VR I: Verurteilung wegen verbotenen Rennens, oder: Der BGH hebt zum zweiten Mal auf, auf in die 3. Runde

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Heute ist dann ein Verkehrsrechtstag, den ich mit einer Entscheidung des BGH eröffne.

Im BGH, Beschl. v. 27.03.2024 – 4 StR 493/23 – geht es mal wieder um ein Kraftfahrzeugrennen (§ 315d StGB). „Mal wieder“ passt auch noch aus einem anderen Grund. Denn die Sache war schon einmal beim BGH. Der hatte das erste LG-Urteil mit Urteil v. v. 18.08.2022 (4 StR 377/21)  aufgehoben. Im zweiten Rechtsgang hat das LG den Angeklagten dann erneut verurteilt. Dagegen dann erneut die Revision des Angeklagten, die wieder Erfolg hatte. Ich stelle hier dann auch mal die doch recht umfangreichen Feststellungen des LG mit ein. Der BGH führt aus:

„1. Das Landgericht hat im Wesentlichen folgende Feststellungen als bindend angesehen: Am 20. Oktober 2019 befuhr der 22-jährige Angeklagte mit seinem BMW M4 kurz nach 23:00 Uhr die Bundesautobahn 9 bei Ingolstadt. Sein Fahrzeug verfügte – auch aufgrund von mittels einer für den Off-road-Betrieb bestimmten Tuning-App vorgenommenen technischen Veränderungen – über 575 PS, 850 Nm Drehmoment und eine theoretische Höchstgeschwindigkeit von 330 km/h. Wegen der durch die Veränderungen und weitere Umbauten bedingten Verschlechterung der Geräusch- und Abgasemissionen war die Betriebserlaubnis des BMW erloschen. Der von dem Angeklagten befahrene geradlinig und eben verlaufende Streckenabschnitt der A 9 verfügt über drei nicht beleuchtete Spuren mit separatem Standstreifen. Aus Lärmschutzgründen ist die Geschwindigkeit ab 1.400 m vor der tatgegenständlichen Unfallstelle in der Zeit von 22:00 Uhr bis 6:00 Uhr auf 120 km/h beschränkt, ab 750 m vor dieser auf 100 km/h. Das Verkehrsaufkommen war moderat, die Sicht war gut und die Fahrbahn trocken. Es befanden sich von Zeit zu Zeit Fahrzeuge auf allen drei Spuren. Auch die linke Spur wurde regelmäßig für Überholvorgänge genutzt.

Bereits innerhalb der Geschwindigkeitsbegrenzung auf 120 km/h überholte der links fahrende Angeklagte einen mit ca. 100 km/h auf der mittleren Fahrspur befindlichen Pkw, wechselte vor diesem zunächst auf die mittlere Spur, dann auf die rechte Spur und ließ sich anschließend hinter den Pkw zurückfallen, so dass der Pkw wieder an ihm vorbeifuhr. Anschließend wechselte er über die mittlere Spur auf die linke Spur, setzte zu einer massiven Beschleunigung an und passierte den weiterhin auf der mittleren Fahrspur fahrenden Pkw erneut mit hoher, nicht mehr näher feststellbarer Geschwindigkeit. Das gesamte Fahrmanöver nahm er in der Absicht vor, eine möglichst schnelle Beschleunigung und die höchstmögliche Geschwindigkeit zu erreichen und die Leistungssteigerung seines Fahrzeugs „auszuleben“. Dabei ignorierte er die ihm bekannten Geschwindigkeitsbegrenzungen auf 120 km/h und 100 km/h, weil er „seinen Geschwindigkeitsrausch ausleben wollte“. Wenige Sekunden später schloss er zu einem vor ihm auf der linken Fahrspur fahrenden Pkw auf und ging leicht vom Gas. Nachdem der Fahrer dieses Pkw, der den mit hoher Geschwindigkeit sich nähernden BMW bemerkt hatte, auf die mittlere Spur gewechselt war, gab der Angeklagte wieder stark Gas, überholte den Pkw mit weit überhöhter Geschwindigkeit und beschleunigte weiter auf mindestens 233 km/h.

