Archiv für den Monat: Mai 2022

Wochenspiegel für die 19. KW., das war Corona, beA, Blogbeiträge, Vereinsrecht und „Exekutor“

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Es ist Sonntagvormittag und damit Zeit für den Wochenspiegel, also den Überblick, was es so in den anderen Blogs gegeben hat. Und das war:

  1. BVerfG: Coronabedingte Beschränkungen der Gastronomie durch Bundesnotbremse verfassungsgemäß
  2. BVerfG: Verstoß gegen Grundsatz der prozessualen Waffengleichheit in presserechtlichem einstweiligen Verfügungsverfahren durch Erlass der einstweiligen Verfügung ohne vorherige Anhörung
  3. Entwurf eines Gesetzes zur Ermöglichung digitaler Mitgliederversammlungen im Vereinsrecht,

  4. BGH zur Zulässigkeit einer Klageerhebung unter c/o-Anschrift

  5. LG Koblenz: Irreführung Werbung mit Telefon-Flatrate, wenn Servicerufnummern ausgenommen sind

  6. Blogbeiträge besser „anteasern“ mit WordPress,

  7. BGH: Per beA eingereichter Schriftsatz mit Speicherung auf Intermediär-Server des Gerichts eingegangen auch wenn Weiterleitungsfähigkeit gerichtsintern am Umlaut „ü“ im Dateinamen scheitert
  8. Kann der Auskunftsanspruch nach Art. 15 DS-GVO rechtsmissbräuchlich sein? Ja, sagt das LAG Sachsen!

  9. (Un-)Fairness bei den CO2-Kosten: Die Einigung der Bundesregierung

  10. und aus meinem Blog: StPO II: Ist die erschienene Person der Angeklagte?, oder: War der “Exekutor des B.” der Angeklagte?

beA II: (Zwangs)Vollstreckung einer Geldstrafe, oder: Auch Vollstreckungsaufträge der StA nur elektronisch

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Und dann moch etwas zum beA aus dem strafverfahrensrechtlichen Bereich, und zwar den AG Erfurt, Beschl. v. 11.4.2022 – M 1093/22. Der Beschluss stammt aus einem Vollstreckungsverfahren, in dem die Staatsanwaltschaft (Gläubigerin) gegen den Verurteilten (Schuldner) die Zwangsvollstreckung einer Geldstrafe aus einem Strafbefehl des AG Erfurt betreibt. Mit Schreiben vom 26.01.2022 hat die StA/Gläubigerin auf schriftlichem Wege einen Vollstreckungsauftrag gegenüber der zuständigen Obergerichtsvollzieherin über die Gerichtsvollzieherverteilerstelle des AG Erfurt erteilt. Darin beantragte sie u.a. die Einholung einer Vermögensauskunft.

Diesem Antrag folgte die Gerichtsvollzieherin nicht. Sie erbat mit Schreiben vom 08.03.2022 die elektronische Übermittlung eines Vollstreckungsantrags und berief sich dabei auf die Norm des § 130d ZPO. Dem wiederum kam die StA/Gläubigerin unter Darlegung der eigenen Rechtsauffassung nicht nach und beharrte auf die Durchführung des Vollstreckungsauftrages.

Die Gerichtsvollzieherin hat dem Anliegen nicht abgeholfen und hat die Sache dem Vollstreckungsgericht zum 14.03.2022 als Erinnerung vorgelegt. Das hat die Erinnerung zurückgewiesen:

„Der Antrag ist jedoch unbegründet. Die Ablehnung des Vollstreckungsauftrages erfolgte zu Recht, denn der Auftrag ist nicht auf dem vorgeschriebenen elektronischen Wege erteilt worden. Damit folgt die Unwirksamkeit des formfehlerhaften Auftrages.

Die Staatsanwaltschaft trifft eine Nutzungspflicht hinsichtlich der elektronischen Übermittlungswege für Vollstreckungsaufträge gegenüber dem jeweiligen Vollstreckungsorgan aus § 130 d ZPO. Die Staatsanwaltschaft vollstreckt Forderungen gem. § 459 StPO nach den Vorschriften des Justizbeitreibungsgesetzes. Der § 6 JBeitrG ordnet ausdrücklich die sinngemäße Anwendung u. a. des § 753 Abs. 5 ZPO an, welcher seinerseits die entsprechende Geltung von § 130 d ZPO statuiert. Laut § 130 d Satz 1 ZPO sind insbesondere behördliche Anträge, d. h. auch solche der Staatsanwaltschaften, als elektronisches Dokument einzureichen.

