BVerfG II: Karlsruhe locuta, causa „Encro“ finita? oder: BVerfG segnet BGH-Rechtsprechung zu EncroChat ab

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Und dann als zweite Entscheidung vom BVerfG der BVerfG, Beschl. v. 01.11.2024 – 2 BvR 684/22 – mit dem das BVerfG zur EncroChat-Rechtsprechung des BGH Stellung nimmt und die abgesegnet hat.

Es ging um den BGH, Beschl. v. 02.03.2022 – 5 StR 457/21 – über den ich auch berichtet hatte (vgl. Außer der Reihe: Volltext zum 5. Ss des BGH zu Encro, oder: Daten sind verwertbar – mich wundert das nicht). Dagegen ist Verfassungsbeschwerde eingelegt worden, die das BVerfG nun zurückgewiesen hat.

Das BVerfG hat die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen. Es sieht weder eine Verletzung des rechtlichen Gehörs noch eine Verletzung des Rechts auf den gesetzlichen Richter; insoweit bitte selbst lesen. Im Übrigen führt es aus:

„3. Unabhängig davon weist die Kammer darauf hin, dass auf der Grundlage der vom Bundesgerichtshof festgestellten, im vorliegenden Verfassungsbeschwerdeverfahren wie dargelegt maßgeblichen Verfahrenstatsachen eine Verletzung von Grundrechten des Beschwerdeführers nicht ersichtlich ist. Insoweit sei insbesondere angemerkt:

a) Unmittelbare Prüfungsgegenstände der Verfassungsbeschwerde sind das Urteil des Landgerichts Hamburg und der Beschluss des Bundesgerichtshofs. Die Verfassungsbeschwerde wendet sich gegen die Verwertung der aus Frankreich zur Verfügung gestellten EncroChat-Daten, soweit sie den Beschwerdeführer betreffen. Die Frage der Verwertung von im Wege der Rechtshilfe erlangten Beweismitteln ist nach nationalem Recht zu beurteilen (vgl. EuGH, Urteil vom 6. Oktober 2020, La Quadrature du Net u.a., C-511/18, C-512/18, C-520/18, EU:C:2020:791, Rn. 222; Urteil vom 30. April 2024, M.N. <EncroChat>, C-670/22, EU:C:2024:372, Rn. 128). Das gilt auch für Erkenntnisse, die mittels einer EEA gewonnen wurden (vgl. EuGH, Urteil vom 30. April 2024, M.N. <EncroChat>, C-670/22, EU:C:2024:372, Rn. 128). Maßstab für die Prüfung sind damit in erster Linie die Grundrechte des Grundgesetzes. Denn die Anwendung innerstaatlichen Rechts, das unionsrechtlich nicht vollständig determiniert ist, prüft das Bundesverfassungsgericht primär am Maßstab dieser Vorschriften (vgl. BVerfGE 152, 152 <169 Rn. 42 f.> – Recht auf Vergessen I).

b) Eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Beschwerdeführers aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG scheidet aus.

aa) (1) Die Verwertung personenbezogener Informationen in einer gerichtlichen Entscheidung greift in das allgemeine Persönlichkeitsrecht ein (vgl. BVerfGE 34, 238 <245>; 80, 367 <376, 379 f.>; 106, 28 <39, 44>; 130, 1 <35>; BVerfGK 14, 20 <23>). Das durch Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG gewährleistete allgemeine Persönlichkeitsrecht umfasst als besondere Ausprägungen unter anderem das Recht am eigenen Wort, das Recht am eigenen Bild und das Recht auf informationelle Selbstbestimmung (vgl. BVerfGE 35, 202 <220>; 54, 148 <153 f.>; 106, 28 <39>; 118, 168 <183 ff.>; 130, 1 <35>). Abhängig von der Art der in der strafgerichtlichen Entscheidung verwerteten Informationen kann ein Eingriff in das Recht am eigenen Bild (vgl. § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO) oder in das Recht am eigenen Wort (durch die Wiedergabe einer Äußerung) vorliegen (vgl. BVerfGE 106, 28 <44>; 130, 1 <35>). Ist keine speziellere Ausprägung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts betroffen, greift die Verwertung von personenbezogenen Informationen jedenfalls in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung ein. Dieses Recht gewährleistet die Befugnis, grundsätzlich selbst über die Preisgabe und Verwendung persönlicher Daten zu entscheiden (vgl. BVerfGE 65, 1 <41 f.>; 78, 77 <84>; 80, 367 <373>; 113, 29 <45 f.>; 115, 166 <187 f.>; 115, 320 <341>).

