Archiv für den Monat: März 2022

Kauf des Pkw nach Bekanntwerden des Dieselskandals, oder: Keine sittenwidrige Schädigung?

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Im „Kessel Buntes“ am heutigen Samstag dann mal wieder  ein paar zivilrechtliche Entscheidungen zu den sog. Dieselfällen.

Zunächst der Hinweis auf das BGH, Urt. v. 21.12.2021 – VI ZR 277/20 – zur Haftung eines Automobilherstellers nach § 826 BGB gegenüber dem Käufer nach einem Kauf nach Bekanntwerden des sog. Dieselskandals.

Der Kläger hatte am 14.10. 2015 von einem Autohaus einen gebrauchten Pkw Audi Q3 zum Kaufpreis von 29.000 EUR erworben. Das Fahrzeug war mit einem von der Beklagten entwickelten und hergestellten Dieselmotor der Baureihe EA189 ausgestattet. Dieser enthielt eine Steuerungssoftware, die erkannte, ob das Fahrzeug den für die Emissionsprüfung maßgeblichen Fahrzyklus durchlief oder sich im normalen Straßenverkehr befand. Im Prüfzyklus bewirkte die Software eine im Vergleich zum Normalbetrieb erhöhte Abgasrückführungsrate, wodurch die Grenzwerte der Abgasnorm Euro 5 für Stickoxidemissionen eingehalten werden konnten. Mit seiner Klage verlangt der Kläger im Wesentlichen Schadensersatz in Höhe des für das Fahrzeug gezahlten Kaufpreises Zug um Zug gegen Herausgabe und Übereignung des Fahrzeugs, Zinsen, Feststellung des Annahmeverzugs und Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten.

Das LG hat die Klage abgewiesen. OLG Köln spricht Schadensersatz zu. Mit der vom OLG zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihr Ziel der vollständigen Klageabweisung weiter.  Die Revision hatte Erfolg:

„1. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts kann der Kläger den geltend gemachten Schadensersatzanspruch nicht auf § 826 BGB stützen.

a) Wie der Senat bereits mehrfach entschieden hat (Senatsurteile vom 30. Juli 2020 – VI ZR 5/20, NJW 2020, 2798 Rn. 30 f.; vom 8. Dezember 2020 – VI ZR 244/20, ZIP 2021, 84 Rn. 12; vom 23. März 2021 – VI ZR 1180/20, VersR 2021, 732 Rn. 12; Senatsbeschluss vom 9. März 2021 – VI ZR 889/20, VersR 2021, 661 Rn. 17 ff.), ist für die Bewertung eines schädigenden Verhaltens als (nicht) sittenwidrig in einer Gesamtschau dessen Gesamtcharakter zu ermitteln, weshalb ihr das gesamte Verhalten des Schädigers bis zum Eintritt des Schadens beim konkreten Geschädigten zugrunde zu legen ist. Im Falle der vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung gemäß § 826 BGB wird das gesetzliche Schuldverhältnis erst mit Eintritt des Schadens beim konkreten Geschädigten begründet, weil der haftungsbegründende Tatbestand des § 826 BGB die Zufügung eines Schadens zwingend voraussetzt. Deshalb kann im Rahmen des § 826 BGB ein Verhalten, das sich gegenüber zunächst betroffenen (anderen) Geschädigten als sittenwidrig darstellte, aufgrund einer Verhaltensänderung des Schädigers vor Eintritt des Schadens bei dem konkreten Geschädigten diesem gegenüber als nicht sittenwidrig zu werten sein. Eine solche Verhaltensänderung kann somit bereits der Bewertung seines Gesamtverhaltens als sittenwidrig – gerade in Bezug auf den geltend gemachten, erst später eingetretenen Schaden und gerade im Verhältnis zu dem erst später Geschädigten – entgegenstehen und ist nicht erst im Rahmen der Kausalität abhängig von den Vorstellungen des jeweiligen Geschädigten zu berücksichtigen.

b) Bei der demnach gebotenen Gesamtbetrachtung ist auf der Grundlage der vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen das Verhalten der Beklagten gegenüber dem Kläger nicht als sittenwidrig zu beurteilen.

aa) Der Senat hat im Urteil vom 30. Juli 2020 (VI ZR 5/20, NJW 2020, 2798) auf Grundlage der im dortigen Verfahren getroffenen Feststellungen unter anderem ausgeführt, dass durch die vom Berufungsgericht festgestellte Verhaltensänderung der Beklagten wesentliche Elemente, die das Unwerturteil ihres bisherigen Verhaltens gegenüber bisherigen Käufern begründeten, derart relativiert wurden, dass der Vorwurf der Sittenwidrigkeit bezogen auf ihr Gesamtverhalten gerade gegenüber späteren Käufern und gerade im Hinblick auf den Schaden, der bei diesen durch den Abschluss eines ungewollten Kaufvertrags nach dem 22. September 2015 entstanden sein könnte, nicht mehr gerechtfertigt ist (Senatsurteil vom 30. Juli 2020 – VI ZR 5/20, NJW 2020, 2798 Rn. 34 ff.).

Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts veröffentlichte die Beklagte am 22. September 2015 eine Ad-hoc-Mitteilung, in der sie bekannt gab, dass sie die Aufklärung von Unregelmäßigkeiten einer verwendeten Software bei Diesel-Motoren vorantreibe und die betreffende Steuerungssoftware auch in anderen Diesel-Fahrzeugen des Volkswagen-Konzerns vorhanden sei. Auffällig seien Fahrzeuge mit Motoren vom Typ EA189. In einer Pressemitteilung vom 2. Oktober 2015 gab die Beklagte die Freischaltung von Webseiten auch ihrer Tochterunternehmen zur Ermittlung der individuellen Betroffenheit eines Fahrzeugs bekannt.

Bereits die Mitteilung der Beklagten vom 22. September 2015 war objektiv geeignet, das Vertrauen potentieller Käufer von Gebrauchtwagen mit VW-Dieselmotoren in eine vorschriftsgemäße Abgastechnik zu zerstören, diesbezügliche Arglosigkeit also zu beseitigen. Aufgrund der Verlautbarung und ihrer als sicher vorherzusehenden medialen Verbreitung war typischerweise nicht mehr damit zu rechnen, dass Käufer von gebrauchten VW-Fahrzeugen mit Dieselmotoren die Erfüllung der hier maßgeblichen gesetzlichen Vorgaben noch als selbstverständlich voraussetzen würden. Für die Ausnutzung einer diesbezüglichen Arglosigkeit war damit kein Raum mehr; hierauf konnte das geänderte Verhalten der Beklagten nicht mehr gerichtet sein (vgl. Senatsbeschluss vom 14. September 2021 – VI ZR 491/20, juris Rn. 11 mwN).

bb) Aus dem Umstand, dass der Kläger im Streitfall ein Fahrzeug der Marke Audi und nicht der Marke Volkswagen erworben hat, folgt nichts Anderes. Aus den Feststellungen des Berufungsgerichts ergibt sich, dass die Beklagte ihre Verhaltensänderung nicht auf ihre Kernmarke Volkswagen beschränkt, sondern im Gegenteil bereits in ihrer Ad-hoc-Mitteilung vom 22. September 2015 darauf hingewiesen hat, dass die betreffende Steuerungssoftware auch in anderen Diesel-Fahrzeugen des Volkswagen-Konzerns vorhanden und der Motor vom Typ EA189 auffällig sei. Das mit der Ad-hoc-Mitteilung vom 22. September 2015 geänderte Verhalten der Beklagten war damit auch hinsichtlich der streitgegenständlichen Konzernmarke nicht mehr darauf angelegt, das Kraftfahrtbundesamt und arglose Erwerber zu täuschen (vgl. Senatsurteile vom 8. Dezember 2020 – VI ZR 244/20, ZIP 2021, 84 Rn. 17; vom 23. März 2021 – VI ZR 1180/20, VersR 2021, 732 Rn. 15).

Dass die Beklagte möglicherweise auch im Hinblick auf die von ihrer Kernmarke Volkswagen abweichenden Marken ihrer Konzerntöchter weitere Schritte zu einer klareren Aufklärung potentieller, mit der Konzernstruktur und dem Markenportfolio der Beklagten nicht vertrauten Fahrzeugkäufer hätte unternehmen können, steht der Verneinung eines objektiv sittenwidrigen Vorgehens im Verhältnis zum Kläger und im Hinblick auf den von diesem im Oktober 2015 abgeschlossenen Kaufvertrag ebenso wenig entgegen wie der Umstand, dass nicht jeder potentielle Käufer subjektiv verlässlich über die Verwendungsbreite der unzulässigen Abschalteinrichtung in den verschiedenen Marken der Beklagten informiert wurde (Senatsurteile vom 8. Dezember 2020 – VI ZR 244/20, ZIP 2021, 84 Rn. 18; vom 23. März 2021 – VI ZR 1180/20, VersR 2021, 732 Rn. 16; Senatsbeschluss vom 9. März 2021 – VI ZR 889/20, VersR 2021, 667 Rn. 20 ff.). Darauf, ob dem Kläger beim Kauf des Fahrzeugs im Oktober 2015 die Ad-hoc-Mitteilung der Beklagten und die Berichterstattung ab dem 22. September 2015 bekannt waren, kommt es – entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts – nicht an.

2. Der Klageanspruch ergibt sich auch nicht aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV oder Art. 5 VO 715/2007/EG oder aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 Abs. 1 StGB, § 31 BGB (Senatsurteil vom 8. Dezember 2020 – VI ZR 244/20, ZIP 2021, 84 Rn. 20 mwN; Senatsbeschluss vom 15. Juni 2021 – VI ZR 566/20, juris Rn. 7 f.).“

Dazu passen dann:

