Pflichti I: Bestellung eines weiteren Pflichtverteidigers, oder: Voraussetzungen und Ermessen des Vorsitzenden

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Und heute dann drei „Pflichti-Entscheidungen, also weniger als sonst 🙂 .

Zunächst kommt hier der OLG Naumburg, Beschl. v. 04.10.2024 – 1 Ws 424/24 – in dem das OLG noch einmal zu den Voraussetzungen für die Bestellung eines weiteren Pflichtverteidigers Stellung nimmt.

Der Angeklagte ist im ersten Rechtsgang durch das Urteil des LG Magdeburg vom 12.12.2022 vom Vorwurf der gemeinschaftlich mit einem Mitangeklagten  begangenen versuchten Anstiftung zu einem Mord freigesprochen worden. Der BGH hat das das Urteil mit den Feststellungen aufgehoben und zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das LG zurückverwiesen.

Bereits am 02.12.2021 war dem Angeklagten Rechtsanwalt G. als Pflichtverteidiger bestellt worden. Im April 2024 bestimmte die Vorsitzende der nunmehr zuständigen Schwurgerichtskammer – zehn Hauptverhandlungstermine vom 10.09.2024 bis zum 26.11.2024. Weitere drei Hauptverhandlungstermine bis zum 20.12.2024 blieben vorbehalten.

Mit Schreiben seines Verteidigers Rechtsanwalt G. vom 26.07.2024 beantragte der Angeklagte, ihm Rechtsanwalt S. als weiteren Pflichtverteidiger zu bestellen. Der wurde mit Beschluss vom 03.09.2024 bestellt. Dagegen wendet sich die Staatsanwaltschaft mit ihrer sofortigen Beschwerde, die keinen Erfolg hatte.

Das OLG referiert zunächst noch einmal die Grundsätze der obergerichtlichen Rechtsprechung zu Bestellung eines weiteren Verteidigers gem. § 144 Abs. 1 StPO. Es stellt sowohl die Voraussetzungen für die Bestellung als auch den im Beschwerdeverfahren nicht voll überprüfbarer Beurteilungs- und Ermessensspielraum des entscheidenden Vorsitzenden vor. Das ist nichts Neues, so dass ich auf den verlinkten Volltext verweisen kann.

Zur konkreten Sache heißt es dann:

„3. Daran gemessen ist der angefochtene Beschluss nicht zu beanstanden.

Ein Fall der notwendigen Verteidigung liegt nach § 140 Abs. 1 Nr. 1 StPO liegt vor. Auch ist weder ersichtlich, dass die Kammervorsitzende von einem falschen Sachverhalt als Entscheidungsgrundlage ausgegangen ist, noch dass sie die maßgeblichen Tatbestandsmerkmale des § 144 Abs. 1 StPO fehlerhaft angewendet hat oder sich von sachfremden Erwägungen hat leiten lassen.

Die Vorsitzende hat bei ihrer Entscheidung auf die Ankündigung des bisherigen alleinigen Pflichtverteidigers in den Schriftsätzen vom 26. Juli 2024 und vom 13. August 2024 abgestellt, es seien Beweisanträge in einem solchen Umfang zu erwarten, dass zu befürchten sei, dass die bisher anberaumten und vorbehaltenen Hauptverhandlungstermine nicht ausreichend seien. Zudem hat sie zugrunde gelegt, dass der Pflichtverteidiger gerichtsbekannt in einer Vielzahl weiterer Verfahren tätig ist. Dies hatte dieser in den genannten Schriftsätzen ebenfalls mitgeteilt, verbunden mit der Ankündigung, dass es wegen seiner Einbindung in anderweitigen Strafverfahren bei der Bestimmung weiterer Hauptverhandlungstermine zu erheblichen Schwierigkeiten kommen könne.

Damit ist die Kammervorsitzende ersichtlich von der konkreten Gefahr ausgegangen, dass aus der laufenden Hauptverhandlung heraus nach dem 20. Dezember 2024 weitere Hauptverhandlungstermine anberaumt werden müssen, an denen der bisher alleinige Pflichtverteidiger jedoch aufgrund umfangreicher Terminskollisionen nicht teilnehmen kann. Da bereits jetzt Zeugen bis zum neunten Hauptverhandlungstag geladen sind und der Pflichtverteidiger umfangreiche Beweisanträge angekündigt und zudem eingeschätzt hat, dass aufgrund seiner – gerichtsbekannten – Einbindung in eine Vielzahl von Strafverfahren seine Teilnahme an weiteren anzuberaumenden Hauptverhandlungsterminen fraglich ist, vermag der Senat in der Bewertung der Kammervorsitzenden, der spätere Ausfall des Pflichtverteidigers sei über eine abstrakt-theoretische Möglichkeit hinaus hinreichend wahrscheinlich, keinen Beurteilungsfehler zu erkennen.

Auch die – sich schlüssig aus der Begründung des angefochtenen Beschlusses ergebende – Bewertung der Kammervorsitzenden, die sachgerechte Verteidigung könne im Fall einer Verhinderung des Pflichtverteidigers nicht durch andere Maßnahmen gewährleistet werden, lässt einen durchgreifenden Beurteilungsfehler nicht erkennen. Angesichts der nach der Einschätzung der Kammervorsitzenden drohenden weitgreifenden Verhinderung des Pflichtverteidigers erschiene der Verweis auf die Bestellung eines Vertreters für einzelne Hauptverhandlungstage nicht sachgerecht. Der Umfang und die Schwierigkeit der Sache – wenn sie auch für sich genommen die Bestellung eines zusätzlichen Pflichtverteidigers nach § 144 Abs. 1 StPO nicht rechtfertigt – lassen angesichts des damit verbundenen Einarbeitungsaufwandes auch die Bestellung eines zusätzlichen Pflichtverteidigers erst im Zeitpunkt der tatsächlichen Verhinderung des bisherigen Pflichtverteidigers nicht ohne Weiteres ausreichend erscheinen.

Die Beurteilung der Kammervorsitzenden, es bestehe hier angesichts der Mitteilungen des Pflichtverteidigers vom 26. Juli 2024 und vom 13. August 2024 eine konkrete Gefahr für die zügige Durchführung eines ordnungsgemäß betriebenen Verfahrens, die die Bestellung eines weiteren Pflichtverteidigers erfordert, ist damit vertretbar. Darauf, ob der Senat bei eigener Abwägung zu dem gleichen Ergebnis gekommen wäre, kommt es wegen der – wie dargelegt – eingeschränkten Prüfungskompetenz im Beschwerdeverfahren nicht an.

Auf der Grundlage dessen vermag der Senat im Rahmen der zu prüfenden Rechtsfolgeentscheidung – dies betrifft insbesondere den Umfang der Verteidigerbestellung – ebenfalls keinen Rechtsfehler bei der tatgerichtlichen Ermessensausübung zu erkennen. Auch insoweit kommt es nicht darauf an, ob der Senat eine gleichlautende Entscheidung getroffen hätte.“

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