Archiv für den Monat: Mai 2021

Unfallschaden II: Streifzusammenstoß zwischen einem Omnibus und einem Pkw, oder: Haftungsverteilung

entnommen wikimedia.org
Urheber Busbahnhof

Im zweiten Posting; dem der OLG München, Beschl. v. 26.04.2021 – 24 U 111/21 – zugrunde liegt, geht es auch um die Frage der Haftungsverteilung.

Dem Beschluss liegt folgender Sachverhalt zugrunde:

„Die Parteien streiten um die Haftung des durch einen Streifzusammenstoß zwischen dem Omnibus der Klägerin und einem vom Beklagten zu 1) geführten, bei der Beklagten zu 2) versicherten PKW entstandenen Sachschadens.

Der Zeuge T. befuhr am 03.07.2019 gegen 16:30 Uhr mit dem 12,99 m langen klägerischen Omnibus die B12 bergauf in Richtung S., die durch das Zeichen 266 der StVO für Fahrzeuge mit einer tatsächlichen Länge von mehr als 12 m gesperrt ist. In einer Spitzkehre im Bereich R. kam es – obwohl der Zeuge T. als Busfahrer äußerst rechts fuhr – aufgrund der Länge des Busses zu einer Mittenüberfahrung von 1,3 bis 1,4 m. Der mit seinem PKW bergab fahrende Beklagte zu 1) bemerkte dies erst mit einer Verzögerung von etwa 2,6 Sekunden, so dass es zu einer Streifkollision kam.

Mit der Klage hat die Klägerin in 1. Instanz ihren Sachschaden von 7.094,82 € nebst Zinsen und vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten geltend gemacht. Das Landgericht Kempten hat nach Einholung eines schriftlichen Gutachtens des Sachverständigen K. vom 21.04.2020, Anhörung des Beklagten zu 1) und Vernehmung der Zeugen T. und S. der Klage nur in Höhe von 40 % stattgegeben, da der Verursachungsbeitrag der Klägerin durch den Verstoß gegen das Zeichen 266, § 41 StVO denjenigen des Beklagten zu 1), der gegen § 1 Abs. 2 und § 2 Abs. 2 StVO verstoßen habe, überwiege.

Die Klägerin beanstandet dieses Urteil und fordert mit der Berufung eine Haftungsquote von 80 % zu ihren Gunsten. Das von Zeichen 266 ausgesprochene Streckenverbot gelte – wie sich aus der Verwendung des Sinnbilds eines LKWs wie bei Zeichen 253 ergebe – nur für LKWs, nicht aber für Kraftomnibusse. Die Klägerin müsse sich nur die Betriebsgefahr mit 20 % anrechnen lassen.“

Das OLG sieht keine Erfolgsaussicht für die Berufung und hat darauf hingewiesen. Zur Haftungsverteilung führt das OLG aus:

2. Die Abwägung der Verursachungsanteile nach § 17 Abs. 2, 3 StVG hat das Landgericht ebenfalls zutreffend vorgenommen.

a) Zu Lasten der Klägerin ist der Verstoß des Fahrers gegen § 41 Abs. 2 StVO i. V. m. Zeichen 266 der Anlage 2 zu werten.

Entgegen der Ansicht der Klägerin kommt es nicht darauf an, ob ein Kraftomnibus, der um 1 m kürzer gewesen wäre und damit unter der Beschränkung der tatsächlichen Länge auf 12 m geblieben wäre, ebenfalls die Spitzkehre nur unter Überschreitung der Mittellinie hätte durchfahren können. Zum einen wäre die Mittenüberfahrung jedenfalls geringer ausgefallen. Maßgeblich ist aber, dass der Fahrer des klägerischen Busses die Strecke gar nicht hätte befahren dürfen, sondern die ausgeschilderte, von ihm wahrgenommene Umleitungsstrecke hätte benutzen müssen. Bei Beachtung des Zeichens 266 wäre der Unfall daher nicht geschehen.