Ausnahmen von dieser Regelung sind allein im Rahmen von § 130 d Satz 2 ZPO zugelassen, namentlich bei vorübergehenden technischen Hindernissen. Derartige Hindernisse wurden von der Erinnerungsführerin jedoch nicht vorgebracht.

Soweit sich die Erinnerungsführerin auf die Vorschrift des § 32b StPO beruft, kann sie mit diesem Einwand nicht gehört werden. § 32b StPO behandelt ausweislich des Wortlauts, der systematischen Stellung in der StPO und der Gesetzesbegründung die elektronische Strafaktenführung und die Kommunikation zwischen Strafverfolgungsbehörden und Strafgerichten im Rahmen des Strafverfahrens. Regelungsgegenstand ist allein die Kommunikation unter den am Strafverfahren unmittelbar beteiligten Behörden und Gerichten (BTDrs. 18/9416 S. 49). Bezweckt ist die Ermöglichung einer effektiven Kommunikation zwischen den Verfahrensbeteiligten unter Berücksichtigung der strafprozessualen Verfahrensbesonderheiten. Der Verzicht auf den Zwang zur Benutzung elektronischer Übermittlungswege soll gewährleisten, dass dem Straferkenntnisverfahren eigene, zeitkritische Erklärungen nicht aus technischen Gründen ausfallen und die Verfahrensdurchführung gefährden. Eine Erstreckung des Anwendungsbereichs auf Organe der Zwangsvollstreckung entspricht dieser Intention nicht. Die Vollstreckung von Geldstrafen ist nicht in der geschilderten Weise durch kurzfristige Ausfälle bedroht, noch unterliegt sie anderen strafverfahrensrechtlichen Eigenheiten, sodass der von § 32b StPO geschaffene Ausnahmetatbestand auch bei sinngemäßer Anwendung des § 130 d ZPO keine Berücksichtigung finden kann.

Zudem trifft § 32b StPO in Bezug auf Vollstreckungsaufträge keine „andere Bestimmung“ im Sinne von § 459 StPO. Die StPO trifft über die Kommunikation mit den Vollstreckungsorganen nach dem oben genannten überhaupt keine Aussage. Der Vollstreckungsauftrag ist kein strafverfolgungsbehördliches Dokument (so auch: AG Nordhorn Beschl. v. 11.3.2022 – 4 M 3123/22, BeckRS 2022, 4362).

§ 32b StPO wird vielmehr von der ausdrücklichen Spezialreglung aus § 459 StPO i. V. m. § 6 Abs. 1 Nr. 1 JBeitrG i. V. m. § 753 Abs. 5 ZPO verdrängt. Der Gesetzgeber hat mit der genannten Verweisung gerade nicht von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, die Staatsanwaltschaft von der Teilnahme am elektronischen Rechtsverkehr gänzlich auszunehmen. Eine derartige Ausnahme stünde zudem im Widerspruch mit der Entstehungsgeschichte und dem Zweck des § 130 d ZPO, welcher die Nichtnutzung des elektronischen Rechtsverkehrs durch eine qualifizierte Minderheit gerade auszuschließen bezweckt.“

beA I: War die Zustellung des Urteils fehlerhaft?, oder: Übermittlung der Urteilsabschrift an beA reicht

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Und im Kessel Buntes dann heute zweimal beA.

Ich beginne mit dem BGH, Wrt. v. 11.02.2022 – V ZR 15/21. In dem Verfahren nimmt der Kläger nimmt die Beklagte auf Herausgabe eines Pkw, hilfsweise auf Zahlung in Anspruch in Anspruch. In der mündlichen Verhandlung vor dem LG hat er beantragt, die Beklagte durch Versäumnisurteil zu verurteilen. Nachdem das LG die mündliche Verhandlung geschlossen und eine Entscheidung am Ende des Sitzungstages angekündigt hatte, hat es die Sache am selben Tag wieder aufgerufen. In dem mit vollem Rubrum versehenen Protokoll heißt es: „Im Namen des Volkes ergeht das folgende Versäumnisurteil:“; daran schließt sich ein Urteilstenor an, mit dem der Klage stattgegeben worden ist.

