Am „Gebührenfreitag“ stelle ich zunächst eine Entscheidung des OLG Düsseldorf zur Pauschgebühr vor, und zwar den OLG Düsseldorf, Beschl. v. 31.03.2021 – III-3 AR 90/20.
Pauschgebühr und OLG Düsseldorf, mahnt ahnt: Da kann nichts Gutes kommen. Denn ich erinnere: Da waren die, die zunächst die sog. 500-Blatt-Formel“ propagiert haben (OLG Düsseldorf, RVGreport 2016, 99 = StRR 2015, 359 = JurBüro 2015, 637 = Rpfleger 2015, 668; RVGreport 2016, 178; RVGreport 2016, 138), diesen Lichtblick in der Pauschgebührrechtsprechung, dann aber sehr schnell – nach einem Wechsel im Senatsvorsitz – wieder einkassiert haben (OLG Düsseldorf RVGreport 2017, 10; 2017, 57; 2018, 213). Von daher: Die Entscheidung v. 31.03.2021, die nach dem Loveparadeverfahren ergangen ist, überrascht nicht. Jedenfalls mich nicht.
Zur Sache: Die Kollegin Zipperer, die mir den Beschluss geschickt hat, war Nebenklägerbeistand im Loveparade-Verfahren. Sie hat nach Abschluss des Verfahrens eine Pauschgebühr nach § 51 RVG in Höhe von 285.000 EUR für das gesamte Verfahren beantragt. Hilfsweise hat sie Pauschgebühren für einzelne Verfahrensabschnitte, nämlich anstelle der Grundgebühr Nr. 4100 VV RVG eine Pauschgebühr von 108.180 EUR, anstelle der Verfahrensgebühr Nr. 4112 VV RVG eine Pauschgebühr von 38.351,98 EUR sowie eine Pauschgebühr von 140.962,50 EUR anstelle von Terminsgebühren Nrn. 4114, 4116, 4118 VV RVG geltend gemacht. Die Hauptverhandlung in dem Verfahren hat in der Zeit vom 8.12. 2017 bis zum 4.5.2020 an insgesamt 184 Sitzungstagen stattgefunden, von denen die Antragstellerin an 169 Tagen teilgenommen hat. Das OLG hat anstelle der Grundgebühr Nr. 4100 VV RVG eine Pauschgebühr von 40.000 gewährt:
Das OLG verweist zunächst auf die Rechtsprechung des BVerfG und seine Rechtsprechung zu § 51 Abs. 1 RVG (vgl. BVerfGE 68, 237, 255; BVerfG NJW 2007, 3420; BVerfG NJW 2019, 3370 m.w.N.; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 23.06.2015, III-3 AR 65/14, und vom 19.04.2018, III-3 AR 256-259/16). Und dann:
1. In Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Staatskasse vom 29. Januar 2021, und unter Beachtung der von dem Bundesverfassungsgericht aufgestellten Grundsätze, sieht auch der Senat die Voraussetzungen für die Bewilligung einer Pauschvergütung lediglich anstelle der Grundgebühr Nr. 4100 VV RVG gemäß § 51 RVG als gegeben an, und zwar in der vorgeschlagenen Höhe von 40.000 Euro.
In seinen Entscheidungen vom 25. Juli 2020 (III-3 AR 37/19), vom 8. Oktober 2020 (III-3 AR 39/20), vom 22. Oktober 2020 (III-3 AR 65120) und 11. Januar 2021 (III-3 AR 78/20) hatte der Senat die jeweils gewährte Pauschvergütung von 40.000 Euro auf einen von den ebenfalls im Loveparade-Verfahren tätigen Pflichtverteidigern bzw. Nebenklägerbeiständen plausibel und glaubhaft vorgetragenen Einarbeitungsaufwand von ca. 1000 Stunden gestützt. Im vorliegenden Verfahren geht der Senat davon aus, dass die Antragstellerin sich ebenfalls mit einem ähnlichen Zeitaufwand in die auch für sie identischen Verfahrensakten eingearbeitet hat. Soweit die Antragstellerin geltend macht, sie sei mit dieser Arbeit sogar 1.500 Stunden beschäftigt gewesen, ist dieser deutliche Mehraufwand nicht nachvollziehbar. Es erscheint nicht rechtfertigt, die bisherige Gleichbehandlung zahlreicher Verteidiger und Nebenklägerbeistände in diesem Punkt aufzugeben und der Antragstellerin eine über 40.000 Euro hinausgehende Pauschgebühr anstelle der gesetzlichen Grundgebühr nach Nr. 4100 VV RVG zuzubilligen.