Der von der Klägerin hilfsweise geltend gemachte Verbotsirrtum führt zu keiner anderen Beurteilung. Auch wenn der Zeuge T. aufgrund des LKW-Symbols irrig angenommen hat, das Zeichen gelte nicht für Kraftomnibusse, handelt es sich angesichts des im Zivilrecht maßgeblichen objektiven Sorgfaltsmaßstabs jedenfalls um einen fahrlässigen Verkehrsverstoß. Auch konkret kann man vom Fahrer eines fast 13 m langen Omnibusses und damit Inhaber eines entsprechenden Führerscheins und einer Erlaubnis zur Personenbeförderung die Kenntnis der für derartige Fahrzeuge gültigen Verkehrsregeln erwarten. Aus der vom Landgericht beigezogenen Bußgeldakte OWi 140 Js 19080/19 des AG Lindau geht hervor, dass der Zeuge T. seinen Einspruch gegen den gegen ihn ergangenen Bußgeldbescheid zurückgenommen hat.

b) Zutreffend hat das Landgericht dem Beklagten zu 1) Verstöße gegen § 1 Abs. 2 StVO wegen einer Reaktionsverzögerung von ca. 2,5 Sekunden sowie gegen § 2 Abs. 2 StVO wegen eines Verstoßes gegen das Rechtsfahrgebot angelastet, das auch gilt, wenn man innerhalb der Fahrbahn bleibt, aber nicht äußerst rechts fährt. Auch hierbei handelt es sich um fahrlässige Verstöße.

c) Die von der Klägerin zitierten Entscheidungen des OLG Celle betreffen dagegen jeweils Fälle, in denen dem Fahrer des überbreiten Fahrzeugs kein Verkehrsverstoß vorzuwerfen ist. Das OLG Celle hat in beiden Fällen beim Fahrer des überbreiten landwirtschaftlichen Gespanns keinen Verkehrsverstoß festgestellt (OLG Celle, Urteil vom 04. 03. 2020 – 14 U 182/19 –, Rn. 25, juris, Urteil vom 11. 11. 2020 – 14 U 71/20 –, Rn. 25, juris), so dass nur die erhöhte Betriebsgefahr gegen die Verschuldenshaftung des jeweiligen Unfallgegners abzuwägen war.

d) Im vorliegenden Fall liegen dagegen bei beiden Unfallbeteiligten jeweils fahrlässige Verstöße gegen die StVO vor, die in etwa gleich schwer wiegen mögen. Da die Klägerin durch die große Länge des Omnibusses, die sich beim Unfall kausal ausgewirkt hat, eine weit höhere Betriebsgefahr trifft, ist die Haftungsverteilung von 60 % zu 40 % zum Nachteil der Klägerin angemessen.

Da die Berufung keine Aussicht auf Erfolg hat, legt das Gericht aus Kostengründen die Rücknahme der Berufung nahe. Im Falle der Berufungsrücknahme ermäßigen sich die Gerichtsgebühren von 4,0 auf 2,0 Gebühren (vgl. Nr. 1222 des Kostenverzeichnisses zum GKG).“

Unfallschaden I: Kollision mit einem Rettungswagen während der Einsatzfahrt, oder: Haftungsverteilung

entnommen wikimedia.org
Author Soenke Rahn

Im „Kessel Buntes“ heute zwei zivilrechtliche Entscheidungen.

Zunächst kommt dann hier das OLG Düsseldorf, Urt. v. 20.04.2021 – I-1 U 122/20. Dem Urteil liegt folgender Sachverhalt zugrunde:

„Der Kläger macht gegenüber der Beklagten Ansprüche aus einem Verkehrsunfall geltend, der sich am 26.03.2019 in der N. Straße Düsseldorf unter Beteiligung eines Rettungsfahrzeugs der Beklagten ereignete.

