Die zweite Entscheidung, der AG Erfurt, Beschl. v. 26.02.2021 – 45 Gs 378/21 jug -, den mir die Kollegin Klein aus Weimar geschickt hat, behandelt auch die Frage der nachträglichen Bestellung. Und das AG macht es richtig, und zwar sowohl zur Frage der nachträglichen Bestellung als auch hinsichtlich des Vorliegens der Voraussetzungen für eine Bestellung, und ordnet bei:
„Dem zur Tatzeit Jugendlichen werden Diebstähle am 05.07.2020 und 17.07.2020 zur Last gelegt (vgl. BI. 54 d.A.)
Mit Schreiben vom 05.08.2020 beantragte die Verteidigerin als Pflichtverteidigerin, für den seit dem 22.07.2020 inhaftierten Beschuldigten, beigeordnet zu werden (vgl. BI. 32, 54 d.A). Die Inhaftierung erfolgte auf Grundlage des Sicherungshaftbefehls des Amtsgerichtes Weimar vom 02.06.2020 im Verfahren 2 BRs 117/19 (vgl. BI. 62 d.A).
Mit Verfügung vom 10.12.2020 stellte die Staatsanwaltschaft Erfurt das Verfahren im Hinblick auf das rechtskräftige Urteil des Amtsgerichtes Weimar vom 04.09.2019 (AZ: 750 Js 1440/19 – 2 Ls jug) gemäß § 154 Abs.1 StPO ein. Aufgrund des Widerrufs der Bewährung in vorbenannter Sache befindet sich der Beschuldigte bis voraussichtlich 20.03.2021 in der JSA Arnstadt in Haft.
Der Antrag auf Pflichtverteidigerbestellung ist zulässig. Der Umstand, dass das Verfahren mittlerweile eingestellt wurde führt nach Neufassung der §§ 140 ff StPO zu keiner anderen Betrachtungsweise, denn einzig maßgebend ist, dass die Voraussetzungen einer Pflichtverteidigerbestellung zum Zeitpunkt der Antragstellung vorlagen: Das war am 05.08.2020 der Fall.
Der Antrag ist auch begründet, da sowohl die Voraussetzungen des § 140 Abs.1 Nr. 5 StPO n.F., als auch des § 140 Abs.2 StPO vorlagen.
Nach § 140Abs1. Nr. 5 StPO ist dem Beschuldigten, der sich aufgrund richterlicher Anordnung oder mit richterlicher Genehmigung in einer Anstalt befindet ein Pflichtverteidiger zu bestellen. Die Einschränkung nach früherem Recht, dass die Inhaftierung mindesten 3 Monate gedauert haben muss ist weggefallen.
Diese Voraussetzungen liegen hier vor, denn der Beschuldigte befindet sich seit dem 22.07.2020 in der JSA Arnstadt. Dort erfolgte auch die Durchsicht des Effektenprotokolls um fest-zustellen, ob dort ein Handy aufgeführt ist, dass Gegenstand der Tat vom 05.07.2020 war (vgl. Bl. 54 d.A)
Darüber hinaus liegen hier aber auch die Voraussetzungen des § 140 Abs.2 StPO vor. Danach ist ein Pflichtverteidiger zu bestellen, wenn die Schwere der Tat dies gebietet.
Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Dabei sind im Jugendstrafrecht die gleichen Grundsätze wie im Erwachsenenstrafrecht anzuwenden (vgl. OLG Hamm, 14.05.2003, 3 Ss 1163/02)
Auch der Wortlaut des § 68 Abs.1 JGG spricht für diese Betrachtungsweise.
Danach ist auch im Jugendstrafrecht grundsätzlich erforderlich, das eine Straferwartung von mindestens einem Jahr zu erwarten ist. Das mag beim einem drohenden Widerruf einer achtmonatigen Bewährungsstrafe fraglich sein.
Die Staatsanwaltschaft verkennt aber insoweit, dass im Jugendstrafrecht der § 31 JGG zu beachten ist (vgl. OLG Hamm a.a.O.)
Zum Zeitpunkt der Antragstellung, war hier die Anwendung des § 31 JGG zu erwarten, wobei, im Hinblick darauf das die Taten vom 05.07.2020 und 17.07.2020 nach der Verurteilung am 04.09.2019 erfolgten und ein hohes Rückfallintervall vorliegt mit einer Einheitsjugendstrafe von ca. 1 Jahr zu rechnen war.
Dies ergibt sich auch aus dem Beschluss des Amtsgerichtes Arnstadt vom 20.08.2020, durch den die Strafaussetzung zur Bewährung widerrufen wurde (vgl. BI. 62 ff d.A). Dort wird dezidiert das Verhalten des Beschuldigten nach der letzten Verurteilung beschrieben (vgl. BI. 63 d.A.) Der Umstand, dass es sich hier um keine einschlägige Straftat handelt, spielt im Jugendstrafrecht eine untergeordnete Rolle, da der Erziehungsgedanke im Vordergrund steht.
Nach alldem lagen die Voraussetzungen einer Pflichtverteidigerbestellung vor und dem Antrag der Verteidigerin vom 05.08.2020 war stattzugeben.