung dieser Differenzierung führt sie aus, Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte hätten — ebenso wie die genannten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Justiz — berufsbedingt zahlreiche Kontakte zu anderen Menschen. Bei typisierender Betrachtungsweise sei jedoch davon auszugehen, dass die Justizbeschäftigten zur Erfüllung der ihnen gesetzlich obliegenden Aufgaben tendenziell häufiger Kontakte zu anderen Menschen hätten, während Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte tendenziell häufiger Mandantengespräche auch mittels Telefonat oder Video-Telefonie führen könnten.

Diese Priorisierungsentscheidung ist auch unter Berücksichtigung des eingeschränkten gerichtlichen Prüfungsmaßstabes des § 114 Satz 1 VwGO zu beanstanden. Das Gericht prüft ausschließlich, ob die Behörde in der Erkenntnis des ihr eingeräumten Ermessens alle die den Rechtsstreit kennzeichnenden Belange in ihre Erwägung eingestellt hat, dabei von richtigen und vollständigen Tatsachen ausgegangen ist, die Gewichtung dieser Belange der Sache angemessen erfolgt ist und das Abwägungs-ergebnis vertretbar ist, insbesondere nicht gegen höherrangiges Recht verstößt. Dabei sind Ermessenserwägungen bis zur letzten Verwaltungsentscheidung zu berücksichtigen, die im verwaltungsgerichtlichen Verfahren noch ergänzt werden können (§ 114 Satz 2 VwGO).

Die getroffene Priorisierungsentscheidung entbehrt einer nachvollziehbaren, auf tragfähige Tatsachen gestützten Begründung. Die Entscheidung beruht wesentlich auf der Annahme, Richter, Staatsanwälte und Beschäftigte in den Serviceeinheiten der Gerichte hätten typischerweise mehr berufliche Kontakte zu anderen Menschen als Rechtsanwälte und seien deshalb einem höheren Risiko ausgesetzt, sich mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 zu infizieren. Die Antragsgegnerin hat diese Einschätzung nicht durch belastbare Quellen belegt. Dies wäre jedoch erforderlich gewesen, weil die Richtigkeit der Einschätzung nicht ohne weiteres auf der Hand liegt. Im Gegenteil spricht nach den Erfahrungen der Kammer mit dem beruflichen Alltag von Richtern, Staatsanwälten, Mitarbeitern der Geschäftsstellen der Gerichte und Rechtsanwälten bei summarischer Prüfung Überwiegendes dafür, dass Rechtsanwälte nicht weniger berufliche Kontakte zu anderen Menschen haben als Angehörige der anderen genannten Berufsgruppen.

Richter nehmen meist nur an einem oder zwei Tagen der Woche an Gerichtsverhandlungen teil, verhandeln an diesen Tagen jedoch häufig in demselben Sitzungssaal eine Vielzahl von Fällen mit unterschiedlichen Beteiligten. Rechtsanwälte haben demgegenüber an bis zu fünf Tagen pro Woche Termine bei unterschiedlichen Ge-richten und bei unterschiedlichen Spruchkörpern desselben Gerichts wahrzunehmen. Dass diese Unterschiede in der Teilnahme an Gerichtsterminen zur Folge haben, dass Richter während ihrer Sitzungstätigkeit eine größere Zahl verschiedener Menschen treffen als Rechtsanwälte, kann die Kammer nicht feststellen. Hinzu kommt, dass Rechtsanwälte während der Sitzungen einem größeren Infektionsrisiko ausgesetzt sind, weil sie deshalb in unmittelbarer Nähe häufig wechselnder Personen sitzen, weil sie in den unterschiedlichen Terminen unterschiedliche Mandanten vertreten. Die Besetzung der Richterbank bleibt demgegenüber während eines Sitzungstags meist unverändert. Innerhalb des Sitzungssaals sind die Plätze der Richter zudem meist relativ weit von denen der Beteiligten entfernt.