2. Soweit die Antragstellerin darüber hinaus eine Pauschgebühr anstelle der gesetzlichen Terminsgebühren nach Nr. 4114 VV RVG beansprucht, sind die Voraussetzung des § 51 RVG nicht erfüllt.
Mit Blick auf die bundesverfassungsgerichtliche Rechtsprechung (vgl. oben Ziffer 1. 1.) stellt der Senat darauf ab, ob die Höhe des Entgelts für die im Rahmen der Hauptverhandlung entfaltete Tätigkeit wegen für längere Zeit währender ausschließlicher oder fast ausschließlicher Inanspruchnahme für den Pflichtverteidiger von existenzieller Bedeutung ist. Nach der gefestigten Rechtsprechung des Senats (vgl. dazu im Einzelnen Beschluss Vom 23. Juni 2015, III-3 AR 65/14, sowie vom 19. April 2018, III-3 AR 256-259/16) beurteilt sich dies im Kern nach der Dichte der Hauptverhandlungstage, und zwar mit Blick auf die hiervon _abhängenden grundsätzlichen Möglichkeiten des Pflichtverteidigers zum Engagement in anderen Mandaten. Die Bejahung einer jedenfalls fast ausschließlichen Inanspruchnahme durch die Haupt-verhandlung kommt unter Zugrundelegung einer fünftägigen Arbeitswoche grundsätzlich nicht schon bei Prozesswochen mit zwei ganztägigen Verhandlungen, sondern erst bei solchen mit jedenfalls drei ganztägigen Verhandlungen in Betracht. In Wochen mit dreitägiger Verhandlung ergibt sich unter Zubilligung einer Vor- und Nachbereitungszeit von insgesamt einem weiteren Tag, der in einem derartigen Umfangsverfahren grundsätzlich angemessen erscheint, eine etwa 80-prozentige — und damit fast ausschließliche — Auslastung als Pflichtverteidiger.
Im Loveparade-Verfahren hat die Hauptverhandlung nicht für „längere Zeit“ an zumindest drei Tagen in der Woche stattgefunden. Nur einmal (20. November bis 20. Dezember 2018) wurde über einen zusammenhängenden Zeitraum von fünf Kalenderwochen an jeweils drei Tagen in der Woche verhandelt. Allerdings hat die Antragstellerin an diesem Sitzungsblock nicht durchgängig teilgenommen. Nach ihrem eigenen Vortrag (Anlage 1 zum Pauschgebührenantrag vom 28. Dezember 2020) hat sie an den Sitzungen vom 4., 5. und 6. Dezember 2018 nicht teilgenommen, sondern an ihrer Stelle Rechtsanwältin pp. Aber selbst abgesehen davon ist hier von einer Unzumutbarkeit im Sinne von § 51 Abs. 1 RVG der gesetzlichen Terminsgebühren nicht auszugehen, und zwar bereits mit Blick auf die zeitliche Länge der gesamten Hauptverhandlung in der Zeit vom 8. Dezember 2017 bis zum 4. Mai 2020. In dieser Zeit hat die Antragstellerin an 169 von insgesamt 184 Verhandlungstagen teilgenommen. Dafür steht der Antragstellerin jeweils eine Terminsgebühr zu, die zudem für einen Großteil der Hauptverhandlungstage noch durch die Längengebühren nach Nrn. 4116 und auch 4117 VV RVG erhöht war. Zudem ist zu berücksichtigen, dass sich die 169 Sitzungstage der Antragstellerin wegen zahlreicher, oft mehrwöchiger Sitzungsunterbrechungen über einen Zeitraum von 125 Wochen erstreckt haben. Somit hat sie pro Woche durchschnittlich nur an 1,35 Sitzungen teilgenommen. Selbst unter Anrechnung einer dieser durchschnittlichen wöchentlichen Sitzungsanzahl angemessenen Vor- und Nachbereitungszeit von einem halben Tag ergibt sich, dass die Antragstellerin dadurch noch nicht einmal zur Hälfte ihrer gesamten Arbeitszeit ausgelastet war. Eine etwa 80-prozentige (vier Arbeitstagen entsprechende) — und damit fast ausschließliche — Auslastung der Antragstellerin wird selbst unter ergänzender Berücksichtigung ihrer Anreise aus Neunkirchen am Sand zu den Sitzungsblöcken nicht erreicht. Gegen eine jedenfalls fast ausschließliche Befassung der Antragstellerin mit dem Loveparade-Verfahren spricht zudem ihr eigener Vortrag, während der laufenden Verhandlung seien ihr für die Bearbeitung anderer Mandate „gerade einmal 249,8 Tage oder 1,9 Tag(e) pro Woche“ verblieben. In der Gesamtbetrachtung kann von einer – nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts vorauszusetzenden – Gefährdung der wirtschaftlichen Existenz nicht ausgegangen werden.
