Archiv für den Monat: April 2023

StGB III: Verwenden verfassungswidriger Kennzeichen, oder: Adolf Hitler-Bild im Facebook-Post

Bild von Firmbee auf Pixabay

Und als dritte und letzte Entscheidung des Tages dann noch das BayObLG, Urt. v. 13.06.2022 – 204 StRR 116/22 – zum Verwenden von  verfassungswidriger Kennzeichen (§ 86a StGB).

Nach dem Sachverhalt hatte die Angeklagte auf ihrem Facebook-Profil „A.H.“ ein Bild gepostet, auf dem im oberen Bereich der Kopf und Teile des Oberkörpers Adolf Hitlers mit dem Kommentar „1933: Verordnung zum Schutz von Volk und Staat“ und im unteren Bereich die Bundeskanzlerin Angela Merkel mit dem Kommentar: „2020: Bevölkerungsschutzgesetz“ zu sehen ist. Der Angeklagten war sich dabei – so das AG – bewusst, dass dieses Bild von einer Vielzahl von Facebook-Nutzern wahrgenommen werden konnte. Ihr Profil war, wie sie wusste, öffentlich und für jedermann einsehbar. Sie wusste auch, dass es sich bei Adolf Hitler um den Parteivorsitzenden der ehemaligen nationalsozialistischen Arbeiterpartei handelte.

Das AG hatte die Angeklagte wegen Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen verurteilt. Das LG hatte auf die Berufung die Angeklagte frei gesprochen.

Den Freispruch hat das BayObLG auf die Revision hin aufgehoben:

„2. Diese Feststellungen zum Tatsachverhalt tragen nicht die vom Berufungsgericht gezogene Schlussfolgerung, dass die Darstellung nicht dem Schutzzweck des § 86a StGB unterfalle und den Tatbestand nicht erfülle und außerdem die Tatbestandsmäßigkeit wegen des Eingreifens der sogenannten Sozialadäquanzklausel gemäß § 86a Abs. 3 StGB i.V.m. § 86 Abs. 3 StGB a.F. (jetzt § 86 Abs. 4 StGB) entfalle.

a) Nach heute einhelliger Rechtsprechung, der sich der Senat anschließt und wovon auch das Berufungsgericht ausgeht, stellt das Kopfbild Adolf Hitlers ein verfassungswidriges Kennzeichen im Sinne des § 86a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 86 Abs. 1 Nr. 4 StGB dar (BGH, MDR 1965, 923, juris Rn. 22). Dabei kommt es nicht darauf an, ob Hitler als Führer der NSDAP, als Reichskanzler oder als Staatsoberhaupt dargestellt wird (BGHSt 28, 394, 396 = NJW 1979, 1555). Es ist ferner unerheblich, ob auf der Abbildung zusätzlich ein Hakenkreuz, das Hauptkennzeichen der NSDAP (BGHSt 28, 394, 395 = NJW 1979, 1555), oder ein zum „Deutschen Gruß“ erhobener Arm zu sehen sind (OLG München, NStZ 2007, 97, juris Rn. 14 m.w.N.). Die Organisation des damaligen NS-Staates und der diesen mit einer Vielzahl von Unterorganisationen beherrschenden Partei, der NSDAP, sowie die Ausübung aller staatlicher Hoheitsgewalt durch verschiedene Behörden waren zentral auf den „Führer Adolf Hitler“ als den Kulminationspunkt aller staatlichen Gewalt ausgerichtet. Die Person Adolf Hitlers als solche repräsentiert, ohne dass es des Hinzutretens weiterer nationalsozialistischer Symbole, Kennzeichen oder Ergänzungen bedarf, den Nationalsozialismus. Allein sein Abbild stellt damit ein Kennzeichen verfassungsfeindlicher Organisationen im Sinne des § 86a StGB dar (BGH, MDR 1965, 923, juris Rn. 22; BGHSt 28, 394, 396 = NJW 1979, 1555; OLG Celle, NJW 1991, 1497; OLG München, NStZ 2007, 97, juris Rn. 14 m.w.N.; OLG Rostock, NStZ 2002, 320, juris Rn. 26; OLG Schleswig, MDR 1978, 333).

Ein Ausnahmefall einer völlig verschiedenartige Elemente zusammenfassenden Abbildung liegt nicht vor. Der Bundesgerichtshof hat einen solchen Ausnahmefall bei einem in schwarzer Farbe gezeichneten Januskopf angenommen, „dessen linkes Antlitz die Gesichtszüge Adolf Hitlers und dessen rechtes Antlitz die Gesichtszüge des Bundestagsabgeordneten Franz-Josef S tragen“ und der auf den Körper eines Adlers aufgesetzt ist. Dies könne nicht als Kennzeichen einer ehemaligen nationalsozialistischen Organisation angesehen werden. Die Verwendung der Gesichtszüge Hitlers in einer völlig verschiedenartige Elemente zusammenfassenden Abbildung mache weder den die Gesichtszüge Hitlers darstellenden Teil der Abbildung noch diese insgesamt zu einem solchen Kennzeichen. Zwar erinnere die Wiedergabe der Gesichtszüge Hitlers an den Nationalsozialismus, seine Organisationen, Ideen und Ziele. § 86a StGB wolle aber, soweit er sich auf Kennzeichen einer ehemaligen nationalsozialistischen Organisation bezieht, diese Kennzeichen und ihre Wiedergabe, nicht aber die bezeichneten Erinnerungen von bestimmten Arten der Verwendung sowie von einer Verbreitung in der Bundesrepublik Deutschland ausschließen (BGHSt 25, 133, juris Rn. 17). Hiermit ist die verfahrensgegenständliche, nicht durch andere Gestaltungselemente veränderte Abbildung Hitlers nicht vergleichbar.

