Archiv für den Monat: Juli 2022

Verkehrsrecht I: Nochmals verbotenes Rennen, oder: Nochmals verbotenes „Einzelkraftfahrzeugrennen“

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Heute mache ich einen „Verkehrsrechtstag“, also nur Entscheidungen zum Verkehrsrecht. Und alle Entscheidungen, die ich vorstelle, kommen vom KG. Das hat damit zu tun, dass ich von dort in der letzten Woche einiges an Material bekommen habe. Man hat dort „die Ecken sauber gemacht“ 🙂 . Das führt hier dann zu einem „Überhang“ an KG-Entscheidungen.

In diesem Posting stelle ich zunächst noch einmal eine Entscheidung zum verbotenen Rennen (§ 315d StGB) vor. Allerdings nur die Leitsätze, das reicht m.E., da die Entscheidung „nur“ die bereits vorliegende Rechtsprechung fortschreiben. Also hier dann der KG, Beschl. v. 29.04.2022 – (3) 161 Ss 51/22 (15/22):

    1. § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB ist verfassungsgemäß.
    2. Für die Frage, ob von einer nicht angepassten Geschwindigkeit im Sinne von § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB auszugehen ist, ist entscheidend, ob das Fahrzeug bei der Geschwindigkeit noch sicher beherrscht werden kann, wobei die zulässige Höchstgeschwindigkeit lediglich ein Indiz darstellt. Eine Fortbewegung mit nicht angepasster Geschwindigkeit ist ein gegen Geschwindigkeitsbegrenzungen verstoßendes oder der konkreten Verkehrssituation zuwiderlaufendes Fahren, wobei die Geschwindigkeit insbesondere den Straßen-, Sicht- und Wetterverhältnissen anzupassen ist. Darüber hinaus richtet sich die angepasste Geschwindigkeit auch nach der Leistungsfähigkeit des Fahrzeugführers sowie dem technischen Zustand des Fahrzeugs.
    3. Die Tatbestandsmerkmale des grob verkehrswidrigen und rücksichtslosen Verhaltens sind in gleicher Weise zu verstehen wie im Rahmen des § 315c Abs. 1 Nr. 2 StGB.
    4. Bei der „Höchstgeschwindigkeitserzielungsabsicht“ muss sich die Zielsetzung des Täters darauf richten, unter den konkreten situativen Gegebenheiten eine so hoch wie nur mögliche Geschwindigkeit zu erreichen, wobei eine weitergehende Motivation des Täters nicht ausgeschlossen ist.
    5. Im Rahmen der Beweiswürdigung kann eine valide Schätzung der gefahrenen Geschwindigkeit ausreichen.
    6. Anwendbarkeit der Regelvermutung des § 69 Abs. 2 StGB im Jugendstrafrecht.

Zustellung III: Beweiskraft der Postzustellungsurkunde, oder: Wie entkräfte ich die Beweiskraft?

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Und als dritte Entscheidung stelle ich dann noch den KG, Beschl. v. 10.06.2022 – 3 Ws (B) 162/22 – zu den Anforderungen an die Darstellung für die Entkräftung der Beweiskraft einer Postzustellungsurkunde vor.

Der Betroffene hatte einen Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde gestellt. Den hat das das KG verworfen:

„Erläuternd bemerkt der Senat:

1. Mit der Rüge der Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör dringt der Betroffene nicht durch. Sie ist nicht zulässig erhoben (§ 80 Abs. 3 Satz 3 OWiG, § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO). Zur Zulässigkeit einer dahingehenden Rüge gehört nicht nur die Darlegung der Umstände, aus denen sich der Gehörsverstoß ergibt, sondern auch, welche sachliche Einlassung des Betroffenen unberücksichtigt geblieben ist (vgl. Senat NZV 2003, 586; Beschluss vom 18. Januar 2018 – 3 Ws (B) 5/18 – [juris]). Hierzu verhält sich die Rechtsmittelschrift nicht.