    1. Jedenfalls dadurch, dass die Audi AG am 25.01.2018 ihre Vertragshändler und Servicepartner nicht nur von den Rückrufanordnungen des Kraftfahrtbundesamts (KBA) für die Audi Modelle mit V6- und V8-TDI-Motoren unterrichtet, sondern hierbei zugleich eine ausdrücklich so bezeichnete sowie anhand eines Musterschreibens („Beipack-zettel“) erläuterte „Hinweispflicht“ gegenüber den Kunden statuiert hatte, hat das Unternehmen einen radikalen Strategiewechsel vollzogen und auch nach außen erkennbar sein Verhalten so grundlegend geändert, dass ab diesem Zeitpunkt der auf das Gesamtverhalten bezogene Vorwurf der Sittenwidrigkeit nicht mehr gerechtfertigt ist.
    2. Ob und in welchem Umfang ein späterer Käufer entsprechend den Anweisungen der Audi AG tatsächlich aufgeklärt wurde, ist unerheblich. Es kommt weder auf seine Kenntnisse vom „Dieselskandal“ im Allgemeinen noch auf seine Vorstellungen von der Betroffenheit des Fahrzeugs im Besonderen an. Nach-dem die Audi AG ihren grundlegenden Strategiewechsel vollzogen hatte, wurde einem späteren Erwerber unabhängig von seinem Wissensstand und seinem subjektiven Vorstellungsbild nicht sittenwidrig ein Schaden zugefügt.

 1. Wer erst 2019 ein erstmals 2014 – also vor Aufdeckung des Dieselabgas-Skandals – zugelassenes Diesel-Kraftfahrzeug erwirbt, erleidet nicht einen gemäß § 826 BGB als „ungewollte Verbindlichkeit“ ersatzfähigen Schaden, sollte sich nach dem Erwerb herausstellen, dass das Fahrzeug mit einer unzulässigen Abgas-Abschaltung ausgerüstet war und deshalb etwa auf Veranlassung des Kraftfahrtbundesamtes ein Software-Update aufgespielt werden muss. Sein Erwerb war erkennbar von vornherein mit diesem Risiko belastet.

2. Ein Schadensersatzanspruch gemäß § 826 BGB käme in einer derartigen Konstellation erst dann in Betracht, wenn eine unzulässige Abschalteinrichtung nicht mehr durch technische Maßnahmen wie ein Software-Update zu beseitigen ist und deshalb die Stilllegung des Fahrzeugs erfolgt.

Außer der Reihe: Volltext zum 5. Ss des BGH zu Encro, oder: Daten sind verwertbar – mich wundert das nicht

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Und dann auch heute ein Beitrag außerhalb des normalen Programms, und zwar:

Es hatten ja gestern bereits einige Blogs pp. über den BGH, Beschl. v. 02.03.2022 – 5 StR 457/21– betreffend die Frage der Verwertbarkeit von EncroChat-Daten berichtet. Bislang hatte dazu ja nur der 6. Strafsenat des BGH in einem obiter dictum Stellung genommen (vgl. hier:StPO I: “Negativer BGH-Räusperer” zu EncroChat, oder: “im Ergebnis….gewonnene Erkenntnisse…verwertbar”).

Jetzt hat sich dann aber auch der 5. Strafsenat zu einem Urteil des LG Hamburg Stellung geäußert. Dazu hat der BGH eine PM herausgegeben, jetzt gibt es auch bereits den Volltext, auf den ich hier verweise. Im Übrigen stelle ich nur die PM ein – alles andere bitte selbst lesen.

Und: Mich überrascht der Beschluss nicht. Ich hatte dieses Ergebnisses beim BGH vorausgesagt. Es liegt auf der Linie der Rechtsprechung des BGH. Danach ist letztlich (fast) alles verwertbar, es sei denn man kann ggf. das BVerfG gar nicht mehr umgehen.

Hier dann die PM, und zwar:

„Der in Leipzig ansässige 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat die Revision des Angeklagten gegen ein Urteil des Landgerichts Hamburg vom 15. Juli 2021 verworfen.

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen zehn Verbrechen des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt und die Einziehung von Taterlösen über mehr als 70.000 Euro angeordnet. In einigen Fällen waren zentrale Beweismittel SMS-Nachrichten des Angeklagten, die dieser über den Anbieter EncroChat zur Organisation des Drogenhandels versandt hatte. Der Angeklagte hat mit seiner Revision u.a. gerügt, dass diese von französischen Behörden 2020 erlangten und der deutschen Justiz übermittelten Daten nicht als Beweismittel hätten verwertet werden dürfen.

Der Bundesgerichtshof hat die Revision des Angeklagten auf Antrag des Generalbundesanwalts verworfen. Er hat entschieden, dass die von Frankreich übermittelten Daten des Anbieters EncroChat als Beweismittel verwertbar sind, wenn sie wie im vorliegenden Fall der Aufklärung schwerer Straftaten dienen.

1. Der Entscheidung des Bundesgerichtshofs lag folgender Sachverhalt zugrunde:

a) Nach den vom Angeklagten mit seiner Revision vorgelegten umfangreichen Unterlagen gab es in Frankreich 2017 und 2018 Hinweise darauf, dass Tatverdächtige organisierten Drogenhandel (bis zu 6 kg Heroin und 436 kg Marihuana) über besonders verschlüsselte Mobiltelefone („Kryptohandys“) des Anbieters EncroChat abwickelten. Mit diesen Geräten konnte man weder telefonieren noch das Internet nutzen, sondern lediglich Chat-Nachrichten (SMS) versenden, Notizen anlegen oder Sprachnachrichten speichern und versenden. Eine Kommunikation war nur zwischen Nutzern von EncroChat möglich. Aufgrund einer besonderen Ausstattung der Telefone und einer besonderen Verschlüsselungstechnik konnten Strafverfolgungsbehörden weder auf die damit geführte Kommunikation zugreifen noch die Geräte inhaltlich auslesen oder orten. Mit diesen Merkmalen und einer Garantie der Anonymität wurden die Geräte beworben. Allerdings konnte man sie nicht von offiziellen Verkaufsstellen, sondern nur von speziellen Verkäufern über anonyme Kanäle zu einem hohen Preis von 1.610 Euro für einen Nutzungszeitraum von sechs Monaten erwerben. Ein legal existierendes Unternehmen „EncroChat“ war ebenso wenig zu finden wie Verantwortliche dieser Firma oder ein Unternehmenssitz.