Das allgemeine Persönlichkeitsrecht ist nach Art. 2 Abs. 1 GG allerdings nicht vorbehaltlos gewährleistet. Beschränkungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts sind zum Schutz überwiegender Allgemeininteressen zulässig, wenn sie durch oder auf Grundlage eines Gesetzes, das Voraussetzungen und Umfang der Beschränkung hinreichend klar umschreibt und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit genügt, erfolgen (vgl. BVerfGE 65, 1 <44, 54>; 67, 100 <143>; 78, 77 <85>; 84, 239 <279 f.>; 92, 191 <197>; 115, 320 <344 f.>; 130, 1 <36>). Soweit Informationen aus dem Kernbereich privater Lebensgestaltung verwertet werden, ist eine Rechtfertigung des Eingriffs jedoch ausgeschlossen. Daten aus dem Kernbereich privater Lebensgestaltung unterliegen einem aus Art. 1 Abs. 1 GG folgenden absoluten Beweisverwertungsverbot im Strafprozess (vgl. BVerfGE 109, 279 <324, 331 f.>; 120, 274 <337>).

(2) Verfassungsgemäße Rechtsgrundlage für die Beweisverwertung im Strafprozess ist § 261 StPO (vgl. BVerfGE 130, 1 <29 ff.>; so zuvor bereits ohne nähere Begründung BVerfG, 2. Kammer des Zweiten Senats BVerfGK 17, 311 <314>). Für die Verwertung von Beweisen, die aus dem Ausland in ein deutsches Strafverfahren eingeführt wurden, gelten insoweit grundsätzlich keine Besonderheiten. Rechtmäßig erhobene oder in das Strafverfahren unter Wahrung der verfassungsrechtlichen Anforderungen eingeführte Informationen dürfen auf Grundlage des § 261 StPO grundsätzlich verwertet werden (vgl. BVerfGE 130, 1 <36 ff.>). Wurden Informationen rechtswidrig erlangt, besteht von Verfassungs wegen kein Rechtssatz, wonach die Verwertung der gewonnenen Informationen stets unzulässig wäre (vgl. BVerfGK 9, 174 <196>; 18, 193 <202 f.> m.w.N. zur ständigen Kammerrechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts).

Welche Folgen ein Rechtsverstoß bei der Informationserhebung oder bei der Einführung von Informationen in ein Strafverfahren hat und ob aus dem Verstoß ein Beweisverwertungsverbot folgt, obliegt in erster Linie der Beurteilung durch die zuständigen Fachgerichte (vgl. BVerfGE 130, 1 <31>; BVerfGK 4, 283 <285>; 9, 174 <196>; 14, 107 <111>; 18, 193 <203>). Die strafgerichtliche Praxis geht in gefestigter Rechtsprechung davon aus, dass dem Strafverfahrensrecht ein allgemein geltender Grundsatz, demzufolge jeder Verstoß gegen Beweiserhebungsvorschriften ein strafprozessuales Verwertungsverbot nach sich zieht, fremd ist und dass die Frage nach dem Vorliegen eines Verwertungsverbots jeweils nach den Umständen des Einzelfalls, insbesondere nach der Art der verletzten Vorschrift und dem Gewicht des Verstoßes unter Abwägung der widerstreitenden Interessen zu entscheiden ist (vgl. BVerfGK 14, 107 <111>; BGHSt 38, 214 <219 f.>; 44, 243 <249>; 51, 285 <289 f. Rn. 20>; vgl. auch Greven, in: Karlsruher Kommentar zur StPO, 9. Aufl. 2023, vor § 94 Rn. 10 ff.). Die Annahme eines Beweisverwertungsverbots stellt dabei eine Ausnahme dar, die nur nach ausdrücklicher gesetzlicher Vorschrift oder aus übergeordneten wichtigen Gründen im Einzelfall anzuerkennen ist (vgl. BGHSt 40, 211 <217>; 44, 243 <249>; 51, 285 <290 Rn. 20>).