Am späten Abend des Unfalltags litt der Sohn des Klägers unter Husten und Atemnot. In der Absicht, den Sohn ins Krankenhaus zu fahren, stellte der Kläger seinen Pkw BMW X6, amtliches Kennzeichen D- , auf der Straße vor seinem Haus N. Straße Nr.  unter einer Straßenlaterne ab. In Höhe des Grundstücks des Klägers beschreibt die N. Straße eine Kurve von 90 Grad und begrenzt dadurch dieses Grundstück an zwei Seiten. Im Kurvenbereich ist die gepflasterte Straße gegenüber dem übrigen Straßenverlauf deutlich verbreitert. Zur Veranschaulichung der örtlichen Gegebenheiten wird auf die Anlage K1 Bezug genommen. Der Pkw des Klägers war an dem gegenüber seinem Haus liegenden Straßenrand abgestellt, wobei die exakte Position zwischen den Parteien umstritten ist. Die N. Straße ist durch das Zeichen 325.1 der Anlage 3 zu § 42 Abs. 2 StVO als verkehrsberuhigter Bereich ausgewiesen. Markierte Parkflächen gibt es im Kurvenbereich nicht.

Der Kläger entschied sich dagegen, den Sohn selbst ins Krankenhaus zu transportieren, und forderte gegen 22:20 Uhr über die Rettungsleitstelle der Beklagten einen Rettungswagen an. Der Unfallort wurde daher durch einen durch den Mitarbeiter M. gesteuerten Rettungswagen und ein Notarzt-Einsatzfahrzeug angefahren.

Im Zuge des Einsatzes kollidierte der Rettungswagen mit seiner hinteren rechten Ecke mit dem hinteren linken Kotflügel des Klägerfahrzeugs, wobei zwischen den Parteien umstritten ist, ob dies beim Anfahren der Unfallörtlichkeit oder beim Verlassen derselben geschah. Durch die Kollision wurde der Pkw des Klägers beschädigt, was zu Reparaturkosten in Höhe von 8.012,84 Euro netto führte. Hierauf sowie auf dem Kläger entstandene Gutachterkosten in Höhe von 1.072,18 Euro und eine durch diesen geltend gemachte Unkostenpauschale von 25,00 Euro zahlte die Beklagte einen Betrag von 6.832,52 Euro, was einem Anteil von 75 % des Gesamtschadens von 9.110,02 Euro entspricht. Zudem erstattete die Beklagte außergerichtliche Rechtsanwaltskosten auf der Grundlage eines dem gezahlten Betrag entsprechenden Streitwerts.

Der Kläger hat den Rest klageweise geltend gemacht. Das LG hat die Klage abgewiesen. Die Berufung hatte dann beim OLG auch keinen Erfolg.

Die Entscheidung des OLG hat folgende Leitsätze:

  1. Kollidiert ein Rettungswagen bei seiner Einsatzfahrt aufgrund von Unaufmerk-samkeit mit einem in einer scharfen Kurve geparkten Kfz, ist eine Haftungs-verteilung von 75 : 25 zulasten des Rettungswagens gerechtfertigt.

  2. Bei der Haftungsabwägung bleibt allerdings das mangels einer ausgewiesenen Parkfläche im Bereich des Verkehrszeichens 325.1 geltende Parkverbot außer Betracht, da dieses der Verwirklichung des mit dem verkehrsberuhigten Bereich geschaffenen Bewegungs- und Kommunikationsraums, nicht aber der Sicherstellung ausreichenden Raums für den durchfahrenden Fahrzeugverkehr dient.

Ich habe da mal eine Frage: Kann ich nachliquidieren, oder: Retourkutsche der RSV

© AllebaziB – Fotolia

Und dann noch das „Gebührenrätsel“ für das Pfingstwochenende, und zwar.

„Moin Herr Kollege!

Folgende Frage zur Abrechnung habe ich.