Dem Prozessbevollmächtigten der Beklagten ist vom Gericht ein als „Abschrift des Protokolls vom 04.05.2020“ bezeichnetes Dokument an das besondere elektronische Anwaltspostfach übermittelt worden; am 11.05.2020 hat er das dazugehörige elektronische Empfangsbekenntnis zurückgesandt. Am 09.06.2020 hat der Prozessbevollmächtigte der Beklagten gegenüber dem LG erklärt, seines Erachtens sei allein durch die Übersendung des Protokolls der mündlichen Verhandlung keine wirksame Zustellung des Versäumnisurteils erfolgt. Daraufhin ist ihm am 10.06.2020 eine beglaubigte Abschrift des Protokolls zugestellt worden.

Den am 18.06.2020 eingegangenen Einspruch gegen das Versäumnisurteil hat das LG wegen Versäumung der Einspruchsfrist als unzulässig verworfen. Das OLG hat die Berufung zurückgewiesen. Mit der vom Senat zugelassenen Revision, deren Zurückweisung der Kläger beantragt, will die Beklagte die Aufhebung des Versäumnisurteils und die Klageabweisung erreichen.

Das OLG war davon ausgegnagen, dass das LG den Einspruch zu Recht als unzulässig verworfen hat. Dieser sei nicht in der Frist des § 339 Abs. 1 ZPO eingelegt worden. Das Versäumnisurteil sei wirksam, auch wenn es entgegen § 310 Abs. 1 Satz 1 ZPO außerhalb der mündlichen Verhandlung verkündet worden sei. Die Einspruchsfrist habe am 11.05.2020 mit der Zustellung des im Protokoll enthaltenen Urteils begonnen. Es sei zwar verfahrensfehlerhaft, dass der Prozessbevollmächtigte der Beklagten entgegen § 317 Abs. 1 Satz 1, § 169 Abs. 2 Satz 1 ZPO lediglich eine einfache Protokollabschrift erhalten habe. Dieser Mangel sei aber nach § 189 ZPO geheilt worden. Die Vorschrift erfasse nach ihrem Sinn und Zweck auch Mängel bei der Zustellung von Urteilen. Der Gesichtspunkt der Authentizität und Amtlichkeit des Urteils stehe einer Heilung nicht entgegen. Der Prozessbevollmächtigte der Beklagten habe daran aufgrund der Zustellung an das besondere elektronische Anwaltspostfach nicht zweifeln können. Der Beklagten sei wegen des Verschuldens ihres Prozessbevollmächtigten zu Recht keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt worden.

Das sieht der BGH ebenso. Hier der Leitsatz seiner Entscheidung:

Wird einer Partei entgegen § 317 Abs. 1 Satz 1, § 169 Abs. 2 Satz 1 ZPO statt einer beglaubigten Abschrift lediglich eine einfache Abschrift des Urteils zugestellt, wird der darin liegende Zustellungsmangel geheilt, wenn keine Zweifel an der Authentizität und Amtlichkeit der Abschrift bestehen. Das ist jedenfalls bei einer Übermittlung der Urteilsabschrift an das besondere elektronische Anwaltspostfach des Rechtsanwaltes der Partei anzunehmen.

Ich habe da mal eine Frage: Gegenüber welchen Stellen kann/muss ich abrechnen?

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Und dann noch folgende Frage (aus der FB-Gruppe „Strafverteidiger“:

„…., ich habe gerade ein Abrechnungs-Brett vor dem Kopf, vielleicht kann mir jemand auf die Sprünge helfen:

Ich habe Beschuldigten B im Ermittlungsverfahren vertreten, nachdem seine Wohnung auf den Kopf gestellt wurde. Nach der Durchsuchung habe ich Akteneinsicht beantragt und Beschwerde gegen den Durchsuchungsbeschluss eingelegt. Mit Rückgabe der Akte habe ich meine Beiordnung als Pflichtverteidiger beantragt und wurde dann auch beigeordnet. Anschließend hat das LG den Durchsuchungsbeschluss aufgehoben und die Kosten des Beschwerdeverfahrens der Landeskasse auferlegt. Zuletzt hat dann die StA das Ermittlungsverfahren nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt. Daraufhin habe ich dann noch eine Entscheidung nach § 8 StrEG erwirkt.

