Und zum Schluss des Tages dann noch zwei Entscheidungen zu den Bestellungsvoraussetzungen.
Zunächst der LG Halle, Beschl. v. 29.06.2020 – 10a Qs 59/20, ergangen in einem Verfahren wegen der Verbreitung kinderpornographischer Schriften. Da meint das LG zur Bestellung:
„Die von dem Verteidiger des Beschwerdeführers gegen den Beschluss des Amtsgerichts Halle (Saale) vom 30.05.2020 eingelegte sofortige Beschwerde ist gemäß § 142 Abs. 7 StPO in Verbindung mit §§ 304. 311 StPO zulässig und hat auch in der Sache Erfolg.
Das Amtsgericht hat zwar überzeugend dargelegt. dass grundsätzlich weder die Schwere der Tat. noch die Schwere der zu erwartenden Rechtsfolge oder die Schwierigkeit der Rechtslage die notwendige Mitwirkung eines Verteidigers gebietet. Insoweit wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf die zutreffenden Gründe des Amtsgericht Halle (Saale) in seinem ausführlichen Beschluss vom 20.05.2020. die sich die Kammer zu eigen macht. Bezug genommen.
Freilich ist aufgrund der Besonderheit des Verfahrensgegenstandes im vorliegenden Fall -Kinder- und Jugendpornographie — dem Beschwerdeführer sein Verteidiger als Pflichtverteidiger wegen der Schwierigkeit der Sachlage gemäß § 140 Abs. 2 StPO beizuordnen. Diese ergibt sich aus dem Umstand, dass ein unverteidigter Angeklagter gemäß § 147 Abs. 4 StPO n.F. grundsätzlich das Recht hat. unter Aufsicht amtlich verwahrte Beweisstücke — wie hier die Ausdrucke der Bilddateien in drei Beweismittelbänden —zu besichtigen, es sei denn dieser Besichtigung stehen — wie hier – überwiegende schutzwürdige Interessen Dritter entgegen. Die pornographischen Bilder betreffen den Intimbereich der abgebildeten Personen, der vor einer Besichtigung des Angeklagten außerhalb der Hauptverhandlung gewahrt werden soll, so dass ihm dieses Recht verwehrt werden müsste. Die Bilder bilden jedoch den Kern des Anklagevorwurfs, so dass sich der Angeklagte ohne deren Anschauung nicht hinreichend verteidigen könnte. In diesem Fall gebietet § 140 Abs. 2 StPO die Beiordnung eines Pflichtverteidigers, der die Bilder in der Geschäftsstelle sichten und den Angeklagten von seinen Erkenntnissen unterrichten kann (vgl. dazu M/G. StPO. 63. Auflage. § 147 Rn. 32 m.w.N.).“
Und dann habe ich noch den LG Siegen, Beschl. v. 14.07.2020 – 10 Qs 68/20 – zur Bestellung wegen „Schwere der Tat“. Der Beschluss bringt nichts Neues, daher hier nur der Leitsatz:
„Neben der dem Angeschuldigten im Verfahrens drohenden Strafe sind wegen der bei § 140 Abs. 2 StPO stets erforderlichen Gesamtbewertung aber auch sonstige schwerwiegende Nachteile zu berücksichtigen, die er infolge der drohenden Verurteilung zu gewärtigen hat. Die Grenze der Straferwartung von einem Jahr Freiheitsstrafe ist deshalb auch dann zu beachten, wenn ihr Erreichen oder Überschreiten erst infolge einer zu erwartenden Gesamtstrafenbildung in Betracht kommt.“
Danke an die Kollegen W. Siebens aus Braunschweig und H. Terjung aus Köln für die Übersendung.