Während der beruflichen Tätigkeit, die sich außerhalb von Gerichtssälen abspielt, begegnen Richter ebenfalls nicht typischerweise einer größeren Anzahl von Personen als Rechtsanwälte. Im Gegenteil dürften Rechtsanwälte mehr unvermeidliche persönliche Kontakte haben als Richter und deshalb einem größeren Infektionsrisiko ausgesetzt sein. Denn Richter können nach den Erfahrungen der Kammer im beruflichen Alltag persönliche Begegnungen fast immer dadurch vermeiden, dass sie per Telefon oder E-Mail kommunizieren. Auch Kammerberatungen und Absprachen mit den Mitarbeitern der Geschäftsstelle, der Gerichtsverwaltung usw. sind nahezu ausnahmslos auf diesem Weg möglich. Zudem beschränken sich diese Kontakte auf einen vergleichsweise kleinen und im Wesentlichen gleichbleibenden Personenkreis. Die Antragsgegnerin weist zutreffend darauf hin, dass auch Rechtsanwälte viele Besprechungen mit Mandanten, anderen Rechtsanwälten usw. telefonisch oder per Videokonferenz abwickeln oder durch andere elektronische Korrespondenz (z. B. E-Mails) ersetzen können. Der Anteil der Gespräche, die persönlich geführt werden müssen, dürfte aber höher sein als bei Richtern. Während die für eine elektronische Kommunikation der Justizangehörigen untereinander erforderlichen technischen Voraussetzungen vorliegen, verfügt ein nicht unerheblicher Teil der Bevölkerung und damit der Mandantschaft der Rechtsanwälte — wie die Erfahrungen mit dem Distanzunterricht in den Schulen eindrucksvoll gezeigt haben — nicht über die mediale Aus-tattung und die technischen Kenntnisse, die für eine problemlose elektronische Kommunikation unabdingbar sind. Zudem ist es keineswegs ungewöhnlich, dass Rechtsanwälte Gespräche mit Mandanten führen müssen, die an einer uneingeschränkten elektronischen Kommunikation gehindert sind, weil sie sich z. B. in Justizvollzuganstalten oder therapeutischen Einrichtungen befinden.

Ähnlich stellen sich Vergleiche des beruflichen Alltags von Staatsanwälten und Rechtsanwälten sowie von Mitarbeitern der Geschäftsstellen der Gerichte und Rechtsanwälten dar.

Die aufgezeigten Mängel der Priorisierungsentscheidung führen jedoch nicht dazu, dass der Antragsteller einen Anspruch hat, unverzüglich eine Schutzimpfung gegen das Coronavirus SARS-CoV-2 mit einem mRNA-Impfstoff zu erhalten. Denn es er-scheint nicht von vornherein ausgeschlossen, dass eine Priorisierung von Richtern, Staatsanwälten und Mitarbeitern der Geschäftsstellen der Gerichte gegenüber Rechtsanwälten aus sachlichen Gründen gerechtfertigt sein könnte. Es ist jedoch nicht die Aufgabe des Gerichts, sachliche Gründe zur Rechtfertigung für eine Un-gleichbehandlung durch die Antragsgegnerin zu finden, wenn diese die Gründe nicht zum Gegenstand ihrer Entscheidungen macht.

Vgl. bereits OVG NRW, Beschluss vom 22. Januar 2021 -13 B 58/21 -, juris Rn. 14.

 

Ebenso wenig erscheint ausgeschlossen, dass der Antragsgegner sein Ermessen fehlerfrei dahingehend ausüben kann, Richter, Staatsanwälte, Mitarbeiter der Geschäftsstellen der Gerichte und Rechtsanwälte hinsichtlich der Priorisierung gleich zu behandeln, der Antragsteller aber dennoch derzeit noch keinen Impftermin erhalten könnte. Dies wäre insbesondere denkbar, wenn der Antragsgegner das ihm zu-stehende Ermessen dahingehend ausüben würde, noch nicht sämtlichen Angehörigen der genannten Berufsgruppen ein Impfangebot zu machen, sondern nur solchen, bei denen aufgrund ihres Alters, ihrer konkreten Tätigkeit oder ihrer Vorerkrankungen eine erhöhte Gefahr für einen schweren Verlauf einer COVID-19-Erkrankung besteht.2

Na, da wird sich Herr Laumann etwas Neues einfallen lassen müssen.