Hiergegen ist aus verfassungsrechtlicher Sicht nichts zu erinnern (vgl. BVerfGK 9, 174 <196>; 16, 22 <27>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 1. März 2000 – 2 BvR 2017/94, 2 BvR 2039/94 -, Rn. 10 f.; Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 30. Juni 2005 – 2 BvR 1502/04 -, Rn. 8). Auch wenn die Strafprozessordnung nicht auf Wahrheitserforschung „um jeden Preis“ gerichtet ist, schränkt die Annahme eines Verwertungsverbots eines der wesentlichen Prinzipien des Strafverfahrensrechts ein, nämlich den Grundsatz, dass das Gericht die Wahrheit zu erforschen hat und dazu die Beweisaufnahme von Amts wegen auf alle Tatsachen und Beweismittel zu erstrecken hat, die von Bedeutung sind (vgl. BVerfGK 18, 193 <203>). Der Rechtsstaat kann sich nur verwirklichen, wenn ausreichende Vorkehrungen dafür getroffen sind, dass Straftäter im Rahmen der geltenden Gesetze verfolgt, abgeurteilt und einer gerechten Bestrafung zugeführt werden (vgl. BVerfGE 33, 367 <383>; 46, 214 <222>; 122, 248 <272 f.>; stRspr). Ein Beweisverwertungsverbot ist von Verfassungs wegen aber zumindest bei schwerwiegenden, bewussten oder willkürlichen Verfahrensverstößen, bei denen die grundrechtlichen Sicherungen planmäßig oder systematisch außer Acht gelassen worden sind, geboten (vgl. BVerfGE 113, 29 <61>; BVerfGK 18, 444 <449>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 15. Juli 1998 – 2 BvR 446/98 -, Rn. 14; Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 16. März 2006 – 2 BvR 954/02 -, Rn. 26 f.). Ein absolutes Beweisverwertungsverbot unmittelbar aus den Grundrechten hat das Bundesverfassungsgericht nur in den Fällen anerkannt, in denen der absolute Kernbereich privater Lebensgestaltung berührt ist (vgl. BVerfGE 34, 238 <245 f.>; 80, 367 <374 f.>; 109, 279 <324>).

bb) Die Würdigung des Bundesgerichtshofs im angegriffenen Beschluss, wonach die EncroChat-Daten keinem aus einem Verfahrensfehler abgeleiteten Beweisverwertungsverbot unterliegen, ist nach diesen Maßstäben verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Informationen aus dem Kernbereich privater Lebensgestaltung wurden im Urteil des Landgerichts nicht verwertet. Dass der Bundesgerichtshof die Verwertung der Informationen, deren Erhebung im Ausland den wesentlichen rechtsstaatlichen Grundsätzen im Sinne des deutschen und europäischen ordre public (vgl. Gleß/Wahl/Zimmermann, in: Schomburg/Lagodny, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 6. Aufl. 2020, § 73 IRG Rn. 1 ff. mit umfassenden weiteren Nachweisen) nicht widerspricht, vor dem Hintergrund der von ihm vorgenommenen Abwägung der widerstreitenden Interessen davon abhängig macht, ob die Voraussetzungen der – nicht unmittelbar anwendbaren – § 100e Abs. 6, § 100b Abs. 2 Nr. 5 Buchstabe b StPO vorliegen, und dabei auf eine Betrachtung zum Verwertungszeitpunkt abstellt, begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken; der Bundesgerichtshof unterschreitet damit das verfassungsrechtlich unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit Gebotene jedenfalls nicht. Auch gegen die Annahme des Bundesgerichtshofs, die durch französische Behörden durchgeführte Beweiserhebung habe auch nicht gegen wesentliche rechtsstaatliche Grundsätze im Sinne des nationalen und europäischen ordre public verstoßen, ist auf der Grundlage des von ihm festgestellten Sachverhalts von Verfassungs wegen nichts zu erinnern.“

Ich denke, damit dürfte die Diskussion um EncroChat und vergleichbare Messengerdienste allmählich zum Ende kommen. Besser wäre wahrscheinlich die Formulierung: „…. sollte….“.

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