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StPO II: Anforderungen an Durchsuchungsbeschluss, oder: Angaben zum Tatzeitraum im KiPO-Verfahren

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Im zweiten Posting dann etwas von einem Landesverfassungsgericht zur Durchsuchung, und zwar der VerfG Brandenburg, Beschl. v. 21.06.2024 – VfGBbg 35/21.

Zugrunde liegt der Entscheidung ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts des schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern. Der Beschwerdeführer ist sorgeberechtigter Vater seiner im Jahr 2013 geborenen Tochter. Von der ebenfalls sorgeberechtigten Kindesmutter ist er seit Januar 2016 rechtskräftig geschieden. Seit der Trennung im Februar 2014 hatte der Beschwerdeführer zunächst regelmäßig Umgang mit seiner Tochter. Ab dem Jahr 2019 war das Umgangsrecht auf Veranlassung der Kindesmutter eingeschränkt. Am 12. 012021 erstattete diese Strafanzeige gegen den Beschwerdeführer, woraufhin das Ermittlungsverfahren eingeleitet worden war, das zwischenzeitlich mangels hinreichenden Tatverdachts eingestellt worden ist.

Am 21.01.2021 ordnete das AG wegen des Verdachts des schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern die Durchsuchung der Wohn- und Geschäfts-räume, einschließlich aller Nebenräume und Kraftfahrzeuge sowie der Person des Beschwerdeführers, an. Daneben wurde die Beschlagnahme eventuell vorgefundener Beweismittel, wie Computer, Laptops, Mobiltelefone, Digitalkameras und anderer Speichermedien, angeordnet. In der Begründung des Beschlusses wird ausgeführt:

„Es besteht gegen den Beschuldigten aufgrund der bisherigen Ermittlungsergebnisse der Verdacht des schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern. Der Verdacht beruht auf den bisherigen Ermittlungsergebnissen, insbesondere auf Zeugenaussagen sowie zur Akte gereichten Berichte. Danach besteht der Anfangsverdacht gegen den Beschuldigten, zwei Kinder mit der weiteren Be-schuldigten pp. sexuell missbraucht zu haben, wobei Teile der Taten gefilmt worden sein sollen.“

Gegen diese Durchsuchungsanordnung geht der ehemalige Beschuldigte vor. Er hat aber weder beim AG noch beim LG Erfolg. Das VerfG gibt ihm dann endlich Recht:

„….. 2. Die angegriffenen Entscheidungen tragen den aus Art. 15 Abs. 2 LV folgenden Anforderungen an die Begrenzungsfunktion von Durchsuchungsanordnungen nicht hinreichend Rechnung.

a) Der Beschluss des Amtsgerichts enthält zunächst keine Angabe zum Tatzeitraum (vgl. zu diesem Erfordernis BVerfG, Beschluss vom 4. April 2017 2 BvR 2551/12 -, Rn. 21 ff., juris). Die Begründung des Beschlusses vermittelt auch sonst keine Anhaltspunkte für eine Begrenzung des Tatzeitraums. Vielmehr ermöglicht die mit dem Beschluss getroffene Anordnung der Sache nach eine Durchsuchung und Beschlagnahme von Beweismitteln für einen unbestimmten Zeitraum und wird bereits deshalb seiner Begrenzungsfunktion nicht gerecht.

b) Darüber hinaus lassen sich der Begründung des Beschlusses des Amtsgerichts keine hinreichenden tatsächlichen Angaben über das dem Beschwerdeführer konkret vorgeworfene strafrechtswidrige Verhalten entnehmen, dessen Aufklärung die An-ordnung der Durchsuchung dienen soll.

Die Beschlussbegründung erwähnt nur schlagwortartig den „Verdacht des schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern“, bezieht sich auf bisherige, allerdings nicht näher beschriebene Ermittlungsergebnisse, insbesondere auf Zeugenaussagen und zur Akte gereichte Berichte, und behauptet dann formelhaft, dass nach diesen Unterlagen der Anfangsverdacht gegen den Beschwerdeführer bestehe, zwei Kinder mit einer weiteren Beschuldigten sexuell missbraucht zu haben, wobei Teile der Tat gefilmt worden seien.