Noch im Sichtbereich des Fahrers des zuvor überholten Pkw nahm der Angeklagte erst im letzten Augenblick den mit eingeschaltetem Abblendlicht vor ihm mittig auf der linken Spur fahrenden Audi A4 des Geschädigten wahr. Obwohl er noch eine Vollbremsung einleitete und weitest möglich nach links auswich, fuhr er mit 207 km/h auf das Heck des Audi auf. Der Geschädigte, der angeschnallt mit ca. 120 km/h auf der mittleren Spur gefahren war, hatte etwa 4,2 Sekunden vor der Kollision seinen linken Blinker gesetzt und war sodann auf die linke Spur gewechselt, um ein vor ihm mit ca. 100 km/h fahrendes Wohnwagengespann, das seinerseits einen mit etwa 85 km/h auf der rechten Fahrspur fahrenden Lkw passierte, zu überholen. Als der Geschädigte den Blinker setzte, war der Angeklagte noch 125 m entfernt. Der Geschädigte hätte zu diesem Zeitpunkt die Lichter des BMW im Rück- und Seitenspiegel erkennen und den Spurwechsel unterlassen können. Eine zutreffende Einschätzung der Position des BMW und dessen hoher Geschwindigkeit war dem Geschädigten allerdings nur eingeschränkt und nur mit hoher Fehlertoleranz möglich. Der Unfall wäre vermeidbar gewesen, wenn der Angeklagte höchstens 197 km/h gefahren wäre.

Durch den Zusammenprall schleuderte der Audi A4 über die mittlere und rechte Spur ins Bankett und überschlug sich. Der Geschädigte erlitt ein schweres Schädel-Hirn-Trauma und verstarb an der Unfallstelle. Der BMW des Angeklagten geriet ebenfalls ins Schleudern, kollidierte mit dem auf der mittleren Spur fahrenden Wohnwagengespann und überschlug sich. Aufgrund der Sicherheitsausstattung seines Fahrzeugs erlitt der Angeklagte nur leichte Verletzungen. An beiden Fahrzeugen entstand Totalschaden. An weiteren Fahrzeugen wurden hohe Sachschäden verursacht.

2. Zur subjektiven Tatseite hat das Landgericht zusätzlich festgestellt: Der Angeklagte hielt den Eintritt einer kritischen Verkehrssituation durch einen Spurwechsel anderer Verkehrsteilnehmer direkt vor ihn auf seine Fahrspur für möglich und fand sich hiermit ab. Er ging dabei jedoch ernsthaft davon aus, sein Fahrzeug auch bei hohen Geschwindigkeiten sicher beherrschen und so einen Unfall ggf. im letzten Moment verhindern zu können. Er vertraute hierdurch auf das Ausbleiben einer Kollision und eines damit einhergehenden tödlichen Erfolges.

II.

Die Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge Erfolg. Der Schuldspruch wegen verbotenen Kraftfahrzeugrennens mit Todesfolge nach § 315d Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 und 5 StGB weist einen durchgreifenden Rechtsfehler zu seinen Lasten auf. Denn die von dem hier maßgeblichen Grundtatbestand des § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB geforderte Rennabsicht des Angeklagten ist nicht festgestellt.

1. Das Landgericht hat rechtsfehlerhaft keine Feststellungen zu der für den hier einschlägigen Grundtatbestand des sog. Alleinrennens nach § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB erforderlichen Absicht des Angeklagten getroffen, mit seinem Fahrzeug eine höchstmögliche Geschwindigkeit zu erzielen. Vielmehr hat es in seinem Urteil wiederholt ausgeführt, dass eine solche Absicht nach dem Urteil des Senats bereits bindend feststehe. Dies trifft nicht zu. Die Strafkammer hat die Reichweite der Aufhebung und damit auch den Umfang der Bindungswirkung von Feststellungen verkannt.

Der Senat hat das im ersten Rechtsgang angefochtene Urteil „mit den Feststellungen zur subjektiven Tatseite“ aufgehoben (vgl. § 353 StPO). Diese Formulierung erfasst sämtliche Feststellungen zur inneren Tatseite, ohne dass der Senat Teile hiervon ausgenommen hätte. Aus dem Umstand, dass er in den Entscheidungsgründen die im Ersturteil festgestellte Absicht des Angeklagten, eine höchstmögliche Geschwindigkeit zu erreichen, als rechtsfehlerfrei festgestellt bezeichnet hat, lässt sich diesbezüglich nichts Gegenteiliges ableiten. Diese Ausführungen waren ohnehin lediglich der gebotenen Prüfungsreihenfolge bei der hier auf dem Grundtatbestand nach § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB aufbauenden Qualifikation nach § 315d Abs. 2 und 5 StGB geschuldet. Im maßgeblichen Tenor der Senatsentscheidung (vgl. BGH, Beschluss vom 28. März 2007 – 2 StR 62/07 Rn. 5; Urteil vom 27. August 2009 – 3 StR 250/09, BGHSt 54, 135, 137) haben sie hingegen keinen Niederschlag gefunden. Auch in deren Gründen findet sich im Rahmen der Ausführungen zum Aufhebungsumfang keine entsprechende Einschränkung, so dass sich schon deshalb die Frage einer Auslegung des Tenors im Sinne des landgerichtlichen Verständnisses nicht stellt.

