Archiv der Kategorie: Hauptverhandlung

StPO II: Fehlerhafte Ablehnung eines Beweisantrages, oder: Erforderlicher Vortrag bei der Verfahrensrüge

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Das zweite Posting ist dem BGH, Beschl. v. 14.09.2023 – 4 StR 274/23 – gewidment. Nichts Besonderes, aber noch mal ein Reminder des BGH zum erforderlichen Vortrag bei der Rüge, eine Beweisantrag sei rechtsfehlerhaft abgelehnt worden:

1. Die Verfahrensrüge, das Landgericht habe die beantragte Einholung eines unfallanalytischen Sachverständigengutachtens rechtsfehlerhaft abgelehnt, ist bereits unzulässig. Die Rüge genügt den Begründungsanforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO nicht (vgl. hierzu allgemein BGH, Beschluss vom 25. November 2021 – 4 StR 103/21 Rn. 4 mwN). Denn die Revision teilt den in dem Beweisantrag in Bezug genommenen und für die Prüfung des geltend gemachten Verstoßes gegen § 244 Abs. 3 Satz 3 Nr. 3 StPO relevanten Inhalt von Aktenteilen, insbesondere des schriftlichen Gutachtens des bereits beauftragten Kfz-Sachverständigen mit einer Skizze zur rekonstruierten Anstoßsituation, nicht (vollständig) mit.“

StPO I: Selbstläuferrevision: Fehler beim letzten Wort, oder: Wiedereintritt in die Beweisaufnahme

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Und dann heute noch einmal StPO-Entscheidungen.

Den Auftakt mache ich mit dem BGH, Beschl. v. 16.08.2023 – 2 StR 308/22. Mal wieder eine dieser „Selbstläuferrevisionen“. Gerügt worden war die Verletzung des Rechts auf das letzte Wort (§ 258 StPO).

Das Landgericht hat den Angeklagten u.a. wegen dirigistischer Zuhälterei verurteilt sowie Einziehungsentscheidungen getroffen. Die Revision hatte hinsichtlich der Strafaussprüche teilweise Erfolg.

Der Rüge liegt folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde:

„Die Beweisaufnahme wurde am 23. Hauptverhandlungstag, dem 7. Dezember 2021, geschlossen. Die Staatsanwaltschaft und die Nebenklägervertreter hielten ihre Plädoyers und stellten ihre Schlussanträge. Dabei beantragte der Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft auch die Einziehung des Wertersatzes von Taterträgen zugunsten der Nebenklägerinnen C. und M. Im darauffolgenden Termin am 13. Dezember 2021 plädierten die Verteidiger des Angeklagten. Dem Angeklagten wurde Gelegenheit gegeben, noch etwas zu seiner Verteidigung zu sagen. Er hatte das letzte Wort. Die Hauptverhandlung wurde sodann unterbrochen; Termin zur Fortsetzung war auf den 22. Dezember 2021 festgesetzt. Einen Tag zuvor ging bei der Strafkammer ein Faxschreiben von Rechtsanwalt D. ein. Er übersandte zwei an den Angeklagten gerichtete Schriftstücke, zum einen einen Anwaltsschriftsatz, mit dem im Auftrag der Nebenklägerin C. ein Schmerzensgeld in Höhe von 30.000 € geltend gemacht wurde, zum anderen einen Antrag auf Prozesskostenhilfe der Nebenklägerin M. zur Durchführung eines Mahnverfahrens über 40.000 €. Rechtsanwalt D. kündigte an, im folgenden Termin den Wiedereintritt in die Beweisaufnahme zu beantragen, um dem Angeklagten Gelegenheit zu geben, die Ansprüche, jedenfalls teilweise, anzuerkennen.

In der Hauptverhandlung vom 22. Dezember 2021 stellte Rechtsanwalt D. einen entsprechenden Antrag. Die Vorsitzende erörterte dies mit den Verfahrensbeteiligten und gab Gelegenheit zur Stellungnahme. Dabei erklärten die Nebenklägerinnen über ihre anwaltlichen Vertreterinnen, nach wie vor keinem Täter-Opfer-Ausgleich zuzustimmen. Die Staatsanwaltschaft sah keinen Bedarf, die Beweisaufnahme noch einmal zu eröffnen. Sodann gab die Vorsitzende bekannt, dass auch die Strafkammer keinen Grund sehe, erneut in die Hauptverhandlung einzutreten. Nach geheimer Beratung wurde sodann das angefochtene Urteil verkündet, ohne dass dem Angeklagten (erneut) das letzte Wort gewährt wurde.