Bußgeldsache. Ich rechne nach Erreichen eines neuen Bußgeldbescheides ohne Fahrverbot  mit der RSV ab. Die RSV zahlt ohne jegliche Abzüge die um 50 Prozent erhöhte Grundgebühr und auf Verfahrensgebühr sogar Maximalgebühr. Ermessen nach 14 RVG hatte ich in der Rechnung an den Mandanten ausführlich dargelegt. Die Rechnung war nicht als Vorschußrechnung ausgewiesen, sondern war eine Schlußrechnung nach Mandatsende und erfolgte mit Übersendung des BGB an die RSV zur Kenntnisnahme des Verfahrensausgangs.

Bei Ablage der Akte fällt mir drei Monate später auf, daß ich die Nr. 5115 VV aus Versehen in der Rechnung vergessen habe.

Ich habe kurz überlegt, ob ich  meinerseits das jetzt überhaupt noch fordern kann. Trotzdem: Ich fordere die (starre) Nr. 5115 VV bei der RSV an mit der Begründung, diese sei in der vorherigen Abrechnung vergessen worden.

Als Antwort bekomme ich nun eine neue, nicht näher begründete Berechnung der Gesamtgebühren. Nach nunmehr massiven Abzügen durch die RSV bleibt ein Zahlbetrag iHv von rund 30,- Euro brutto (statt 209,xy brutto).

Frage: Darf die RSV jetzt noch Abzüge machen? Meine Darlegung nach § 14 RVG ist doch schon vor Monaten in einer Schlußrechnung anstandslos hingenommen worden. Ich halte das für eine Retourkutsche, nachdem ich doch noch die vergessene Gebühr entdeckt hatte.

Beantwortung eilt nicht. Ich werde nicht hungern müssen.“

Rücknahme des Strafantrags, oder: Anfechtbarkeit der Kostenentscheidung?

© artefacti – Fotolia.com

Und als zweite Entscheidung stelle ich heute den LG Kaiserslautern, Beschl. v. 12.04.2021 – 5 Qs 23/21 – vor. Keine gebührenrechtliche, sondern eine kostenrechtliche Entscheidung. Das LG nimmt nämlich Stellung zur Kostenentscheidung nach Rücknahme eines Strafantrags. Wird ein Strafantrag zurückgenommen, kann, was nicht selten übersehen wird, das „dicke Ende“ für den Antragsteller hinterher kommen. Es droht ihm nämlich die Verpflichtung zur Übernahme der Kosten des Verfahrens nach § 470 StPO.

So auch hier. Die Zeugin hatte am 25.11.2019 Strafanzeige gegen ihren Ehemann wegen einer Körperverletzungshandlung erstattet, welche sich im Juni 2019 zugetragen haben sollte, und stellte einen entsprechenden Strafantrag. Die Staatsanwaltschaft nahm die Ermittlung auf und bejahte ein besonderes öffentliches Interesse an der Strafverfolgung. Sie beantragte am 12.ü2.2020 den Erlass eines Strafbefehls gegen den Ehemann beim AG. Das AG erließ den Strafbefehl am 19.2.2020 und stellte ihn dem Angeklagten zu. Nachdem der vertreten durch seinen Wahlverteidiger fristgerecht Einspruch eingelegt hatte, bestimmte das AG einen Termin zur Hauptverhandlung für den 22.6.2020 und lud die Ehefrau als Zeugin.

In der Hauptverhandlung wurde die Ehefrau als Zeugin vernommen. Sie hat von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch gemacht. Zudem erklärte sie, dass sie ihren Strafantrag zurücknehme. Nachdem sie unvereidigt entlassen worden war, erklärte der Vertreter der Staatsanwaltschaft, dass das öffentliche Interesse an der Strafverfolgung nicht mehr bejaht werde, und beantragte eine Verfahrenseinstellung nach § 260 Abs. 3 StPO sowie eine Auferlegung der Verfahrenskosten auf die Zeugin. Den Anträgen schloss sich der Verteidiger des Ehemanns an. Das AG hat das Verfahren durch Urteil eingestellt und der Zeugin die Kosten auferlegt. Es wurde Rechtsmittelverzicht erklärt.