b) Durch das „Posten“ auf ihrem Facebook-Profil, das nach den vom Berufungsgericht zugrundegelegten Feststellungen öffentlich und für jedermann einsehbar war, hat die Angeklagte dieses Bild wissentlich und willentlich für eine nicht überschaubare Anzahl von Personen wahrnehmbar gemacht und somit verwendet im Sinne des § 86a Abs. 1 Nr. 1 StGB (vgl. MüKoStGB/Anstötz, 4. Aufl., § 86a Rn. 23).

c) Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts entfällt die Tatbestandsmäßigkeit des Handelns der Angeklagten nicht wegen des Eingreifens der sogenannten Sozialadäquanzklausel gemäß § 86a Abs. 3 StGB i.V.m. § 86 Abs. 3 StGB a.F. (jetzt § 86 Abs. 4 StGB). Es ist nicht erkennbar, dass die Verwendung des Hitlerbildes den in § 86 Abs. 3 StGB a.F. genannten oder ähnlichen Zwecken dienen sollte. Soweit das Berufungsgericht hierbei auf eine Ähnlichkeit zur staatsbürgerlichen Aufklärung abstellt, ist nicht ersichtlich, inwiefern die von der Angeklagten „gepostete“ Abbildung der Aufklärung über die Verbrechen des nationalsozialistischen Regimes dienen kann oder sollte. Dem Begriff der staatsbürgerlichen Aufklärung unterfallen Handlungen, die der Wissensvermittlung zur Anregung der politischen Willensbildung und Verantwortungsbereitschaft der Staatsbürger und damit der Förderung ihrer politischen Mündigkeit durch Information dienen (vgl. MüKoStGB/Anstötz, a.a.O., § 86 Rn. 37 m.w.N.). Die Gegenüberstellung eines Bildes der (damaligen) Bundeskanzlerin und eines Bildes Adolfs Hitlers unter Hinweis auf völlig inhaltsverschiedene Normen aus der jeweiligen Zeit stellt ersichtlich keine sozialadäquate Vorgehensweise und erst Recht kein Mittel einer solchen Wissensvermittlung dar.

d) Die bisherigen Feststellungen rechtfertigen auch nicht die Annahme, dass die Darstellung nicht dem Schutzzweck des § 86a StGB unterfällt.

aa) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist Zweck des § 86a StGB die Abwehr einer Wiederbelebung verbotener Organisationen oder der von ihnen verfolgten verfassungsfeindlichen Bestrebungen. Die Vorschrift dient auch der Wahrung des politischen Friedens dadurch, dass jeglicher Anschein einer solchen Wiederbelebung sowie der Eindruck bei in- und ausländischen Beobachtern des politischen Geschehens in Deutschland vermieden wird, es gebe eine rechtsstaatswidrige innenpolitische Entwicklung, die dadurch gekennzeichnet ist, dass verfassungsfeindliche Bestrebungen der durch das Kennzeichen angezeigten Richtung geduldet würden (BGHSt 52, 364 = NJW 2009, 928, juris Rn. 24). Ein solcher Eindruck und die sich daran knüpfenden Reaktionen könnten den politischen Frieden empfindlich stören. § 86a StGB will auch verhindern, dass die Verwendung von Kennzeichen verbotener verfassungsfeindlicher Organisationen – ungeachtet der damit verbundenen Absichten – sich wieder derart einbürgert, dass das Ziel, solche Kennzeichen aus dem Bild des politischen Lebens in Deutschland grundsätzlich zu verbannen, nicht erreicht wird, mit der Folge, dass sie schließlich auch wieder von den Verfechtern der politischen Ziele, für die das Kennzeichen steht, gefahrlos gebraucht werden können (vgl. BGHSt 25, 30 = NJW 1973, 106, juris Rn. 9; BGHSt 52, 364 = NJW 2009, 928, juris Rn. 28).

Hierbei setzt die Anwendbarkeit des § 86a StGB – eines abstrakten Gefährdungsdelikts (vgl. BGHSt 47, 354, juris Rn. 20; BGHSt 52, 364, juris Rn. 25) – in Bezug auf die Verwendung eines Kennzeichens aber keinen Nachweis der Unterstützung verfassungsfeindlicher Ziele, der Ziele der verbotenen Organisation oder einer mit der Verwendung verbundenen Gefährdung des demokratischen Rechtsstaates voraus. Die Vorschrift verbannt derartige Kennzeichen grundsätzlich aus dem politischen Leben in Deutschland und errichtet so ein kommunikatives Tabu (vgl. BVerfG, BVerfGK 8, 159 = NJW 2006, 3050, juris Rn. 18).