Fahrtenbuchauflage, oder: Anordnung eines Fahrtenbuchs gegenüber einem Betrieb

© euthymia – Fotolia.com

Die zweite Entscheidung, der VG Oldenburg, Beschl. v. 30.04.2021 – 7 B 1850/21 –, befasst sich dann mal wieder mit der Anordnung einer Fahrtenbuchauflage (§ 31a StVZO) gegenüber einem Betrieb. Das VG nimmt dazu umfangreich Stellung, und zwar wie folgt:

„…. Die Voraussetzungen des § 31a StVZO für die Anordnung der Führung eines Fahrtenbuches sind erfüllt. Auch hat die Antragsgegnerin das Ermessen hinsichtlich der angeordneten Dauer von 12 Monaten angesichts der erheblichen Schwere des Delikts, das bei erfolgreicher Ahndung neben der Verhängung einer Geldbuße in erklecklicher Höhe zur Eintragung von 2 Punkten geführt hätte, zutreffend ausgeübt.

Zur Begründung wird insgesamt auf die weitgehend zutreffenden Gründe des angegriffenen Bescheides des Antragsgegners verwiesen und insoweit zusätzlich diejenigen der Antragserwiderung des Antragsgegners, denen das Gericht überwiegend folgt (Feststellung entsprechend § 117 Absatz 5 VwGO). Diese sind in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht höchstwahrscheinlich zutreffend. Ihnen gegenüber greift das Vorbringen der Antragstellerin jedenfalls insgesamt nicht durch.

Zu Lasten der Antragstellerin geht insbesondere, dass sie als Zeugin im Bußgeldverfahren angehört wurde und gleichwohl ihren dortigen Mitwirkungsverpflichtungen nicht nachgekommen ist. Es hätte hier bei der Antragstellerin als Zeugin gelegen, innerhalb des Laufs der Verfolgungsverjährung den Fahrzeugführer mit ladungsfähiger Anschrift zu benennen und dadurch an der Aufklärung mitzuwirken. Dies hat sie unterlassen, was nun auf sie zurückfällt. Auf ein Datenschutzrecht könnte sie sich / ein Zeuge hier nicht berufen.

Die Antragstellerin hätte im Rahmen ihrer Mitwirkungspflichten als Geschäftsbetrieb (vgl. dazu VG Oldenburg, Beschluss vom 14. März 2017 – 7 B 1386/17 – juris) schon auf die erste Anhörung hin die ladungsfähigen Anschriften der in Betracht kommenden Fahrer angeben müssen (so schon etwa: Hess. VGH, Beschluss vom 23. November 2011 – 2 A 1618/11.Z – juris, RdNr. 6).

Für die Anordnung eines Fahrtenbuchs bei einem Geschäftsbetrieb (wie hier) kommt es auch nicht auf die Einhaltung der sogenannten Zwei-Wochen-Frist an, weil ein Geschäftsbetrieb die verantwortliche Person unabhängig vom Erinnerungsvermögen einzelner Personen feststellen können muss (Kammerbeschluss vom 30. März 2009 – 7 B 1004/09 – juris). Daneben müsste sich ein Betroffener schon im Bußgeldverfahren auf die Überschreitung dieser „Frist“ berufen (Beschl. vom 7. April 2015 – 7 B 1343/15 –).

Entsprechendes gilt bei einer schlechten Lichtbildqualität (ebd.) – wie hier -.

