Heute dann hier noch einmal Entscheidungen zur StPO, und zwar zwei landgerichtliche zu Beweisvervwertungsverboten und eine amtsgerichtliche zu einer Vollstreckungsfrage.
Und, nein. Es wird um 11.11 Uhr nichts zum Karneval geben. Mir ist angesichts der Lage – Ukraine und Corona – nun wirklich nicht nach (Straßen)Karneval. Wer meint, er müsse das „feiern“: Bitte schön, aber in diesem Jahr nicht mit mir.
Und dann hier zunächst der LG Kiel, Beschl. v. 10.01.2022 – I Qs 29/21. Es geht um die Frage der Verwertbarkeit eines Beweismittels, das (ggf.) rechtswidrig erlangt ist, und zwar um Videoaufnahmen aus dem Eingangsbereich eines Bürogebäudes, in dem die Staatsanwaltschaft ihre Büroräume hat. So verstehe ich jedenfalls den etwas knappen Sachcverhalt. Das LG hat keine Bedenken gegen die Verwertung:
„Dabei kann dahinstehen, ob Anfertigung und Speicherung der Aufnahmen durch die Staatsanwaltschaft Kiel vorliegend zulässig waren — denn selbst wenn dies nicht der Fall gewesen sein sollte, stünde dies einer Beschlagnahme im Sinne des § 94 Abs. 2 StPO und damit auch einer Verpflichtung zur Herausgabe im Sinne des § 95 StPO nicht entgegen.
Dies ergibt sich bereits daraus, dass diese Aufnahmen selbst dann im Strafverfahren verwertbar wären, wenn die Staatsanwaltschaft Kiel sie rechtswidrig erstellt hätte (BGH, Beschluss vom 18.08.2021, 5 StR 217/21, zitiert nach juris), da aus der rechtswidrigen Erlangung eines Beweis-mittels durch einen Dritten nicht ohne weiteres die Unverwertbarkeit dieses Beweismittels im Strafverfahren folgt (BGH, Urteil vom 12.04.1989, 3 StR 453/88, zitiert nach juris).
Ob ein auf rechtswidrige Weise erlangtes Beweismittel zulasten eines Beschuldigten verwertet werden darf, ist vielmehr jeweils im Einzelfall insbesondere nach der Art des Verbots, dem Gewicht des Verfahrensverstoßes, der Bedeutung der betroffenen Rechtsgüter und dem Interesse der Allgemeinheit an einer wirksamen Strafverfolgung unter Abwägung der widerstreitenden Interessen zu entscheiden. Denn auch wenn die Strafprozessordnung nicht auf die Wahrheitserforschung um „jeden Preis“ gerichtet ist, schränkt die Annahme eines Verwertungsverbots ein wesentliches Prinzip des Strafrechts ein, nämlich den Grundsatz, dass das Gericht die Wahrheit zu erforschen und dazu die Beweisaufnahme von Amts wegen auf alle Tatsachen und Beweismittel zu erstrecken hat, die von Bedeutung sind. Ein Beweisverwertungsverbot ist ohne ausdrückliche gesetzliche Anordnung deshalb nur ausnahmsweise aus übergeordneten wichtigen Gesichtspunkten im Einzelfall anzunehmen, wenn einzelne Rechtsgüter durch Eingriffe fern jeder Rechtsgrundlage so massiv beeinträchtigt werden, dass dadurch das Ermittlungsverfahren als ein nach rechtsstaatlichen Grundsätzen geordnetes Verfahren nachhaltig geschädigt wird (vgl. m.w.N.: OLG Stuttgart, Beschluss vom 04.05.2016, 4 Ss 543/15, zitiert nach juris). Dabei kommt es auch darauf an, ob die verletzte Vorschrift die verfahrensrechtliche Stellung eines Angeklagten sichern soll oder ob sich der Verstoß für ihn als unerheblich darstellt (OLG Hamburg, Beschluss vom 27.06.2017, 1 Rev 12/17, zitiert nach juris).
