StPO I: Vorläufige Einschätzung in anderem Verfahren, oder: Besorgnis der Befangenheit in Folgeverfahren?

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Ich starte in die 37. KW dann mit zwei StPO-Entscheidungen zur Besorgnis der Befangenheit.

In der ersten Entscheidung, die ich vorstelle, dem OLG Oldenburg, Beschl. v. 10.06.2022 – 1 Ws 203/22, 1 Ws 204/22 – geht es um die Frage der (Besorgnis der) Befangenheit in den Fällen de sog. Vorbefassung.

Folgender Sachverhalt:

„Die Staatsanwaltschaft Oldenburg hat unter dem 29. März 2022 gegen die Beschwerdeführer und vier weitere Angeschuldigte Anklage vor der Schwurgerichtskammer des Landgerichts Oldenburg wegen Beihilfe zu einem am TT. MM 2021 in Ort1 von dem gesondert verfolgten FF begangen Mord an GG erhoben. FF selbst ist in dem gegen ihn gesondert geführten Verfahren 5 Ks 1204 Js 72704/21 (1/22) wegen dieser Tat sowie wegen Mordes an HH, mit der er nach jesidischem Recht verheiratet war, am 13. Mai 2022 zu lebenslanger Freiheitsstrafe als Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt worden.

In dem Verfahren gegen FF hatte die Schwurgerichtskammer unter dem 26. April 2022 eine vorläufige Einschätzung der auf der Basis der bisherigen Beweisaufnahme gewonnenen Erkenntnisse abgegeben und dabei unter anderem ausgeführt, dass der Angeklagte, der fälschlicherweise von einer sexuellen Beziehung zwischen den später Getöteten ausgegangen sei, zur Tatzeit an einem lang anhaltenden Eifersuchtswahn (ICD-10: F22.0) gelitten habe. Sollte der Angeklagte die Taten auf Grund eines spontanen Tatentschlusses begangen haben, sei von einer erheblich verminderten Steuerungsfähigkeit auszugehen. Möglicherweise habe er dann auch nicht aus niedrigen Beweggründen gehandelt, so dass die beiden vorgeworfenen Taten als Totschlag zu werten seien. Wenn allerdings festgestellt würde, dass der Angeklagte spätestens während eines Treffens mit den Angeschuldigten im vorliegenden Verfahren vor Begehung der Taten diesen von einer sexuellen Beziehung zwischen den späteren Tatopfern erzählt, diese ihm geglaubt und – getragen von tradierten jesidischen Überzeugungen hinsichtlich der Ehre der Familie – zusammen mit ihm einen Plan zur Tötung beider Personen entwickelt oder ihn zumindest in einem solchen Plan bestärkt bzw. unterstützt hätten und der Angeklagte sodann im Zusammenwirken mit diesen Personen und nicht etwa autonom auf Grund eines spontanen Entschlusses die Taten begangen hätte, sei von einer voll erhalten Schuldfähigkeit auszugehen. Im Rahmen der mündlichen Urteilsbegründung am 13. Mai 2022 führte der Vorsitzende der Schwurgerichtskammer unter Darlegung der Telekommunikation zwischen FF und den Angeschuldigten und Darstellung deren Beteiligung an der Tötung des GG unter anderem aus, diese hätten – getragen von tradierten jesidischen Überzeugungen hinsichtlich der Ehre der Familie – dessen Tötung entweder mit ihm zusammen geplant oder ihn in einem solchen Plan bestärkt bzw. unterstützt.

Der Vorsitzende der Schwurgerichtskammer und die beisitzenden Richter, die auch im vorliegenden Verfahren nach der Geschäftsverteilung zuständig wären, haben unter Verweis auf die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte vom 16. Februar 2021 (1128/17 – Meng/Deutschland) unter dem 13. bzw. 16. Mai 2022 – der Vorsitzende unter Darstellung des Hinweisbeschlusses vom 26. April 2022 sowie des Inhalts der mündlichen Urteilsbegründung – Selbstanzeigen gemäß § 30 StPO abgegeben. Unter Bezugnahme auf diese Selbstanzeigen haben die Angeschuldigten AA und BB den Vorsitzenden Richter des Schwurgerichts und die Beisitzer wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt.

Mit Beschluss vom 23. Mai 2022, auf den wegen der Einzelheiten ebenso Bezug genommen wird wie auf die übrigen bezeichneten Schriftstücke, hat die wegen der Ablehnung sämtlicher Mitglieder der Schwurgerichtskammer zuständige 4. große Strafkammer unter gleichzeitiger Feststellung, dass eine Befangenheit nicht zu besorgen ist, die Befangenheitsanträge der Angeschuldigten gegen den Vorsitzenden Richter am Landgericht CC, den Vorsitzenden Richter am Landgericht DD und den Richter am Landgericht EE als unbegründet zurückgewiesen“

Dagegen die sofortige Beschwerde, die beim OLG keinen Erfolg hatte. Wegen der Einzelheiten der Begründung verweise ich auf dne verlinkten Volltext. Hier stelle ich nur den (amtlichen) Leitsatz zu der Entscheidung ein, und zwar:

Die Vorbefassung des erkennenden Richters mit einem einen anderen Tatbeteiligten betreffenden Strafverfahren vermag auch im Lichte der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 16. Februar 2021 (1128/17 – Meng/Deutschland) grundsätzlich nur dann die Besorgnis der Befangenheit zu begründen, wenn im Ursprungsverfahren hinsichtlich des nunmehr beschuldigten Tatbeteiligten über das für den Schuld- oder Rechtsfolgenausspruch Erforderliche hinausgehende Feststellungen getroffen oder hierfür entbehrliche rechtliche Bewertungen vorgenommen worden sind.

 

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