b) Die französischen Strafverfolgungsbehörden leiteten ein Ermittlungsverfahren u.a. wegen des Verdachts einer kriminellen Vereinigung ein und fanden heraus, dass die verschlüsselte Kommunikation zwischen EncroChat-Nutzern über einen im französischen Roubaix betriebenen Server lief. Mit Genehmigung durch ein französisches Gericht griffen sie auf die Daten auf dem Server zu. Hierbei ergab sich, dass 66.134 SIM-Karten eines niederländischen Anbieters im System eingetragen waren, die in einer Vielzahl europäischer Länder verwendet wurden. Eine Dechiffrierung mehrerer tausend „Notizen“ von EncroChat-Nutzern belegte, dass diese zweifelsfrei mit illegalen Aktivitäten wie insbesondere Drogenhandel mit bis zu 60 kg Kokain in Verbindung standen.

c) Auf Antrag der französischen Staatsanwaltschaft wurde in Frankreich richterlich u.a. die Installation einer Abfangeinrichtung zu den über den französischen Server laufenden und auf den Telefonen gespeicherten Daten ab dem 1. April 2020 genehmigt. Nach ersten Erkenntnissen wurden von den in Frankreich aktiven Telefonen sicher jedenfalls 63,7 % für kriminelle Zwecke verwendet, die übrigen Geräte (36,3 %) waren entweder teils inaktiv oder noch nicht ausgewertet. Staatsanwaltschaft und Gericht gingen nach der Auswertung der im ersten Monat erlangten Daten von einer „nahezu ausschließlich kriminellen Klientel“ der EncroChat-Nutzer aus.

d) Dem Bundeskriminalamt wurden über Europol Erkenntnisse zugleitet, wonach in Deutschland eine Vielzahl schwerster Straftaten von EncroChat-Nutzern begangen wurden. Die Zentralstelle zur Bekämpfung für Internetkriminalität bei der Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt am Main leitete daraufhin ein Ermittlungsverfahren gegen Unbekannt ein. In diesem Verfahren erging am 2. Juni 2020 eine an Frankreich gerichtete Europäische Ermittlungsanordnung mit dem Antrag, die Deutschland betreffenden EncroChat-Daten zu übermitteln und deren Verwendung in deutschen Strafverfahren zu erlauben. Beides genehmigte ein französisches Gericht am 13. Juni 2020.

2. Folgende rechtlichen Erwägungen waren für den Bundesgerichtshof entscheidend:

a) Verfassungsgemäße Rechtsgrundlage für die Verwertung von Beweisen im Strafprozess ist § 261 StPO. Dies gilt auch für im Wege der Rechtshilfe erlangte Daten. Eine ausdrückliche Regelung, dass solche Beweise nur eingeschränkt verwendet werden dürfen, enthält das deutsche Recht nicht. Da eine Verwertung von wie hier erlangten Daten einen Eingriff in das von Art. 10 GG geschützte Fernmeldegeheimnis enthalten kann, muss von Verfassungs wegen der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz besonders beachtet werden. In Anlehnung an Verwendungsbeschränkungen wie § 100e Abs. 6 Nr. 1 StPO dürfen derart erlangte Daten zur Überführung solcher besonders schwerer Straftaten verwendet werden, für deren Aufklärung die eingriffsintensivsten Ermittlungsmaßnahmen des deutschen Strafverfahrensrechts – namentlich eine Online-Durchsuchung oder eine akustische Wohnraumüberwachung – angeordnet werden dürften. Hierzu gehören regelmäßig die in Rede stehenden Verbrechen nach dem Betäubungsmittelgesetz.

b) Das von der Revision geltend gemachte Beweisverwertungsverbot besteht unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt.

aa) Die Frage, ob ein solches Verbot besteht, richtet sich ausschließlich nach deutschem Recht. Eine Überprüfung der französischen Ermittlungsmaßnahmen am Maßstab ausländischen Rechts findet dabei nicht statt. Es kommt damit auch nicht entscheidend darauf an, ob eine wie hier in Frankreich allein nach französischem Recht durchgeführte Maßnahme auch in Deutschland hätte angeordnet werden können. Dies ist nicht Voraussetzung für einen Transfer der nach französischem Recht von französischen Behörden erlangten Beweise in ein deutsches Strafverfahren. Die unterschiedlichen Anordnungsvoraussetzungen in Frankreich und Deutschland können auf der Ebene der Beweisverwertung kompensiert werden. Deshalb gelten hierfür die unter a) genannten besonders hohen Voraussetzungen.