Der Verteidiger des Ehemannes hat dann die Festsetzung der Kosten gegen die Zeugin beantragt. Die Zeugin hat am 09.03.2021 vertreten durch einen Rechtsanwalt sofortige Beschwerde gegen die Kostenentscheidung des AG vom 22.06.2020 eingelegt. Das Rechtsmittel hatte Erfolg:

„Die zulässige sofortige Beschwerde der Beschwerdeführerin hat auch in der Sache Erfolg.

1. Die sofortige Beschwerde ist zunächst das statthafte Rechtsmittel. Gemäß § 464 Abs. 3 S. 1, 1. HS StPO kann gegen eine Kostenentscheidung die sofortige Beschwerde eingelegt werden. Die Ausnahmeregelung des § 464 Abs. 3 S. 1, 2. HS StPO, wonach dies nicht gilt, wenn die Hauptsacheentscheidung, im Rahmen derer die Kostenentscheidung getroffen worden ist, nicht vom Antragsteller angefochten werden kann, findet hingegen keine Anwendung. Die Kammer verkennt dabei nicht, dass die vorliegende Kostenentscheidung nach § 470 StPO im Urteil zur Hauptsache getroffen worden ist. Gegen das Urteil stünde der Beschwerdeführerin als Strafantragstellerin nach § 300 StPO kein Rechtsmittel zu. Für diese Konstellation wird von der überwiegenden Auffassung in Rechtsprechung und Literatur vertreten, dass die Kostenentscheidung unanfechtbar sein soll (vgl. OLG Hamburg, Beschluss vom 23.02.2012 – 2 Ws 80/11, BeckRS 2021, 9698; OLG Düsseldorf NStZ 2014, 424; OLG Rostock, Beschluss vom 14.08.2017 – 20 Ws 226/17, juris; KK-StPO/Gieg, 8. Aufl., § 470 Rn. 4). Die Kammer schließt sich hingegen der Auffassung an, nach der die Kostenentscheidung gleichwohl angreifbar ist, da sie aufgrund der Sonderstellung des § 470 StPO eine isolierte Entscheidung darstellt (MüKoStPO/Grommes, 1. Aufl., § 470 Rn. 20; Meyer-Goßner/Schmitt/Schmitt, StPO, 63. Aufl., § 470 Rn. 8).

Zunächst spricht für diese Bewertung der Umkehrschluss aus den Regelungen der § 467a Abs. 3 und § 469 Abs. 3 StPO. Nach § 467a Abs. 1 StPO trägt die Staatskasse auf entsprechenden Antrag die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten, wenn die Staatsanwaltschaft die öffentliche Klage nach Erhebung zurücknimmt und das Verfahren einstellt. Ein so ergangener Beschluss ist ausdrücklich gemäß § 467a Abs. 3 StPO nicht anfechtbar. Gleiches gilt für eine Entscheidung gemäß § 469 Abs. 1 StPO, wonach dem Anzeigenerstatter, der durch eine unwahre Anzeige leichtfertig oder vorsätzlich die Aufnahme eines Strafverfahrens veranlasst, die Kosten hierfür aufzuerlegen sind. Auch hier wird in Abs. 3 der Norm eine Anfechtbarkeit ausdrücklich verneint (vgl. MüKoStPO/Grommes, 1. Aufl., § 469 Rn. 16). Ein ausdrückliches Anfechtungsverbot findet sich bei § 470 StPO, wonach sich die Kostentragungspflicht alleine aus der Rücknahme des Antrags ergibt und mithin im Hinblick auf den Anlass der Verfahrenseinstellung indifferent ist, gerade nicht, sodass eine gesetzgeberisch gewünschte Gleichstellung mit den Normadressaten der § 467a Abs. 1 und § 469 Abs. 1 StPO nicht anzunehmen ist.