Das Fehlen einer entsprechenden Dokumentation fällt auf den Betrieb zurück (Beschluss des Gerichtes vom 14. März 2017 – 7 B 1386/17 – juris). Das entgegenstehende Vorbringen der Antragstellerin im vorliegenden gerichtlichen Verfahren greift dies nicht hinreichend auf und nimmt dies nur unzureichend in den Blick.

Die Antragstellerin kann sich auch nicht erfolgreich darauf berufen, den Anhörungsbogen nicht erhalten zu haben (vgl. dazu ihren außergerichtlichen Schriftsatz vom 9. April 2021, Bl. 43 BA, 5. Absatz): Nach ständiger Rechtsprechung reicht ein Datensatzauszug, wie er hier mit Bl. 7 des Verwaltungsvorgangs (= Beiakte) vorliegt, aus, um die Zusendung zu belegen, und gilt dieser Anhörungsbogen sodann auch als zugegangen, wenn ein Rücklauf nicht feststellbar ist, was hier sogar durch handschriftlichen Vermerk (ebenda) belegt ist, vgl. zum Ganzen z.B. Beschluss des Nds. OVG vom 6. April 2010 – 12 ME 47/10 – juris, und Beschluss vom 21. April 2021 – 12 ME 44/21 -).

Außerdem hält das Gericht fest: Bei der Bekundung, den Anhörungsbogen nicht erhalten zu haben, handelt es sich regelmäßig und insbesondere hier im Einzelfall um eine bloße Schutzbehauptung der Antragstellerseite, die unbeachtlich ist.

Schließlich könnte dies hier sogar dahinstehen, weil – insoweit überobligatorisch – der Außendienst auch noch am 26. Januar 2021 sog. Vor-Ort-Ermittlungen durchgeführt hat, die aber ebenso an der fehlenden Mitwirkung der Antragstellerin scheiterten.

Es kommt ferner darauf an, ob der Fahrzeugführer bis zum Eintritt der dreimonatigen Verfolgungsverjährung (§§ 26 Abs. 3, 24 StVG) festgestellt werden konnte. Eine Fahrerbenennung danach hilft dem Halter nicht (Nds. OVG Lüneburg, Beschl. v. 31. Oktober 2006 – 12 LA 463/05 – juris, Rn. 6; VGH München, Urt. v. 6. Oktober 1997 – 11 B 96.4036 – juris). Auf Verschulden kommt es dabei nicht an; das entspricht dem gefahrenabwehrrechtlichen Charakter der Regelung über die Fahrtenbuchanordnung mit dem Ziel, die Ordnung und Sicherheit des Straßenverkehrs bei gegebenem Anlass dadurch zu gewährleisten, dass in Zukunft der Täter einer Verkehrsordnungswidrigkeit über das Fahrtenbuch alsbald ermittelt werden kann (BVerfG, Beschl. v. 7. Dezember 1981 – 2 BvR 1172/81 -, NJW 1982, 568; BVerwG, Beschl. v. 23. Juni 1989 – 7 B 90.89 -, NJW 1989, 2704, juris, Rn. 8; Nds. OVG, Beschl. v. 2. November 2006 – 12 LA 176/06 -, zfs 2007, 119, juris, v. 12. Dezember 2007 – 12 LA 267/07 -, zfs 2008, 356, juris, und v. 1. März 2016 – 12 LA 105/15 -, juris). So hat das Gericht mit Beschluss vom 14. März 2017 – 7 B 1386/17 – juris – ausgeführt (Auszug):…..“

Den Rest der umfangreichen Ausführungen und Einfügungen aus anderen Entscheidungen bitte im verlinkten Volltext selbst lesen.

Und: Zum Fahrtenbuch gibt es auch Ausführungen bei Gübner in: Burhoff (Hrsg.), Handuch für das straßenverkehrsrechtliche OWi-Verfahren“, 6. Aufl. 2021, das man hier bestellen kann.