bb) Ein Verstoß der Beweiserhebung gegen menschen- oder europarechtliche Grundwerte oder gegen grundlegende Rechtsstaatsanforderungen im Sinne eines im Rechtshilfeverkehr zu prüfenden „ordre public“ liegt nicht vor. Nach den den französischen Behörden nach dem ersten Datenzugriff vorliegenden Informationen ging es bei den Ermittlungen nicht um eine anlasslose Massenüberwachung einer Vielzahl auch unverdächtiger Handy-Nutzer. Vielmehr stellte sich EncroChat für die französischen Behörden als ein von vorneherein auf die Unterstützung krimineller Aktivitäten ausgerichtetes und im Verborgenen agierendes Netzwerk dar. Aufgrund der ersten Erkenntnisse einer nahezu ausschließlich kriminellen Nutzung solcher Telefone war ein Nutzer hiernach schon allein aufgrund des mit erheblichen Kosten einhergehenden Erwerbs eines auf normalem Vertriebsweg nicht erhältlichen EncroChat-Handys krimineller Aktivitäten aus dem Bereich der organisierten Kriminalität wie Drogen- und Waffenhandel oder Geldwäsche verdächtig.

cc) Ein möglicher Verstoß französischer Behörden gegen die Pflicht, Deutschland zeitnah über das Bundesgebiet betreffende Abhörmaßnahmen zu unterrichten, kann schon angesichts der späteren allseitigen Genehmigung der Datenverwendung kein Beweisverwertungsverbot zur Folge haben. Ungeachtet dessen ist fraglich, ob die Unterrichtungspflicht dem Individualschutz der Betroffenen vor einer Beweisverwendung im Inland dient. Jedenfalls würde aber die gebotene Abwägung der unterschiedlichen Interessen zu einem Überwiegen des staatlichen Strafverfolgungsinteresses führen. Rechtlich unbedenklich ist auch, dass die Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt am Main einen umfassenden Beweistransfer in einem gegen Unbekannt geführten Verfahren auf einer allgemeinen, letztlich aber jeden Nutzer konkret betreffenden Verdachtslage beantragt hat.

dd) Einen etwaigen Verstoß gegen rechtshilferechtliche Vorschriften beim Datenaustausch oder der sonstigen Zusammenarbeit zwischen französischen und deutschen Polizeibehörden vor Erlass der Europäischen Ermittlungsanordnung hat die Revision nicht geltend gemacht. Es kommt deshalb nicht darauf an, dass ein durchgreifender Rechtsfehler aufgrund der nachträglichen Einholung einer Einwilligung ohnehin nicht auf der Hand liegt, zumal die grenzüberschreitende Übermittlung von Erkenntnissen zur Strafverfolgung nach den europäischen Rechtshilfevorschriften auch ohne Rechtshilfeersuchen ohne weiteres zulässig ist. An die Verwertung der aus einem solchen Informationsaustausch stammenden Daten sind jedenfalls keine höheren Anforderungen als an die Verwertung von durch eine Europäische Ermittlungsanordnung erlangten Daten zu stellen. Eine gezielte oder systematische Umgehung dem individuellen Rechtsschutz von Beschuldigten dienender Vorschriften durch französische oder deutsche Behörden ist weder nachvollziehbar dargelegt noch sonst konkret ersichtlich.2

Nun schauen wir mal, was das BVerfG, das in dem Verfahren betreffend den Beschluss des 6. Strafsenats schon mit der Frage befasst sein soll, mit der Problematik macht. Viel Hoffnung habe ich in dem Verfahren wegen der verfahrensrechtlichen Besonderheiten nicht. Aber auch zum Beschluss des 5. Strafsenats habe ich auf der Grundlage der bisherigen Rechtsprechung des BVerfG nicht viel Hoffnung.

Ich habe da mal eine Frage: Welche Gebühren nach Rücknahme der Rechtsbeschwerde?

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Und dann noch die Gebührenfrage, die heute sehr kurz ist (stammt aus einer FB-Gruppe).

„Nach Urteil lege ich Rechtsbeschwerde ein, nehme diese aber vor Zustellung des Urteils dann zurück. Fallen 5113+5115 an? „

In der Kürze liegt die Würze.

Nr. 4142 VV RVG II: Beratung des Mandanten reicht, oder: LG Coburg macht es richtig

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Und die zweite Entscheidung zur Nr. 4142 VV RVG ist dann hier der sehr schöne LG Coburg, Beschl. v. 22.02.2022 – 3 Qs 10/21. Der Kollege Estel, der mir den Beschluss geschickt hat, warlt war (Pflicht)Verteidiger des ehemaligen Angeklagten in einem Verfahren wegen eines Diebstahlsvorwurf – Diebstahl eines Bargeldbetrages von 120.000 EUR. Nachdem die Staatsanwaltschaft zunächst Anklage erhoben hatte, hat sie diese nach einem richterlichen Hinweis zurückgenommen und das Verfahren mit Verfügung gemäß § 170 Abs. 2 StPO eingestellt. Die notwendigen Auslagen des ehemaligen Angeklagten sind der Staatskasse auferlegt worden.