bb) Im Lichte dieses weiten Anwendungsbereichs wird § 86a StGB jedoch zusätzlich zu den von § 86 Abs. 3 StGB erfassten Tatbeständen beschränkt und es werden Verwendungen ausgenommen, die dem Zweck der Vorschrift nicht zuwiderlaufen oder sogar in seinem Sinne wirken sollen. Danach wird die Verwendung eines Kennzeichens einer verfassungswidrigen Organisation vom Anwendungsbereich des § 86a StGB nicht erfasst, wenn sich die Gegnerschaft zu der verfassungswidrigen Organisation und ihrer Ideologie offenkundig und eindeutig ergibt und ein Beobachter sie auf Anhieb zu erkennen vermag (vgl. BGHSt 51, 244 = NJW 2007, 1602, juris Rn. 12; BGHSt 52, 364 = NJW 2009, 928, juris Rn. 28). Die Ausnahme von der strafrechtlichen Verantwortlichkeit in Fällen, in denen die Gegnerschaft zu der von dem verwendeten Kennzeichen verkörperten Ideologie „offenkundig und eindeutig“ ist, stellt eine wichtige Schutzvorkehrung für die Wahrung des Rechts auf freie Meinungsäußerung dar (vgl. EGMR, Entscheidung vom 13.03.2018 – 35285/16 – Nix ./. Deutschland, juris Rn. 48). In solchen Fällen wäre eine Inkriminierung nur schwer mit dem Recht auf freie Meinungsäußerung von Personen zu vereinbaren, die gegen die Wiederbelebung von nationalsozialistischen Bestrebungen in der Weise protestieren wollen, dass sie gerade die Kennzeichen angreifen, die diese symbolisieren (vgl. BGHSt 51, 244 = NJW 2007, 1602, juris Rn. 13). So liegt es, wenn das Kennzeichen offenkundig gerade zum Zwecke einer Kritik der verbotenen Organisation oder der ihr zugrundeliegenden Ideologie eingesetzt wird (vgl. BGHSt 52, 364 = NJW 2009, 928, juris Rn. 28), die Verwendung des Kennzeichens, soweit damit die Erinnerung an den Nationalsozialismus heraufbeschworen wird, in einem nachdrücklich ablehnenden Sinn geschieht (vgl. BGHSt 25, 133, juris Rn. 22) oder der Kontext der Verwendung ergibt, dass eine Wirkung auf Dritte in einer dem Symbolgehalt des Kennzeichens entsprechenden Richtung ausscheidet (vgl. BVerfGK 8, 159 = NJW 2006, 3050, juris Rn. 23; BGHSt 25, 133, juris Rn. 20, 22). Das mag etwa der Fall sein, wenn das Kennzeichen in erkennbar verzerrter, etwa parodistischer oder karikaturhafter Weise verwendet wird (vgl. BGHSt 25, 128, juris Rn. 19, 21; BGHSt 52, 364 = NJW 2009, 928, juris Rn. 28) oder wenn – ähnlich wie in einer Wiedergabe des Kennzeichens in abwertender Verzerrung – Personen mit neonazistischer Zielsetzung in einer Wiedergabe in dem bildlichen und die Abbildung schriftlich kommentierenden Zusammenhang allenfalls eine Verhöhnung des ihnen „heiligen“ Kennzeichens erblicken würden (vgl. BGHSt 25, 133, juris Rn. 22).

Demgegenüber ist der Schutzzweck des § 86a StGB verletzt, wenn der Aussagegehalt einer Darstellung mehrdeutig oder die Gegnerschaft zu nationalsozialistischen Ideen nur undeutlich erkennbar ist (vgl. BGHSt 51, 244 = NJW 2007, 1602, juris Rn. 12). Auch reicht es in Anbetracht der Tabuisierungsfunktion der Vorschrift für einen Ausschluss einer konkreten Handlung von ihrem Anwendungsbereich nicht aus, dass sie in kritischer Absicht erfolgt (vgl. EGMR, Entscheidung vom 13.03.2018 – 35285/16 – Nix ./. Deutschland, juris Rn. 32; BVerfGK 8, 159 = NJW 2006, 3050, juris Rn. 23), wobei für eine Beurteilung der Frage, ob eine konkrete Verwendung eines Kennzeichens einer verfassungswidrigen Organisation vom Anwendungsbereich des § 86a StGB auszunehmen ist, die gesamten Umstände der Tat zu berücksichtigen sind (vgl. BGHSt 25, 30 = NJW 1973, 106, juris Rn. 12; BGHSt 52, 364 = NJW 2009, 928, juris Rn. 29).

cc) Dies zugrunde gelegt, handelt es sich nach den bisherigen Feststellungen nicht um einen Ausnahmefall der zulässigen Verwendung eines offensichtlich verbotenen Kennzeichens.

(1) Nach den bisherigen Feststellungen des Berufungsgerichts dürfte das Verhalten der Angeklagten – unabhängig von den Beweggründen, die sie dazu führten – von objektiven Beobachtern als ein Protest gegen das Vorgehen der damaligen Bundesregierung und als ein Vorwurf gegen diese, sie sei im Begriff, sich nazistischer Methoden zu bedienen, aufzufassen sein.

Damit kann die Verwendung des Hitlerbildes zwar auch als Ausdruck einer Gegnerschaft zu den Methoden des nationalsozialistischen Regimes angesehen werden, sie dient aber nicht vorrangig der Kritik an diesem System, sondern der Kritik an der damaligen Bundesregierung.

Durch die Gegenüberstellung der Bilder Hitlers und der damaligen Bundeskanzlerin als Mittel der Kritik am Vorgehen der Bundesregierung besteht gerade die Gefahr, dass die Verwendung von Kennzeichen verbotener verfassungsfeindlicher Organisationen – ungeachtet der damit verbundenen Absichten – sich wieder derart einbürgert, dass das Ziel, solche Kennzeichen aus dem Bild des politischen Lebens in Deutschland grundsätzlich zu verbannen, nicht erreicht wird.