Offen erscheint danach bereits, unter welchen der in § 176a StGB geregelten Qualifikationstatbestände in der bis zum 30. Juni 2021 geltenden Fassung der Tatvorwurf einzuordnen ist. Der Beschlussinhalt lässt sich zwar dahin deuten, dass das Amtsgericht seinen Tatvorwurf auf § 176a Abs. 2 Nr. 1 a. F. StGB stützt. Danach macht sich strafbar, wer als Person über achtzehn Jahren mit dem Kind den Beischlaf vollzieht oder ähnliche sexuelle Handlungen an ihm vornimmt oder an sich vornehmen lässt, die mit dem Eindringen in den Körper verbunden sind. An diesem Tatbestand orientierte konkrete Lebenssachverhalte werden in dem Durchsuchungsbeschluss nicht bezeichnet, obwohl dies, wie der Nichtabhilfebeschluss des Amtsgerichts vom 12. April 2021 zeigt, ohne Weiteres mit Hilfe der in der angefochtenen Durchsuchungsanordnung bezeichneten Unterlagen möglich gewesen wäre. Entsprechende Handlungen erschließen sich jedenfalls nicht aus der Bemerkung des Amtsgerichts, Teile der Taten seien gefilmt worden.

Soweit die in dem Durchsuchungsbeschluss enthaltene – möglicherweise versehentliche – Formulierung des Betreffs („wegen des Verdachts des schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern durch Wiederholungstäter“) auf § 176a Abs. 1 a. F. StGB verweist, enthält der Beschluss des Amtsgerichts keine Angaben darüber, ob der Beschwerdeführer innerhalb der letzten fünf Jahre wegen einer Straftat nach § 176 Abs. 1 oder 2 StGB rechtskräftig verurteilt worden ist. Der in der Beschlussbegrün-dung enthaltene Hinweis des Amtsgerichts, dass Teile der Taten gefilmt worden sein sollen, könnte dahingehend verstanden werden, dass sich der Tatvorwurf auch auf § 176a Abs. 3 a. F. StGB stützen soll. Insoweit fehlt es aber an Angaben dazu, ob der Beschwerdeführer als Täter oder anderer Beteiligter in der Absicht gehandelt hat, die Tat zum Gegenstand eines pornographischen Inhalts (§ 11 Abs. 3 StGB) zu machen, der i. S. d. § 184b Abs. 1 oder 2 StGB verbreitet werden soll.

c) Die beschriebenen Mängel bei der ermittlungsrichterlich zu verantwortenden Um-schreibung des Tatvorwurfs in zeitlicher und sachlicher Hinsicht konnten weder durch den Nichtabhilfebeschluss des Amtsgerichts vom 12. April 2021 noch durch das Landgericht im Beschwerdeverfahren geheilt werden.“

OWi I: Halter nicht automatisch Parkverstoßtäter, oder: Das ist keine „Revolution“, sondern h.M.

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Heute dann noch einmal OWi-Entscheidungen. Grund ist der BVerfG, Beschl. v. 17.05.2024 – 2 BvR 1457/23 -, der seit gestern ja über die Ticker läuft und heute dann auch in der Tagespresse angekommen ist.

Folgender, alltäglicher, Sachverhalt: Gegen den Betroffenen wird wegen eines Parkverstoßes eine Geldbuße in Höhe von 30 EUR festgesetzt. Der Betroffene legt Einspruch ein.  In der darauf stattfindenden Hauptverhandlung schweigt der Betroffene. Das AG verurteilt ihn. Im Urteil wird ausgeführt, der Betroffene habe geschwiegen. Die Feststellungen zur Person basierten auf den Angaben im Bußgeldbescheid, die der Betroffene bestätigt habe, und auf der verlesenen Auskunft des Fahreignungsregisters. Die Feststellungen zur Sache beruhten auf den verlesenen Angaben im Bußgeldbescheid, den Lichtbildern sowie dem Umstand, dass der Beschwerdeführer Halter des in Rede stehenden Fahrzeugs sei.

