Zum Wochenauftakt heute zwei Entscheidungen aus Bereichen, die in der letzten Zeit „Dauerbrenner“ waren.
Ich starte mit einer Entscheidung zum EncroChat-Komplex. Darüber und über Entscheidungen dazu habe ich hier ja schon wiederholt berichtet. So z.B. über den OLG Schleswig, Beschl. v. 29.04.2021 2 Ws 47/21 und dazu Haft I: Dringender Tatverdacht, oder: Verwertungsverbot wegen EncroChat-Krypto-Handys? oder über den OLG Rostock, Beschl. v. 23.03.2021 – 20 Ws 70/21 und dazu: EncroChat: Verwendung eines Krypto-Handys genügt für dringenden Tatverdacht, oder: Nein, OLG Rostock oder über den OLG Hamburg, Beschl. v. 29.01.2021 – 1 Ws 2/21 – und dazu: EncroChat-Erkenntnisse, oder: Verwertbar, auch wenn “nicht mehr hinnehmbar rechtsstaatswidrig….” oder über den OLG Bremen, Beschl. v. 18.12.2020 – 1 Ws 166/20 berichtet (vgl. BVV I: Verwertung einer Überwachung der TK mit Krypto-Handys, oder: Stichwort “EncroChat”) . Das ist so ungefähr das, was an OLG-Rechtsprechung zu der Problematik vorliegt. Die Rechtsprechung geht – kurz zusammengefasst dahin: Ist/war alles zulässig, was da an Überwachung (im Ausland) gelaufen, und wenn nicht: Ist nicht so schlimm, denn wir brauchen die Ergebnisse, auch wenn die „nicht mehr hinnehmbar rechtsstaatswidrig….” sind, wie das OLG Hamburg meint(e). Und ein Beweisverwertungsverbot: Vergesst es (in die Richtung auch LG Flensburg, Beschl. v. 11.06.2021 – V Qs 26/21).
Wenn man die Liste der Gerichte sieht, die sich bisher zu den Fragen „EncroChat“ geäußert haben, dann kann man schon denken/meinen: Das war es bzw. das bringt nicht mehr viel, gegen die Verwertung der Überwachung der Kommunikation bei Verwendung eines Krypto-Handys Sturm zu laufen. Es gibt eine herrschende Meinung bei den OLG und dagegen kommt man nicht an – es wird eh nur voneinander abgeschrieben (was tatsächlich auch geschehen ist, wenn man sich die Beschlüsse mal genauer anschaut).
Aber: Man soll nie, nie sagen oder die Flinte zu früh ins Korn werfen. Denn: Es gibt inzwischen einen Lichtblick, und zwar aus Berlin (wer hätte gedacht, dass mal „Lichtblicke“ aus Berlin kommen). Aber es ist so. Denn das LG Berlin hat im LG Berlin, Beschl. v. 01.07.2021 – (525 KLs) 254 Js 592/20 (10/21), den mir ein Kollege, der ungenannt bleiben möchte (dazu unten mehr), geschickt; er verteidigt in einer EncroChat-Sache. Der Beschluss hat ja medial auch schon viel Aufmerksamkeit bekommen (auch dazu unten).
Dieser LG-Beschluss ist m.E. nun wirklich ein Lichtblick. Denn das LG Berlin hat auf 25 Seiten minutiös dargelegt, warum die Überwachung der Kommunikation bei Verwendung eines Krypto-Handys im In- und Ausland unzulässig war und warum – und das ist das besonders Besondere an dem Beschluss – die Verwertung der Erkenntnisse einem Beweisverwertungsverbot unterliegt. Und die Ausführungen erfolgen nicht „nur“ im Rahmen einer Haftprüfung, sondern im Eröffnungsverfahren über eine Anklage wegen eines Verstoßes gegen das BtMG. Das LG lehnt die Eröffnung ab und hebt den Haftbefehl gegen den Beschuldigten natürlich auf.
Wie gesagt: 25 Seiten. Das ist so viel, dass ich das hier nicht alles einstellen kann/will, sondern auf den verlinkten Volltext verweise, und zwar auch wegen des Sachverhalts. Das LG hat nämlich auch sehr schön und übersichtlich dargestellt, worum es eigentlich geht und was geschehen ist (was dem ein oder anderen vielleicht noch gar nicht so klar war). Also: Auf zum Lesen.