2. Auch die bei der hier verhängten Geldbuße an sich statthafte (§ 80 Abs. 1 OWiG) Beanstandung der Verletzung einfachen Verfahrensrechts (der Betroffene sei nicht ordnungsgemäß geladen worden) bleibt erfolglos. Auch insoweit ist die Rüge nicht zulässig erhoben (a), und es besteht auch kein Zulassungsgrund (b).

a) Zwar kommt der Postzustellungsurkunde bei der Ersatzzustellung hinsichtlich der tatsächlichen Wohnung des Adressaten nicht die volle Beweiskraft des § 418 ZPO zu. Sie erzeugt aber eine Indizwirkung, die im Fall der Geltendmachung von nicht offen- oder aktenkundigen (vgl. OLG Frankfurt NStZ-RR 1997, 138 f.) Ladungsmängeln durch die schlüssige und plausible Darlegung konkreter gegenteiliger Anhaltspunkte entkräftet werden muss (BVerfG NStZ-RR 1997, 70 f.; OLG Stuttgart Justiz 2003, 489 m. w. N.). Für die Rechtsbeschwerde bedeutet dies, dass der Abmeldebescheinigung jedenfalls dann keine entkräftende Wirkung zukommt, wenn es weitere Hinweise darauf gibt, dass der Betroffene unter der vermerkten Anschrift wohnt, sich aber verborgen hält. Daraus folgt, dass die Rechtsbeschwerde, welche die Verfahrenstatsachen vollständig vorzutragen hat, das Ergebnis der in Bezug auf die Wohn- und Aufenthaltsverhältnisse veranlassten Ermittlungen des Tatgerichts jedenfalls dann darlegen muss, wenn diese zu Ergebnissen geführt haben, die geeignet sein können, die Ordnungsgemäßheit der Ladung zu bezeugen.

Dies ist hier unterblieben. Von Bedeutung wäre hier z. B. die folgende aktenkundige Mitteilung des Polizeireviers Bad Belzig vom 27. August 2021 gewesen: „Nach meinen Ermittlungen ist (…) X wohnhaft: …“. Unter genau dieser Anschrift ist der Betroffene auch geladen worden. ….“

Zustellung II: Fristbeginn bei Doppelzustellung, oder: Zweite Zustellung nach erstem Fristablauf

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Bei der zweiten Entscheidung, die ich vorstelle, handelt es sich um den BayObLG, Beschl. v. 06.04.2022 – 202 ObOWi 366/22 – zum Fristbeginn für die Rechtsbeschwerdeeinlegung bei Doppelzustellung eines Abwesenheitsurteils an den Betroffenen und seinen Verteidiger.

Das AG hat am 07.12.2021 gemäß § 74 Abs. 2 OWiG den Einspruch des Betroffenen gegen den Bußgeldbescheid verworfen. Das AG ordnete – entgegen § 145a Abs. 3 StPO i.V.m. § 71 Abs. 1 OWiG – die Zustellung des Urteils sowohl an den Betroffenen als auch an seinen Wahlverteidiger an. Ausweislich der Postzustellungsurkunde erfolgte die Zustellung an den Betroffenen am 09.12.2021. Das Empfangsbekenntnis, das den Zusatz enthielt, dass er zur Entgegennahme legitimiert sei, unterzeichnete der Verteidiger am 28.12.2021. Mit Schriftsatz vom 28.12.2021 beantragte der Verteidiger die Bewilligung von Wiedereinsetzung wegen Versäumung der Hauptverhandlung und legte vorsorglich Rechtsbeschwerde ein, deren Zulassung beantragt wurde. Über das Wiedereinsetzungsgesuch wurde mittlerweile rechtskräftig entschieden. Die Generalstaatsanwaltschaft hat mit Zuleitungsschrift vom 09.03.2022 beantragt, den Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde als unzulässig zu verwerfen, weil er nicht fristgerecht eingereicht worden sei.

Das BayObLG hat den Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde als unzulässig verworfen:

„…weil er entgegen § 80 Abs. 3 Satz 3 OWiG i.V.m. § 341 Abs. 1 und 2 StPO nicht innerhalb der Wochenfrist beim Amtsgericht eingereicht wurde.

a) Die Wochenfrist des § 341 Abs. 1 StPO i.V.m. §§ 80 Abs. 3 Satz 1, 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG begann, nachdem die Verkündung des Urteils in Abwesenheit des Betroffenen erfolgt war, gemäß § 341 Abs. 2 StPO i.V.m. §§ 80 Abs. 3 Satz 1, 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG mit der Zustellung des Urteils an den Betroffenen am 09.12.2021 und lief daher am 16.12.2021 ab mit der Folge, dass der erst am 28.12.2021 eingegangene Zulassungsantrag verspätet ist.

b) Auf die Zustellung des Urteils an den Verteidiger, die ausweislich des Empfangsbekenntnisses erst am 28.12.2021 bewirkt wurde, kommt es für die Fristberechnung nicht an.

aa) Allerdings folgt dies – entgegen der Annahme der Generalstaatsanwaltschaft – nicht bereits daraus, dass der Verteidiger keine Vollmacht zu den Akten gereicht hatte.