3. Im Hinblick auf die vorstehenden Erwägungen konnte der Antragstellerin eine pauschalierte (Haupt-) Verfahrensgebühr nach Nr. 4112 VV RVG ebenfalls nicht zuerkannt werden. Bei einer Verhandlungsdichte von durchschnittlich nur 1,35 Sitzungen pro Woche ist nicht anzunehmen, dass die Arbeitskraft der Antragstellerin durch weitere Tätigkeiten aus dem Abgeltungsbereich der Verfahrensgebühr jedenfalls fast ausschließlich in Anspruch genommen wurde.“
Dazu nur Folgendes:
1. Mich überrascht, wie schnell das OLG den Vortrag der Kollegin, sie habe 1.500 Stunden für die Einarbeitung gebraucht, vom Tisch wischt. Da reicht ein einfaches „Nicht nachvollziehbar“ und der Hinweis auf die Gleichbehandlung mit anderen Antragstellern, der mich nun gar nicht überzeugt. Wenn man darauf abgestellt hätte, dass die Antragstellerin zu der höheren Einarbeitungszeit nicht ausreichend vorgetragen hat, könnte ich es noch verstehen, dass das OLG es bei den 40.000 EUR belässt. Nur zur Erinnerung: Das macht dann bei 1.000 Stunden, von denen das OLG ausgeht, einen Stundensatz von 40 EUR aus. Dafür würde ein Handwerker kaum tätig werden.
2. Hinsichtlich der Terminsgebühren kann man sicherlich streiten, ob die von der Antragstellerin geltend gemachte Pauschgebühr angemessen war, was sich ohne genaue Kenntnis der durchschnittlichen Hauptverhandlungsdauer kaum beurteilen lässt. Jedenfalls erscheint es mir aber zu kurz gegriffen, insoweit nur auf die Anzahl der Hauptverhandlungstage abzustellen und die Dauer der einzelnen Hauptverhandlungen überhaupt nicht in den Blick zu nehmen. Da hilft der Hinweis auf die „Längenzuschläge“ nur wenig. Man hätte an der Stelle dann doch vielleicht ein paar Worte des OLG zur Frage des sog. Gesamtgepräges des Verfahrens erwartet. Das ist eine Überlegung, die bei anderen OLG schon eine Rolle gespielt hat (vgl. OLG Celle RVGreport 2011, 177 = StRR 2011, 240; OLG Hamm JurBüro 2007, 308; OLG Hamm, Beschl. v. 2.1.2007 – 2 (s) Sbd. IX 150/06). Geholfen hätte vielleicht auch ein Einmalbetrag oder eine Art „Übergangsgeld“, der in der Rechtsprechung des OLG Koblenz eine Rolle spielt (RVGreport 2017, 217; Beschl. v. 17.9.2019 und v. 19.12.2019 – 1 AR 97/19). Von alle dem nichts, sondern nur kühle Rechnerei, warum die „Auslastung“ nicht hoch genug war.