Vorab – bevor ich hier die Kernsätze der Entscheidung vorstelle: Das LG hat ausdrücklich hervorgehoben, dass eine Prüfung der Verwertbarkeit der Erkenntnisse von Amts wegen erfolgt ist. Das ist von einigen Kommentatoren, die sich bereits zu dem Beschluss geäußert haben, als etwas ganz Besonderes herausgestellt worden. Ist es m.E. nicht. Denn nach der Rechtsprechung des BGH (vgl. wegen der Nachweise der Beschluss) ist das Tatgericht gehalten, bereits die Eröffnung abzulehnen, „wenn durchgreifende Anhaltspunkte für eine Unverwertbarkeit entscheidender Beweismittel bestehen und nicht zu erwarten ist, dass die Hauptverhandlung insoweit andere Erkenntnisse erbringen wird.“ Das hat das LG getan – genauso wie es m.E. jedes andere Gericht auch prüfen muss.
Zu den Kernsätzen der Entscheidung:
- Das LG bejaht eine Verletzung des IT-Grundrechts und des Art. 10 GG – Stichwort: Online-Durchsuchung und/oder Quellen-Telekommunikationsüberwachung – die nicht gerechtfertigt ist.
- Art. 31 RiLi-EEA, § 91g Abs. 6 IRG sind verletzt, da es ein danach erforderliches Ersuchen des französischen Staats und eine Überprüfung durch die zuständige deutsche Stelle nicht gegeben hat.
- Die Prüfung nach Art. 31 RiLil-EEA, § 91g Abs. 6 IRG hätte ergeben, dass die Maßnahme mit den §§ 100a, 100b StPO nicht vereinbar ist. Der danach erforderliche qualifizierte Tatverdacht gegen die betroffenen deutschen Nutzer — einschließlich des hiesigen Angeschuldigten — lag nicht vor.
- §§ 100a, 100b StPO als Prüfungsmaßstab: Die Voraussetzungen der bei einem vergleichbaren innerstaatlichen Sachverhalt zu beachtenden §§ 100a, 100b StPO sind im Rahmen der hier zu treffenden Entscheidung über die Verwertung der Chat-Nachrichten in vollem Umfang zu prüfen. Sie haben nicht vorgelegen.
- Aus dem Vorstehenden ergibt sich ein Verwertungsverbot.
- Missachtung von Art. 31 RiLi-EEA, § 91g Abs. 6 IRG: Die Unverwertbarkeit ergibt sich bereits aus der Missachtung der rechtshilferechtlichen Unterrichtungspflicht. Diese ist so gewichtig, dass sie das staatliche Interesse an der Strafverfolgung überwiegt.
- Fehlender qualifizierter Tatverdacht: Unabhängig. davon begründet das Fehlen eines qualifizierten Tatverdachts auch für sich gesehen die Unverwertbarkeit der Chat-Daten.
- Hilfsweise: Ein Verwertungsverbot besteht schließlich auch dann wenn man die Nutzer nicht als Beschuldigte, sondern als Dritte ansieht. Denn Nutzer sind keine Nachrichtenmittler.
- §§ 100e Abs. 5, 479 Abs. 2 StPO: Die Verwertbarkeit der Daten lässt sich schließlich auch nicht auf eine entsprechende Anwendung von § 100e Abs. 6 StPO (für die Online-Durchsuchung) bzw. § 479 Abs. 2 StPO (für die Quellen-Telekommunikationsüberwachung) stützen.
Und da das LG für die Hauptverhandlung keine besseren Erkenntnismöglichkeiten gesehen hat, hat es – folgerichtig – die Eröffnung des Hauptverfahrens nach § 203 StPO abgelehnt.
Noch Fragen?
Ja, sicherlich die, wie es nun weitergeht? Das folgt aus der StPO:
- Die StA kann und wird nach § 210 Abs. 2 StPO sofortige Beschwerde einlegen.
- Über die entscheidet das KG.
- Wenn das KG dem LG folgt, wird die sofortige Beschwerde verworfen. Das Verfahren ist beendet und wir haben die erste OLG-Entscheidung, die es anders sieht als die o.a. OLG.