(1) Zwar setzt die gesetzliche Zustellungsvollmacht nach der insoweit einschlägigen Bestimmung des § 145a Abs. 1 StPO i.V.m. § 71 Abs. 1 OWiG voraus, dass sich eine schriftliche Vollmacht des Verteidigers bei den Akten befindet, was hier nicht der Fall war.

(2) Da aber auf dem Empfangsbekenntnis, das der Urteilszustellung an den Verteidiger beigefügt war, die Bestätigung des Verteidigers aufgedruckt war, dass er „zur Empfangnahme legitimiert“ ist, und der Verteidiger dies unterzeichnet hat, ist von einer rechtsgeschäftlichen Zustellungsvollmacht auszugehen (vgl. BayObLG, Beschl. v. 14.01.2004 – 2St RR 188/2003 = BayObLGSt 2004, 1 = NJW 2004, 1263 = wistra 2004, 198 = VRS 106, 292 (2004) = ZfSch 2004, 282 = NZV 2004, 315 = DAR 2004, 405).

bb) Gleichwohl kommt es – trotz der Bestimmung des § 37 Abs. 2 StPO, wonach sich die Fristberechnung bei Zustellungen an mehrere Empfangsberechtigte nach der zuletzt bewirken Zustellung richtet (vgl. hierzu nur BGH, Beschl. v. 02.03.2021 – 2 StR 267/20 bei juris; 01.06.2015 – 4 StR 21/15 = NStZ 2015, 540 = wistra 2015, 356) – für den Fristbeginn nach § 341 Abs. 2 StPO dann auf die erste Zustellung an, wenn die zweite Zustellung erst bewirkt wird, wenn die durch die erste Zustellung in Lauf gesetzte Frist bereits abgelaufen war, weil durch die Zustellung an einen weiteren Empfangsberechtigten nicht eine neue Frist eröffnet wird (vgl. nur BGH, Beschl. v. 12.09.2017 – 4 StR 233/17 = NStZ 2018, 153; 27.06.2017 – 2 StR 129/17 = NStZ-RR 2017, 285 = BGHR StPO § 44 Anwendungsbereich 4; 01.06.2015 – 4 StR 21/15 = NStZ 2015, 540 = wistra 2015, 356). Dies gilt selbst dann, wenn die weitere Zustellung noch vor Fristablauf angeordnet worden war (BGH, Beschl. v. 30.07.1968 – 1 StR 77/68 = BGHSt 22, 221; Meyer-Goßner/Schmitt StPO 64. Aufl. § 37 Rn. 29 m.w.N.). So lag die Verfahrenssituation aber hier: Die mit der Zustellung an den Betroffenen am 09.12.2021 in Lauf gesetzte Frist des § 341 StPO endete am 16.12.2021, sodass die erst am 28.12.2021 erfolgte Zustellung an den Verteidiger keine neue Frist mehr in Lauf setzen konnte.

Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand von Amts wegen nach § 45 Abs. 2 Satz 3 StPO i.V.m. § 46 Abs. 1 OWiG scheidet bereits deshalb aus, weil nach dem bisherigen Vortrag ein Verschulden des Betroffenen an der Versäumung der Frist nicht ausgeschlossen werden kann. Erforderlich für ein fehlendes Verschulden wäre es, dass der Betroffene seinen Verteidiger rechtzeitig, d.h. vor Ablauf der Rechtsmittelfrist, die am 16.12.2021 endete, mit der Einlegung des Rechtsmittels beauftragt hätte (st.Rspr.; vgl. nur BGH, Beschl. v. 20.12.2021 – 4 StR 439/21; 11.07.2019 – 1 StR 233/19; 02.07.2019 – 2 StR 570/18; 12.12.2018 – 3 StR 519/18; 12.07.2017 – 1 StR 240/17, bei juris; 14.01.2015 – 1 StR 573/14 = NStZ-RR 2015, 145; 23.09.2015 – 4 StR 364/15 = NStZ 2017, 172 = AnwBl 2016, 73; OLG Bamberg, Beschl. v. 23.03.2017 – 3 Ss OWi 330/17 bei juris und 24.10.2017 – 3 Ss OWi 1254/17 = OLGSt StPO § 45 Nr 20, jeweils m.w.N.). Der Verteidiger hat zwar mit dem Zulassungsantrag vom 28.12.2021 erklärt, dass dieser „namens und im Auftrag“ des Betroffenen gestellt werde. Dabei bleibt aber offen, wann der Auftrag erteilt wurde, sodass der Senat nicht prüfen kann, ob dies rechtzeitig vor Ablauf der Frist zur Anbringung des Zulassungsantrags geschah.“