2. Das Fehlen von Feststellungen zur Tat, hier zur subjektiven Tatseite des § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB, ist ein sachlich-rechtlicher Mangel, der auf die allgemeine Sachrüge zu beachten ist (vgl. BGH, Beschluss vom 28. März 2007 – 2 StR 62/07 Rn. 8 mwN). Da sich die Strafkammer für die Rennabsicht des Angeklagten an die Feststellungen des ersten Rechtsgangs gebunden sah, sind entsprechende Feststellungen auch der Gesamtheit der Urteilsgründe nicht zu entnehmen. Zudem beruht das Urteil auf dem Rechtsfehler (§ 337 StPO). Der Schuldspruch unterliegt daher – zugleich wegen des tateinheitlich verwirklichten Delikts (vgl. BGH, Urteil vom 16. August 2023 – 2 StR 308/22 Rn. 20) – der Aufhebung. Dasselbe gilt für die Folgeentscheidungen. Der Senat hebt auch die Entscheidung zur Feststellung einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung auf; das neue Tatgericht wird insoweit ohnehin den gesamten (auch weiteren) Verfahrensablauf zu berücksichtigen haben.

Die vom Landgericht im zweiten Rechtsgang getroffenen Feststellungen zum Gefährdungsvorsatz des Angeklagten (bei zugleich fehlendem Tötungsvorsatz) sind von dem Rechtsfehler ebenfalls betroffen (§ 353 Abs. 2 StPO). Denn das Landgericht hat den ansonsten rechtsfehlerfrei bejahten Gefährdungsvorsatz des Angeklagten auch damit begründet, dass er ein „Alleinrennen“ gefahren habe. Diese Erwägung des Landgerichts knüpft an die zu Unrecht als bindend angesehene Rennabsicht des Angeklagten an. Der Senat hebt vor diesem Hintergrund alle im zweiten Rechtsgang neu getroffenen Feststellungen ebenfalls auf.

III…..

IV.

Das im dritten Rechtsgang erkennende Tatgericht wird aufgrund eigener Beweiserwägungen Feststellungen zur subjektiven Tatseite aller in Betracht kommenden Delikte (Grund- und Qualifikationstatbestände) zu treffen haben. Dies betrifft namentlich die Rennabsicht und den Gefährdungsvorsatz des Angeklagten, die weiteren subjektiven Voraussetzungen von § 315d Abs. 1 Nr. 3, § 315c Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b) StGB (vgl. Fischer, StGB, 71. Aufl., § 315c Rn. 18) und den Tötungsvorsatz.

Auch eine Verurteilung des Angeklagten wegen eines vorsätzlichen Tötungsdelikts, sollte sich das neue Tatgericht von seinem Tötungsvorsatz überzeugen können, verböte sich nicht. Einer derartigen Verschärfung des Schuldspruchs stünden weder das Verschlechterungsverbot (§ 358 Abs. 2 StPO) noch die Bindung des neuen Tatgerichts an die Aufhebungsansicht des Senats (§ 358 Abs. 1 StPO) entgegen, die sich hierüber nicht verhält. Das neu zuständige Schwurgericht wird jedoch das Verschlechterungsverbot hinsichtlich der gegen den Angeklagten zu verhängenden Rechtsfolgen zu beachten haben, denn die Urteilsaufhebung ist nunmehr allein zu seinen Gunsten erfolgt (vgl. BGH, Urteil vom 18. September 1991 – 2 StR 288/91, BGHSt 38, 66, 67; Gericke in KK-StPO, 9. Aufl., § 358 Rn. 18 mwN).

Vorsorglich weist der Senat darauf hin, dass mangels damaliger Aufhebung auch die Feststellungen zu den persönlichen Verhältnissen des Angeklagten aus dem ersten Rechtsgang bindend sind. Sie können widerspruchsfrei ergänzt werden.“

Dann darf als die nächste Strafkammer ihr Glück versuchen. Vielleicht klappt es ja.

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