Auch wenn die Angeklagte mit ihrer Facebook-Seite beabsichtigte, zu einer Debatte von öffentlichem Interesse beizutragen, ist die grundlose Verwendung von Kennzeichen gerade das, was die Vorschrift, die die Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen unter Strafe stellt, verhindern sollte, denn sie sollte einer Gewöhnung an bestimmte Kennzeichen zuvorkommen, indem diese aus allen Kommunikationsmitteln verbannt werden (sogenanntes „kommunikatives Tabu“). Die kritische Verwendung von Nazi-Kennzeichen reicht gerade nicht aus, um eine Person von der strafrechtlichen Verantwortlichkeit für eine solche Verwendung auszunehmen. Vielmehr ist eine eindeutige und offenkundige Gegnerschaft zur Nazi-Ideologie erforderlich (EGMR, Entscheidung vom 13.03.2018 – 35285/16 – Nix ./. Deutschland, juris Rn. 54).

Eine solche eindeutige und offenkundige Ablehnung der Nazi-Ideologie enthält der Beitrag der Angeklagten auf ihrer Facebook-Seite aber nicht.

(2) Würde es sich allerdings um eine einmalige Verwendung der Art handeln, dass das Kennzeichen nur kurz in das äußere Erscheinungsbild getreten wäre und damit eine Nachwirkung auf Dritte in einer dem Symbolgehalt dieses Kennzeichens entsprechenden Richtung von vornherein ausgeschlossen ist, bedürfte es der Feststellung besonderer Umstände, die das Handeln als einen Verstoß gegen § 86a StGB erscheinen lassen könnten. Eine solche nur kurz in das Erscheinungsbild der Öffentlichkeit tretende Verwendung hat der Bundesgerichtshof etwa beim einmaligen Zeigen des Hitlergrußes während eines Polizeieinsatzes erwogen. Demgegenüber wäre ein solcher Verstoß dann anzunehmen, wenn das Handeln der Angeklagten den Schluss rechtfertigen würde, die Verwendung dieser Kennzeichen in der Öffentlichkeit habe – dem Schutzzweck des § 86a StGB zuwider – gedroht, sich wieder einzubürgern (vgl. BGHSt 25, 30, juris Rn. 13).

Der Umstand, dass die Angeklagte die betreffende Darstellung als kritisches Statement über die Pandemiepolitik der Bundesregierung auf ihrem Facebook-Profil geteilt hat, spricht, auch wenn sie das gepostete Bild wieder von ihrer Facebook-Seite entfernt hat, als sie von der Polizei auf die Strafbarkeit aufmerksam gemacht wurde, eher nicht für eine nur kurz in das Erscheinungsbild der Öffentlichkeit tretende Verwendung. Insoweit bedürfte es jedoch weiterer Feststellungen zur beabsichtigten oder tatsächlichen Dauer der Einstellung der betreffenden Darstellung auf dem Facebook-Profil der Angeklagten.

(3) Bei der Gesamtbetrachtung ist zudem zu berücksichtigen, ob die Verwendung des Kennzeichens unbesonnen und spontan in großer Erregung erfolgte (vgl. BGHSt 25, 30, juris Rn. 14). Auch hierzu fehlen hinreichende Feststellungen.

Die Sache ist somit nicht entscheidungsreif.“

Sorry, war mal etwas mehr Text 🙂 .

StGB II: Eine Luftpumpe wie ein Gewehr vorgehalten, oder: Eine Luftpumpe ist eine Scheinwaffe

entnommen wikimedia commons
User:Hedwig von Ebbel

Und als zweite Entscheidung dann noch einmal etwas vom BGH, und zwar den BGH, Beschl. v. 28.03.2023 – 4 StR 61/23.

Das LG hat den Angeklagten wegen schweren Raubes, und zwar nach §§ 249, 250 Abs. 1 Nr 1b StGB, verurteilt. Dagegen die Revision, die der BGh nach § 349 Abs. 2 StPO verworfen hat:.

„1. Die Verurteilung des Angeklagten wegen schweren Raubes gemäß § 249 Abs. 1, § 250 Abs. 1 Nr. 1 b StGB hält rechtlicher Überprüfung stand.

a) Nach den Feststellungen wollte der Angeklagte am Abend des 26. April 2022 der Geschädigten ihre Handtasche wegnehmen, um sich Wertgegenstände und Bargeld zu verschaffen. Ihre Tasche hatte die Geschädigte, die sich in Gesellschaft von zwei Freunden rauchend vor dem Eingangsbereich einer Gaststätte befand, neben sich auf einem Tisch abgestellt. Um an die Handtasche zu gelangen, fasste der Angeklagte den Entschluss, die Geschädigte und ihre Begleiter zu bedrohen, indem er ihnen eine Luftpumpe nach Art eines Gewehres (Langwaffe) vorhielt. Er wollte dadurch erreichen, dass sie in der Annahme, es handele sich um eine Schusswaffe, aus Angst um ihre Gesundheit keinen Widerstand leisten und seinen Forderungen nachkommen würden. In Umsetzung seines Tatplans hielt er die Luftpumpe mit ausgezogenem Kolben und mit auf Brusthöhe angehobenen Armen vor sich und trat so auf die Geschädigte zu. Er hielt ihr die Luftpumpe im Abstand von 20 bis 30 Zentimetern vor das Gesicht und forderte sie auf hineinzugehen. Wie vom Angeklagten beabsichtigt, erkannten weder die Geschädigte noch ihre Begleiter die Luftpumpe als eine solche. Vielmehr besorgten sie den Einsatz einer Schusswaffe und liefen daher in das Lokal. Der Angeklagte nahm die zurückgelassene Handtasche an sich und verließ die Örtlichkeit. Bevor er sich der Tasche entledigte, entnahm er ihr das Portemonnaie der Geschädigten, um es nebst Inhalt wie u. a. Bargeld zu behalten.