Etwas Anderes ergibt sich auch nicht aus dem systematischen Vergleich zu den Nebenklagerechten (§ 400 StPO, vgl. KK-StPO/Gieg, 8. Aufl., § 470 Rn. 4). Nach der wohl überwiegenden und zutreffenden Ansicht, handelt es sich bei der Vorschrift des § 400 Abs. 1 StPO lediglich um einen gesetzlich geregelten, generellen Ausschluss der Beschwer des Nebenklägers, der die Statthaftigkeit des Rechtsmittels gegen die Hauptentscheidung ebenso wenig wie eine mangelnde Beschwer im Einzelfall beseitigt und damit die Zulässigkeit der Kostenbeschwerde nicht berührt (OLG Köln NStZ-RR 2009, 126; OLG Hamm NStZ-RR 2006, 95 f.; OLG Karlsruhe NStZ-RR 2004, 120 f.; Meyer-Goßner/Schmitt/Schmitt, StPO, 63. Aufl., § 400 Rn. 1).

Auch gebieten die dogmatischen Bedenken, die insbesondere das OLG Hamburg in seinem Beschluss vom 23.02.2012 gegen eine isolierte Betrachtung der Kostenauferlegung nach § 470 StPO im Rahmen einer Hauptsacheentscheidung vorbringt, keine andere Bewertung. Nach dieser Auffassung bestehe zwischen Haupt- und Nebenentscheidung ein innerer Zusammenhang, der auch nur eine einheitliche Tatsachenbewertung gebiete. Dieser Erwägung ist entgegenzuhalten, dass das beschriebene Risiko zweier divergierender Entscheidungen auch dann besteht, wenn ein Rechtsmittelbefugter nicht die Hauptentscheidung, sondern nur die Kostenregelung angreift. Auch in diesem Fall ist das Beschwerdegericht angehalten, wegen § 464 Abs. 3 S. 2 StPO bei unzureichenden Feststellungen die Entscheidung zurückzuverweisen (BGH, Beschluss vom 04.12.1974 – 3 StR 298/74, NJW 1975, 699, 700; KK-StPO/Gieg, 8. Aufl., § 464 Rn. 11; Dölling/Duttge/König/Rössner/Meier, Gesamtes Strafrecht, 4. Aufl., StPO § 464 Rn. 17). Wenn das Erstgericht in diesem Fall eine Unwirksamkeit der Antragsrücknahme feststellen würde, blieben die Feststellungen der nunmehr widersprüchlichen, aber rechtskräftigen Hauptsacheentscheidung ebenfalls unberührt.

Eine Unanfechtbarkeit der Kostenentscheidung nach § 470 StPO wäre schließlich in der hier vorliegenden Konstellation nicht mit dem Rechtsstaatsprinzip aus Art. 19 Abs. 4 GG und dem Recht auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG vereinbar, da dem Strafantragsteller so die einzige Möglichkeit der gerichtlichen Überprüfung einer Entscheidung, die ihn erheblich belastet, genommen werden würde. Eine solche Möglichkeit muss insbesondere dann gegeben sein, wenn der Strafantragsteller – wie hier – nicht zuvor angehört und über die Kostenfolgen seiner Antragsrücknahme belehrt worden ist (vgl. zur Unbilligkeit der Kostenauferlegung bei Verfahrensfehlern OLG Koblenz, Beschluss v. 22.12.2004 – 2 Ss 312/05, juris).

2. Die Beschwerde wurde fristgemäß eingelegt. Da die Beschwerdeführerin ausweislich des Hauptverhandlungsprotokolls nicht anwesend war bei der Urteilsverkündung, wurde ihr die Entscheidung nicht bekannt gemacht nach § 35 Abs. 1 StPO. Daher begann der Fristlauf zur sofortigen Beschwerde frühestens mit Akteneinsichtnahme durch ihren Verteidiger, wobei dahingestellt sein kann, ob hierin eine Zustellung nach § 35 Abs. 2 StPO zu erblicken ist.