Der Antrag des Betroffenen auf Zulassung der Rechtsbeschwerde, der damit begründet worden ist, dass der Rückschluss auf den Betroffenen als Nutzer des Fahrzeugs allein aus der Haltereigenschaft fehlerhaft sei, hat das OLG Köln mit Beschl. v. 12.9.2023 – III-1 ORbs 292/23 – als unbegründet verworfen. Dagegen dann die Verfassungsbeschwerde, die Erfolg hatte:

„1. Das angegriffene Urteil verletzt den Beschwerdeführer in seinem Recht aus Art. 3 Abs. 1 GG in seiner Ausprägung als Willkürverbot.

a) Die Auslegung des Gesetzes und seine Anwendung auf den konkreten Fall sind zwar Sache der dafür zuständigen Gerichte und daher der Nachprüfung durch das Bundesverfassungsgericht grundsätzlich entzogen; ein verfassungsrechtliches Eingreifen gegenüber den Entscheidungen der Fachgerichte kommt jedoch unter anderem unter dem Gesichtspunkt der Verletzung des Gleichheitssatzes (Art. 3 Abs. 1 GG) in seiner Bedeutung als Willkürverbot in Betracht (vgl. BVerfGE 74, 102 <127>; stRspr). Ein solcher Verstoß gegen das Willkürverbot liegt bei gerichtlichen Entscheidungen nicht schon dann vor, wenn die Rechtsanwendung Fehler enthält, sondern erst dann, wenn die Entscheidung bei verständiger Würdigung der das Grundgesetz beherrschenden Gedanken nicht mehr verständlich ist und sich daher der Schluss aufdrängt, dass sie auf sachfremden Erwägungen beruht. Von einer willkürlichen Missdeutung kann jedoch nicht gesprochen werden, wenn das Gericht sich mit der Rechtslage eingehend auseinandersetzt und seine Auffassung nicht jeden sachlichen Grundes entbehrt (vgl. BVerfGE 4, 1 <7>; 74, 102 <127>; 83, 82 <84>; 87, 273 <278 f.>; 89, 1 <13 f.>; 96, 189 <203>; stRspr). Dieser Maßstab gilt auch für die verfassungsrechtliche Überprüfung der von den Fachgerichten vorgenommenen Beweiswürdigung und der von ihnen getroffenen tatsächlichen Feststellungen (vgl. BVerfGE 4, 294 <297>; 96, 189 <203>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 21. März 2023 – 1 BvR 1620/22 -, Rn. 10 m.w.N.).

b) Gemessen daran verstößt das Amtsgericht mit der angegriffenen Entscheidung gegen das aus Art. 3 Abs. 1 GG abgeleitete Willkürverbot. Das angegriffene Urteil enthält keinerlei Ansätze sachgerechter Feststellungen und Erwägungen zur Täterschaft des Beschwerdeführers, auf die bei einer Verurteilung nicht verzichtet werden kann.

Nach § 49 Abs. 1 Nr. 13 Variante 3 StVO handelt ordnungswidrig im Sinne des § 24 StVG, wer vorsätzlich oder fahrlässig gegen eine Vorschrift über Parkscheiben nach § 13 Abs. 1 oder Abs. 2 StVO verstößt. Das Amtsgericht hat seine Feststellungen zur Sache allein auf die verlesenen Angaben im Bußgeldbescheid, auf Lichtbilder des Fahrzeugs sowie auf den Umstand gestützt, dass der Beschwerdeführer der Halter des in Rede stehenden Fahrzeugs sei. Damit hat das Amtsgericht zu dem Verkehrsverstoß, der dem Beschwerdeführer angelastet wird, in seiner Person weder ein aktives Tun noch ein Begehen durch Unterlassen festgestellt. Die Angaben im Bußgeldbescheid – wie auch die Lichtbilder, die allein das Fahrzeug des Beschwerdeführers zeigen – haben bezüglich der Frage, ob der Beschwerdeführer das Fahrzeug bei der bestimmten Fahrt auch tatsächlich geführt hat, keinerlei Aussagekraft. Der Beschwerdeführer hat zu dem ihn betreffenden ordnungswidrigkeitenrechtlichen Vorwurf geschwiegen. Auch aus dem Umstand, dass der Beschwerdeführer Halter des in Rede stehenden Pkws ist, darf bei Fehlen jedes weiteren Beweisanzeichens nicht auf dessen Täterschaft geschlossen werden (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 31. August 1993 – 2 BvR 843/93 -, juris, Rn. 12; BGHSt 25, 365 <367 ff.>; vgl. auch OLG Hamm, Beschluss vom 20. November 1973 – 2 Ss OWi 1374/73 -, NJW 1974, S. 249; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 26. Februar 2020 – IV-2 RBs 1/20 -, juris, Rn. 5 ff.; Fromm, in: Haus/Krumm/Quarch, Gesamtes Verkehrsrecht, 3. Aufl. 2021, § 61 OWiG Rn. 1; Tiemann, in: Karlsruher Kommentar zur StPO, 9. Aufl. 2023, § 261 StPO Rn. 57).“