b) Damit ist ein schwerer Raub festgestellt. Insbesondere begegnet die Annahme des Landgerichts, der Angeklagte habe den Qualifikationstatbestand des § 250 Abs. 1 Nr. 1 b StGB verwirklicht, keinen rechtlichen Bedenken.

aa) Die Vorschrift erfasst grundsätzlich alle bewusst gebrauchsbereit mitgeführten Gegenstände, die als Mittel zur Überwindung des Widerstands des Tatopfers mittels Gewalt oder Drohung geeignet sind, also auch sogenannte Scheinwaffen, d. h. Gegenstände, die objektiv ungefährlich sind und deren Verletzungstauglichkeit nur vorgetäuscht wird (vgl. BT-Drucks. 13/9064, S. 18; BGH, Urteil vom 18. Januar 2007 – 4 StR 394/06 Rn. 6; Fischer, StGB, 70. Aufl., § 250 Rn. 10, § 244 Rn. 26). Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sind allerdings vom Anwendungsbereich des § 250 Abs. 1 Nr. 1 b StGB aufgrund einer einschränkenden Auslegung solche Gegenstände auszunehmen, die für einen objektiven Beobachter schon nach ihrem äußeren Erscheinungsbild offensichtlich ungefährlich und deshalb nicht geeignet sind, mit ihnen – etwa durch Schlagen, Stoßen, Stechen oder in ähnlicher Weise – auf den Körper eines anderen in erheblicher Weise einzuwirken (vgl. BGH, Urteil vom 12. Juli 2017 – 2 StR 160/16 Rn. 7; Urteil vom 18. Januar 2007 – 4 StR 394/06 Rn. 7 f.; jeweils mwN; s. zu § 250 Abs. 1 Nr. 2 StGB aF BGH, Beschluss vom 9. September 1997 – 4 StR 423/97 Rn. 6; Beschluss vom 20. Juni 1996 – 4 StR 147/96 Rn. 5; Urteil vom 12. November 1991 – 5 StR 477/91, BGHSt 38, 116 ff.).

bb) Ein derartiger Fall liegt hier jedoch nicht vor. Die vom Angeklagten verwendete Luftpumpe war auch für einen objektiven Beobachter nicht offenkundig ungefährlich. Insbesondere durch ihren Einsatz als Schlagwerkzeug gegen empfindliche Körperstellen hätte mit ihr erheblich auf den Körper eines anderen eingewirkt werden können (vgl. auch BGH, Urteil vom 12. Juli 2017 – 2 StR 160/16 Rn. 8, zu einem Schlüssel). Der Gegenstand war „seiner Art nach“ (vgl. BGH, Urteil vom 4. Mai 1972 – 4 StR 134/72, BGHSt 24, 339, 341) dazu geeignet, von dem Opfer als Bedrohung wahrgenommen zu werden. Damit steht die vom Täter zugleich beabsichtigte Täuschung des Tatopfers hinsichtlich der von dem mitgeführten Gegenstand ausgehenden Drohwirkung – hier: als vermeintliche Schusswaffe – nicht derart im Vordergrund, dass die Anwendung von § 250 Abs. 1 Nr. 1 b StGB den (Wort-)Sinn des Gesetzes verfehlen würde (vgl. BGH, Urteil vom 12. November 1991 – 5 StR 477/91, BGHSt 38, 116, 119). Denn eine Täuschung des Opfers wird bei dem Gebrauch jeder „Scheinwaffe“ im Hinblick auf deren objektive Ungefährlichkeit angestrebt.“

Das ist mal wieder einer der BGH-Entscheidungen, bei denen ich mich frage: Warum muss man wenn doch nach § 349 Abs. 2 StPO verworfen wird, weil die Revision „offensichtlich unbegründet“, ist, so viele Worte machen. M.E. ist das dann für mich nicht „offensichtlich“. Der BGH hat aber wohl offensichtlich ein anderes Verständnis vom Begriff „offensichtlich“.

StGB I: Eine das Leben gefährende Behandlung, oder: Generelle Eignung, das Leben des Opfers zu gefährden

© fpic – Fotolia.com

Heute dann ein Tag mit StGB-Entscheidungen, den ich mit dem BGH, Beschl. v. 20.12.2022 – 2 StR 267/22 – eröffne.

Folgender Sachverhalt: Am 26.05.2021 trafen sich der Angeklagte und der Nebenkläger sowie weitere Personen in der Wohnung des Zeugen Z. Anlass für dieses Zusammentreffen war eine zwischen beiden geplante Aussprache, nachdem dem Angeklagten zuvor zugetragen worden war, der Nebenkläger behaupte, die Verlobte des Angeklagten, die Zeugin P. , würde ihm, dem Nebenkläger, „schöne Augen machen“.