3. Die sofortige Beschwerde ist auch begründet, da die Anforderungen nach § 470 S. 1 StPO nicht vorlagen und somit die Kosten des Verfahrens sowie die notwendigen Auslagen des Herrn H. nicht der Beschwerdeführerin hätten auferlegt werden dürfen. Eine Kostentragungspflicht des § 470 S. 1 StPO setzt voraus, dass das Verfahren durch den Strafantrag bedingt war und wegen dessen Zurücknahme eingestellt werden muss.

Hierfür hätte der Strafantrag zunächst wirksam gestellt werden müssen (Meyer-Goßner/Schmitt/Schmitt, StPO, 63. Aufl., § 470 Rn. 2). Die Beschwerdeführerin hatte am 25.11.2019 den Strafantrag für eine Körperverletzungshandlung gestellt, die sich bereits im Juni 2019 zugetragen haben soll. Somit war die dreimonatige Strafantragsfrist aus § 77b StGB nicht gewahrt.

Das Verfahren war mithin nicht bedingt durch den Strafantrag der Beschwerdeführerin, sondern ausschließlich durch die Bejahung des öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung durch die Staatsanwaltschaft nach § 230 StGB. Ein solches Strafverfolgungsinteresse liegt in der Regel vor, wenn der Rechtsfrieden über den Lebenskreis des Verletzten hinaus in besonderer Weise gestört und die Strafverfolgung ein erheblich gesteigertes, gegenwärtiges Anliegen der Allgemeinheit ist. (vgl. Nr. 86 Abs. 2 S. 1 RiStBV MüKoStGB/Hardtung, 3. Aufl., § 230 Rn. 25). Es besteht folglich unabhängig von dem eigenen Verfolgungsinteresse des Verletzten oder seinem Aussageverhalten in der Hauptverhandlung.

Mithin entstand des Verfahrenshindernisses erst mit der Verneinung des besonderen öffentlichen Interesses, sodass die Kostenregelung zulasten der Staatskasse nach § 467 Abs. 1 StPO hätte ergehen müssen.“

Begriff der Angelegenheit in den sog. „Fallaktenfällen“, oder: Erstreckung

© rdnzl – Fotolia.com

Bevor wird dann in das Pfingstwochenende starten heute dann noch ein wenig  Gebührenrecht.

Und da stelle ich zunächst den LG Aurich, Beschl. v. 31.03.2021 – 13 Qs 9/21 – vor. Es geht um Erstreckungsfragen. Der Sachverhalt ist ein wenig verwickelt – wie in den Fällen meist. Da macht man sich am besten ein Tableau 🙂 .

Mir geht es aber hier heute um die Ausführungen des LG zur Frage des Vorliegens von mehreren Angelegenheiten in den sog. „Fallaktenfällen“. Dazu führt das LG aus:

„Hinsichtlich der Fallakten 5 bis 14 waren keine weiteren Gebühren festzusetzen, da Rechtsanwalt Pp. in den Fallakten 5 bis 8 nicht tätig geworden ist und es insoweit an einer vorherigen Tätigkeit gemäß § 46 Abs. 6 RVG mangelt. Überdies sind die Vorwürfe aus den Verfahren 7 bis 12 und 14 eingestellt worden, so dass denklogisch am 27.12.2019 keine Erstreckung durch das Amtsgericht erfolgen konnte, da die Vorwürfe aus diesen Fallakten beim Amtsgericht überhaupt nicht anhängig geworden sind. Insoweit kann das Amtsgericht auch keine Erstreckung anordnen. Hinsichtlich der Fallakte 13 liegt ein einheitlicher Lebenssachverhalt vor, da der Vorwurf des Tankbetruges im Zusammenhang mit der anschließenden Tat aus der Hauptakte steht, zumal beide Taten am gleichen Abend mit dem gleichen Pkw begangen worden sind.