Angesichts der dargestellten zwischenzeitlich einhelligen Auffassung in Literatur und fachgerichtlicher Rechtsprechung zum unzureichenden Beweiswert der Haltereigenschaft als solcher ist nicht auszuschließen, dass das Amtsgericht bei sachgerechter Verfahrensweise und bei Zugrundelegung sachgerechter Erwägungen zu einer abweichenden Entscheidung gelangt wäre.“

Ich kann die Aufregung nicht so ganz verstehen. Die „Bild“ meinte gestern, titeln zu müssen: „Neuer-Richter-Beschluss: Knöllchen-Revolution für alle Autorfahrer“. Geht es noch oder: Kann man mal bitte einen Gang zurückschalten. Denn was ist an dem Beschluss bzw. der Aussage des BVerfG „neu“ und was ist bitte die „Revolution“? „Revolution“ ist „ein grundlegender und nachhaltiger struktureller Wandel eines oder mehrerer Systeme, der meist abrupt oder in relativ kurzer Zeit erfolgt.“ Das sehe ich nun wirklich nicht. Das BVerfG rügt einen Verstoß gegen das Willkürverbot, nämlich das Abweichen von einer h.M., wonach allein die Haltereigenschaft nicht ausreicht, um die Täterschaft zu begründen. Das ist, wie die zitierte Rechtsprechung zeigt, nun wirklich nicht, neu. Also warum die Welle?

Ich kenne genügend andere Stellen, an denen das BVerfG eine „Revolution“ hätte beginnen können. Ich sage nur „Messverfahren“.

 

 

Klima II: Lösen eines Klimaklebers von der Straße, oder: Gebührenbescheid der Polizei

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Und als zweite „Klima-Kleber-Entscheidung“ habe ich hier den OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 10.09.2024 – OVG 1 S 81/23 -, der sich mit der „Nachbereitung“ befasst

Und zwar hat die Polizei Berlin einen Gebührenbescheid in Höhe von 241,- EUR erlassen, mit dem die Kosten für das Lösen eines Klimaaklebers von der Straße geltend gemacht worden sind. Dagegen das Rechtsmittel zum VG, das Erfolg hatte. Und dagegen dann die Beschwerde zum OVG, die keinen Erfolg hatte. Das OVG folgt dem VG, dass davon ausgegangen ist, dass der Gebührenbescheid nicht in rechtmäßiger Weise auf §§ 1 Abs. 1, 3 Abs. 1 und Abs. 2, 6 Abs. 1, 9 Abs. 2, 10 Abs. 2 des Gesetzes über Gebühren und Beiträge (GebBtrG) i.V.m. Tarifstelle 8 des Gebührenverzeichnisses der Gebührenordnung für die Benutzung öffentlicher Einrichtungen (PolBenGebO) gestützt werden könne:

„Mit diesem Vorbringen vermag die Beschwerde nicht durchzudringen.

Die Beschwerde wendet sich nicht gegen die Feststellung des Verwaltungsgerichts, das Ablösen der Hand des Antragstellers von der Fahrbahnoberfläche und das anschließende Wegtragen sei schon deshalb nicht als Ersatzvornahme i.S.d. §§ 9 Abs. 1 lit. a), 10 VwVG zu qualifizieren, da es sich dabei um eine nicht vertretbare Handlung gehandelt habe, die der Ersatzvornahme nicht zugänglich sei.

