Es ist noch nicht einmal Montag, High Noon, und ich habe schon meinen Aufreger der Woche. Worum geht es? Klar, es kann nur um Gebühren gehen. Was sonst? Und zwar:
Mich erreicht gerade die Mail eines Kollegen, der mir folgenden Sachverhalt mitteilt: Er ist vom Vorsitzenden einer Strafkammer zum Zeugenbeistand bestellt worden, und zwar „ für die Dauer der Vernehmung des Zeugen pp. und aller mit ihr in enger Verbindung stehenden Angelegenheiten“. Die Vernehmung war auf 10 Hauptverhandlungstermine terminiert. Nachdem die Vernehmung beendet ist, hat der Kollege seine Gebühren gegenüber der Staatskasse geltend gemacht. Er hat, was richtig ist, Grundgebühr, Verfahrensgebühr und 10 x Terminsgebühr abgerechnet.
Und dann? Nun, er bekommt – wie nicht anders zu erwarten – die Beanstandung der Rechtspflegerin, die ihm Folgendes mitteilt:
„werden Sie gebeten, die Kostenrechnung vom 31.08.2021 zu überprüfen und eine berichtigte Rechnung zu den Akten zu reichen:
Für die Vertretung bei der Dauer der Vernehmung des Zeugen pp. erhält der Beistand insgesamt nur die Einzeltätigkeitsgebühr Nr.4301 Nr.4 VV RVG in Höhe von 220,00 Euro nebst Reisekosten, §68b StPO, vgl. Gerold/Schmidt, RVG-Kommentar, 25. Auflage 2021 RVG VV 4301, Rn.14; OLG Düsseldorf lll-1Ws562/09.
Die Kosten sind insoweit zu reduzieren.“
Mal abgesehen davon, dass das der Rechtspflegerin schon sprachlich misslungen ist, es ist für mich unfassbar/unglaublich, und zwar:
1. Das Zitat „Gerold/Schmidt, RVG-Kommentar, 25. Auflage 2021 RVG VV 4301, Rn.14“ ist falsch bzw. es wird der falsche Eindruck erweckt, im „Gerold/Schmidt“ stehe an der Stelle, dass für die Tätigkeit des Zeugenbeistand nur eine Gebühr nach Nr. 4301 VV RVG an fällt. Das ist – wie gesagt – falsch. Ich bin mir da ganz sicher, weil ich Verfasser der Ausführungen bin. An der Stelle heißt es:
„Die VV 4301 Nr. 4 RVG für die Beistandsleistungen für den Beschuldigten oder einen sonstigen Verfahrensbeteiligten (vgl. VV Vorb. 4 Abs. 1 RVG). Das kann auch der Zeugenbeistand sein, wenn er (nach der hier vertretenen Ansicht) nur ausnahmsweise im Rahmen einer Einzeltätigkeit tätig wird; die wohl hM geht allerdings grds. von einer Einzeltätigkeit des Zeugenbeistands aus.1 Nimmt man bei der Tätigkeit des Zeugenbeistandes eine Einzeltätigkeit an, erstreckt sich die Beiordnung des RA als Zeugenbeistand gem. § 68b StPO auf die Dauer der Vernehmung des Zeugen und endet grds. erst mit dessen Entlassung. Wird daher die in einem Termin begonnene und mangels Entlassung des Zeugen noch nicht beendete Vernehmung in einem anderen Termin fortgesetzt, entsteht insgesamt nur eine Verfahrensgebühr nach VV 4301 RVG.2
Bei der Fußnote 1 wird dann u.a. verwiesen auf: „Zum Zeugenbeistand ? RVG VV Teil 4 Abschn. 1 Einl. Rn. 5 ff. mwN aus Rspr. und Lit. …….“.
Wenn sich die Rechtspflegerin mal die Mühe gemacht und dort nachgelesen hätte, dann hätte sie festgestellt, dass Gerold/Schmidt nicht ihrer Auffassung ist, aber, was auch wissenschaftlich sauber ist, die abweichende andere (falsche) Ansicht der OLG nicht unterschlägt, sondern sie anführt. Daraus dann aber zu entnehmen, dass der Verfasser der Auffassung sei, bei der Tätigkeit des Zeugenbeistands handele es sich um eine Einzeltätigkeit, ist – in meinen Augen „frech“.
2.2. Im Übrigen: Die Auffassung der Rechtspflegerin ist falsch. Dazu habe ich bereits vielfach geschrieben. So eben auch im Gerold/Schmidt oder auch in Burhoff7Volpert, RVG, Straf- und Bußgeldsachen, RVG 6. Aufl. 2021, Vorbem. 4.1 VV Rn 5 ff. m.w.N. Sollte man als Rechtspfleger(in), die mit solchen Dingen befasst ist, vielleicht dann doch mal lesen. Aber: Warum eigentlich? Ist ja nicht ihr Geld.