Diese Verfahrensweise verstieß nach Auffassung des BGH gegen § 258 Abs. 2 Halbsatz 2, Abs. 3 StPO:

„Dem Angeklagten hätte nach der Erörterung über den von Rechtsanwalt D. beantragten Wiedereintritt in die Beweisaufnahme erneut Gelegenheit gegeben werden müssen, zu seiner Verteidigung vorzutragen und Ausführungen im Rahmen des letzten Worts zu machen.

a) Nach einem Wiedereintritt in die Verhandlung muss das Gericht die Möglichkeit zu umfassenden Schlussvorträgen und das letzte Wort erneut gewähren, auch wenn er nur einen unwesentlichen Aspekt oder einen Teil der Anklagevorwürfe betrifft, weil jeder Wiedereintritt den vorangegangenen Ausführungen ihre rechtliche Bedeutung als Schlussvorträge und letztes Wort nimmt (vgl. BGH, Beschluss vom 20. September 2017 – 1 StR 391/16, BGHR StPO § 258 Abs. 3 Wiedereintritt 20 Rn. 6; Urteil vom 24. Februar 2022 – 3 StR 202/21, NJW 2022, 1631, 1632). Ein Wiedereintritt in die Verhandlung kann durch eine ausdrückliche Erklärung des Vorsitzenden beziehungsweise des Gerichts oder stillschweigend geschehen (vgl. BGH, Urteil vom 24. Februar 2022 – 3 StR 202/21, NJW 2022, 1631, 1632 f.; Beschluss vom 24. Juni 2014 – 3 StR 185/14, NStZ 2015, 105). Für letzteres genügt jede Betätigung, in welcher der Wille des Gerichts, mit der Untersuchung und der Aburteilung fortzufahren, erkennbar zutage tritt, auch wenn das Gericht darin keine Wiedereröffnung der Verhandlung erblickt oder diese nicht beabsichtigt. Dies ist der Fall bei jedem Vorgang, der die gerichtliche Sachentscheidung auch nur mittelbar beeinflussen könnte, indem er eine tatsächliche oder rechtliche Bewertung des bisherigen Verfahrensergebnisses zum Ausdruck bringt. Auf Umfang und Bedeutung der nochmaligen Verhandlungen kommt es dabei nicht an. Ob ein Wiedereintritt vorliegt, richtet sich nach den konkreten Umständen des Einzelfalls (s. BGH, Urteil vom 24. Februar 2022 – 3 StR 202/21, NJW 2022, 1631, 1633; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 66. Aufl., § 258 Rn. 28). Er kann auch darin liegen, dass Anträge erörtert werden, ohne dass ihnen letztlich stattgegeben wird (BGH, Beschluss vom 20. September 2017 – 1 StR 391/16, NJW 2018, 414, 415; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 66. Aufl., § 258, Rn. 28; Tiemann, in: KK-StPO, 9. Aufl., § 258, Rn. 24).

b) Gemessen daran ist das Landgericht durch die Erörterung mit den Verfahrensbeteiligten über den Antrag von Rechtsanwalt D. , die Beweisaufnahme zu eröffnen, stillschweigend wieder in die Hauptverhandlung eingetreten. Der Antrag zielte darauf ab, dem Angeklagten die Chance einzuräumen, durch eine zumindest teilweise Anerkennung der nunmehr gegen ihn außerhalb der Hauptverhandlung geltend gemachten Ansprüche im Rahmen des Strafverfahrens Schadenswiedergutmachung zu leisten. Er war insoweit darauf gerichtet, Einfluss auf die Strafzumessung durch das Landgericht zu nehmen, das gemäß § 46 Abs. 2 StGB das Verhalten des Angeklagten nach der Tat und dabei insbesondere auch ein Bemühen, den Schaden wiedergutzumachen, in den Blick zu nehmen hatte. Dieser Antrag wurde nicht lediglich entgegengenommen, sondern war im Folgenden förmlicher Gegenstand der Erörterung, wie mit ihm umzugehen sei. Damit ging – da der Gegenstand des Antrags wie ausgeführt die gerichtliche Sachentscheidung zu beeinflussen geeignet war – der (faktische) Wiedereintritt in die Hauptverhandlung einher; belegt wird dies im Übrigen durch den unwidersprochen gebliebenen Vortrag der Revision, die Nebenklägerinnen hätten klargestellt, einem Täter-Opfer-Ausgleich nach wie vor nicht zuzustimmen. Dass dem Antrag letztlich nicht stattgegeben wurde, das Gericht vielmehr ausdrücklich mitteilte, keinen Grund zu sehen, erneut in die Hauptverhandlung einzutreten, ändert an dieser Feststellung nichts (vgl. BGH, Beschluss vom 20. September 2017 – 1 StR 391/16, NJW 2018, 414, 415).