Zustellung I: (Un)Wirksame Ersatzzustellung?, oder: Wenn der Betroffene angegeben hat, wo er wohnt

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In meinem Ordner hängen einige Entscheidungen zu Zustellungsfragen. Die stelle ich heute vor.

Zunächst kommt hier der schon etwas ältere BayObLG, Beschl. v. 13.12.2021 – 201 ObOWi 1475/21. Das BayObLG nimmt inb ihm noch einmal Stellung zur Frage der Zulässigkeit der Berufung auf die unwirksame Ersatzzustellung des Bußgeldbescheides.

Der Betroffene hatte im Verfahren Verjährung geltend gemacht. Dem lag folgender Verfahrensablauf zugrunde:

„Der Verkehrsverstoß war mit einem bei der Autovermietung A angemieteten Fahrzeug begangen worden. Die Firma A teilte unter dem 15.05.2020 mit, dass Mieterin die Betroffene war und kein eingetragener zweiter Mieter vorhanden sei. Als Anschrift der Betroffenen teilte die Firma A die F.-Straße 4 in M. mit. Die Zustellung des Bußgeldbescheides erfolgte ausweislich der Postzustellungsurkunde am 19.08.2020 durch Einlegung in den zum Geschäftsraum F—Straße 4 in M. gehörenden Briefkasten. Der Verteidiger hat unter dem 24.08.2020 „namens und im Auftrag der Mandantschaft“ Einspruch eingelegt. Mit Schriftsatz vom 22.09.2020 beantragte der Verteidiger die Einstellung des Verfahrens wegen Eintritts der Verfolgungsverjährung und machte geltend, dass die Betroffene weder unter dieser Anschrift in M. wohne noch dort über Geschäftsräume verfüge. An dieser Adresse befände sich lediglich eine Firma X. GmbH, die trotz desselben Namens nichts mit der Betroffenen zu tun habe; die Betroffene sei weder Geschäftsführerin noch Gesellschafterin. Bedauerlicherweise werde diese Adresse häufiger genutzt, um der Betroffenen etwas zuzustellen. Deshalb wisse diese Firma, wer der Verteidiger der Betroffenen ist, und habe deshalb dem Verteidiger den Bußgeldbescheid in Kopie weitergeleitet. Tatsächlich war die Betroffenen nur bis zum 12.12.2011 unter dieser Anschrift in M. gemeldet. Auf Anfrage die Tatrichterin vom 04.11.2020 nach der zutreffenden aktuellen Anschrift der Betroffenen teilte der Verteidiger mit Schriftsatz vom 01.12.2020 mit, dass die Betroffene bereits seit Jahren in Großbritannien wohnhaft sei. Aus dem Fahreignungsregister sei eine Entscheidung des Amtsgerichts M. aus dem Jahr 2018 erkennbar, in welcher auch die aktuelle Anschrift der Betroffenen aufgenommen worden ist. Die Tatrichterin ließ daraufhin mit Verfügung vom 02.12.2020 durch die PI M. die ladungsfähige Anschrift der Betroffenen ermitteln. Die Polizeiinspektion teilte unter dem 28.12.2020 mit, dass die Betroffene seit Jahren dem polizeilichen Sachbearbeiter aus Aufenthalts- und Ermittlungsverfahren bekannt sei. Es sei keine Adresse in Deutschland vorhanden. An der Anschrift in M. befänden sich die Büroräume der Firma X. Immobilien GmbH. Die Betroffene komme aber in unregelmäßigen Abständen vorbei. Im Gebäude wohne ihre Mutter, bei der sie hin und wieder übernachte. Bei einer telefonischen Rückfrage am 28.12.2020 gab sie gegenüber dem polizeilichen Sachbearbeiter an, dass sie derzeit beruflich in H. sei und verwies erneut auf ihre dem polizeilichen Sachbearbeiter bereits bekannte Anschrift in M. In M. seien die Angestellten angewiesen, keine behördliche Post für die Betroffene anzunehmen. Nach den Urteilsfeststellungen wurde die Betroffene am 11.06.2020 wegen eines Handyverstoßes kontrolliert und gab bei der Anhaltung an, dass sie in der F.-Straße 4 in M wohne.