Soweit die Beschwerde moniert, das Verwaltungsgericht habe verkannt, dass es sich bei den polizeilichen Maßnahmen um eine unmittelbare Ausführung i.S.d. § 15 ASOG – und nicht um einen Sofortvollzug i.S.d. § 6 Abs. 2 VwVG – gehandelt habe, führt dies nicht zu der Einschätzung, das öffentliche Interesse an der Vollziehung des angegriffenen Bescheides überwiege das private Interesse, von der Vollziehung einstweilen verschont zu bleiben.

Das Verwaltungsgericht hat in zutreffender Weise die Regelungen des §§ 1 Abs. 1, 3 Abs. 1 und Abs. 2, 6 Abs. 1, 9 Abs. 2, 10 Abs. 2 des Gesetzes über Gebühren und Beiträge (GebBtrG) i.V.m. Tarifstelle 8 des Gebührenverzeichnisses der Gebührenordnung für die Benutzung öffentlicher Einrichtungen (PolBenGebO) als maßgebliche Rechtsgrundlage für den Gebührenbescheid erachtet. Dem tritt die Beschwerde nicht entgegen.

Danach kann für eine unmittelbare Ausführung von Maßnahmen und Ersatzvornahmen zur Gefahrenabwehr für Personen, Sachen oder Tiere gemäß den §§ 14, 15 und 36 des ASOG, insbesondere Sicherung von Gefahrenstellen auf öffentlichem Straßenland oder Baustellensicherungen, für Personen und Tiere in Notlagen eine Gebühr zuzüglich der durch die Ersatzvornahme entstandenen Auslagen erhoben werden, sofern nicht eine speziellere Tarifstelle einschlägig ist.

Das Verwaltungsgericht hat zunächst für die hier vorliegende Sachlage – von der Beschwerde insoweit unbeanstandet – angenommen, dass die Voraussetzungen einer Ersatzvornahme nach § 10 VwVG nicht vorliegen und im Folgenden die Frage beantwortet, ob das Lösen der Klebeverbindung zwischen der Hand des Antragstellers und der Straßenoberfläche und das anschließende Wegtragen als unmittelbare Ausführung i.S.d. § 15 ASOG qualifizieren werden kann, hat dies jedoch verneint. Soweit die Beschwerde dagegen einwendet, die Abgrenzung zwischen der unmittelbaren Ausführung nach § 15 ASOG und einem Sofortvollzug nach § 6 Abs. 2 VwVG könne nicht dahingehend erfolgen, ob die Maßnahme im (mutmaßlichen) Willen des Verantwortlichen erfolgt – dann unmittelbare Ausführung – oder der entgegenstehende Wille des Verantwortlichen überwunden werden muss – dann Sofortvollzug –, denn eine Abgrenzung nach der Zwangsqualität würde zu Regelungslücken in den Bundesländern führen, die nicht über beide Institute verfügen, führt dies für das vorliegende Verfahren nicht weiter, denn im Land Berlin sind beide Institute gesetzlich geregelt. Soweit der Antragsgegner der Auffassung ist, den Streit um die Abgrenzung beider Institute habe der Landesgesetzgeber durch die Einführung des § 23 des Berliner Mobilitätsgesetzes (MobG BE) dahingehend entschieden, dass die unmittelbare Ausführung (auch) als Ausübung von Verwaltungszwang zu qualifizieren sei, steht der Senat dieser Sichtweise skeptisch gegenüber. § 23 MobG BE eröffnet den Berliner Verkehrsbetrieben (BVG) die Möglichkeit, Fahrzeuge auf Bussonderspuren, in Haltestellenbereichen und auf Wendeanlagen eigenständig umzusetzen. Zur Realisierung dürfen besonders ausgebildete Beschäftigte der BVG bestimmte Befugnisse, wie z.B. die unmittelbare Ausführung gem. § 15 ASOG (§ 23 Abs. 3 Nr. 1 lit. a MobG BE), die Ersatzvornahme gem. § 10 VwVG (§ 23 Abs. 3 Nr. 2 lit. a MobG BE) und den unmittelbaren Zwang gegenüber Sachen (§ 23 Abs. 3 Nr. 2 lit. b MobG BE) ausüben. Daraus nun aber ableiten zu wollen, der Landesgesetzgeber habe die unmittelbare Ausführung nunmehr (auch) als Ausübung von Verwaltungszwang qualifiziert mit der Folge, dass eine Abgrenzung beider Institute nur noch danach erfolgen könne, ob die Gefahrenabwehrbehörde (dann § 15 ASOG) oder eine andere Verwaltungsbehörde (dann § 6 Abs. 2 VwVG) tätig wird, erscheint keineswegs zwingend. Denn genauso gut könnte der Landesgesetzgeber im Rahmen des § 23 MobG BE nur die einzelnen Befugnisse der BVG übertragen haben, die für die Beseitigung der den Busverkehr behindernden Fahrzeuge notwendig und erforderlich sind, ohne damit eine Entscheidung über die hier aufgeworfene Frage zu treffen. Ein diesbezüglicher Wille des Gesetzgebers lässt sich der Begründung jedenfalls nicht entnehmen, denn die Regelung des § 23 MobG BE hat erst auf Vorschlag des Ausschusses für Umwelt, Verkehr und Kilmaschutz vom 7. Juni 2018 (Drs. 18/1177) während des laufenden Gesetzgebungsprozesses Eingang in das Gesetz gefunden und wird daher von der Begründung des Gesetzesentwurfs vom 27. Februar 2018 (Drs. 18/0878) nicht erfasst.