3. Ich habe dann mit dem Kollegen telefoniert und folgendes geraten:
3.1 Er wird seinen Festsetzungsantrag nicht reduzieren. Warum auch? Er ist richtig.
Er wird allerdings darauf hinweisen, dass die Formulierung der Beiordnung – „und aller mit ihr in enger Verbindung stehenden Angelegenheiten“ – und der Umfang von 10 Hauptverhandlungsterminen wohl auch nach der (falschen) Auffassung der überwiegenden Rechtsprechung kaum noch als Einzeltätigkeit (!) bezeichnet werden kann.
3.2 Wenn, womit zu rechnen ist, die Rechtspflegerin unbelehrbar ist und bei ihrer Auffassung bleibt, wird der Kollege gegen die reduzierte Festsetzung der (Un)Summe von 220 EUR Rechtsmittel einlegen.
Vielleicht hat ja die Kammer ein Einsehen und setzt dann richtig fest. Dagegen wird dann aber der Hüter der Staatskasse Rechtsmittel einlegen, so dass die Sache dann beim OLG landet. Was dabei herauskommt, kann man sich vorstellen. Ein Beschluss, in dem es heißt: Haben wir immer so gemacht und machen wir auch weiter so. Aber du kannst ja nach § 51 RVG eine Pauschgebühr beantragen.
Das wird der Kollege dann tun und im Zweifel vom zuständigen OLG-Senat dann mitgeteilt bekommen: Die 220 EUR sind nicht unzumutbar. Und es handelt sich auch nicht um ein Sonderopfer. Dazu muss man z.B. nur hier schauen.
Und dann? Dann bleibt nur noch die Verfassungsbeschwerde. Aber auch da habe ich nach dem BVerfG, Beschl. v. 22.07.2019 – 1 BvR 1955/17 – wenig Hoffnung (dazu: 200 EUR für 9,5 Stunden sind nicht unzumutbar, oder: Zum Kotzen). Das BVerfG macht in Gebührensachen inzwischen fast alles mit. Leider. Also: Im Zweifel wird der Kollege auf seinen 220 EUR „sitzen bleiben“.
Warum regt mich das so auf: Nun, dieser Fall zeigt mal wieder deutlich, wie unsinnig die Rechtsprechung der OLG in dieser Frage ist. Es kann – und es darf – aber m.E. nicht sein, dass der (Pflicht)Zeugenbeistand ggf. für seine Tätigkeit mit einem Betrag von 220 EUR abgespeist werden soll.
Die OLG halten an dieser falschen Rechtsprechung seit Jahren fest. Und sie werden darin auch noch vom (Bundes)Gesetzgeber – hier dem BMJV – unterstützt. Das hat schon beim, 2. KostRMoG vor den Ländern gekniffen und nicht auf der damals geplanten Änderung der Vorbem. 4. 1 VV RVG und der darin enthaltenen Klarstellung zugunsten des Zeugenbeistandes bestanden. Beim KostRÄG 2021 hat man dann die Situation durch die Änderung der Vorbem. 5. 1 VV RVG noch verschlimmert. Warum eigentlich? Hat denn niemand mal den sprichwörtlichen „A……. in der Hose“ und bringt die erforderlichen Änderungen endlich auf den Weg und durch? Offenbar nicht, denn sonst hätte man schon längst etwas unternommen. Und wo sind eigentlich bei solchen Fragen mal der DAV oder die BRAK? Man hat von denen dazu bisher nichts gehört. Damit könnte/sollte man sich aber mal beschäftigen. Aber Gebühren in Straf- und Bußgeldsachen hat man nicht auf der Agenda. Man muss sich nur den Katalog der Änderungen durch das KostRÄG 2021 ansehen. Für mich unfassbar.
Soweit mir erlaubt aus dem Nähkästchen: Die BRAK formuliert durchaus Forderungen. Das BMJV macht dann klar, dass dies und das am Widerstand der Länder scheitern wird. Und es kommt zu Kompromissen. Es ist Politik. Der Bund buckelt vor den Ländern.
Sie haben völlig Recht! Und warum tut der Gesetzgeber das? Weil dem Bürger (und deshalb auch der Politik) in Deutschland das Recht (trotz der Erfahrungen des Dritten Reichs und der D”D”R völlig egal ist. Weil der Deutsche Wähler meint, es betreffe ihn nicht, bis es ihm betrifft. Weil
man in Deutschland immer (trotz der Erfahrungen mit NAZI-Diktatur und D“D“R meint, „der Staat“ meine es gut mit dem „rechtschaffenen Bürger“. Und daher brauche der „rechtschaffener Bürger“ ja nichts vor dem Staat zu „verbergen“.
Wer ein „rechtschaffener Bürger“ ist, möchte aber der Staat (bzw. seine Amtswalter aber gerne selbst entscheiden. Und da stören Anwälte ja nur bei der Verurteilung. Und wenn sie schon stören, sollte man ihnen für diese Störung (als Pflichtverteidiger oder als Zeugenbeistand nicht gleich zu viel Geld aus der Staatskasse zukommen lassen (, das dann Dr Rixhterschaft für eine angemessene Besoldung fehlt). Dass dieser Wettbewerb aber selten zu Gunsten der Richterschaft ausgeht, sollte diese mittlerweile trotz „iudex non calculat“ gelernt haben….