Mit Verfügung vom 04.01.2021 ordnete die Tatrichterin die Zustellung der Ladung an die Betroffene an die von ihr angegebene Adresse in Großbritannien an, zusätzlich die Ladung mit einfachem Brief auch an die Adresse F.-Straße 4 in M. Der Zustellversuch in Großbritannien mit Einschreiben und Rückschein blieb (bis heute) erfolglos. Nach zwischenzeitlicher Einstellung des Verfahrens gemäß § 205 StPO und der angeordneten Aufenthaltsermittlung gab die Betroffene bei einer polizeilichen Verkehrskontrolle am 14.04.2021 an, sie sei unter der Anschrift F.-Straße 4 in M erreichbar.“

Das BayObLG sagt dazu:

„bb) Die Betroffene muss sich so behandeln lassen, als sei die Zustellung des Bußgeldbescheides am 19.08.2020 wirksam.

(1) Eine wirksame Zustellung an die Betroffene ist unter der Anschrift in M. nicht erfolgt. Nach § 51 Abs. 1 OWiG, Art. 3 Abs. 2 Satz 1 BayVwZVG gelten für die Zustellung eines Bußgeldbescheides durch die Post mittels Zustellungsurkunde die Vorschriften der §§ 177 bis 182 ZPO entsprechend. Nach §§ 178 Abs. 1, 180 Satz 1 ZPO erfordert eine Ersatzzustellung durch Niederlegung in den zur Wohnung bzw. zum Geschäftsraum (vgl. zur Gleichwertigkeit beider OLG Brandenburg, Urt. v. 22.07.2009 – 3 U 105/08 bei juris) gehörenden Briefkasten, dass der Betroffene dort tatsächlich wohnhaft ist bzw. einen Geschäftsraum unterhält (vgl. BGH, Urt. v. 16.6.2011 – III ZR 342/09 = BeckRS 2011, 18958 Rn. 13 = BGHZ 190, 99 = NJW 2011, 2440; MüKo/Häublein/Müller 6. Aufl. 2020 ZPO § 180 Rn. 2). Dies ist hier durch die getroffenen Feststellungen nicht belegt. Trotz der Namensgleichheit steht nicht fest, dass die Betroffene mit der Firma X., die unter der Anschrift F.-Straße 4 in M. einen Geschäftssitz unterhält, in geschäftlicher Verbindung steht. Es lässt sich auch nicht sicher feststellen, dass die Betroffene, die dort bis zum Jahr 2011 amtlich gemeldet war, (noch) einen Wohnsitz in M. innehat. Es genügt grundsätzlich auch nicht, dass die Betroffene den Rechtsschein gesetzt hatte, unter der genannten Anschrift über einen Wohn- bzw. Geschäftssitz zu verfügen (vgl. BGH a.a.O. Rn. 13, 14).

(2) Es stellt allerdings vorliegend eine unzulässige Rechtsausübung dar, wenn sich die Betroffene auf die Unwirksamkeit der Ersatzzustellung beruft. Die Betroffene hat nämlich den Irrtum über ihren tatsächlichen Lebensmittelpunkt bewusst und zielgerichtet herbeigeführt, sodass es ihr nach dem Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) versagt ist, sich auf die Unwirksamkeit einer Zustellung zu berufen (vgl. BGH a.a.O. Rn. 15; Beschl. v. 14.05.2019 – X ZR 94/18 = BeckRS 2019, 19203 = NJW 2019, 2942; OLG Dresden, Beschl. v. 26.10.2020 – 4 U 1563/20 = BeckRS 2020, 37503), was auch auf keine durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken stößt (vgl. BVerfG NJW-RR 2010, 421). Diese Grundsätze gelten für die Zustellung eines Bußgeldbescheides in gleicher Weise (vgl. BayObLGSt 2004, 33 = DAR 2004, 281) und sind insbesondere für die Fälle anerkannt, dass sich der Adressat dolos als an dem entsprechenden Wohn- bzw. Geschäftsort aufenthältlich geriert, seinen Schriftwechsel unter dieser Anschrift führt und seine Post dort abholt (vgl. OLG Hamm NStZ 2015, 525; OLG Jena NStZ-RR 2006, 238).