Der Kollege hat hat im Rahmen der Kostenfestsetzung u.a. die Festsetzung einer Gebühr Nr. 4142 VV RVG nach einem Gegenstandswert von 120.000,00 EUR beantragt. Die Rechtspflegerin hat die Gebühr nicht festgesetzt. Auf die Erinnerung des Kollegen hat das AG die Gebühr festgesetzt. Gegen diese Festsetzung hat der Vertreter der Staatskasse Beschwerde eingelegt. Die hatte beim LG keinen Erfolg. Das LG sieht den Ansatz der Nr. 4142 VV RVG als zutreffend an:

„Gemäß § 464a Abs. 2 Nr. 2 StPO gehören zu den notwendigen Auslagen eines Beteiligten die Gebühren und Auslagen eines Rechtsanwaltes, soweit sie nach § 91 Abs. 2 ZPO zu erstatten sind. Zu den erstattenden Gebühren gehört auch grundsätzlich die Wertgebühr nach Nr. 4142 VV RVG. Die Gebühr entsteht für eine Tätigkeit für den Beschuldigten, die sich auf die Einziehung, dieser gleichstehende Rechtsfolgen (§ 439 StPO), die Abführung des Mehrerlöses oder auf eine diesen Zwecken dienende Beschlagnahme bezieht.

Die Gebühr fällt bereits dann für die beratende Tätigkeit des Rechtsanwaltes an, wenn eine Einziehung in Betracht kommt (BeckOK RVG, 50. Edition, Stand: 01.12.2020, W 4142 Rn. 9 -10). Die VV 4142 RVG setzt keine gerichtliche Tätigkeit des Rechtsanwaltes voraus. Die Einziehung muss auch nicht im Verfahren beantragt worden sein. Es ist bereits ausreichend, wenn eine Einziehung in Betracht kommt oder nach Aktenlage geboten ist (OLG Dresden – Strafsenat, Beschluss vom 14.02.2020 — 1 Ws 40/20). Dies ist vorliegend der Fall. Aus dem Ermittlungsbericht der Kriminalpolizei Coburg vom13.09.2019 (BI. 161 d.A.) ergibt sich, dass die ersten Ermittlungen für eine Vermögensabschöpfung aufgenommen wurden. Der Angeschuldigte bzw. der Verteidiger, welcher am 25.10.2019 Akteneinsicht hatte, konnte folglich mit einer vermögensabschöpfenden Maßnahme rechnen, sodass eine Beratung diesbezüglich sachgerecht war. Dem steht auch nicht entgegen, dass der Angeschuldigte aufgrund des Testamentes seines, nach der Entnahme des Geldes zwischen dem 20.03.2019 und 21.04.2019 verstorbenen Vaters, Erbe geworden ist. Das Testament wurde durch die Polizei sichergestellt. Dennoch hat die Polizei trotz Kenntnis des Testaments Finanzermittlungen im Hinblick auf eine eventuelle Vermögensabschöpfung vorgenommen, sodass eine Beratung diesbezüglich durch den Verteidiger nicht völlig fernliegend war. Zwar vermerkte die Staatsanwaltschaft am 06.06.2019 in der Akte, dass vorerst keine weiteren Maßnahmen zur Vermögensabschöpfung veranlasst sind. Jedoch wurde erst mit Anklageerhebung vom 09.12.2019 endgültig von Vermögensabschöpfung abgesehen. Bis zur Erhebung der Anklage waren weitere vermögensabschöpfende Maßnahmen nicht ausgeschlossen bzw. zumindest jedoch nicht derart fernliegend, dass eine anwaltliche Beratung hierzu nicht sachgerecht gewesen wäre. Zumal auch eine Beratung zu den bereits vorgenommenen Maßnahmen sowie zu den etwaigen Auswirkungen des Todes des Vaters und des Testamentes auf die weiteren Ermittlungen und vermögensabschöpfenden Maßnahmen bereits eine Beratung, die sich auf eine mögliche Einziehung bezieht, darstellt.

Vor der am 01.07.2017 in Kraft getretenen Neuregelung der Vermögensabschöpfung wurde die Ansicht vertreten, dass es sich bei Nr. 4142 VV RVG um eine Maßnahme handeln musste, die dem Betroffenem den Gegenstand endgültig entzieht und es dadurch zu einem endgültigen Vermögensverlust kommen musste. Maßnahmen der Rückgewinnungshilfe waren daher nach herrschender Meinung nicht erfasst.

Das am 01.07.2017 in Kraft getretene Gesetz zur Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung hat das Recht der Vermögensabschöpfung grundlegend neu geregelt. Das Rechtsinstitut des Verfalls wurde abgeschafft und durch das Rechtsinstitut der Einziehung von Taterträgen ersetzt. Ebenso wurden die Regelungen zur Rückgewinnungshilfe abgeschafft. Nach den Neuregelungen werden alle Anordnungen nach § 73ff. StGB als Einziehung bezeichnet. Nach dem Wortlaut der Nr. 4142 W RVG fällt die Gebühr u.a. für alle Tätigkeiten an, die sich auf die Einziehung beziehen. Durch die neuen Vorschriften zur Vermögensabschöpfung kann der Verletzte mit Rechtskraft der Einziehungsanordnung nunmehr die Rückübertragung und Herausgabe der eingezogenen Gegenstände bzw. seine Befriedigung aus dem eingezogenen Wertersatz verlangen. Die Einziehungsentscheidung wird daher nach neuem Recht bereits endgültig zu Lasten des Angeschuldigten getroffen. Damit stellt die Einziehung stets eine auf den endgültigen Verlust des Gegenstandes oder des Vermögens gerichtete Maßnahme dar (LG Cottbus, Beschluss vom 22.01.2018 – 22 Wi Qs 16/17).