c) Auf dem dargelegten Verfahrensfehler beruhen die Strafaussprüche in den Fällen II.2 bis II.5 der Urteilsgründe, nicht jedoch die ihnen zugrundeliegenden Schuldsprüche.

Der Senat schließt aus, dass der Angeklagte in einem – erneuten – letzten Wort etwas Erhebliches zu den Schuldsprüchen hätte bekunden können. Hingegen ist nicht auszuschließen, dass der Angeklagte, wäre ihm das letzte Wort erneut erteilt worden, Ausführungen gemacht hätte, die die Strafzumessung zu seinen Gunsten beeinflusst hätten (vgl. zum Einverständnis zur förmlichen Einziehung sichergestellter Gegenstände BGH, Beschluss vom 4. Februar 2010 – 1 StR 3/10, NStZ-RR 2010, 152). Dies gilt hier insbesondere mit Blick auf die in dem ursprünglichen Schriftsatz von Rechtsanwalt D. angekündigte (teilweise) Anerkennung der geltend gemachten Schmerzensgeldansprüche. Dies wäre über das bloße in der Hauptverhandlung bereits abgegebene Angebot, Schmerzensgeld zu zahlen, hinausgegangen, insbesondere vor dem Hintergrund, dass der Angeklagte auf die Herausgabe sichergestellten Bargelds in Höhe von 161.500 € auch gegenüber den Nebenklägerinnen M. und C. verzichtet hatte. Dass diese im Übrigen nicht bereit waren, sich weitergehend auf einen Täter-Opfer-Ausgleich einzulassen, ändert nichts daran, dass bereits einer möglichen förmlichen Anerkennung geltend gemachter Ansprüche eine weitergehende strafmildernde Bedeutung zukommen kann.“

StPO III: Die „besondere Bedeutung des Falles“ im GVG, oder: Prominente Zeugen aus der Gesangsszene?

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Zu Zuständigkeitsfragen wird wenig veröffentlicht. Heute habe ich mit dem OLG Brandenburg, Beschl. v. 19.10.2023 – 2 Ws 143/23 (S) – aber mal etwas aus dem Bereich.

Die Staatsanwaltschaft  wirft den Angeklagten versuchten Betrug beziehungsweise Beihilfe dazu im Zusammenhang mit einem Zivilrechtsstreit des Angeklagten. Dabei sollen die Angeklagten gefälschte Rechnungen ausgestellt und vorgelegt haben, um dem Zeugen F. zu schädigen.

Mit dem angefochtenen Beschluss hat das LG die Anklage der Staatsanwaltschaft zur Hauptverhandlung zugelassen, das Hauptverfahren jedoch abweichend von dem Antrag der Staatsanwaltschaft vor dem AG – Schöffengericht – eröffnet. Gegen Letzteres wendet sich die Staatsanwaltschaft mit ihrer sofortigen Beschwerde, die Erfolg hatte:

„Die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft ist zulässig und begründet. Das Hauptverfahren war vor dem Landgericht zu eröffnen. Die Staatsanwaltschaft Frankfurt (Oder) hat dazu in ihrer Beschwerdebegründung vom 2. August 2023 das Folgende ausgeführt:

„Das Landgericht Frankfurt (Oder) geht nach hiesiger Ansicht zu Unrecht von einem lediglich regional begrenzten Interesse an dem Strafverfahren aus. Zwar hat weder der Angeklagte noch der Zeuge eine besonders herausgehobene Stellung innerhalb der Gesellschaft inne, gleichwohl muss beachtet werden, dass ein erhebliches Medieninteresse, ähnlich wie in dem in B. bereits seit 3 Jahren fortdauernden Prozesses bestehen wird. Das Gericht verkennt insoweit, dass damit zu rechnen ist, dass der Angeklagte die tatsächliche Durchführung der behaupteten Bauarbeiten behaupten werden wird, unabhängig von den vorgelegten Rechnungen. Daher ist damit zu rechnen, dass aus dem Umfeld beider Beteiligten weitere bisher nicht benannte Zeugen zu hören sein werden, die mehr oder weniger Prominentenstatus innerhalb der Gesangsszene haben dürften. Auch die Einschätzung, dass der Zeuge F. lediglich an einem Tag zu vernehmen und seine Ehefrau als Zeugin nicht in Betracht kommt, ist nicht belegt. Auch hier verkennt die Kammer, dass in dem in Berlin geführten Verfahren eine mehrwöchige Vernehmung beider Personen notwendig war. Damit drängt sich die Annahme eines Ausnahmefalls auf, den das OLG Brandenburg (WiStra 2022, S. 479) beschrieben hat.“

Diesen zutreffenden Erwägungen tritt der Senat bei.

 

OWi I: Befreiung von Maskenpflicht zu Corona-Zeiten, oder: Anforderungen an das ärztliche Attest

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Und heute dann OWi-Entscheidunge, aber mal kein Verkehrsrecht sondern andere Bereiche.

Ich beginne mit dem OLG Celle, Beschl. v. 17.10.2023 – 2 ORbs 278/23. Das OLG arbeitet ind em Beschluss noch ein wenig die Corona-Zeit auf.

Das AG hat den Betroffenen wegen vorsätzlichen Verstoßes gegen eine vollziehbare Anordnung nach dem Infektionsschutzgesetz (hier: Maskenpflicht bei öffentlichen Veranstaltungen) zu einer Geldbuße von 100,- € verurteilt. Nach den Feststellungen des Urteils nahm der Betroffene am 28.02.2022 in B. an einer angemeldeten Versammlung zum Thema „Spaziergang für das Ende aller Corona-Maßnahmen, Freiheit und Selbstbestimmung “ unter freiem Himmel teil, zu deren Beginn die Demonstrationsteilnehmer einschließlich des Betroffenen von den eingesetzten Polizeikräften auf die bestehende Maskenpflicht hingewiesen worden seien. Sodann habe der Betroffene während der gesamten Versammlung bewusst auf das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes verzichtet und mehrfach eine Trillerpfeife verwendet. Ein von dem Betroffenen in der Hauptverhandlung vorgelegtes ärztliches Attest vom 14.01.2022 mit dem Inhalt „Aus psychischen Gründen kann o.g. Person keinen MNB tragen“ erfüllte aus Sicht des Amtsgerichts nicht die an ein ärztliches Attest zu stellenden Mindestanforderungen, sodass der Betroffene nicht nach § 4 Abs. 5 der Niedersächsischen Corona-Verordnung von der Maskenpflicht befreit gewesen sei, weil eine als Ausnahme geltende Beeinträchtigung oder Vorerkrankung weder am Vorfallstag noch in der Hauptverhandlung glaubhaft gemacht worden sei. Das vorgelegte Dokument enthalte weder eine Diagnose, noch gebe es andere Hinweise auf die Art der Erkrankung und auf den Grund, warum diese dem Tragen einer Schutzmaske entgegenstehen soll.

Zum Tatzeitpunkt galt die Niedersächsische Verordnung über Schutzmaßnahmen zur Eindämmung des Corona-Virus SARS-CoV-2 und dessen Varianten (Niedersächsische Corona-Verordnung) vom 23. Februar 2022.

Das OLG hat die Verordnung als wirksam angesehen. Es hat das Urteil aber aufgehoben, weil das AG die Anforderungen an das Attest überspannt habe.

ich stelle hier, weil die Problematik ja nicht mehr so ganz aktuell istt, nur die Leitsätze des OLG ein. Wegen der Einzelheiten verweise ich auf den verlinkten Volltext der umfangreich begründeten Entscheidung:

    1. Zur Glaubhaftmachung der Unzumutbarkeit des Tragens einer Mund-Nasen-Bedeckung nach § 4 Abs. 5 der Niedersächsischen Corona-Verordnung vom 23. Februar 2022 bedarf es nicht der Vorlage eines qualifizierten ärztlichen Attests.
    2. Die Glaubhaftmachung durch ein ärztliches Attest oder eine vergleichbare amtliche Bescheinigung hat schon zur Gewährleistung eines effektiven Gesundheitsschutzes bereits zum Zeitpunkt der behördlichen Kontrolle an Ort und Stelle des Vorfalls zu erfolgen und nicht erst in einer späteren Hauptverhandlung in dem nachgelagerten Bußgeldverfahren.
    3. Die Anforderungen an die Bestimmtheit eines Ordnungswidrigkeitentatbestandes waren aufgrund des im Februar und März 2022 besonders hohen und stagnierenden Infektionsgeschehens mit einem Höchststand an Neuinfektionen während der gesamten COVID-19-Pandemie zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der Niedersächsischen Corona-Verordnung in der Fassung vom 23. Februar 2022 noch deutlich reduziert, sodass § 21 der Verordnung trotz seiner Ausgestaltung als Blankettvorschrift noch als materiell rechtmäßig anzusehen ist.

StPO III: Absehen von der Zeugenvernehmung, oder: Beanstandung der Vorsitzendenentscheidung erfolgt?

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Und dann zum Tagesschluss noch der BGH, Beschl. v. 12.09.2023 – 4 StR 179/23.

Das LG hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung verurteilt. Die Revision des Angeklagten bleibt ohne Erfolg:

„2. Die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Näherer Erörterung bedarf lediglich die Rüge, die Strafkammer habe unter Verstoß gegen § 55 Abs. 1, § 244 Abs. 2 StPO von der Sachvernehmung der Zeugin E. abgesehen.

a) Der Rüge liegt folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde:

Nachdem sich der Angeklagte zu Beginn der eintägigen Hauptverhandlung durch Verteidigererklärung zur Sache eingelassen hatte, wurde die Zeugin E. in den Zeugenstand gerufen. Dort berief sie sich über den ihr als Zeugenbeistand bestellten Rechtsanwalt auf ein umfassendes Auskunftsverweigerungsrecht nach § 55 Abs. 1 StPO. Sodann wurde die Zeugin im allseitigen Einverständnis von der Vorsitzenden entlassen.

b) Die Rüge ist unzulässig, weil der verteidigte Angeklagte nicht vom Zwischenrechtsbehelf nach § 238 Abs. 2 StPO Gebrauch gemacht hat. Die Entscheidung, ob und in welchem Umfang ein Zeuge durch seine Aussage eine Verfolgungsgefahr im Sinne des § 55 Abs. 1 StPO begründen kann und daher die Auskunft verweigern darf, unterliegt als Maßnahme der Sachleitung weitgehend der wertenden Beurteilung des Vorsitzenden. Hält ein Verfahrensbeteiligter dessen Entscheidung für rechtsfehlerhaft und damit für unzulässig, hat er gemäß § 238 Abs. 2 StPO die Möglichkeit, hiergegen den gesamten Spruchkörper anzurufen. Unterlässt der verteidigte Angeklagte dies, kann er in der Revisionsinstanz mit einer entsprechenden Rüge, durch die er sich in Widerspruch zu seinem früheren Verhalten setzen würde, nicht mehr gehört werden. Auch liegt hierin keine unzulässige Einschränkung der Rüge, das Gericht habe durch das teilweise oder völlige Unterlassen der Sachvernehmung des Zeugen seine Aufklärungspflicht nach § 244 Abs. 2 StPO verletzt. Denn da durch die Anordnung des Vorsitzenden die Beschränkung der gerichtlichen Sachaufklärung zum Gegenstand der Hauptverhandlung gemacht wird, kann der Verstoß gegen die Pflicht zur Erforschung der Wahrheit über § 238 Abs. 2 StPO bereits dort beanstandet werden. Wird dies – wie vorliegend – unterlassen, muss daher nicht zusätzlich und unabhängig davon die Aufklärungsrüge im Revisionsverfahren eröffnet sein (vgl. BGH, Urteil vom 16. November 2006 ‒ 3 StR 139/06, BGHSt 51,144 Rn. 22, 26; Schmitt in Meyer-Goßner, 66. Aufl., § 55 Rn. 16; KK-StPO/Bader, 9. Aufl., § 55 Rn. 19 mwN).“