Im BGH, Beschl. v. 15.10.2013 – 3 StR 154/13 – hat der BGH die Ablehnung eines Beweisantrages durch das LG in einem Betrugsverfahren beanstandet. Das LG hatte bereits 89- nach dem Vortrag des Angeklagten unzufriedener – Kunden/Zeugen vernommen. Einen Beweisantrag auf Vernehmung weiterer – zufriedener – 166 Zeugen/Kunden hat es dann mit der Begründung abgelehnt, der Beweisantrag sei nicht hinreichend bestimmt. Im Übrigen seien „die Beweismittel“ für die Entscheidung ohne Bedeutung. Für die Frage, ob sich der Angeklagte wegen Betruges strafbar gemacht habe, sei die Anzahl der zufriedenen Kunden nicht entscheidend. Auch wenn sich die Beweisbehauptungen bestätigten, würde der Anklagevorwurf nicht notwendigerweise entfallen.1. Der gestellte Antrag genügt den inhaltlichen Voraussetzungen, die an einen Beweisantrag zu stellen sind. Er enthält, ohne dass dies einer besonde-ren Erläuterung bedarf, insbesondere ausreichend bestimmte Beweistatsachen und -mittel. Diese Begründung hat der BGH u.a. deshalb beanstandet, weil die Strafkammer nicht dazu Stellung genommen habe, welchen Einfluss die unter Beweis gestellten Umstände auf ihre Überzeugungsbildung gehabt hätten.
Soweit, so gut. Der Strafkammer steht also die Vernehmung weiterer 166 Zeugen ins Haus. Oder? Nun, nicht unbedingt, denn der BGH sagt, wie sie das ggf. vermeiden kann. Denn:
1. Es bedarf hier keines näheren Eingehens darauf, ob das Landgericht den fraglichen Beweisantrag in antizipierender Würdigung der aufgestellten Beweisbehauptungen vor dem Hintergrund des in der Hauptverhandlung gewonnenen Beweisergebnisses in vollem Umfang wegen tatsächlicher Bedeutungslosigkeit der vorgebrachten Beweistatsachen rechtsfehlerfrei mit der Begründung hätte ablehnen können, selbst wenn alle 166 benannten Zeugen den in ihr Wissen gestellten Sachverhalt bestätigen würden, hätte dies angesichts der Angaben der 89 vernommenen Zeugen sowie des sonstigen bisherigen Beweisertrags keinen Einfluss auf seine Überzeugung, der Angeklagte habe die bei ihm beschäftigten Telefonisten systematisch zu irreführenden Angaben gegenüber den von ihnen angerufenen Gewerbetreibenden veranlasst. Selbst wenn dies zu verneinen wäre, wird der neue Tatrichter nicht unter allen Umständen sämtliche 166 benannten Zeugen vernehmen müssen. Sollte sich etwa durch Einvernahme einiger dieser Zeugen herausstellen, dass diese das Beweisvorbringen nicht bestätigen und der Umstand, dass sie auf die Fragebogenaktion der Polizei nicht reagierten, nicht darauf beruhte, dass durch die Firma des Angeklagten die versprochenen Werbeleistungen entsprechend den telefonischen Versprechungen zufriedenstellend erbracht worden sind, so würde – bei ansonsten identischem Beweisergebnis wie in der ersten Hauptverhandlung – jedenfalls hierdurch eine breitere und je nach den Umständen auch tragfähige Grundlage für eine antizipierende Würdigung der in das Wissen der restlichen der 166 benannten Zeugen geschaffen (vgl. zum Umfang der Beweisaufnahme in „Massenverfahren“, der zur tatrichterlichen Klärung der Voraussetzung serienmäßigen Betruges erforderlich ist, auch BGH, Beschluss vom 6. Februar 2013 – 1 StR 263/12, NStZ 2013, 422).
Man darf gespannt sein, was die Strafkammer macht, wenn man es denn erfährt.
Eine Strafkammer in Kiel schiebt seit 2009 einen Mammutprozess wegen Flirt-Chats mit 700.000 Nutzern und hat laut Handelsblatt die 300-Verhandlungstage-Marke geknackt. Ob man da vielleicht gerne die dezenten Hinweise des BGH liest?
Ich habe mal in einem Verfahren gesessen, in dem mehr als 5.000 Urkunden verlesen werden musste. Und das ist dann am 219 Verhandlungstag „geplatzt“.
Autsch. Aber hoffentlich weitgehend Selbstleseverfahren statt ausfransender Lippen?
Frohe Festtage!
nee, eben nicht. das gab es da noch nicht. erst beim 2. Anlauf :-).