Bei der Gebühr Nr. 4142 VV RVG handelt es sich um eine besondere, als Wertgebühr ausgestaltete Verfahrensgebühr. Besondere Tätigkeiten des Rechtsanwaltes sind dabei nicht erforderlich, da ihm die Gebühr als reine Wertgebühr unabhängig vom Umfang der Tätigkeit zusteht. Damit genügt es, wenn der Verteidiger beratend im Zusammenhang mit der möglichen Einziehung tätig wird. (LG Chemnitz, 4. große Strafkammer, Beschluss vom 09.01.2020 – 4KLs 310 Js 40553/18; OLG Dresden (Strafsenat), Beschluss vom 14.02.2020 — 1 Ws 40/20). Dem Pflichtverteidiger war daher eine 1,0 Verfahrensgebühr gemäß VV RVG Nr. 4142 zu erstatten.

Auch der Verfahrenswert wurde vom Amtsgericht Coburg ordnungsgemäß festgesetzt.

Der Gegenstandswert richtet sich nach § 2 Abs. 1 RVG. Danach ist Gegenstand der anwaltlichen Tätigkeit der Anspruch auf Einziehung, auf den sich die Tätigkeit des Rechtsanwaltes bezieht. Gegenstandswert ist der objektive Geldwert des Gegenstandes. Die für die Wertgebühr maßgebende Höhe richtet sich nach den zum Zeitpunkt der Beratung erkennbaren Anhaltspunkten. Ob sich später Anhaltspunkte für einen niedrigeren Wert ergeben, ist insoweit unerheblich (OLG Oldenburg, Beschluss vom 6. 7. 2011 – 1 Ws 351/11). Für die Bestimmung des Gegenstandswertes ist somit nicht maßgeblich darauf abzustellen, ob und in welcher Höhe eine Einziehung im Urteil letztlich angeordnet worden ist, sondern vielmehr darauf, in welcher Höhe dem Angeschuldigten eine Einziehung drohte (LG Berlin, Beschluss vom 13.04.2018 – 511 KLs 255 Js 739/14 -11/17; LG Essen – XXIV. große Strafkammer – Jugendkammer, Beschluss vom 04.12.2018 – 64 Qs-68 Js 11.80/16-23/18). Hier wurde dem Angeschuldigten ein Diebstahl von Bargeld in Höhe 120.000,00 Euro vorgeworfen. Zum Zeitpunkt der anwaltlichen Beratung drohte dem Angeschuldigten eine Einziehung in dieser Höhe. Dieser Wert war somit maßgeblich für die Festsetzung des Verfahrenswertes.“

Wie gesagt: Eine sehr schöne Entscheidung. Hoffentlich bleibt es dabei. Denn das LG hat gem. § 56 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 33 Abs. 6 RVG die weitere Beschwerde zum OLG zugelassen. Und das ist Bamberg. Das weiß man nie…..

Nr. 4142 VV RVG I: Verfahrensgebühr bei Einziehung. oder: Die Beratung des Mandanten reicht, aber…

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Und dann geht es hier dann weiter mit dem – eigentlichen – „Money-Day“, also Gebührenentscheidungen; der Beitrag zum AG Hameln, Beschl. v. 14.02.2022 – 49 OWi 23/22 (Einspruchseinlegung im OWi-Verfahren auch durch beA?, oder: Nein, sagt das AG Hameln) ist ja außer der Reihe gelaufen.

Ich stelle dann heute zum RVG zwei Entscheidungen zur Nr. 4142 VV RVG vor. Die Vorschrift spielt in der Rechtsprechung derzeit ja eine große Rolle.

Ich beginne mit dem nicht so schönen – oder besser: falschen – LG Magdeburg, Beschl. v. 04.02.2022 – 25 Qs 2/22. Dann haben wir das schon mal hinter uns.

Hier hatte die Staatsanwaltschaft gegen den Beschuldigten Anklage wegen Unterschlagung eines E-Mountainbikes im Wert von 4.500,00 EUR erhoben. Wegen dieser Tat ist der Beschuldigte dann auch durch das AG wegen Unterschlagung zu einer Freiheitsstrafe verurteilt worden. Weder die Abschlussverfügung der Staatsanwaltschaft noch die Anklage der Staatsanwaltschaft Magdeburg noch das Urteil des Amtsgerichts enthalten Ausführungen hinsichtlich der Einziehung des Werts von Taterträgen im Sinne der § 73 ff. StGB. Der Pflichtverteidiger des Angeklagten hat im Rahmen der Vergütungsfestsetzung (dennoch) auch eine Gebühr Nr. 4142 VV RVG geltend gemacht, die damit begründet wurde, dass eine Erörterung der drohenden Einziehung des Werts des Erlangten über 4.500,00 Euro in der Hauptverhandlung mit dem Mandanten stattgefunden habe. Das AG hat die Gebühr nicht festgesetzt. Zur Begründung der Absetzung hat es ausgeführt, dass weder aus der Anklage noch dem weiteren Schriftverkehr bzw. der Hauptverhandlung erkennbar sei, dass die Einziehung von Wertersatz Gegenstand des Verfahrens gewesen sei. Dagegen das Rechtsmittel des Verteidigers, das beim LG keinen Erfolg hatte:

„Die Beschwerde ist in der Sache jedoch unbegründet. Streitgegenständlich ist lediglich noch die Absetzung der Gebühr gemäß Nr. 4142 VV RVG durch das Amtsgericht Wernigerode, nachdem der Verteidiger in seinem Schriftsatz vom 2. September 2021 deutlich gemacht hat, dass keine Einwände gegen die Absetzung der Kosten für die Erstellung von Fotokopien erhoben werden sollen.

Die Absetzung der Gebühr gemäß § 4142 VV RVG durch das Amtsgericht mit seinem Beschluss vom 8. November 2021 erfolgte zu Recht. Auch die von der Verteidigung beigefügten Entscheidungen ändern nichts daran, dass eine Verfahrenslage, wie vom Verteidiger beschrieben, im vorliegenden Fall gerade nicht vorgelegen hat. Weder die Abschlussverfügung, noch die Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Magdeburg — Zweigstelle Halberstadt — vom 5. Mai 2021 erwähnen in irgendeiner Form eine zu treffende Einziehungsentscheidung gemäß §§ 73 ff. StGB. Auch wurde im Rahmen der Hauptverhandlung, ausweislich des Hauptverhandlungsprotokolls vom 29. Juli 2021, in keiner Hinsicht eine etwaige Einziehung erörtert. Anders als in der Entscheidung des Landgerichts Kiel vom 12. Februar 2021 (Az.: I KLs 12/6) liegt hier ein Antrag in der Anklageschrift hinsichtlich der Einziehung von beschlagnahmten Gegenständen gerade nicht vor. Auch ist beim Amtsgericht Wernigerode, anders als im Rahmen der Entscheidung des Landgerichts Essen vom 2. Juni 2006 (Az.: 23 Qs 74/06), die Einziehung in der Hauptverhandlung gerade nicht zur Sprache gekommen. Des Weiteren liegt es, anders als im Rahmen der Entscheidung des Kammergerichts Berlin vom 18. Juli 2005 (Az.: 5 Ws 256/05) hier gerade nicht so, dass der Verteidiger durch seinen Einsatz eine von der Staatsanwaltschaft oder dem Gericht beabsichtigte Einziehung ganz oder teilweise verhindert hat. Hier gab es keinerlei Anlass, mit dem Mandanten eine Einziehung zu erörtern, da ersichtlich weder das Gericht noch die Staatsanwaltschaft die Einziehung beabsichtigt haben.“

In meinen Augen entweder Ignoranz des LG bzw. hatte offenbar der entscheidende Einzelrichter keine Lust, sich mit aktuellerer Rechtsprechung als aus den Jahren 2005 – 2007 zu befassen. Denn: Hätte das LG das getan, hätte es unschwer erkannt, dass die amtsgerichtliche Entscheidung falsch war und die Gebühr Nr. 4142 VV RVG hätte festgesetzt werden müssen. Man ist es leid und es ärgert einen, dass man immer wieder auf dieselben Fehler hinweisen muss, die bei der Festsetzung der Nr. 4142 VV RVG gemacht werden. Für die Gebühr kommet es nämlich – und das mag das LG bitte zur Kenntnis nehmen – nun nicht darauf an, was sich Staatsanwaltschaft und/oder AG gedacht. Sondern: Allein maßgeblich ist, ob eine Beratung des Mandanten durch den Verteidiger im Hinblick auf eine Einziehung nach den §§ 73 ff. StGB geboten war oder nicht. Und das ist sie m.E. immer, wenn eine Einziehung in Betracht kommt. Der Verteidiger muss schon aus haftungsrechtlichen Gründen tätig werden, unabhängig davon ob Staatsanwaltschaft und/oder Gericht die Möglichkeit der Einziehung sehen. Daher war hier die Verfahrensgebühr Nr. 4142 VV RVG spätestens dann entstanden, als der Verteidiger den Mandanten bei der Besprechung im Ermittlungsverfahren auf diese ggf. drohende Nebenfolge hingewiesen hat. Das mag den Vertretern der Staatskasse und/oder den Gerichten missfallen, ist aber nun mal Folge der 2017 erfolgten Änderungen des Rechts der Einziehung in den 73 ff. StGB. Man hat das Einziehungsrecht verschärft, dann mag man bitte auch die sich daraus ergebenden gebührenrechtlichen Folgen tragen. Und da es sich bei der Nr. 4142 VV RVG um eine Verfahrensgebühr handelt, kommt es auch nicht darauf an, ob sich diese Tätigkeit des Verteidigers aus den Akten ergibt. Auch das ist gebührenrechtliches Grundwissen, über das man bei der Strafkammer offenbar nicht verfügt hat.