In der Wohnung des Zeugen Z.  stellte der Angeklagte den Nebenkläger zur Rede und schlug diesem entweder mit der Faust, mit der flachen Hand oder auch der Handkante mehrmals kraftvoll gegen den Schädel und das Gesicht. Der Aufforderung des Angeklagten folgend entschuldigte sich der Nebenkläger anschließend telefonisch bei der Zeugin P. Im weiteren Verlauf schliefen der Angeklagte und der Nebenkläger – aneinander gelehnt auf einer Couch sitzend – ein. Nachdem sowohl der Angeklagte als auch der Nebenkläger zu einem nicht genau feststellbaren Zeitpunkt wieder aufgewacht waren, versetzte der Angeklagte dem Nebenkläger erneut mehrere Schläge. Dabei schlug er „überwiegend“ auf die bereits verletzten Stellen in dessen Gesicht und an dessen Schädel, so dass der Nebenkläger blutete. Die Anzahl der Schläge war nicht feststellbar, ebenso nicht, auf welche Art sie ausgeführt wurden. Durch die von dem Angeklagten gegen den Nebenkläger geführten Schläge erlitt dieser ein sog. Monokelhämatom des linken Auges einhergehend mit einer Unterblutung der Augapfelbindehaut, Einblutungen der linken Mundregion einhergehend mit Zahnabdruckverletzungen der linken Unterlippe, drei Hämatome der linken Gesichtshälfte, eine Einblutung des linken Ohres sowie weitere diffus verteilte Hautrötungen der linken Gesichtshälfte und des rechten Oberlides.

Darüber hinaus wies der Nebenkläger weitere Verletzungen auf, „deren Verursachung durch den Angeklagten nicht sicher feststellbar war“. Unter anderem zog er sich eine stark blutende Wunde an der Stirn in Form einer dreieckigen Prellmarke zu, als er zu einem nicht näher bestimmbaren Zeitpunkt von der Couch unter den Tisch rutschte. Überdies wurde bei dem Nebenkläger eine Unterblutung der harten Hirnhaut über der rechten Großhirnhalbkugel festgestellt, die zu einer Hirnstammeinklemmung mit anschließender Hemiparese führte.

Das LG hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung (§ 224 StGB) verurteilt. Dem BGH gefällt das nicht:

„Die Revision des Angeklagten hat bereits mit der Sachrüge Erfolg; auf die Verfahrensbeanstandungen kommt es daher nicht an. Die Annahme des Landgerichts, der Angeklagte habe eine gefährliche Körperverletzung im Sinne des § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB begangen, wird weder in objektiver noch in subjektiver Hinsicht von den Feststellungen getragen und lässt sich auch mit dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe nicht begründen.

1. Eine gefährliche Körperverletzung im Sinne des § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB setzt eine Körperverletzung „mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung“ voraus. Zwar muss die Tathandlung nicht dazu führen, dass das Opfer der Körperverletzung tatsächlich in Lebensgefahr gerät; jedoch muss die jeweilige Einwirkung durch den Täter nach den Umständen generell geeignet sein, das Leben des Opfers zu gefährden. Maßgeblich ist danach die Schädlichkeit der Einwirkung auf den Körper des Opfers im Einzelfall (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschluss vom 24. März 2020 – 4 StR 646/19 Rn. 6 mwN). Um die gegenüber der einfachen Körperverletzung nach § 223 Abs. 1 StGB höhere Strafandrohung begründen zu können, kommt es maßgebend auf die Gefährlichkeit der Behandlung, nicht aber auf die eingetretenen Verletzungen an. Heftige Schläge gegen den Kopf des Opfers können eine das Leben gefährdende Behandlung darstellen, wenn sie nach der Art der Ausführung der Verletzungshandlungen im Einzelfall zu lebensgefährlichen Verletzungen führen können (vgl. BGH, Urteil vom 23. Juni 1964 – 5 StR 182/64, BGHSt 19, 352; Senat, Urteile vom 8. März 1990 – 2 StR 615/89, BGHR StGB § 223a Abs. 1 Lebensgefährdung 5; vom 6. Juni 2007 – 2 StR 105/07, Rn. 5; vom 31. Juli 2013 – 2 StR 38/13, Rn. 7; Beschluss vom 11. Juli 2012 – 2 StR 60/12; BGH, Beschluss vom 7. Oktober 2021 – 6 StR 393/21).

2. Hiervon ausgehend belegen die Gründe des angefochtenen Urteils nicht, dass die durch den Angeklagten ausgeführten Schläge in objektiver Hinsicht potentiell eine Gefahr für das Leben des Nebenklägers begründeten. Dies ist weder ausdrücklich festgestellt noch ergibt sich dies aus den erlittenen Verletzungen oder aus der mitgeteilten Vorschädigung des Nebenklägers.

a) Konkrete Feststellungen zur Art und Weise, wie der Angeklagte den Nebenkläger schlug, hat die Strafkammer nicht treffen können: Zwar habe der Angeklagte – entgegen seiner Einlassung – dem Nebenkläger mindestens drei heftige Schläge gegen den Kopf versetzt. Es sei aber nicht auszuschließen, dass der Angeklagte jeweils (lediglich) mit der flachen Hand schlug. Grundsätzlich können auch Schläge mit der bloßen Hand in das Gesicht oder gegen den Kopf des Opfers eine das Leben gefährdende Behandlung sein; dies setzt jedoch Umstände in der Tatausführung oder individuelle Besonderheiten beim Tatopfer voraus, welche das Gefahrenpotential der Handlung im Vergleich zu einer „einfachen” Körperverletzung (§ 223 StGB) deutlich erhöhen (vgl. Senat, Beschluss vom 16. Januar 2013 – 2 StR 520/12, NStZ 2013, 345). Die auf die Ausführungen des Sachverständigen gestützte Feststellung, dass auch fest ausgeführte Schläge mit der flachen Hand „durchaus geeignet seien, schwerere Verletzungen hervorzurufen“, belegt nicht, dass die konkreten Schläge des Angeklagten gefährlich im Sinne des § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB waren.