Ich frage mich nun, an welcher Stelle ich hier die Wahlverteidigergebühren und an welcher Stelle ich die Pflichtverteidigergebühren gegenüber der Staatskasse abrechnen kann.“

Erfolgshonorarvereinbarung auch bei PKH zulässig, oder: Sicherung des Honorars durch einen Arrest

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Und im zweiten Gebührenposting stelle ich dann eine etwas ungewöhnliche Art der Honorarsicherung – hier eines Erfolgshonorars – vor. Damit hat sich das OLG Dresden im OLG Dresden, Beschl. v. 01.03.2022 – 4 W 3/22. Am Aktenzeichen sieht man: Kein Strafverfahren – was ja auch bei einem Erfolgshonorar (§ 4a RVG) überraschen würde, aber immerhin mal ganz interessant. Man weiß ja nie 🙂 .

Folgender Sachverhalt: Gestritten wird im Arrestverfahren um Prozesskostenhilfe für das Verfahren über den Widerspruch gegen eine Arrestanordnung des LG. Zugunsten der Antragstellerin, einer Rechtsanwaltskanzlei, die die Antragsgegner in einer Arzthaftungsstreitsache vor dem LG und dem KG vertreten hat, ist in dem Arrestverfahren der dingliche Arrest in eine Schadensersatzforderung gegenüber dem Beklagten des Ausgangsverfahrens, einem Herzzentrum, in Höhe einer Gebührenforderung nebst Kosten und Auslagen von 157.150 EUR angeordnet worden. Der zugrundeliegende Gebührenanspruch der Rechtsanwaltskanzlei wird aus einer Honorarvereinbarung vom 13.2./26.2.2019 abgeleitet.

Das LG hat die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für die Antragsgegner mangels hinreichender Erfolgsaussichten abgelehnt. Die Behauptung der Antragsgegner, die Rechtsanwaltskanzlei habe sich nicht an Absprachen gehalten, bringe einen Vergütungsanspruch nicht zu Fall. Ob hiergegen Einwendungen berechtigt seien, müsse in einem Gebührenprozess vor dem LG geklärt werden.

Mit der sofortigen Beschwerde meinen die Antragsgegner, ein Vergleich mit dem Herzzentrum sei bislang nicht geschlossen worden, so dass es keine durch Arrest zu sichernde Forderung gebe. Die Erfolgsvereinbarung mit der Antragstellerin sei infolge der Kündigung des Mandatsverhältnisses hinfällig und überdies nach § 3a RVG nichtig, weil ihnen sowohl in erster Instanz als auch vor dem KG Prozesskostenhilfe bewilligt worden sei, der geltend gemachte Anspruch die gesetzlichen Gebühren indes weit übersteige. Zur Kündigung des Mandatsverhältnisses seien sie bewogen worden, weil die antragstellende Rechtsanwaltskanzlei versucht habe, sie zur Zustimmung zum Vergleichsschluss zu veranlassen, ohne ihnen Kenntnis über „die Parameter und das Endergebnis der Entschädigungssumme“ zu vermitteln. Namentlich hätten sie zu keinem Zeitpunkt eine klare und verbindliche Auskunft über die Höhe der Gerichtskosten erhalten; stattdessen sei ihnen angedroht worden, dass das Gericht den Streitwert auch in Höhe von 2.446.939,90 EUR festsetzen könne.

Das Rechtsmittel hatte keinen Erfolg. Auch nach Auffassung des OLG war Prozesskostenhilfe nicht zu gewähren. Denn für den Widerspruch gegen die Arrestanordnung des LG bestehe keine hinreichende Erfolgsaussicht im Sinne des § 114 ZPO. Auf der Grundlage des beiderseitigen Parteivorbringens sei von dem Bestehen des geltend gemachten Arrestanspruches in voller Höhe auszugehen.

Und hier die Leitsätze der Entscheidung:

  1. Die Gebührenforderung eines Rechtsanwalts aus einer Erfolgshonorarvereinbarung kann bereits dann durch einen Arrest gesichert werden, wenn die Parteien über den Gegenstand des Rechtsstreits eines materiell-rechtlichen Vergleich geschlossen haben; eines gerichtlichen Feststellungsbeschlusses bedarf es nicht.
  2. Dass der Partei Prozesskostenhilfe bewilligt wurde, steht einer Erfolgshonorarvereinbarung nicht entgegen.
  3. In Arzthaftungsverfahren ist regelmäßig die Vermutung gerechtfertigt, dass die Partei ohne eine Erfolgsvereinbarung von der Rechtsverfolgung abgehalten würde.
  4. Die Kündigung des Anwaltsvertrages unmittelbar vor Beendigung des Rechtsstreit durch gerichtlichen Vergleich kann einen Arrestgrund begründen.