Gemessen an diesen Maßstäben würden die gegenständlichen Aufnahmen vorliegend keinem Verwertungsverbot unterliegen.
Bei dem Eingangsbereich zu einem Bürogebäude handelt es sich grundsätzlich um öffentlich zugängliche Räume (OVG Lüneburg, Urteil vom 29.09.2014, 11 LC 114/13, zitiert nach juris). Vorliegend ist aus der Akte nicht ersichtlich, ob die Kamera, deren Aufnahmen hier gegenständlich sind, ausschließlich den Personaleingang erfasst, oder ob sie darüber hinaus auch den Parkplatz und die dahinter verlaufende Straße erfasst.
Würde die Videoüberwachung ausschließlich den Personaleingang erfassen, würde es sich dabei um keinen Bereich handeln, der von einem unbestimmten und nur nach allgemeinen Merkmalen abgrenzbaren Personenkreis betreten und genutzt werden kann, und der seinem Zweck nach auch dazu bestimmt ist (Erfurter Kommentar/Franzen, 22. Auflage, BDSG, § 4, Rn. 3, zitiert nach beck-online), so dass es sich nicht um einen öffentlich zugänglichen Raum handeln würde und, jedenfalls § 4 BDSG keine Anwendung finden dürfte — stattdessen würde sich die Zulässigkeit der Videoüberwachung danach beurteilen, ob die Voraussetzungen des Art. 6 DSGVO vorliegen, in Betracht käme hier Art. 6 Abs. 1 f) DSGVO.
Würde sich die Videoüberwachung nicht auf den Personaleingang beschränken oder würde dieser Personaleingang auch von Dritten genutzt werden, würde sich die Zulässigkeit der Videoüberwachung hingegen nach § 4 BDSG beurteilen.
Letztlich spielt dies für die Entscheidung keine Rolle. Denn selbst wenn durch die Anfertigung und die anschließende Speicherung der Aufnahmen — wie von der Verteidigung vertreten — gegen datenschutzrechtliche Bestimmungen verstoßen worden sein sollte, würden diese datenschutz-rechtlichen Bestimmungen nicht der Sicherung der Stellung des Beschuldigten im Strafverfahren dienen, so dass sie nur mit einem begrenzten Gewicht in die Abwägung einzustellen wären (OLG Hamburg a.a.O.).
Soweit die Mitarbeiter der Außenstelle der Staatsanwaltschaft Kiel durch die Überwachung in ihrem allgemeinen Persönlichkeitsrecht betroffen sind, sind diese nur in ihrer lndividualsphäre berührt. Die Privatsphäre ist hier nicht betroffen. Bei der Privatsphäre handelt es sich um den Teil der Persönlichkeit, der das private Leben im häuslichen Bereich oder im Familienkreis und das sonstige Privatleben umfasst — diese Bereiche sind hier nicht tangiert. Betroffen ist lediglich die lndividualsphäre, für die regelmäßig das schwächste Schutzbedürfnis angenommen wird (vgl. LAG Schleswig-Holstein, Urteil vom 04.12.2001, 1 Sa 392 b/01, zitiert nach juris).
Gemessen daran überwiegt vorliegend das Interesse an der Strafverfolgung.
Einen möglichen Verstoß gegen datenschutzrechtliche Bestimmungen müssten sich die Strafverfolgungsbehörden im Übrigen auch nicht zurechnen lassen. Zwar sind die Aufnahmen von der Staatsanwaltschaft Kiel angefertigt worden, diese tritt in dem gegen den Beschuldigten geführten Verfahren jedoch nicht in ihrer Funktion als Ermittlungsbehörde auf. Vielmehr ist die Staatsanwaltschaft Flensburg mit den Ermittlungen beauftragt worden (BI. 6).
Vor dem Hintergrund dieser Ausführungen scheidet ein Beweisverwertungsverbot vorliegend aus, so dass die gegenständlichen Aufnahmen als Beweismittel für die Untersuchung von Bedeutung sein können.“