b) Auch die festgestellten Verletzungen des Nebenklägers (diverse Hämatome im Gesicht sowie Einblutungen im Bereich des Mundes und an einem Ohr) sind kein Beleg einer lebensgefährdenden Behandlung im Sinne des § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB. Soweit dem Angeklagten Verletzungsfolgen zugerechnet werden konnten, ist nicht festgestellt, dass diese derart gravierend waren, dass sie nur Folge einer vorangegangenen lebensgefährdenden Behandlung sein konnten. Hinsichtlich des Ausmaßes der durch die ersten Schläge verursachten Verletzungen ist das Landgericht – gestützt auf die Angaben einer Zeugin – davon ausgegangen, der Nebenkläger habe „etwas am Auge und an der Lippe gehabt, was ein bisschen aufgeplatzt gewesen sei“. Bezüglich der vom Landgericht angenommenen nachfolgenden Gewalthandlungen teilen die Urteilsgründe mit, der Angeklagte habe „überwiegend“ auf die bereits verletzten Stellen in dessen Gesicht und an dessen Schädel geschlagen. Insgesamt habe der Sachverständige schließlich bei einer Untersuchung des Nebenklägers einen Tag nach dem Tattag Verletzungen festgestellt, die auf einem Lichtbild nach dem ersten Übergriff nicht vorhanden und die teilweise – im festgestellten Umfang – auf die Schläge des Angeklagten zurückzuführen waren. Hieraus lassen sich jedoch keine eine Verurteilung nach § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB tragenden Rückschlüsse auf die Gefährlichkeit der ersten oder der sodann folgenden Schläge ziehen; dass die Kumulation der sukzessive beigebrachten Verletzungen geeignet war, das Leben des Opfers zu gefährden, ist nicht festgestellt.

c) Ihre Annahme, die Schläge des Angeklagten seien lebensgefährdend im Sinne des § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB, wird auch nicht mit Blick auf Vorschädigungen des Nebenklägers belegt. Zwar ist auf Grundlage der Ausführungen des Sachverständigen festgestellt, dass bei dem alkoholabhängigen Nebenkläger wegen dessen derangierter – auf einer Leberzirrhose beruhenden – Blutgerinnungssituation sowie wegen dessen Sturzneigung konkrete Risikofaktoren für das Auftreten von Blutungen bestanden. Den Urteilsgründen ist aber nicht zu entnehmen, wie sich diese Risikofaktoren in Bezug auf die Schläge des Angeklagten ausgewirkt haben. Denn die Strafkammer hat sich nicht davon zu überzeugen vermocht, dass die mit der „Blutgerinnungssituation“ im Zusammenhang stehende Subduralblutung des Nebenklägers durch Einwirkungen des Angeklagten verursacht wurde. Inwiefern die „Sturzneigung“ des Nebenklägers die Gefährlichkeit der vom Angeklagten geführten Schläge auch dann erhöht hat, wenn – wovon die Strafkammer gestützt auf Zeugenaussagen ausgeht – der Nebenkläger zum Zeitpunkt der Schläge jeweils saß, erhellt sich aus den Urteilsgründen nicht.“

OWi III: Nochmals Wirksamkeit des Bußgeldbescheides, oder: Genügen die Angaben zum Tatort?

Bild von Felix Müller auf Pixabay

Und als dritte Entscheidung zum Tagesschluss dann noch der AG Rockhausen, Beschl. v. 03.04.2023 – 2a OWi 6070 Js 1673/23. Der hat auch eine Verjährungsfrage zum Gegenstand, nämlich die Wirksamkeit des wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung erlassenen Bußgeldbescheides. Das AG hat sie wegen ungenügender Angaben zum Tatort verneint:

„Es besteht ein Verfahrenshindernis hinsichtlich des Betroffenen, §§ 46 Abs 1 OWiG, 206a StPO. Die vorgeworfene Ordnungswidrigkeit vom 05.07.2022 war bereits bei Eingang der Akten am 27.01.2023 verjährt.

Weder die mit Verfügung vom 30.08.2022 angeordnete Anhörung des Betroffenen, noch der Bußgeldbescheid vom 04.11.2022 waren geeignet, die Verjährung zu unterbrechen. Voraussetzung dafür ist unter anderem, dass das Tatgeschehen hinreichend konkretisiert, also einwandfrei klar ist, welcher Lebensvorgang dem Betroffenen vorgehalten wird und dieser von denkbaren ähnlichen oder gleichartigen Sachverhalten unterscheidbar ist (BeckOK OWiG/Gertler, 37. Ed. 1.1.2023, OWiG § 33 Rn. 179 m.w.N.). Dies ist vorliegend nicht der Fall.