Unabhängig von den von der Beschwerde weiter aufgeworfenen Fragen, ob hier von einer konkreten Gefahr für Personen, Sachen oder Tiere ausgegangen werden kann und ob eine Gebührenpflichtigkeit auch dann besteht, wenn sich die unmittelbare Ausführung gegen den Verhaltensstörer richtet, obwohl § 13 ASOG nicht unmittelbar in der Tarifstelle 8 PolBenGebO genannt wird, kann die Beschwerde bereits deshalb keinen Erfolg haben, weil sie nicht darlegt, dass der Zweck der Maßnahme durch eine Inanspruchnahme des Verhaltensstörers nicht oder nicht rechtzeitig hätte erreicht werden können. Im Grundsatz müssen die durch einen polizeirechtlich Verantwortlichen hervorgerufenen Gefahren oder Störungen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung diesem gegenüber untersagt und ggfs. mit den Mittel des Verwaltungsvollstreckungsrechts durchgesetzt werden. Nur dann, wenn der Zweck der Maßnahme auf diesem Wege nicht oder nicht rechtzeitig erreicht werden kann, ist der Anwendungsbereich der unmittelbaren Ausführung nach § 15 ASOG eröffnet (vgl. hierzu: Pewestorf in: Pewestorf/Söllner/Tölle, Polizei- und Ordnungsrecht, 3. Auflage 2022, § 15 Rn. 5; Graulich in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, 7. Auflage 2021, Abschnitt E Rn. 296; Knape/Schönrock, Allgemeines Sicherheits- und Ordnungsgesetz für Berlin, 11. Auflage 2016, § 15 Rn. 15, 23). Bezogen auf den hier vorliegenden Fall hat der Antragsgegner aber nicht dargelegt, warum der Zweck der Maßnahme – das Freimachen der Straße für den Straßenverkehr – nicht bzw. nicht rechtzeitig mit den zur Verfügung stehenden Mitteln des Vollstreckungsrechts zu erreichen gewesen wäre. Denn es erschließt sich dem Senat nicht, warum im vorliegenden Fall der solchermaßen definierte Zweck nicht nach Auflösung der Versammlung durch Vollstreckung im Wege des unmittelbaren Zwangs gem. § 12 VwVG der gegenüber dem anwesenden Antragsteller unstreitig ausgesprochenen Aufforderung, die Fahrbahn zu verlassen (Platzverweis), erreichbar gewesen sein soll. Gegensätzliches wird auch von der Beschwerde nicht vorgetragen. Der Senat geht zwar entgegen den Ausführungen des Antragstellers nicht davon aus, dass die Verbindung seiner Hand mit der Straßenoberfläche mittels Sekundenklebers durch „wiederholtes Bewegen und Anspannen der Hand“ durch den Antragsteller selbst hätte gelöst werden können. Allerdings erscheint eine Durchsetzung der Anordnung mit den Mitteln des Vollstreckungsrechts – Anordnung der sofortigen Vollziehung mit verbundener Androhung des unmittelbaren Zwangs unter sofortiger Fristsetzung – durchaus möglich.“