Allein hinsichtlich der Fallakten 15 bis 18 liegen hier ausnahmsweise eigene Angelegenheiten vor, obwohl diese als Fallakten geführt werden. Denn die Abgabe an die Staatsanwaltschaft und die Beiordnung von Rechtsanwalt Pp. für die Hauptakten und die Fallakten 1 bis 4 war bereits erfolgt und er ist in den Verfahren der Fallakten 15 bis 18 durch die Verteidigungsanzeige vom 25.10.2019 vor der Erstreckung tätig geworden und die Erstreckung bezog sich auch auf die Verfahren der Fallakten 15 bis 18.

Für die Beurteilung, ob bei mehreren Tatvorwürfen dieselbe Angelegenheit und ein einziger „Rechtsfall“ im Sinne der Nr. 4100 VV RVG gegeben sind, ist maßgebend, wie die Strafverfolgungsbehörden die Sache behandeln. Wird gegen den Beschuldigten in getrennten Verfahren ermittelt, ist jedes für sich eine eigene Angelegenheit. Hingegen handelt es sich gebührenrechtlich um nur eine Rechtssache, wenn die Ermittlungen wegen mehrerer Straftaten in einem Verfahren betrieben werden (KG Beschl. v. 18.1.2012 — 1 Ws 2/12, BeckRS 2013, 7064, beck-online).

Insoweit ist es im Grundsatz vom Amtsgericht zutreffend, dass nicht jede Fallakte automatisch eine neue Sache im Sinn von § 15 Abs. 2 RVG auslöst.

Hier war jedoch die Besonderheit zu berücksichtigen, dass die Polizei die Akten mit den Fallakten 1 bis 4 zur Beantragung eines Haftbefehls an die Staatsanwaltschaft abgegeben hatte und die Sachen am 17.10.2019 bzw. am 18.10.2019 dort eingetragen und verbunden worden sind und für dieses Verfahren die Beiordnung erfolgte. Die weiteren Vorgänge sind teilweise von anderen Polizeistationen (Schortens und Moormerland) nach Aurich an die Polizei abgegeben worden und wurden von der Polizei als weitere Fallakten an die Staatsanwaltschaft abgegeben. Dass diese Fallakten 5 bis 18 bereits am 18.10.2019 als „Fallakten“ vorhanden waren und bewusst nur ein Teil der Fallakten abgegeben worden sind, ist aus den Akten nicht ersichtlich ist. Die Abgabe erfolgte erst am 13.11.2019, wobei zwischenzeitlich die Beiordnung erfolgt war und Rechtsanwalt Pp. sich unter anderem zu den Fallakten 15 bis 18 gemeldet hatte. Insoweit stellten sich die Fallakten 15 bis 18 jeweils als eigene Angelegenheiten dar. Dies gilt hinsichtlich der Fallakte 13 nach den oben genannten Grundsätzen zum einheitlichen Lebenssachverhalt hingegen nicht, da es sich bei dieser Tat gemeinsam mit der Tat aus der Hauptakte um einen einheitlichen Lebenssachverhalt handelte, da beide Taten am gleichen Abend und mit dem gleichen Fahrzeug begangen worden sind.

Hinsichtlich der Fallakten 15 bis 18 konnte das Amtsgericht am 27.12.2019 auch die Erstreckung gemäß § 48 Abs. 6 Satz 3 RVG anordnen, da diese Verfahren durch die Staatsanwaltschaft formlos verbunden worden sind und Rechtsanwalt Pp. in diesen Verfahren auch bereits vor der Verbindung tätig war.

Insoweit waren die oben genannten Gebühren für die Fallakten 15 bis 18 zusätzlich zu den bereits festgesetzten Gebühren festzusetzen.“