Sowohl in der Anhörung als auch im Bußgeldbescheid ist als Tatort „67304 Eisenberg, Ostring, FR Eisenberg“, angegeben. Eine konkretisierende Angabe, wo der Verstoß begangen wurde, ist hiermit nicht verbunden. Der Ostring in Eisenberg verläuft über eine Strecke von etwa 1,7 Km von der Ramsener Straße bis zur Einmündung Westring. Maßgeblich ist, dass die Tat — auch hinsichtlich des Begehungsorts — so genau bezeichnet wird, dass sie sich als unverwechselbar mit anderen denkbaren Taten desselben Täters darstellt und ein Bewusstsein des Täters für den ihm vorgeworfenen Verstoß bilden kann. Gerade bei Verkehrsverstößen, die sich in relativ kurzen Zeiträumen relativ häufig zu wiederholen vermögen, sind insoweit problematisch und müssen von der Bußgeldbehörde präzise konkretisiert werden (vgl. BGH, Beschluss vom 8. 10. 1970 – 4 StR 190/70, NJW 1970, 2222). Ausreichend ist im Einzelfall auch die Angabe eines markanten Punktes (Parkplatz, Hausnummer, Gebäude etc.), (vgl. OLG Koblenz, Beschluss v. 22.03.2021 – 2 Owi 6 SsBs 20/21). Ausreichende Angaben enthalten weder die Anhörung, noch der Bußgeldbescheid. Weder die Anhörung noch der Bußgeldbescheid sind mangels hinreichender Bestimmtheit geeignet die Verjährung zu unterbrechen.“

Nichts Besonderes, aber der Beschluss ruft noch einmal ins Gedächtnis, worauf man (auch) achten muss.

Im Gespräch: Entkriminalisierung der Unfallflucht, oder: Der Bundesjustizminister überlegt mal wieder

entnommen wikimediacommons

Ich stoße gerade auf die Nachricht in der SZ: Buschmann erwägt, Unfallflucht teilweise zu entkriminalisieren

Und da lese ich:

„Das Bundesjustizministerium erwägt nun, die Rechtslage teilweise zu ändern und Unfallflucht in vielen Fällen zu entkriminalisieren. Wer keinen Personen- sondern nur einen Sachschaden verursacht, würde demnach bei einer Unfallflucht künftig keine Straftat mehr begehen, sondern lediglich eine Ordnungswidrigkeit.“

Und bei der Tagesschau lese ich dann noch:

„Durch diese Herabstufung „würde einer undifferenzierten Kriminalisierung des Unfallverursachers entgegengewirkt“, hieß es dem RND zufolge in dem Ministeriumspapier. „

Und beim RND heißt es dann noch:

„…. Sprich: Wer künftig alkoholisiert einen Unfall mit Blechschaden verursacht, soll rechtlich nicht mehr gezwungen sein, am Unfallort zu bleiben und auch eine Anzeige wegen Trunkenheit am Steuer zu riskieren.“

Ich bin doch – gelinde ausgedrückt – sehr erstaunt – und wahscheinlich nicht nur ich, sondern auch andere. Für mich stellt sich die Frage: Was soll das? Und muss man an der Stelle „entkriminaliisieren“. Ist das wirklich eine „Erwägung“, sondern blinder Aktionismus unserer „hoch verehrten“ (??) BMJ. Denn:

1. M.E. gibt es genügend andere Baustellen, an denen man im BMJ mal voran machen sollte. Wie ist es z.B. mit der Abschaffung = Herunterstufung des § 265a StGB (Erschleichen von Leistungsen; Stichwort: Schwarzfahren). Da will man offenbar nicht ran; jedenfalls habe ich dazu bisher noch nichts gelesen. Das kriminalisiert man doch auch, ohne zu differenzieren. Im Übrigen: Man „entkriminalisiert“ die Trunkenheitsfahrten (teilweise) gleich mit.

2. Hat man sich mal Gedanken gemacht, wie das mit der Entkriminalisierung des § 142 StGB gehen soll? Soll jede Unfallflucht mit nur einem Sachschaden eine OWi sein/werden, also auch Sachschäden im hohen Bereich?

3. Hat man sich mal Gedanken gemacht, was da an (schwierigen) Bußgeldverfahren auf die AG zukommt? Die ganzen Probleme, die es bei der Anwendung des § 142 StGB gibt, wie z.B. Bemerkbarkeit des Unfalls usw., werden dann demnächst beim Bußgeldrichter ausgefochten. Die werden sich freuen. Und ich höre schon den Richterbund nach mehr Stellen rufen.

4. Hat man sich mal Gedanken gemacht, wie das „Vorhaben“ dann mit § 315c Abs. 1 Nr. 1 StGB in Einklang gebracht wird? Da habe ich es doch ggf. auch mit einem reinen Sachschaden zu tun, oder?

4. Hat man sich mal Gedanken gemacht, dass ein weiteres Problem auf die Rechtsprechung zukommt, nämlich die Bemerkbarkeit des Personenschadens. Das entscheidet dann ja demnächst über die Frage „OWi oder Straftat“?

5. Warum geht man nicht einen anderen Weg, um die Luft aus dem § 142 StGB zumindest teilweise herauszunehmen? Warum definiert/konkretisiert man nicht, was eine „nicht unerhebliche Verletzung“ oder ein „bedeutender Schaden“ i.S. des § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB ist, ggf. mit eine „Inflationsklausel“. Das würde zwar nicht „entkriminalisieren“, aber sicherlich in einer ganzen Reihe von Fällen die Verfahren vereinfachen.

Also Fragen über Fragen, auf die das BMJ eine Antwort wird geben müssen. Da sitzen ja Experten. Hoffentlicht. Ich meine übrigens nicht den Chef des Hauses.