Demnach muss sich die Betroffene vorliegend so behandeln lassen, als habe sie unter der Anschrift F.-Straße 4 in M. einen Wohn- oder Geschäftssitz. Die Betroffene hatte gegenüber der Autovermietung die genannte Adresse als Wohnanschrift genannt, sodass sie zurechenbar den Rechtsschein gegenüber den Bußgeldbehörden gesetzt hatte, sie sei unter dieser Anschrift im Zusammenhang mit eventuellen Verkehrsverstößen postalisch erreichbar. Es kommt hinzu, dass die Betroffene am 11.06.2020 und damit vor Zustellung des hier verfahrensgegenständlichen Bußgeldbescheides wegen eines Verstoßes gegen § 23 Abs. 1a StVO kontrolliert wurde und bei der Kontrolle angab, dass sie unter der genannten Anschrift in M. wohne. Gleiches gab sie – wenn auch nach dem verfahrensgegenständlichen Vorfall – bei einer Verkehrskontrolle am 14.04.2021 an. Damit setzt die Betroffene fortlaufend zurechenbar den Rechtsschein, dort postalisch erreichbar zu sein.

Entgegen diesem von ihr gesetzten Rechtsschein gibt sie in einem Telefonat vom 28.12.2020 gegenüber dem mit der Aufenthaltsermittlung beauftragten Polizeibeamten an, dass die Angestellten der Firma X. angewiesen seien, keine Zustellungen für sie entgegenzunehmen. Auch aus dem Schriftsatz des Verteidigers vom 22.09.2020 ergibt sich, dass „bedauernswerterweise häufiger diese Adresse genutzt wird, um der Betroffenen etwas zuzustellen“, was angesichts der vorgenannten Umstände naheliegend darauf zurückzuführen ist, dass die Betroffene die Anschrift in M. als ladungsfähige Adresse benennt. Vorliegend erfolgte die Niederlegung in den Briefkasten der Firma X. am 19.08.2020 und bereits mit Schriftsatz vom 24.08.2020 hat der Verteidiger Einspruch eingelegt. In der Gesamtschau lässt dies nur den Schluss zu, dass die Betroffene zurechenbar den Anschein gesetzt hat, in M. wohnhaft bzw. zumindest postalisch erreichbar zu sein, sodass es ihr nach den Grundsätzen von Treu und Glauben verwehrt ist, sich auf einen Zustellungsmangel zu berufen.“

Lösung zu: Ich habe da mal eine Frage: Können wir die Haftpflichtprämie als “zusätzliche Kosten” abrechnen?

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Am Freitag hatte ich die Frage: Ich habe da mal eine Frage: Können wir die Haftpflichtprämie als “zusätzliche Kosten” abrechnen?, eingestellt. Hier die Antwort, die der Fragesteller von mir erhalten hat:

Ich meine, dass die Prämie nicht als Auslagen geltend gemacht werden kann. Es handelt sich um Geschäftskosten (Vorbem. 7 Anm. 1 Satz 1). Das folgt m.E. auch aus der Regelung in der Nr. 7007 VV RVG. Dort ist eine Sonderregelung für Haftpflichtprämien, die Ihren Fall (leider) nicht erfasst. Daraus wird man den Schluss ziehen können, dass in anderen Fällen die Prämie nicht geltend gemacht werden kann. Im Übrigen verwiese ich auf: https://blog.burhoff.de/2018/03/47264/. Meine Auffassung dürfte dadurch gestützt sein.

Ich weiß, dass Ihnen das Ergebnis nicht gefällt. Und es passt auch nicht. Denn einerseits sind die Gebühren bei der Nr. 4142 VV für den Pflichtverteidiger über § 49 RVG gedeckelt, andererseits haftet der RA aber und kann die Prämie für die Versicherung dann doch nicht geltend machen. Der Wahlanwalt bekommt aber zumindest die höheren Gebühren.

Ihre Idee über § 46 Abs. 2 RVG ist ein Weg. Bringt aber m.E. nichts. Kostet aber auch nichts.

Und: Ich habe mich, da es ja kein alltägliches Problem ist, bei Herrn Volpert, der die Nrn. 7000 VV in unserem Kommentar bearbeitet, vergewissert. Wir stimmen überein.“

Und dann mal wieder <<Werbemodus an>>: Unseren RVG-Kommentar in der 6. Auflage kann man hier bestellen. Nur Mut 🙂 << Werbemodus aus.