- Folgt das KG dem LG nicht, wird es eröffnen, entweder vor der Strafkammer, die hier entschieden hat oder ggf. nach § 210 Abs. 3 Satz 1 StPO vor einer anderen Strafkammer des LG Berlin.
- Im letzteren Fall sind die Karten dann wieder neu gemischt, weil man nicht weiß, wie die Kammer die Rechtsfragen sieht. Geht es zurück zur „Ursprungskammer“, dann dürfte der Freispruch vorgegeben sein.
- Egal, was passiert: In dem Fall der Eröffnung wird auf jeden Fall der BGH demnächst mit den Fragen befasst sein/werden und – je nachdem, wie er entscheidet – dann sicherlich auch das BVerfG und der EGMR.
Und eine Frage bleibt dann noch: Warum wollte eigentlich der Kollege, der die Entscheidung geschickt hat, „ungenannt bleiben“. Nun, das hatte mit der „medialen Aufmerksamkeit“ zu tun, die diese Entscheidung bereits hervorgerufen hat. Die wollte der Kollege für sich nicht noch anheizen und außerdem auch nicht als „Einsender“ einer Entscheidung genannt werden, die er gar nicht erstritten hat, sich also nicht mit den berühmten fremden Federn schmücken. Das haben leider manche getan. Was davon zu halten ist/war, beschreibt der Kollege Siebers sehr schön in seinem Blogbeitrag: EncroChat – und die Provinzgrößen im Hintergrund. Ich denke auch, man sollte den Ball flach halten. Medial ist ja ganz schön, aber alles mit Maß und Verstand und nicht mit fremden Federn am Hut.
Im Übrigen: Natürlich werden sich Verteidiger, die in EncroChat-Verfahren verteidigen, über die Entscheidung des LG Berlin freuen. Und das mit Recht. Aber: Keep cool, denn es ist eine (kleine) Schlacht gewonnen, noch nicht der Krieg. Es handelt sich um einen Etappensieg. Die nächste Klippe „lauert“ schon, nämlich das KG 🙂 .
Ich sehe zwei argumentative Schwächen: zum einen, dass ein Ersuchen der französischen Behörden nach Art. 31 erst ab dem Zeitpunkt möglich war, als man wusste, wer/wo die Nutzer waren bzw. sich die Handies dauerhaft aufhielten (also zB nicht bloße Durchreise eines frz. Nutzers). Vorher hätte man nur quasi ins Blaue hinein an alle Mitgliedstaaten das Ersuchen richten können („könnte sein, dass einer der vielen Nutzer in DK/A/BEL/D/I/GR ansässig ist bzw. Kommunikationsdaten dort anfallen“), Eine objektiv willkürliche Umgehung oder Missachtung eines erforderlichen Ersuchens von Beginn an dürfte daher nicht vorliegen.
Und soweit das LG den besonderen Nutzen von Kryptoverfahren für Journalisten, Industrie u.a. bemüht, war zumindest bei EncroChat, soweit ich das verfolgt habe, kein großer Aufschrei auf Seiten der Medien zu vernehmen, dass Journalisten und ihre Quellen ausgespäht worden seien (und den hätte es wohl gegeben, bei Angriffen auf die Pressefreiheit) man liest eigentlich nur von Nutzung durch die „dunkle Seite der Macht“ und entsprechende Sicherstellungen von großen BtM-Mengen und Vermögen…
Bleibt jedenfalls spannend.
Im Kontrast dazu ist in der aktuellen NJ noch einmal ausführlicher die Auffassung des OLG Rostock (1. Strafsenat), Beschluss vom 11.05.2021 – 20 Ws 121/21, nachzulesen, dass „[s]chon die Verwendung eines Krypto-Handys der Firma EncroChat […] auf ein konspiratives Verhalten zur Begehung und Verdeckung von Straftaten hin[deute]“. Die Betroffenen hätten sich dadurch in eine „nicht schützenswerte Sphäre“ begeben:
„Die Intention sich mit dieser Kommunikationsform in Sicherheit vor staatlicher Überwachung zu begeben und so ungestört kriminellen Geschäften nachzugehen, verdient im Sinne des Interesses des Staates an einer Aufklärung schwerster Betäubungsmittelstraftaten keinen Schutz.“
OLG Rostock hatten wir hier auch: EncroChat: Verwendung eines Krypto-Handys genügt für dringenden Tatverdacht, oder: Nein, OLG Rostock